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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 05.03.2012

 

 

 

cover perraudin

Rezension von:

Michael Perraudin / Jürgen Zimmerer (eds.):

German Colonialism and National Identity

 

Im Rahmen der sog. postkolonialen Studien ist ein ums andere Mal dargelegt worden, dass der deutsche Kolonialismus nicht gleichzusetzen ist mit der kurzen Phase der formalen Kolonialherrschaft des wilhelminischen Kaiserreichs in Übersee. Dieser Erkenntnis folgt auch der von Michael Perraudin und Jürgen Zimmerer herausgegebene Sammelband, der die Beiträge der Konferenz “War, Genocide and Memory: German Colonialism and National Identity” dokumentiert , die 2006 an der Universität Sheffield abgehalten wurde.

Deutsche (Post-)Kolonialität

Die 22 von Historikern, Literaturwissenschaftlern, Afrikanisten und Soziologen verfassten Aufsätze sind in fünf chronologisch gehaltenen Kapiteln unterteilt. Der inhaltliche Schwerpunkt des Buches liegt dabei weniger auf dem Kolonialreich selber, sondern befasst sich vor allem mit dessen Vorgeschichte und seiner mittlerweile langen Nachgeschichte.

Im ersten Abschnitt werden Themen abgehandelt wie etwa die 1848 in der Frankfurter Paulskirche geführten Debatten über die Möglichkeiten kolonialer Expansionspolitik des deutschen Nationalstaates (Brian Vick) oder über Polen als kolonialer Expansionsraum der Deutschen (Kristin Kopp). Es folgen Texte zum visuellen Kolonialismus, darunter zur Kolonialwerbung (David Ciarlo) und die Darstellung des Boxeraufstandes im Spiegel der „Berliner Morgenpost“ (Yixu Lü). Im dritten Abschnitt finden sich Essays, die sich mit dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft beschäftigen. Wie die völkische Rechte in ihrer Propaganda auf die Figur des berüchtigten Carl Peters zurückgriff, diskutiert Constant Kpao Saré. Das Wirken deutscher Frauen in der Nachkriegszeit in Afrika untersucht Britta Schilling, während die Figur des „Askari“ von Susann Lewerenz unter die Lupe genommen wird. „Der deutsche Kolonialismus in der Ära des Dekolonisation“ lautet die Überschrift zum vierten Kapitel. Abgesehen etwa von Themen wie antikolonialer Denkmalsturz (Ingo Cornils) und kolonialhistorische Fernsehproduktionen (Wolfgang Struck) sticht der Aufsatz von Monika Albrecht heraus. Sie stellt die These auf, dass es nach 1945 keine „post-koloniale Amnesie“ in Deutschland gegeben habe. Allerdings bleibt die Frage offen, ob die regelmäßige Berichterstattung über kolonialpolitische Ereignisse in den von Albrecht ausgewerteten Wochenmagazinen wie der „Spiegel“ als Indiz dafür genommen werden kann, welchen Stellenwert die Kolonialgeschichte im allgemeinen Geschichtsbewusstsein der Deutschen einnimmt. Strittig bleibt in diesem Zusammenhang ebenfalls die Frage, ob der 68er-Bewegung das Verdienst zukommt, eine „offene Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe“ (S. 5) vorangebracht zu haben oder ob die Impulse dafür nicht maßgeblich von außen kamen, insbesondere eben von den aus dem angelsächsischen Raum kommenden „postcolonial studies“. Das abschließende fünfte Kapitel greift vor allem Fragen der Erinnerungskultur auf. Im Mittelpunkt steht hier die Memorierung des Genozids an den Herero und Nama im heutigen Namibia und hierzulande (Reinhart Kössler, Henning Melber, Dominik Schaller).

Einmal mehr zeigen die Beiträge des Sammelbandes, wie kreativ, fächerübergreifend und methodisch auf hohem Niveau mittlerweile über den deutschen Kolonialismus als Real- und Phantasiegeschichte diskutiert wird. Nicht zuletzt belegen die Debatten, darin ist den beiden Herausgebern zuzustimmen, dass Deutschland mittlerweile die „post-koloniale Normalität Europas erreicht“ (S. 2) hat. Die im Vorwort aufgestellte These, der Kolonialismus habe eine zentrale Bedeutung für die nationale Identität im deutschen Kaiserreich eingenommen, ist unter Kolonialhistorikern weitgehend unumstritten, wird aber wohl auch weiterhin auf die Vorbehalte von Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen stoßen.

In einem Punkt irren übrigens die Herausgeber. Die Entschuldigung für die deutschen Kolonialverbrechen, die die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul anlässlich des 100. Jahrestages der „Schlacht am Waterberg“ 2004 in Namibia ausgesprochen hat, war keine „offizielle Entschuldigung der deutschen Bundesregierung“ (S. 1). Abgesehen davon, dass Wieczorek-Zeul für ihre Rede heftig kritisiert wurde - bekanntlich verwendete sie darin das Reizwort „Völkermord“ -, beeilte sich das politische Berlin damit verlautbaren zu lassen, es habe sich dabei um die Einzelmeinung einer Ministerin gehandelt. Die Rede ging zwar als Meilenstein in die Annalen der deutsch-namibischen Beziehungen ein, jedoch warten die Herero und Nama bis heute auf ein solches offizielles Schuldeingeständnis. Aus Sorge um daraus juristisch abzuleitende Reparationsforderungen beißen sich Vertreter der (damaligen wie der heutigen) Bundesregierung lieber die Zunge ab, als den Völkermord im damaligen Deutsch-Südwestafrika anzuerkennen. Die Querelen bei der Rückgabe der Schädel ermordeter Herero und Nama in Berlin Ende September 2011 haben dies abermals deutlich gemacht.

Joachim Zeller

Michael Perraudin / Jürgen Zimmerer (eds.): German Colonialism and National Identity, Routledge, New York / London 2011, 340 S., Hardback: 978-0-415-96477-7: £ 85.

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