Seit Jahrhunderten leben Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland. In den vergangenen Jahren hat die Forschung zur Geschichte der afrikanischen Diaspora im deutschsprachigen Raum einen sehr starken Aufschwung genommen. Zu den Pionierinnen gehört die Stuttgarter Historikerin Monika Firla, die sich mit ihren zahlreichen Publikationen zum Thema einen Namen gemacht hat. Zu Firlas wichtigsten Veröffentlichungen gehört der Katalog „Exotisch - höfisch - bürgerlich. Afrikaner in Württemberg vom 15. bis 19. Jahrhundert“, der 2001 erschien. Daran schließt nun ihr neues Buch an, eine Biographie über den aus Duala/Kamerun stammenden Artisten Hermann Muna Kessern (1896-1981), der über Jahrzehnte in der württembergischen Kleinstadt Crailsheim zu Hause war.
Zunächst Schüler an der Regierungsschule in Duala und von Pallottiner-Missionaren zum katholischen Glauben gebracht, arbeitete Kessern als Hilfsbeamter und anschließend an der dortigen Hauptpost, ehe er 1912 im Alter von 22 Jahren nach Deutschland kam. Sein weiterer Lebensweg führte ihn nach einer abgebrochenen Schneiderlehre in Breslau und einer vorübergehenden Tätigkeit als Kammerdiener beim Herzog Karl Rudolph von Croy in Dülmen zu seinem eigentlichen Beruf, den des Artisten. Zu seiner Ausbildung als Fakir gehörte das Feuerschlucken und -spucken, das Tanzen auf Glasscherben, das Liegen auf dem Nagelbrett sowie das Gehen auf einer Doppelleiter aus Schwertern. Kessern zeigte seine Künste vor allem als Mitglied der „Bonambelas-Troupe“. Mit seiner Artistengruppe tourte er durch das In- und Ausland. Engagements hatte er u. a. bei Zirkus Sarassani und Zirkus Krone.
Die Zeit der NS-Herrschaft überstand er - im Gegensatz zu manch anderem Schwarzen im Dritten Reich - einigermaßen unbeschadet. Obgleich man 1938 seine deutschen Papiere einzog, konnte sich Kessern als Artist in der Manege, vor allem aber durch sein unauffälliges Verhalten, rassistischen Übergriffen entziehen. Erst 1948 folgte die Hochzeit mit seiner langjährigen Freundin Anna Martin. Nachdem er die Auftritte als Fakir aus Altersgründen hatte aufgeben müssen, trat er in einer Afrika-Schau in Schulen auf. Die letzten Jahre verbrachte Kessern als angesehene Persönlichkeit in seiner Wahlheimat Crailsheim.
Der Lebensweg von Hermann Kessern gleicht in vielerlei Hinsicht denen anderer afrikanischer Migranten in Deutschland. Sein Auskommen konnte er nur finden, indem er in der Showbranche die Rolle des „Exoten“ mimte. Aus seiner Perspektive formuliert könnte man aber auch sagen, dass er sich das Bedürfnis der weißen Mehrheitsgesellschaft nach Exotik für seine eigenen Interessen der Existenzsicherung zunutze gemacht hat. Der „relativ geglückte Lebensweg“, so Firla in ihren Schlussbetrachtungen, darf aber „nicht darüber hinwegtäuschen, dass unzählige andere Schwarze Menschen seiner Zeit unter das Last von Diskriminierung und Verfolgung schwer zu leiden hatten und zerbrachen“. Die Autorin endet mit der Feststellung, in „keiner Weise das von Kessern geleistete Höchstmaß an Anpassung zum Leitbild für Immigranten erklären“ zu wollen.
Monika Firla hat auf Grundlage einer breiten Quellenbasis und zahlreichen Interviews mit Zeitzeugen eine lesenswerte Lebensgeschichte dieses Deutsch-Kameruners vorgelegt. Ihr Buch reiht sich in eine mittlerweile beträchtliche Zahl (auto-)biographischer Literatur ein, die das Leben von Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland zum Thema hat. Dazu gehören, um nur ein paar Beispiele zu nennen, die Monographien von und über Gustav Sabac el Cher, Nayo Bruce, Hans J. Massaquoi, Chima Oji, Marie Nejar, Thomas Usleber, Jones Kwesi Evans oder Stefanie-Lahya Aukongo.
Joachim Zeller
Monika Firla: Der Kameruner Artist Hermann Kessern. Ein schwarzer Crailsheimer (Historische Schriftenreihe der Stadt Crailsheim, Band 9), Baier Verlag, Crailsheim 2010, 240 Seiten, ISBN 978-3-929233-67-4.
Siehe auch:
- Armbruster, Manuel: "Völkerschauen" um 1900 in Freiburg i. Br. - Kolonialer Exotismus im historischen Kontext (2011) mehr (pdf 89 Seiten)
- Oguntoye, Katharina: Prekäre Subjekte - Die afrikanische Diaspora in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus (2009) Zum Text
- Aukongo, Stefanie-Lahya: Kalungas Kind. Wie die DDR mein Leben rettete (2009) Zur Rezension
- Barnes, Hugh: Der Mohr des Zaren. Eine Spurensuche (2007) Zur Rezension
- Bechhaus-Gerst, Marianne: Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen. Eine Lebensgeschichte (2007) Zur Rezension
- Blom, Philipp / Wolfgang Kos (Hg.): Angelo Soliman. Ein Afrikaner in Wien (2011) Zur Rezension
- Brändle, Rea: Nayo Bruce. Geschichte einer afrikanischen Familie in Europa (2007) Zur Rezension
- Engombe, Lucia: Kind Nr. 95. Meine deutsch-afrikanische Odyssee (2004). Zur Rezension
- Gerbing, Stefan: Afrodeutscher Aktivismus. Interventionen von Kolonisierten am Wendepunkt der Dekolonisierung Deutschlands 1919 Zur Rezension
- Lewerenz, Susann: Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940). Rassismus, Kolonialrevisionismus und postkoloniale Auseinandersetzungen im nationalsozialistischen Deutschland (2006) Zur Rezension
- Möller, Beatrice, Nicola Hens, Susanne Radelhof (Regie): Omulaule heißt schwarz (2003). Zur Rezension
- Pieken, Gorch/ Cornelia Kruse: Preußisches Liebesglück. Eine deutsche Familie aus Afrika (2007) Zur Rezension
- Westerman, Frank: El Negro. Eine verstörende Begegnung (2005). Zur Rezension
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