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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 09.10.2012

 

 

 

cooper kolonialismus denken

Rezension von:

Frederick Cooper:

Kolonialismus denken.

Konzepte und Theorien in kritischer Perspektive.

 

Mit „Kolonialismus denken“ liegt erstmals ein Band des US-Amerikanischen Historikers Frederick Cooper auf Deutsch vor. Sein Anliegen ist in diesem Essay-Band, grundlegende Denkweisen über Kolonialismus in Frage zu stellen und die Kolonial-Reiche als „Billigversion“ (S. 260) von Imperien zu deuten. Überzeugend macht Cooper nach einer Einführung in die Wissenschaftsgeschichte des Kolonialismus sowie ausführlicher Begriffsarbeit deutlich, dass die Kolonialreiche des 19. und 20. Jahrhunderts Imperien unter verwertungslogischem Vorzeichen waren. Damit durchbricht er die seiner Meinung nach zu stark auf Subjektpositionen konzentrierten wissenschaftlichen Veröffentlichungen (S. 20) zum Thema. Er zeichnet auf diese Weise auch eine Kolonialgeschichte, die bestimmt ist von Möglichkeiten, Entscheidungen und sozialen Kämpfen, statt durch eine lineare Entwicklung hin zu den schließlich entstandenen Nationalstaaten.

Im Mittelpunkt des Bandes steht, neben der Begriffsarbeit, ein Vergleich zwischen „alten“ und „neuen“ Imperien. Cooper konstatiert, dass es für Staaten mit globalem Einfluss bis ins späte 20. Jahrhundert unumgänglich gewesen sei, imperial zu denken. Einen Unterschied verortet er dabei jedoch in der Transformations-Intention. Geleitet von einem wirtschaftlichen Interesse schufen sich die „neuen“ Imperien – Frankreich und Großbritannien – zunächst einen „Flickenteppich wirtschaftlicher Ausbeutung“ (S. 260). Erst nach dem zweiten Weltkrieg wandten sie sich einer Transformation ihrer kolonisierten Gebiete zu. Hier sieht Cooper Ursachen für den Fall der „neuen“ Imperien. Die Konsolidierung des Wohlfahrtsstaates und die Frage nach dessen Reichweite innerhalb des Imperiums, sowie eine Krise rassistischer Ordnung, die sich mit dem Sieg über den Nationalsozialismus einstellte, werden als kritische Momente in der Geschichte der Imperien angesprochen. Aufkeimendes Nationalbewusstsein sei hingegen nur eine Teilkraft der sozialen Kämpfe gewesen.

Cooper betont die Grenzen der Macht von Kolonialimperien in den Provinzen und ersucht damit Europa selbst zu provinzialisieren. Als „schwache Finger“ (S. 326), die schnell überfordert waren, werden lokale Autoritäten uminterpretiert. Dieses Verhältnis wird von Cooper auch auf die Mikroebene angewendet. Er warnt vor einer Überbetonung der Etablierung imperialer Ordnung in den Kolonien, jedoch auch vor dessen Gegenteil. Diese Sichtweise verweist auf größere Handlungsspielräume von Kolonisierten als bisher angenommen. Risse in den imperialen Machtstrukturen, die sich aus dem „Balanceakt“ zwischen Inkorporation und Differenz ergaben, konnten in sozialen Kämpfen genutzt werden und brachten anschließend die Imperien als solche zu Fall.

Das Lippenbekenntnis der Staatsbürgerrechte der imperialen Regierung wurde von sozialen Bewegungen in den französischen Kolonien in konkrete Forderungen nach Gleichheit übersetzt. Zugleich wurde damit die zugrundeliegende rassistische Differenz herausgefordert. Streikbewegungen in Dakar beispielsweise forderten „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“, sowie denselben Zugang zu Sozialleistungen wie sie in der Metropole gewährt wurden. Mit der Forderung nach einem gleichen Lebensstandard wurde gegenüber Frankreich schließlich die Souveränität erkämpft. Wurden zunächst nur Zugeständnisse gemacht, um Forderungen nach nationaler Autonomie abzuwehren, wurde die Souveränität schließlich doch gewährt, um den Kosten der Forderungen nach Egalität zu entgehen. Die Unabhängigkeit wird damit nicht als lineare Entwicklung dargestellt, sondern entfaltete sich erst im Kampf um die Umsetzung der Inkorporation als die günstigere Alternative für Frankreich.

Die Hinterfragung zentraler Begriffe der colonial und postcolonialstudies ist aufschlussreich und regt zu weiteren Überlegungen an. Doppeldeutigkeiten zwischen alltäglicher und analytischer Bedeutung verschleiern in wissenschaftlichen Diskursen häufig genaue Aussagen. Der Vorschlag, das Konzept Globalisierung zu verwerfen, da sie bisher als lineare Entwicklung gesehen wurde, ist im Hinblick auf die historische Analyse Coopers folgerichtig. Globalisierung werde als Prozess gesehen, der die transnationalen Verbindungen stetig vertieft. Vor dem Hintergrund der Geschichte seien globale Beziehungen jedoch nichts Neues. Es komme hier darauf an, sie einzeln in ihrer Entwicklung zu betrachten, statt in der Gesamtheit ihre Spezifika aus den Augen zu verlieren.

Den Vorschlag, das Konzept der Identität durch ein dreigliedriges Modell aus „Gemeinsamkeit, Verbundenheit und Gruppenexistenz“ zu ersetzen und damit zu spezifizieren, ist interessant und kann in der wissenschaftlichen Community zu Diskussionen anregen. Anzumerken ist, dass es Cooper bei den verhandelten Begriffen ausschließlich um deren analytische Präzision geht. So bemerkt er ausdrücklich, dass es bei dem Kapitel über Identität nicht um einen Beitrag über Identitätspolitik gehe. Als dritter Begriff wird die Moderne herausgefordert. Sowohl eurozentristische Konzepte als auch der Entwurf von multiplen Modernen seien zu verwerfen, da sie in keinem Fall tatsächliche Entwicklungen bezeichnen könnten. Wird Modernisierung als (Teil-)Ziel kolonialer Bestrebungen gesehen und „als Schurke [...] identifiziert“ (S. 199), wird damit zugleich implementiert, dass diese Moderne auch erreicht wurde. Hier sieht Cooper die fehlende Präzision, weil eben dies nicht geschehen sei. Anstatt also Vorstellungen von Modernität zu kritisieren oder multiple Gegenmodernen zu konstruieren, komme es darauf an, Entwicklungen einzeln zu betrachten. Nur so könne der Blick auf einzelne Akteure und deren Entscheidungen gerichtet werden, die sonst unter einem einzigen Begriff zu einer anscheinend homogenen Masse verschmelzen.

Die ausgiebigen theoretischen (insb. Teil II) und historiografischen (insb. Teil III) Passagen von Coopers Monografie weisen vielfältige Bezüge unter einander auf, obwohl es sich um eine Essay-Sammlung handelt: Die Kapitel lassen sich zwar mit Gewinn getrennt lesen, sind aber nicht unabhängig voneinander. Der Band regt dazu an, sich mit einem neuen Fokus der Erforschung insbesondere der Prozesse zur Erlangung der Souveränität ehemals kolonialisierter Gebiete zuzuwenden. Dabei wird gleichzeitig ein grober Überblick über die Geschichte europäischer Imperien gegeben, die immer wieder auf den Einfluss einzelner Entscheidungen und deren Folgen verweist. Einzelne Passagen erscheinen beim Lesen langwierig, sind jedoch für den Vergleich zwischen „alten“ und „neuen“ Imperien unerlässlich und ziehen daraus ihren Sinn. Die von Cooper geleistete Begriffsarbeit kann für viele Disziplinen, insbesondere die Sozial-, Geschichts- und Politikwissenschaften, anregend sein und fördert die Entwicklung präziserer Kategorien.

Holger Rosebrock

Frederick Cooper: Kolonialismus denken. Konzepte und Theorien in kritischer Perspektive, Übersetzt von Reinhart Kößler und Rohland Schuknecht, Campus, Frankfurt a.M., August 2012, 394 Seiten, 24,90 €, ISBN: 9783593385761

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