Billy beschäftigt sich in seiner Studie mit den kolonialpolitischen Zielen des Dritten Reiches auf dem afrikanischen Kontinent. Genauer gesagt, geht es um die in der Zeit der NS-Diktatur vorangetriebenen Planungen zur Schaffung eines „deutschen Mittelafrika“. Dieses neue deutsche Kolonialimperium, wie es sich die deutschen Kolonialenthusiasten schon seit den 1880er Jahren erträumt hatten, sollte durch die Annexion weiter Gebiete anderer Kolonialmächte geschaffen werden.
Dabei richtet Billy den Fokus besonders auf Togo, die frühere „Musterkolonie“ des wilhelminischen Kaiserreiches. Togo sollte - in den einstigen Grenzen wiederhergestellt sowie um die französische Kolonie Dahomey (heute Benin) erweitert - eine zentrale Stellung im zukünftigen afrikanischen Kolonialreich einnehmen. Das NS-Regime hatte Togo in seinem für die Zeit nach dem „Endsieg“ angelegten „Generalplan Zentralafrika“ eine Rolle zugedacht, die nach Billy durchaus mit dem Generalgouvernement im „Generalplan Ost“ verglichen werden könne. Das Kolonialpolitische Amt der NSDAP hatte deshalb umfangreiche Planungen für Infrastruktur- und Verwaltungsmaßnahmen zum Ausbau der künftigen Kolonie vorgelegt. Die Nationalsozialisten beabsichtigen eine strikte "Rassenpolitik" einzuführen. Eine politische, soziale und geschlechtliche "Rassentrennung" und eine von staatlichen Stellen gelenkte "koloniale Wirtschaft" sollten die Basis der geplanten NS-Kolonialherrschaft bilden. Wie schon andere Autoren vor ihm, so deutet Billy die berüchtigte „Lebensraum“-Politik in Osteuropa und die NS-Kolonialplanung für Afrika eng mit einander verwoben. Folgerichtig resümiert er: „Ob in Osteuropa oder in Zentraleuropa, es handelte sich um Kolonialpolitik“ (S. 263).
Das Buch von Billy ist aus dessen Promotionsarbeit hervorgegangen, die der in Togo gebürtige und heute in Berlin lebende Germanist und Diplomarchivar im Jahr 2010 an der Freien Universität Berlin verteidigt hat. Für seine Arbeit hat der Autor meist unbekannte Quellen aus deutschen, französischen und togolesischen Archiven ausgewertet . Liegen die Stärken seiner Untersuchung in der Erschließung neuer Quellenbestände, so kann doch manches Manko der Studie nicht übersehen werden. Zwar wird auf ältere Arbeiten wie etwa die von Klaus Hildebrand (1969) oder Alexandre Kum’a Ndumbe III. (1980 / 1993) Bezug genommen. Hingegen muss das Fehlen wichtiger Forschungsliteratur vor allem neueren Datums moniert werden, darunter die Publikationen von Robert M. Mambo (1991), Rolf Peter Tschapek (2000), Marc Brüninghaus (2008), Karsten Linne (2008), Birthe Kundrus (2006) oder zuletzt Felix Brahm (2010). In dem - sehr lesenswerten - Kapitel zur deutschen Propaganda in Togo nach dem Ersten Weltkrieg vermisst man dort, wo der Togolese Kwassi Bruce (S. 70 f.) erwähnt wird, das Buch von Rea Brändle (2007) und dort, wo er die Familie Olympio (S. 67) nennt, dasjenige von Monika Firla (2005). Die Heranziehung aktueller Literatur wäre jedenfalls der analytischen Tiefenschärfe der Arbeit zugute gekommen. Zu beanstanden sind weiterhin sprachliche Schwächen und Fehler, die in dem Buch in nicht unerheblichem Maße zu finden sind.
Eher ungewöhnliches ist im Vorwort des Buches zu lesen. Billy lässt seine Leser wissen, dass er bei der Abfassung seiner Doktorarbeit „viel Unangenehmes erlebt“ und „bittere Erfahrungen“ (S. 9) habe machen müssen. Was damit gemeint ist, darüber kann nur spekuliert werden. Waren es Streitereien innerhalb der von Konkurrenz geprägten scientific community? Musste er Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzung machen?
In der Summe kann Billy durchaus für sich in Anspruch nehmen, Neuland in der einschlägigen Forschungsdebatte über die afrikanischen und ostimperialistischen Ziele der Nationalsozialsten betreten zu haben. Er trägt nicht zuletzt dazu bei, die in der Wissenschaft immer noch vorherrschende eurozentristische Sichtweise auf diese Kapitel deutsch-afrikanischer Geschichte aufzubrechen.
Joachim Zeller
Jonas Bakoubayi Billy: Musterkolonie des Rassenstaats. Togo in der kolonialpolitischen Propaganda und Planung Deutschlands 1919-1943, J. H. Röll Verlag, Dettelbach 2011, 363 Seiten, ISBN 978-3-89754-377-5.
Literatur (nach Erscheinungsdatum):
- Hildebrand, Klaus: Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919-1945, München 1969.
- Kum’a Ndumbe III., Alexandre: Was wollte Hitler in Afrika? NS-Planungen für eine faschistische Neugestaltung Afrikas, Frankfurt/M. 1993 (zuerst 1980).
- Mambo, Robert M.: Mittelafrika. The German Dream of an Empire across Africa in the late 19 th and early 20 th Centuries: An Overview, in: Transafrican Journal of History, 20/1991, S. 161-180.
- Grosse, Pascal: Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, Frankfurt a. M./New York 2000.
- Tschapek, Rolf Peter: Bausteine eines zukünftigen deutschen Mittelafrika, Stuttgart 2000.
- Firla, Monika: Siru Pedro Olympio, Matthias Yawo Anthony und Martin Aku . Drei togolesische Mediziner in Deutschland 1914-38 und ihr weiterer Lebensweg, Stuttgart 2005.
- Kundrus, Birthe: Kontinuitäten, Parallelen, Rezeptionen. Überlegungen zur „Kolonialisierung“ des Nationalsozialismus, in: WerkstattGeschichte 43, 2006, S. 45-62.
- Brändle, Rea : Nayo Bruce. Geschichte einer afrikanischen Familie in Europa, Zürich 2007.
- Brüninghaus, Marc: “Deutsch-Mittelafrika” als Kriegsziel im Zweiten Weltkrieg. Ausdruck nationalsozialistischen Größenwahns oder Aufgriff der Kriegsziele von 1914-1918?, München/Ravensburg 2008.
- Linne, Karsten: Deutschland jenseits des Äquators? Die NS-Kolonialplanung für Afrika, Berlin 2008.
- Brahm, Felix: Wissenschaft und Dekolonisation. Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäftigung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930-1970, Stuttgart 2010.
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