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Diese Rezension wurde hier eingestellt im September 2010

siehe auch:

St. Lamberti-Kirche benennt Raum nach Robert Kwami Pressemitteilung, Mo, 18.05.2009,

Norddeutsche Mission zur "Kwami-Affäre" in Oldenburg 1932 Mehr

 

siehe auch zu Togo:

Schmitz, Birgit: Deutschland postkolonial? - Über die ‘Bewältigung’ des deutschen Kolonialismus [am Beispiel Togos] (1998). Zum Text

Sokolowsky, Celia: »Deutsch spricht wirklich jeder Schwarze« - Sprachenpolitik in Togo als Mittel kolonialer Herrschaft Zum Text

 

 

 

 

 

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Rezension von

Kokou Azamede:

Transkulturationen?

Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika, 1884–1939

 

Sie waren Wanderer zwischen den Welten. Eine Gruppe junger Männer aus der deutschen Kolonie Togo hatte Ende des 19. Jahrhunderts die von der Norddeutschen Mission (mit Sitz in Bremen) geführte „Ewe-Schule“ in Westheim bei Schwäbisch-Hall/Württemberg absolviert. Später in ihrer Heimat als Pastoren, Katechisten und Lehrer arbeitend, kam ihnen eine wesentliche Rolle bei der Begründung der westafrikanischen Ewe-Kirche zu.
In seiner kulturwissenschaftlichen Dissertationsschrift hat sich der togolesische Historiker Kokou Azamede mit diesem spannenden - wie singulären - Kapitel afrikanisch-deutscher (Verflechtungs-)Geschichte auseinandergesetzt. Ausgehend von einem Überblick zur Migrations- und Kulturgeschichte der Ewe und zur pietestischen Kultur Württembergs, folgt eine Darstellung der Lebensgeschichten der insgesamt 20 Ewe-Studenten. Diese stehen im Mittelpunkt der Untersuchung.

Seminaristen der Ewe-Missionsschule im Pfarrhaus in Westheim, um 1893. Bei der Person ganz links dürfte es sich um Elisa Kende handeln; am Harmonium Pfarrer Johannes Binder. (Bild: Weiß auf Schwarz. 100 Jahre Einmischung in Afrika, hrsg. v. Manfred O. Hinz u.a., Berlin 1984, S. 34)

So gehörte etwa Robert D. Baëta (1883-1944) zu den bekanntesten Persönlichkeiten aus dem Kreis der „württembergischen Afrikaner“. Von 1897 bis 1900 an der Ewe-Schule ausgebildet, sollte er später Karriere machen. Er wurde 1917 zum Pfarrer ordiniert und 1922 zum Generalsekretär der Evangelischen Kirche im französischen Gebiet Togos gewählt. Ein anderer war Pastor Robert Kwami (1879-1945). Zunächst war Kwami auf einer Missionsschule, bevor er mit 15 Jahren nach Deutschland reiste und von 1894 bis 1897 die Westheimer Ewe-Schule besuchte. Er sprach und schrieb neben Ewe auch fließend Deutsch und Englisch. Jahrzehnte lang wirkte er als Lehrer und Evangelist im Missionsdienst und tat sich als einer der bedeutendsten Kirchenführer der jungen Ewe-Kirche Togos hervor. 1932 reiste Robert Kwami auf Einladung der Norddeutschen Mission erneut nach Deutschland, wo er in 82 Orten Predigten und Reden hielt. Sein Auftritt in der Kirche St. Lamberti in Oldenburg erregte großes Aufsehen, da er von rassistischen Anfeindungen seitens der Nationalsozialisten begleitet war. Schon anlässlich seines Vortrages vor Studenten in Berlin hatte es geheißen: „Ein Neger vor so gelehrten Leuten!?“ Carl Röver, seinerzeit Gauleiter von Weser-Ems und Ministerpräsident des Freistaates Oldenburg, hetzte gegen den geplanten Vortrag von Kwami. Röver, der vor 1914 als Kaffeekaufmann in Kamerun tätig gewesen war, äußerte, er wisse „wie man mit ‚Niggern’ umzugehen“ habe. Angestachelt von Röver, forderte die NSDAP das oldenburgische Staatsministerium auf, das „Auftreten des Negerpastors in der Lambertikirche sofort zu unterbinden“. Dies sei eine „Kulturschande und Herausforderung des Ministeriums“ und es wurde mit Gewaltanwendung gedroht. Auch die Polizei machte Druck auf die Kirchengemeinde, die sich jedoch nicht beeindrucken ließ. Am 20. September 1932 konnte Pastor Kwami seine Rede vor rund 2.000 Menschen in St. Lamberti halten. Die „Affäre Kwami“ wurde reichsweit zu einem Tagesgespräch, da der oldenburgische Pfarrer Erich Hoyer an 35 Regionalzeitungen einen offenen Brief an Röver geschrieben hatte, in dem er in aufforderte, seine Äußerungen zurückzunehmen.

Pastor Robert Kwami (1879-1945) im Missionsdienstanzug bei einem Empfang in Vane/Avatime-Togo durch Vertreter des Chiefs Adzatekpe Magne Gbagbo, 1932. (Bild: Aus d. bespr. Band)

Den abschließenden Teil seiner Arbeit hat Azamede mit „Transkulturationen: Kategorien hybrider Kultur in der Ewe-Gesellschaft“ überschrieben. Auf den Konzepten von Transkulturation und Hybridität basierend, nimmt der Autor bei seiner Analyse nicht die Sichtweise der Europäer in den Fokus, sondern konsequent die der betroffenen Afrikaner, der „Kolonisierten“. Die Mission bzw. die Missionsstationen begreift Azamede als Laboratorien für Transkulturationen. Ausgehend von ihnen entwickelten sich im Zeitalter des europäischen Kolonialismus in Westafrika hybride Lebens- und Aushandlungsräume mit ihren Überschreitungen, Zwischenräumen und Querverbindungen. Die afrikanischen Lehrer und Theologen fungierten als intermediäre Personen, die zwischen ihren Landsleuten und den weißen Missionaren vermittelnd auftraten. So entstand im Zuge dieser Aushandlungsprozesse ein „dritter Raum“ zwischen den Kulturen. Azamede betont die Eigenständigkeit der sich neu herausbildenden kulturellen Mischformen. Bei der Transkulturation der Deutsch-Eweer handle es sich nicht um Nachahmung, sondern um die Kreierung von etwas prinzipiell Neuem. Die entscheidende Frage ist damit nicht mehr, wie Werner Ustorf in seinem Geleitwort zum Buch hervorhebt, die der Transmission des Christentums (Missionsgeschichte), sondern die seiner Aneignung durch die Afrikaner (Inkulturationsgeschichte). Nicht das Verhältnis zwischen Mission und Kolonialismus ist in erster Linie von Interesse, sondern das Wirken der ersten Generation christlicher Ewe-Theologen im heutigen Togo und angrenzenden Ghana.

Robert D. Baëta (1883-1944), Pastor und Generalsekretär der evangelischen Ewe-Kirche in Togo, Postkarte, Lome/Togo 1915. Baëta war Absolvent der Ewe-Schule der Norddeutschen Mission in Westheim bei Schwäbisch-Hall/Württemberg. (Bild: Peter Weiss)

Azamede hat eine eindrückliche Studie vorgelegt, die sich nicht nur als Teil der Mikrogeschichte der Ewe und damit der noch zu schreibenden Geschichte(n) Afrikas versteht. Sie gewährt ebenso Einblicke in die Geschichte der afrikanischen Diaspora in Deutschland. Die (Auto-)Biographien der Ewe-Seminaristen zeigen das ambivalente Zusammentreffen von
afrikanischer Kultur und christlich-europäischer Gedankenwelt.

Der Band, der in der Reihe „Missionsgeschichtliches Archiv“ der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte erschienen ist, enthält auch eine Reihe von Fotodokumenten, deren Abdruck allerdings teilweise in äußerst schlechter Qualität erfolgte. Abgesehen von dem Kostenfaktor, auf den in diesem Zusammenhang stets hingewiesen wird, ist diese häufig bei historischen Publikationen anzutreffende Nachlässigkeit wohl damit zu erklären, dass die Bedeutung solcher visuellen Quellen entweder nicht erkannt oder schlicht ignoriert wird.

Joachim Zeller, September 2010

Kokou Azamede: Transkulturationen? Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika, 1884–1939, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2009, 278 S., 48 €

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