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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 04.12.2013

 

 

 

cover bowersox

Rezension von:

Jeff Bowersox:

Raising Germans in the Age of Empire.

Youth and Colonial Culture, 1871-1914

Jugend und Kolonialismus

Zur Geschichte der deutschen Kolonialbewegung in den Jahrzehnten vor 1914 liegt mittlerweile eine ganze Reihe von Publikationen vor. Was allerdings die Verbindung zwischen den kolonialen Kreisen im deutschen Kaiserreich auf der einen und der Jugendbewegung auf der anderen Seite betrifft, so war dazu in der Fachliteratur bisher wenig zu finden. Diese Forschungslücke schließt nun der aus den USA stammende Historiker Jeff Bowersox mit seinem Buch „ Raising Germans in the Age of Empire. Youth and Colonial Culture, 1871-1914”. Die Studie, mit der Bowersox 2008 an der Universität von Toronto   promovierte, richtet den Fokus auf die verschiedenen Aspekte kolonialer Kinder- und Jugendkultur. Eingangs werden koloniale Spielwaren - z. B. Blech- und Zinnfiguren -, koloniale Brett- und Gesellschaftsspiele, Kartenspiele und Karnevalsartikel vorgestellt, bis hin zu kolonialen Reklamesammelbildern, die ein imaginiertes Kolonialreich in Miniaturformat lieferten. Der Autor hat dafür Recherchen in Spielzeugmuseen durchgeführt, darunter in Nürnberg und Sonneberg, und ein erstaunlich breites Material zutage gefördert.

Reisespiel

"In die deutschen Kolonien. Reisespiel", Otto Maier Verlag Ravensburg, vor 1914.

In der Spielanleitung heißt es: "Die deutsche Jugend mit den deutschen Kolonien bekannt zu machen und ihr Interesse daran zu wecken, ist der Zweck dieses Spieles." (Foto: J. Zeller 2013)

Ein weiteres Kapitel behandelt die Frage, wie Völkerschauen und Kolonialausstellungen - dazu gehört auch das Berliner Kolonialmuseum - kolonialpropagandistischen Einfluss auf Jugendliche genommen haben. Was die Kolonialpropaganda in den Schulen betrifft, so konzentriert sich Bowersox vor allem auf den Geographieunterricht und die einschlägigen Lernmaterialien und didaktische Handreichungen für die Lehrer. Des Weiteren wird die Kinder- und Jugendliteratur unter die Lupe genommen. Eine Unzahl von Büchern und Groschenheften verbreiteten die Abenteuergeschichten kolonialer Heldenfiguren und ihre Kämpfe in den Überseegebieten. Dabei wurde seinerzeit keineswegs nur deutsche Literatur rezipiert, sondern auch solche aus dem Ausland wie etwa die Klassiker eines Rudyard Kipling. Alle diese Werke indoktrinierten die jugendlichen LeserInnen mit einem kolonialistischen und rassifizierten Weltbild, in dem es vermeintlich nur Herren (die „Weißen“) und Knechte (die Anderen, die „Schwarzen“, die „Roten“, die „Gelben“) gibt. Es sind Dokumente des imperialistischen Zeitalters, die das koloniale Projekt des Deutschen Reiches - wie Europas allgemein - in die mental map junger Weißer einschreiben sollten.

Reisespiel

Reisespiel-Spielbrett (Foto: J. Zeller 2013)

Das wohl wichtigste Kapitel in dem Buch befasst sich mit der Entstehungsgeschichte der deutschen Pfadfinderbewegung. Die beiden Kolonialenthusiasten und Veteranen des Kolonialkrieges von 1904-1908 in Deutsch-Südwestafrika, Stabsarzt Dr. Alexander Lion und Hauptmann Maximilian Bayer, hatten sie nach dem Vorbild der britischen „Scout“-Bewegung ins Leben gerufen. Lion sah in der Pfadfinderbewegung eine Art Heilmittel, um die angebliche Degenerierung von Deutschlands Jugend abzuwehren.

Bowersox hat eine exzellente Untersuchung zur kolonialhistorischen Jugendforschung vorgelegt. Sein Buch zeigt auf überraschende Weise, wie bereits um 1900 deutsche Kinderzimmer und Schulen globalisiert waren, freilich unter kolonialistischen Vorzeichen. Bleibt nur anzumerken, dass man sich noch ein abschließendes Kapitel über die Jugendpropaganda der kolonialrevisionistischen Bewegung zwischen den beiden Weltkriegen gewünscht hätte, mithin zu einer Zeit, als das Deutsche Reich bereits über keine Kolonien mehr verfügte.

Joachim Zeller

Jeff Bowersox: Raising Germans in the Age of Empire. Youth and Colonial Culture, 1871-1914, Oxford University Press, Oxford 2013, 0199641099 978-0199641093, 240 pages

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