Zahllose, hierzulande kaum beachtete Strafexpeditionen gegen widerständige Bevölkerungsgruppen prägten die knapp zwei Jahrzehnte währende deutsche Kolonialherrschaft in Ozeanien wie auch schon die Vorperiode (siehe hierzu die Arbeit aus dem Jahre 2005 von Alexander Krug: "Der Hauptzweck ist die Tötung von Kanaken." Die deutschen Strafexpeditionen in der Südsee 1872-1914). Im Falle der Sokehs auf Pohnpei bedeutete die militärische Niederschlagung ihres Widerstandes den Untergang eines ganzen Volkes.
Die Geschichte der Karolineninsel Ponape, heute Teil der Föderierten Staaten von Mikronesien und mit 347 km² (etwa 19x23 km) etwas kleiner als der Gazastreifen, liegt für die Zeit vor Ankunft der ersten Europäer weitgehend im Dunkeln. Beeindruckende Überreste einer auf künstlichen Inseln errichteten Stadt aus der Zeit nach 1.000 n.Chr. zeugen jedoch von einer beachtlichen wirtschaftlichen Macht der Herrscher auf Ponape. Für das 19. Jahrhundert ist eine Zersplitterung der Bevölkerung in fünf unabhängige Distrikte bekundet, die sich in wechselnden Allianzen bekämpften. Einer dieser Distrikte war Sokeh im Nordwesten der Insel. Im selben Jahrhundert begann sich auch der Kontakt zu europäischen Seefahrern im Pazifik zu intensivieren, die die Insel als Basis für den Walfang und zur Auffrischung ihrer Vorräte nutzten. Auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datieren auch die ersten intensiven Bemühungen um christliche Missionierung der Einheimischen. Nach diplomatischen Verwicklungen um die Zugehörigkeit der Karolineninseln wurde die Inselgruppe 1885 durch einen Schiedsspruch des Papstes Spanien als Kolonialbesitz zugesprochen.
Der Kontakt zwischen Einheimischen und Europäern gestaltete sich oftmals problematisch, es ereigneten sich zahlreiche Feindseligkeiten. Weit gravierender als die gewaltsamen Auseinandersetzungen waren allerdings die Folgen eingeschleppter Krankheiten: Lebten Mitte des 19. Jahrhunderts schätzungsweise 10 bis 15.000 Menschen auf der Insel, reduzierte sich deren Zahl in den kommenden Jahrzehnten krankheitsbedingt auf nur noch rund 3.000 Ponapesen im Jahr 1899.
Nach der Niederlage Spaniens im spanisch-amerikanischen Krieg 1899 verkaufte dies große Südseegebiete an Deutschland und die koloniale Durchdringung der Insel intensivierte sich. Waren die Spanier zuvor nur punktuell präsent gewesen und nach erfolgreichen Angriffen von Seiten der Einheimischen nur mehr geduldet, unternahm die deutsche Kolonialverwaltung intensive Bemühungen zur wirtschaftlichen „Inwertsetzung“ der Insel. Dies bedeutete zuallererst, die einheimische Subsistenzwirtschaft zugunsten des Plantagenanbaus exportfähiger Produkte wie Kokosnüsse umzukrempeln. Dies hatte für die Ponapesen tiefe Einschnitte in ihre bisherigen Lebensgewohnheiten und Landbesitzverhältnisse zur Folge. Hinzu kamen wirtschaftlich und militärisch motivierte Wegebauarbeiten, die durch zwangsverpflichtete Ponapesen durchgeführt werden mussten. Die hierbei zutage tretende Gewalt deutscher Kolonialbeamter gegenüber den Ponapesen führte schließlich 1910 zur Eskalation des ohnehin gespannten Verhältnisses zwischen den Einheimischen und den teils herrisch und brutal auftretenden Deutschen. Nach dem Mord an vier deutschen Kolonialbeamten und deren melanesischen Polizeisoldaten mussten sich die verbliebenen Europäer auf ihren Stützpunkt Kolonia, bis heute Hauptstadt der Insel, zurückziehen. In der Hoffnung, dass die teils modern bewaffneten und zahlenmäßig überlegenen Sokehs die Station nicht stürmen würden, harrten die eingeschlossenen deutschen Kolonialisten hier militärischer Verstärkung.
Nach mehreren Wochen erschien von anderen deutschen Inseln kommend ein großes militärisches Aufgebot des Reiches: Mit vier Schiffen wurden über 700 deutsche Marinesoldaten und indigene Hilfstruppen aus den melanesischen Kolonien angelandet und begannen einen mörderischen Kleinkrieg gegen die rund 270 mobilen und wendigen Sokeh-Kämpfer. Nach zunächst erfolglosen Versuchen, der mobilen Feinde habhaft zu werden, änderten die Deutschen ihr Vorgehen: Die Strategie der verbrannten Erde, welche nun zur Schwächung des Gegners und der Verhinderung seines Nachschubes eingesetzt wurde, verwüstete weite Teile der Insel, Plantagen wurden vernichtet, ganze Dörfer abgebrannt. Ein beteiligter deutscher Offizier erinnerte sich später: "Wisst ihr noch, wie wir sengend und brennend durch das blühende Land zogen, wehende Rauchsäulen verbrennender Dörfer als Wegweiser des Tages, als leuchtende Fackel des Nachts?"
Nach der Kapitulation zahlreicher Sokeh-Kämpfer und der erfolgreichen Festsetzung führender Köpfe wurden in eiligen Verfahren 15 Todesstrafen ausgesprochen und vollzogen. An den übrigen „Beteiligten“, d.h. den verbliebenen etwa 430 EinwohnerInnen der Sokeh-Bevölkerung, vollzogen die Deutschen ein brutales Exempel: Männer, Frauen und Kinder wurden für mehrere Jahre auf die 1.500 km entfernte 'deutsche' Insel Yap in den Palauinseln deportiert, um dort Schwerstarbeit in den Phosphatminen zu leisten. Während der folgenden Jahre sank die Zahl der Sokehs durch die mit der Zwangsarbeit, Krankheiten und Mangelernährung verbundenen Mortalitäts- und niedrigen Geburtenraten rapide. Erst 1917, nachdem die Japaner die Insel im Zuge des Ersten Weltkrieges besetzt hatten, konnten die Verbannten nach und nach auf ihre Heimatinsel zurückkehren. Dort allerdings war ihr ehemaliges Siedlungsgebiet zwischenzeitlich zu deutschem Regierungseigentum erklärt und u.a. an Mitglieder anderer Bevölkerungsgruppen Ponapes verpachtet worden. Bei einer Volkszählung unter den Ponapesen, die 1947 von dem amerikanischen Ethnologen Saul H. Riesenberg durchgeführt wurde, zählte lebten nur noch 242 Sokehs auf der Insel.
Es existierten bislang schon vereinzelte, hier jedoch eher wenig beachtete Studien zur Sokeh-Rebellion (Peter J. Hempenstall: Native Restistance an German Control Policy in the Pacific. the Case of Samoa and Ponape, in: Moses/Kennedy (Hrsg.): Germany in the Pacific and Far East, 1870-1914, St. Lucia 1977; Paul Mark Ehrlich: Ponape Island and German Colonial Rule, 1899-1914, NY 1979). Die Rebellion steht in der Debatte um deutsche Kolonialkriege vielmehr im Schatten der kriegerischen Ereignisse in den afrikanischen Kolonien und in China.
Morlang gelingt eine gute Darstellung der kriegerischen Ereignisse auf Ponape. Das Buch ist zudem gut bebildert, wobei die - teils erstmals veröffentlichten - Bilder leider oft nur knapp kommentiert sind. Zu bemängeln ist die sehr narrative Struktur des Buches, die die Vorgänge wenig in die Forschung über Kolonialkriege einbettet. Theoretische Exkurse zu Formen kolonialer Herrschaft, der Eskalation kolonialer Gewalt, zeitgenössischem europäischem Rassismus als Faktor dessen oder auch der mehrmals angedeuteten Assimilationsprozesse zwischen den interagierenden Europäern und Ponapesen bleiben leider fast gänzlich aus. Auch eine Auseinandersetzung über die Anwendbarkeit der Begriffe Genozid oder Ethnozid wäre vor dem Hintergrund vergleichbarer Diskussionen zu anderen Kolonialkriegen lohnenswert gewesen, auch wenn die Sokehs nur eine sehr kleine Bevölkerungsgruppe darstellten.
Dem häufig anzutreffenden Problem der kritischen Kolonialgeschichtsschreibung, der einseitigen europäischen Perspektive auf die Geschehnisse, die der Quellenlage geschuldet ist, begegnet Morlang durch Rückgriff auf überlieferte ethnologische Befragungen von Ponapesen aus den 1960ern, dem Hinzuziehen eines Buches eines ponapesischen Autors (über dessen genaueren Inhalt und Brauchbarkeit der Leser leider im Dunkeln gelassen wird) sowie der Porträtierung einzelner ponapesischer Akteure in separaten Abschnitten. Dennoch stehen Kolonialherrschaft und die militärischen Ereignisse stark im Vordergrund; eingehendere Schilderungen etwa zur Sozialstruktur, zu Lebensverhältnissen und Kultur der Sokehs finden wenig Platz.
Alles in allem kommt dem gut lesbaren Buch das Verdienst zu, das verkehrte Bild von der vermeintlich friedlichen deutschen Südsee nachhaltig zu relativieren und an dieses vergessene Kapitel deutscher Kolonialgeschichte, welches ein ganzes Volk fast gänzlich auslöschte, zu erinnern. Somit bereichert Morlang die vom Links-Verlag herausgegebene Reihe „Schlaglichter der Kolonialgeschichte“, die bisher wichtige Beiträge zum erst in jüngerer Zeit intensiver untersuchten deutschen Kolonialismus herausgab, um eine weitere lesenswerte Untersuchung. Hierbei gelingt es Morlang wie auch anderen Titeln der Reihe aufzuzeigen, dass die Spuren der relativ kurzen deutschen Kolonialherrschaft hierzulande vielleicht weniger sichtbar und eher virulent sein mögen, in den betroffenen Ländern jedoch bis heute Nachwirkungen zeitigen. Den Mythos des vermeintlich „humanen“ deutschen Kolonialismus, wie er mitunter auch in entsprechenden Dokumentationen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender kolportiert wird, konterkariert Morlangs Untersuchung erfolgreich.
Thomas Morlang: "Rebellion in der Südsee. Der Aufstand auf Ponape gegen die deutschen Kolonialherren 1910/11". Ch. Links Verlag, Berlin 2010, 200 Seiten, 24,90 Euro.
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