Die beiden Germanisten und Literaturwissenschaftler Christof Hamann und Alexander Honold haben nun mit ihrem Buch die wechselvolle Biographie und die Kulturgeschichte dieses - für die Weißen - so exotischen Berges aufgearbeitet. Nach einer Einführung in die alpine Bergsteigerei, wird neben der Geographie vor allem die Popularisierung des Kilimandscharo im Spiegel der deutschen Massenmedien, Literatur und bildender Kunst dargestellt. Der Leser erfährt, wie durch die Ausweitung alpinistischer Aktivitäten außerhalb Europas der Kilimandscharo ins Visier von Abenteurern und Forschern geriet und kolonialer Konkurrenzdruck die Erstbesteigung zum Politikum machte. Das Prestige, als erste auf den Gipfel gestürmt zu sein, konnten dann die Deutschen für sich verbuchen, seinerzeit schon zu den Kolonialherren des Landes avanciert. Freilich wäre es dem Leipziger Geographen Meyer, Sohn des Verlagsgründers Meyer (Konversationslexikon), und seinem Begleiter, dem österreichischen Alpinisten Ludwig Purtscheller, nicht ohne die Hilfe des Dschagga-Führers Mareale wie des Bergführers Yohani Kinyala Lauwo möglich gewesen, den Kraterrand am Kibo zu erreichen.
Zur Erinnerungstopographie gehört auch der neokoloniale Diskurs nach dem Ersten Weltkrieg, als das Deutsche Reich seine Kolonien schon wieder hatte abtreten müssen. General Paul von Lettow-Vorbeck, der „(Kriegs-)Held von Ostafrika“ und fortan einer der führenden Köpfe des Kolonialrevisionismus, nannte den Kilimandscharo das „schönste Denkmal deutschen Besitzes“. Später lasen die Deutschen gerne den Klassiker von Ernest Hemingway „Schnee auf dem Kilimandscharo“ (1936). Dies galt ebenso für zahlreiche Kolonialromane mit ihren darin niedergelegten Eroberungsphantasien oder den Geschichten von Jagdabenteuern. Zu dem, was das Genre des Afrika-Kitsches noch so hervorbrachte, zählt nicht zuletzt Luis Trenkers Buch „Die Farm am Kilimandscharo“ (1960).
Heute findet der Bundesdeutschen liebstes Bergmassiv in Afrika als Motiv in der Werbung Verwendung und jährlich wandern tausende Touristen wie Hobby-Kletterer - mit Unterstützung einheimischer Träger - auf den Kibo. Schließlich taucht der Sehnsuchtort deutscher Afrikamanie als Heia-Safari-Kulisse in so mancher Afrika-Schmonzette in Film und Fernsehen auf.
Das Sachbuch der beiden Autoren bietet interessante Einblicke in die imperialistische und mediale Vereinnahmung Afrikas und seiner Natur. Ob der Kilimandscharo bei den Deutschen und anderen Afrikareisenden noch so beliebt sein wird, wenn das ewige Eis des Schneeberges geschmolzen ist - die Eismassen sind mittlerweile infolge der globalen Klimaerwärmung um ca. 85 Prozent zurückgegangen -, wird sich erweisen.
Christof Hamann / Alexander Honold: Kilimandscharo. Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges, Wagenbach, Berlin 2011. 192 Seiten. Gebunden mit Schildchen und Prägung.
Mit vielen Abbildungen, 22,90 € / 34,90 SFr / 23,60 € [A], ISBN 978-3-8031-3634-3
Bild: „Unsere Kolonien“, Erdal, Marke Rotfrosch, Waxa Bohnerwachs, 1934. Text auf der Rückseite: „Deutsch-Ostafrika. Der Kibo im Kilimandscharo (…). Im Kreis Dr. Karl Peters, der 1884 diese Kolonie für Deutschland erwarb.“ (Bild: Willi Goffart). Das Reklamesammelbild präsentiert den Kilimandscharo als „deutschen Berg“; Carl Peters (1856-1918), Kolonialpolitiker, Publizist und „Begründer“ von Deutsch-Ostafrika. Der Reichstagsskandal um seine Person führte 1897 zur unehrenhaften Entlassung aus dem Kolonialdienst, da er in Deutsch-Ostafrika willkürlich zwei Afrikaner hatte hinrichten lassen. Carl Peters, der stets nationalistische Positionen, einen rigiden Herrenstandpunkt und rassistischen Sozialdarwinismus vertrat, galt vielen schon vor dem Ersten Weltkrieg als Schreckbild des brutalen Imperialisten. J. Z.
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