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Rezensionen auf freiburg-postkolonial.de

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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 04.12.2012

 

 

 

skull restitution 2011

 

Tagungsbericht

„Sammeln, Bewahren, Erforschen und Zurückgeben –

Human Remains aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen“

Vom 4. bis 6. Oktober 2012 trafen sich 74 WissenschaftlerInnen auf Einladung des Human Remains Project der Charité zu dem Workshop in Berlin. Damit wurde zum ersten Mal in Deutschland eine größere Möglichkeit geschaffen, unterschiedliche Interessen und Disziplinen zu einer gemeinsamen Diskussion zusammen zu bringen. Zu verhandeln war dabei vor allem die Frage, wie heutzutage mit den kolonialen menschlichen Überresten umzugehen sei, die in Deutschland lagern. Dabei ging es um Präsentation und Forschung an den „Objekten“, vor allem aber um die Frage der Restitution. Dass sich in der 'Sammlungslandschaft' in den letzten Jahren etwas bewegt hat, spiegelte sich bereits in der Einleitung des Gastgebers Thomas Schnalke. Er betonte, dass es wichtig sei, dass deutsche Institutionen mit denjenigen, die Restitutionsanfragen stellen, in einen ergebnisoffenen, gleichberechtigten Dialog treten.

Im folgenden ersten Block „Sammlungs- und Sammlergeschichte“ kritisierte Wiebke Ahrndt, Direktorin des Überseemuseums in Bremen, den bisherigen Umgang mit menschlichen Überresten in deutschen Sammlungen und Museen. Sie erklärte, dass zunächst eine umfassende Sensibilisierung für das Thema erreicht werden müsse. Deshalb benutze der Deutsche Museumsbund bewusst den deutschen Begriff „Menschliche Überreste“, statt dem englischen „Human Remains“. Im folgenden wurden die Herkunft und der Beschaffungskontext von Sammlungen angesprochen. Die Kolonial- und Sammlungsgeschichte ist in Deutschland nach wie vor nur wenig aufgearbeitet und viel zu komplex, als dass ein einheitlicher Umgang möglich wäre. Dass die Herkunft der Schädel und Gebeine jedoch oft in einem fragwürdigen Kontext steht, wurde schnell deutlich.

Britta Lange insistierte in ihrem Beitrag darauf, nicht nur klar erkennbare menschliche Überreste wie Knochen, Skalps und Mumien einzubeziehen: Auch Ritualgegenstände, in denen zum Teil Knochen verarbeitet sind, sowie Abdrücke von Körperteilen oder Totenmasken müssten in den Fokus genommen werden. Die menschliche Herkunft und der Entstehungskontext zwängen auch hier zu einem sensiblen Umgang, denn das Wissen um koloniale Machtverhältnisse lasse nur schwer eine Legitimierung zu.

Dies zeigten auch die weiteren Beiträge des Blocks. Von Daniel Möller und Reinhart Kößler, der spontan für den erkrankten Heiko Wegmann vortrug, wurde die Geschichte der Freiburger Alexander-Ecker-Sammlung beschrieben. Aufgezeigt wurde, wie die heute noch knapp 1.600 Nummern (davon 1.370 Schädel) umfassende anthropologische Sammlung durch Kolonialbeamte, Schutztruppenoffiziere, eigene Unternehmungen oder durch den Tausch mit anderen Sammlungen erweitert wurde. Eine äußerst spannende Sicht eröffnete Dag Henrichsen, der sich dem Sammler Hans Schinz und seiner Sprachwahl widmete. Die in seinen Schriften prominenten Wörter „Bruchstücke“ und „Besitzergreifung“ weisen dabei auf die Produktion von Differenz und die Sicht der SammlerInnen im kolonialen Rahmen hin. In den Wörtern „Besitz“ und „Ergreifung“ findet sich sowohl die Aneignung der Menschen und des Landes vor Ort, als auch der gewaltsame Übergriff der hierzu nötig war. Deutlich wurde in den einzelnen SammlerInnen-Portraits, insbesondere schon im Vortrag von Britta Lange, wie eng koloniale Institutionen mit der Sammlungsgeschichte verzahnt waren. Aufgezeigt wurde, dass nicht nur Graböffnungen oder Gebeine von Kriegstoten zu problematisieren sind: auch Gefängnisse und Spitäler wurden von SammlerInnen genutzt. Sie boten den „Vorteil“, dass die InsassInnen bereits inhaftiert und ihre Daten erfasst waren. SammlerInnen nutzten dies und konnten sich später bei der Ausführung aus dem Lande darauf verlassen, dass die „Beute“ nicht oder als „wissenschaftliche Objekte“ dokumentiert wurde und somit eine einfach Ausfuhr möglich war.

Das Ausmaß der Sammlungs-Praxis wurde spätestens im zweiten Themenabschnitt deutlich, der sich der heutigen interdisziplinären Provenienzforschung widmete. Oft ist die Herkunft menschlicher Überreste leider nur unzureichend dokumentiert. Insbesondere im deutschen Kontext sind große Teile der Dokumentation im 1. und 2. Weltkrieg zerstört worden. Die Rekontextualisierung wird heute aus mehreren wissenschaftlichen Perspektiven, sowohl gesellschaftswissenschaftlichen als auch medizinisch-anthropologischen, versucht. Anhand der Spuren von rituellen anatomischen Eingriffen, wie beispielsweise das Ausschlagen bestimmter Zähne, lassen sich Ethnien-Zugehörigkeiten bestimmen oder zumindest vermuten. Deutlicher in der Kritik stehen hingegen morphometrische Analysen und invasive Eingriffe. Erstere erscheinen vor dem historischen Hintergrund der Kraniologie als dieser sehr verwandt, auch wenn die Methoden andere sind. Stefan Schlager stellte eine Möglichkeit vor, bei der spezielle Punkte (Landmarks) an Schädeln markiert werden und das daraus entstandene Abbild schließlich miteinander verglichen werden kann. Er verzeichnete dabei eine Zuordnungs-Genauigkeit von 99,6%. Doch zeigten andere Vorträge, wie beispielsweise der von Katrin Koel-Abt, dass die vorhandenen Programme immense Schwächen bei den genutzten Referenz-Samples aufweisen. Die Methode selbst war jedoch im Publikum keineswegs unumstritten. Auch wenn die heutige Morphometrie darauf achtet, keinen Anlass für Wertungen zu geben, ist die Gruppierung von Menschen anhand von Schädelformen doch stark vorbelastet. Invasive Eingriffe sollten nur in Ausnahmefällen und in Absprache mit heutigen VertreterInnen der betroffenen Ethnien bzw. Gemeinschaften vorgenommen werden. Wenn dies geschehe, könne anhand verschiedener Merkmale - beispielsweise anhand der Zähne - das Todesalter sowie die Belastung des Menschen in bestimmten Altersabschnitten festgestellt werden, wie Ursula Wittwer-Backofen darstellte. Sie zeigte zudem, dass sich anhand invasiver Methoden auch Ernährungsgewohnheiten sowie klimatische Räume bestimmen liessen.

Der ethnologischen und historischen Forschung zur Provenienz von menschlichen Überresten widmeten sich anschließend sowohl Gundolf Krüger als auch Werner Hillebrecht. Nicht nur verlorene Dokumente, sei es wegen gezielter Vernichtung oder aufgrund anderer Ursachen, stellen hierbei ein Problem dar. So sei es oftmals schwierig, noch vorhandene Dokumente, meist aus privater Korrespondenz, überhaupt ausfindig zu machen. Werner Hillebrecht verwies darauf, dass an dieser Stelle die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen aus dem globalen Süden und solchen aus dem globalen Westen forciert werden müsse. Die gegenseitige Ergänzung könne so manche Forschungslücke schließen. Bei dieser Gelegenheit wurde auch erwähnt, dass die langen Prozesse bis zur letztjährigen Restitution aus der Berliner Charité nach Namibia dort als ein „Mauern“ Deutschlands wahrgenommen wurden. Diese Anmerkung verweist damit einmal mehr auf die Dringlichkeit der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus von allen Seiten.

Foto: Die ARD-Tagesthemen berichteten am 5. Oktober 2011 über die Rückgabe von Herero- und Nama-Schädeln durch die Charitè nach Namibia (Joachim Zeller).

Mit der Frage nach Möglichkeiten von Restitutionen und ihren Abläufen beschäftigte sich der dritte und größte Block des Workshops. Hier wurde sowohl über vorhandene Abkommen und rechtliche Grundlagen als auch über die Bedeutung von Rückführungen für noch lebende Nachkommen berichtet. Den Anfang machte Sarah Fründt, die weltweit verschiedene Repatriierungsprogramme vorstellte. Überrascht haben hier sowohl die Unkompliziertheit einiger nationaler Repatriierungsprogramme in Australien und Neuseeland als auch der Zusatz, dass Restitution nicht nur ein zwischenstaatliches Thema ist. Sie zeigte ebenso auf das eigene Staatsgebiet bezogene Repatriierungsprogramme der USA und Finnland auf, die auf gefallene SoldatInnen ausgerichtet sind und ein wesentlich höheres Budget aufwiesen. Die Vermutung, dass an dieser Stelle koloniale Muster reproduziert werden, liegt nahe. Bei allen Bemühungen der Provenienzforschung sind die Budgets häufig zu gering, um umfassend zu arbeiten. Estella Weiss-Kreijci aus Wien beschrieb den spannenden Fall einer österreichischen Restitution von San nach Südafrika. Das besondere hierbei war, dass die menschlichen Überreste bereits vor der Rückführung in einer Zeremonie ihre südafrikanische Identität zurückerhielten und so aus ihrem reinen Objektstatus als Sammlungsobjekt gehoben wurden. Dies kann, wie in der späteren Diskussion verhandelt wurde, auch als subversive Kritik seitens der südafrikanischen Regierung gesehen werden. Vor allem dient es jedoch auch einer Identitätspolitik von südafrikanischer Seite. Diesen Punkt sprach auch Larissa Förster an, die anhand der Restitution von der Charité nach Namibia im September letzten Jahres aufzeigte, dass Schädel als greifbare Geschichte sowohl pädagogische wie auch politische Ressource sein können.

Auch das naturwissenschaftliche Interesse an den menschlichen Überresten wurde thematisiert. Archäometrische Untersuchungen wurden ebenso vorgestellt wie paläopathologische, gemeinsam könnten sie Aufschluss sowohl über die Todesumstände der Untersuchten geben, als auch über Migrationsbewegungen. Aus ihnen könnten epidemiologische Auskünfte und Erkenntnisse über die Lebensumstände gewonnen werden, hieß es. In der anschließenden Diskussion klang jedoch die Frage an, was an kolonial geraubten Schädeln erforscht werden könne, was nicht an heute lebenden Personen herausgefunden werden könne. Kritisiert wurde auch, dass bei naturwissenschaftlicher Forschung an den menschlichen Überresten nur Einzelfälle abgebildet würden. Eine breit angelegte Forschung sei auf Grundlage der deutschen Sammlungen nicht möglich, schon gar nicht, solange die Provenienzen nicht geklärt seien. Zum einen, weil ohne das Wissen um die Provenienz die Zugehörigkeit nicht klar ist und keine Zuordnung stattfinden könne, zum anderen weil in den Sammlungen nur „Einzelstücke“ vorhanden sind. Die Frage nach dem Ausbau der Sammlungen erübrigt sich an dieser Stelle wohl von selbst.

Auf den Sammlungskontext ging anschließend noch einmal Markus Schindlbeck, Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU) und Kustos der Rudolf-Virchow-Sammlung ein. Er machte sich zur Aufgabe, die Kolonisierten aus ihrem „Opferstatus“ zu bringen, indem er ihre aktive Rolle beim Anbieten von Schädeln betonte. Als Quellen wurden jedoch nur Aufzeichnungen der SammlerInnen selbst herangezogen. Dass diese frei von kolonialistischer Prägung sind, kann durchaus bezweifelt werden.

Zuletzt trug Gesine Krüger aus Zürich vor, die über „Restitution in historischer Perspektive“ sprach. Sowohl bei der Sammlungs- und Institutionsgeschichte, als auch bei der Identifizierung von menschlichen Überresten könnten die Erhellung weiterer historischer Zusammenhänge wichtige Beiträge leisten. E in wichtiger zu beachtender Punkt sei, dass die ethnischen Gruppen, denen die Provenienz-Forschung die menschlichen Überreste zuordnen möchte (bspw. Herero, Nama, Zulu, San), bereits teilweise ein Produkt des kolonialer Konstruktionen seien. Die ethnische Gruppe der Zulu zum Beispiel wurde durch Kolonisatoren nach ihrem damaligen König Shaka Zulu (1787-1828) benannt, stellte jedoch keine homogene Gruppe dar. Ebenso hob Krüger noch einmal hervor, wie wichtig Restitutionen für Nation-Building-Prozesse in vormals kolonisierten Ländern sein können. Ein hervorragender Beitrag zum Abschluss des Workshops.

Zum endgültigen Abschluss wurde zu einer Podiumsdiskussion geladen. Moderiert von Andreas Winkelmann diskutierten Larissa Förster, Uwe Hoßfeldt, Markus Schindlbeck und Ursula Wittwer-Backofen über die Definition des Unrechtskontextes, die Bedeutung von Interdisziplinarität und die Möglichkeiten von Restitutions-Richtlinien. Die Interdisziplinarität war an dieser Stelle weitestgehend unbestritten. Für die Definition des Unrechtskontextes wie auch für die Möglichkeiten von Richtlinien wurde wie häufig bei diesem Workshop auf die Einzelfall-Betrachtung verwiesen. Das Wichtigste an Richtlinien, so meinte Larissa Förster, sei zunächst der Raum, den sie für die Problematisierung von menschlichen Überresten in deutschen Museen und Sammlungen schaffen. So würden die Sammlungen durch Richtlinien immerhin problematisiert und öffentlich wahrgenommen, statt wie bisher als „gewöhnliches“ Inventar von Museen und Universitäten zu gelten.

Die Diskussion um menschliche Überreste und den Umgang mit ihnen ist an diesen drei Tagen ein ganzes Stück vorangeschritten. Die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Interessen und wissenschaftlichen Disziplinen hat gezeigt, wie wichtig das Thema ist. Wenn auch viele Punkte umstritten waren und bleiben, wurden die Diskussionen sehr rücksichtsvoll geführt. Hierfür die Möglichkeit zu geben, ist den VeranstalterInnen zu danken. „Die Köpfe haben sich geöffnet“, so formulierte Thomas Schnalke in seiner Verabschiedung. Diese Sensibilisierung in weitere Kreise zu tragen, das muss wohl das Anliegen aller sein, die sich (kritisch) mit dem Thema auseinander setzen. Zu einem universellen Umgang wird man in diesem Kontext jedoch wohl nie kommen. Wie auch auf dem Workshop mehrmals angeklungen, gibt es aufgrund der Herkunft menschlicher Überreste keine andere Möglichkeit als sie menschenwürdig zu behandeln – als Einzelfall. Ein Tagungsband ist bereits in Planung. Er wird zeigen, inwieweit die hier geführten interdisziplinären Debatten von den AutorInnen aufgegriffen werden bzw. wie sie sich in deren Ansätzen und Positionen niederschlagen.

Holger Rosebrock

Charité Human Remains Project, Wissenschaftlicher Workshop: Sammeln und Bewahren, Erforschen und Zurückgeben – Human Remains aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen, 4.-6. Oktober 2012 am Centrum für Anatomie der Charité, Berlin, Das ganze Programm

Links zum Thema:

Aussereuropäische Schädelsammlungen in deutschen Archiven Übersichtsseite mit Pressedokumentation

25.11.2011 - [Pressedoku/extern] Anja Bochtler: Herero-Schädel / BZ-PORTRÄT: Die Anthropologin Ursula Wittwer-Backofen hilft der Universität Freiburg bei der Inventur eines düsteren Erbes Mehr und Alexander-Ecker-Sammlung - Uni Freiburg gibt 14 Herero-Schädel an Namibia zurück Mehr

13.11.2011 - Joachim Zeller: Die Restitution der Herero- und Nama-Schädel von Deutschland nach Namibia - Eine Bildergalerie Mehr

13.10.2011 - Reinhart Koessler und Heiko Wegmann: Schädel im Schrank. Das düstere koloniale Erbe der deutschen Rasseforschung muss endlich aufgeklärt werden. Die Zeit | Andrew Zimmerman: An excerpt on the provision of human skulls from German-Southwestafrica by German scholars Mehr

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