Restitution: Ein verlorener Kampf?
Sie zeigt auf, wie vielschichtig die
Restitutionsthematik ist und wie zahlreich und widerstreitend die
involvierten Akteur*innen und ihre Interessen sind. Dafür beleuchtet
sie etwa die Positionen der Museen und der deutschen Regierung. Aber
auch internationale Organisationen wie die UNESCO bleiben von ihrer
Analyse nicht verschont. Des Weiteren geht sie auf die Blickwinkel von
Mitgliedern der Herkunftsgesellschaften der Objekte ein. Durch Savoys
ausführliche Recherche, welche sie in etliche Archive und bis in die
‚Untiefen‘ der Keller renommierter Museen führte, deckt sie den
organisierten Widerstand der Museumswelt Europas jener Jahre gegen die
Restitutionsgesuche afrikanischer Länder auf.
Die traurige Erkenntnis ihrer Arbeit
ist: Die heutige Debatte um Restitution ist nicht neu, sondern fand
schon einmal fruchtlos statt. Bereits 1960 wurden von einigen der
damals gerade unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten (z.B.
Nigeria) Restitutionsanfragen gestellt, welche jedoch lange kaum an
die Öffentlichkeit gelangten. Stattdessen wurden sie innerhalb der
Museumswelt und der Politik besprochen, wo sie „im Sand verliefen“.
Als wichtige Akteur*innen im
Zusammenhang mit der Vereitelung von Restitutionsgesuchen
identifiziert Savoy Personen in ranghohen Positionen deutscher
Kultureinrichtungen, etwa den Präsidenten der Stiftung preußischer
Kulturbesitz, Hans-Georg Wormit, oder den Generaldirektor der
Staatlichen Museen zu Berlin, Wilhelm Waetzoldt. Deren
Empfehlungsscheiben an die Politik zum Umgang mit Restitutionsanfragen
waren verfasst im Ton eines geschichtsvergessenen Narratives, welches
die kolonialen Kontexte, in denen die afrikanischen Kulturgüter
erworben wurden, verschleierte. Beispielhafte Argumentationen lauteten
etwa, dass die im Besitz europäischer Museen befindlichen
Kulturobjekte rechtmäßig erworben und Mittel der Völkerverständigung
seien. Man stehe Rückgaben einzelner Objekte negativ gegenüber, da
deren Restitution als Präzedenzfälle Konsequenzen für die gesamte
europäische Museumswelt hätten. Das letzte Argument offenbart zugleich
das zu Grunde liegende wirtschaftliche Motiv der deutschen
Museumsdirektoren: Afrikanische Kunst bedeute eine hohe Wertsteigerung
der eigenen Einrichtungen. Warum diese also kampflos zurückgeben?
Diese beispielhaften Argumentationen
gegen Restitutionsgesuche finden sich erschreckender Weise noch heute
und stellen eine Kontinuität rassistischer und paternalistischer
Denkweisen dar. Schwerpunktmäßig untersucht Savoy die
Geschichtsaufarbeitung und Restitution in Europa sowie die Perspektive
europäischer Akteur*innen, sie nimmt daneben jedoch auch die
Perspektiven der ehemaligen Kolonien in den Blick. Ihr Fokus liegt
dabei auf Nigeria, da dieses Land Vorreiter beim Kampf um die Kunst
seiner Vorfahr*innen war. Ergebnis ihrer Analyse ist, dass es bei der
Rückgabefrage in der Perspektive der fordernden Länder nicht um eine
Abrechnung mit Europa geht, sondern um eine Investition in Afrikas
Zukunft. Sie haben Interesse an den Kulturgütern ihrer Vorfahr*innen,
da Kultur als etwas betrachtet wird, das verbindet und Neues schafft.
Mit dem Interesse an Restitution geht
für die Fordernden auch der Wunsch an der Definitionsmacht über ihr
kulturelles Erbe und an der Wissensproduktion darüber einher. So
beschreibt Savoy, wie der nigerianische Kunsthistoriker Ekpo Eyo in
den 1970ern in diesem Zusammenhang eine Dekonstruktion westlicher
Begriffe und Kategorien der Kunstgeschichte für afrikanische Kunst
vornahm. Des Weiteren verdeutlicht Savoys Buch auch den steinigen
rechtlichen Weg, den ehemals kolonialisierte Nationen über etliche
UN-Konferenzen gingen, um sich vor der internationalen Gemeinschaft
Gehör zu verschaffen und ihre Rechte zu erkämpfen. Es waren
Meilensteine wie die erste UN-Resolution 3187 (XXVIII) zum Thema
Restitution von 1973, welche die öffentliche, globale und vor allem
emotionale Debatte um Restitution initiierte. Doch trotz all dieser
Unternehmungen zeigt Savoys Arbeit, dass erfolgreiche Restitutionen in
der Mehrheit der Fälle nicht stattfanden, weil ihnen das übermächtige
Schweigen und die Mauer der Bürokratie von Museen und Regierungen
gegenüberstanden. So waren die Restitutionsforderungen aus
subsaharischen Gebieten an deutsche Institutionen im Jahre 1982, also
nach anderthalb Jahrzehnten erfolgloser Anfragen, fast verstummt. Und
das Thema wurde aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis der westlichen
und afrikanischen Gesellschaft verdrängt.
Insgesamt wird deutlich: Die Museen
stellten sich beim Thema Restitution in die Opferrolle und verstecken
sich gleichzeitig unter dem Deckmantel der deutschen Bürokratie.
Getreu dem Motto: „Das ist nicht unser Zuständigkeitsbereich“ schoben
sie sich die Zuständigkeiten mit der auswärtigen Politik, der
Kultusminister*innenkonferenz und dem Bundesinnenministerium hin und
her. Sie setzen den Fokus auf die rechtliche Lage und Komplexität der
Situation, bis die Anfragen verstummten. Neben den
teils organisierten
Verhinderungen durch deutsche Museumsdirektoren sorgt ein weiterer
Faktor dafür, dass Deutschland 1982 bei der Umsetzung von
Restitutionsanfragen (neben Großbritannien) in Europa ganz weit hinten
lag. Die deutsche UNESCO-Kommission fuhr eine besonders „harte Linie“
und erarbeitete „Richtlinien zur Abwehr von Restitutionen“, welche als
allgemeine Haltung von der Bundesrepublik übernommen wurden, während
andere europäische Länder liberaler eingestellt waren.
Dennoch beleuchtet Savoy auch ein paar Stimmen,
die sich in Deutschland solidarisch für Restitutionen aussprachen,
bspw. Leser*innenbriefe in Zeitungen. Vorreiter unter den
Befürworter*innen der Restitution aus der Museumswelt war Herbert
Ganslmayr, der Direktor des Überseemuseums Bremen. Auf politischer
Ebene stand die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Hildegard
Hamm-Brücher, Rückgaben positiv gegenüber und sprach sich 1982 dafür
aus. Ihre Position war jedoch isoliert und stand gegen die Empfehlung
zum „defensiven Verhalten“ des Auswärtigen Amts, aus dem sie 1982 auch
ausschied.
Das Fazit Savoys ist ernüchternd und
stellt zum einen der deutschen Politik der 1960er bis 80er Jahre ein
schlechtes Zeugnis aus, zum anderen lässt es die Leser*innen die
Daseinsberechtigung europäischer Museen hinterfragen. Die Debatte um
Restitution ist bis heute emotionalisiert und bürokratisiert.
Abertausende Kulturobjekte lagern seit Jahrzehnten unter Ausschluss
der Öffentlichkeit in den Kellern und Depots europäischer Museen und
warten quasi auf ihre Rückführungen. Betrachtet man mit dem
ghanaischen Archäologen und Museumskurator Emmanuel Kofi Agorsah die
Restitutionsdebatte als „Element im Kampf gegen Kolonialismus,
Rassismus und Apartheid“, dann
verdeutlicht ihre Arbeit, dass Europa in diesem Bereich noch ein
langer Weg bevorsteht. Dies veranschaulicht Savoys Forschungsergebnis
und daher beendet sie ihren Bericht mit den Worten:
„Fast jedes Gespräch, das wir heute über die Restitution von
Kulturgütern nach Afrika führen, fand vor 40 Jahren schon einmal
statt. [...] Die Männer, die sich in Europa nach 1960 gegen
Restitution stemmten, haben […] eine gigantische kulturelle Schuld
hinterlassen.“ Daraus folgt ihr Appell: „Es liegt an unserer Generation, Verantwortung zu
übernehmen […]: eine ernst gemeinte und angesichts der verstrichenen
Zeit ebenso zügige wie besonnene Restitution der Objekte, die im
Unrechtskontext kolonialer Okkupation zu uns nach Europa gekommen sind
und bereits seit einem halben Jahrhundert reklamiert werden [muss
erfolgen].
Die Lektüre von „Afrikas Kampf um seine Kunst“
ist ein Muss, wenn man gesellschaftspolitisch interessiert ist und
sich mit der aktuellen Restitutionsdebatte auseinandersetzen will.
Durch Savoys Analyse anhaltender rassistischer und paternalistischer
Argumentationsmuster in Fragen der Rückgabe von Kulturgütern werden
die Leser*innen zwangsläufig mit ihren eigenen Standpunkten zu dem
Thema konfrontiert und zur kritischen Hinterfragung derselben
animiert. Durch Savoys gut verständliche Ausdrucksweise und den
historisch orientierten Aufbau des Buches, der die Leser*innen durch
die Geschichte der Restitutionsdebatte leitet, erfordert das Lesen
keine besonderen Vorkenntnisse. Es handelt sich um ein
populärwissenschaftliches Sachbuch und liest sich wie ein
postkolonialer Krimi. Die detaillierte Aufarbeitung der Intrigen der
Museen und Politik durch Savoy lässt die Leser*innen, vom Inhalt
erschreckt und gleichzeitig beeindruckt von der Arbeit Savoys, das
Buch nicht aus der Hand legen.
Joana Gorman
Bénédicte Savoy: Afrikas Kampf um seine Kunst: Geschichte einer
postkolonialen Niederlage, München 2021, 256 Seiten, 24 € [D].
Leseprobe und mehr beim Verlag
C.H. Beck,
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