Sie greift eine Thematik auf, zu der schon eine
Reihe von Monographien publiziert wurden. So haben Wolfe W. Schmokel
(1964) und Klaus Hildebrand (1969) sich mit dem Zusammenhang von
Übersee-Imperialismus und Nationalsozialismus und hier vor allem mit
den diplomatischen Aspekten gegenüber Großbritannien befasst.
Alexandre Kum’a N’dumbe III (1993) und Karsten Linne (2008)
untersuchten in ihren Studien vor allem die NS-Planungen für das
Kolonialreich in Afrika. Sie haben gezeigt, dass die Kolonien in
erster Linie der ergänzenden Versorgung der deutschen Wirtschaft mit
Rohstoffen und Kolonialprodukten dienen sollten.
Dagegen richtet Sandler ihr Augenmerk auf die
koloniale Propaganda während der Nazi-Zeit. Nach einem Überblick zu
den kolonialrevisionistischen Bestrebungen während der Weimarer
Republik beginnt sie mit der im Jahr 1933 erfolgten
“Selbstgleichschaltung” der Kolonialbewegung, deren wichtigste
Lobbygruppe die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) war. Sie legt dar,
wie als Rechtsnachfolger der Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft der
Reichskolonialbund (RKB) gegründet wurde. Die zweite, diesmal
erzwungene Gleichschaltung der zuvor aufgelösten Kolonialverbände im
neugeschaffenen RKB fand 1936 statt. Die Leitung des neuen RKB wurde
Franz Ritter von Epp übertragen, der schon dem Kolonialpolitischen Amt
der Reichsleitung der NSDAP vorstand. Die Mitgliederzahl des RKB wuchs
bis 1941 auf zwei Millionen an, während in der DKG vor 1933 lediglich
um die 30.000 Mitglieder organisiert waren.
Was die kolonialpropagandistischen Tätigkeiten
betrifft, so arbeitet Sandler den zentralen Konflikt heraus, der
zwischen den kolonialen Kreisen und dem in dieser Frage nicht
einheitlich auftretenden NS-Regime bestand. Während die einen
unverdrossen an den Vorstellungen des klassischen Überseekolonialismus
festhielten und durchaus Unterstützung etwa von Hermann Göring fanden,
verorteten Adolf Hitler und andere, etwa Reichsbauernführer R. Walther
Darré, den zu erobernden „Lebensraum“ der Deutschen ausschließlich in
Osteuropa. Bei allen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der NS-Elite
hinsichtlich der kolonialen Frage sollte am Primat der Politik zur
Erlangung der Hegemonie in Europa nicht gerüttelt werden: Dem
Kontinentalimperialismus waren alle anderen Pläne nachgeordnet,
wenngleich der Osten Europas zu keinem Zeitpunkt das Endziel deutscher
Expansion sein sollte.
Die Kolonialbewegung sah sich gezwungen, ihre
Propaganda den Gegebenheiten anzupassen und so auszurichten, als teile
die NS-Führung ihre Ziele. Man habe ein gemeinsames Ziel, nämlich die
Lösung der noch „offenen Kolonialfrage“. In der Leitung der
Kolonialbewegung war man äußerst ungehalten über die durch das
NS-Propagandaministerium schon im Dezember 1933 erlassene Richtlinie
bzw. über eine im Mai 1934 herausgebrachte Presseanweisung, die die
Kolonialpropaganda des Reichskolonialbundes fortan mit erheblichen
Einschränkungen belegte. Danach durfte sich die Propaganda lediglich
auf die Widerlegung der „Kolonialschuldlüge“ der Alliierten und auf
die Wiedererlangung der ehemaligen Kolonien zur Gewinnung von
Rohstoffen und Kolonialerzeugnissen beziehen. Hingegen sei jegliche
Werbung für Siedlungskolonien zu unterlassen. Trotz aller - nur
teilweise befolgten - Beschränkungen und Uneinigkeiten, so Sandlers
zentrale These, konnte die Kolonialbewegung um Ritter von Epp und
Heinrich Schnee, dem letzten Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, eine
gewisse Selbstständigkeit behaupten. Indem sich die führenden
Vertreter der Kolonialbewegung konform mit dem Nazi-Regime gaben,
konnten sie das Thema des Überseekolonialismus in ihrer Pressearbeit,
in Ausstellungen oder auf Kongressen offensiv in der Öffentlichkeit
vertreten.
Ein ganzes Kapitel widmet Sandler der
visuellen Kolonialpropaganda, die als “Kampfmittel” aufgefasst wurde,
darunter Film, Fotografie, Malerei bis hin zu Reklamesammelbildern.
Die Kolonialbewegung pflegte – wie schon vor 1933 – das
revisionistische Narrativ des guten deutschen Kolonisators und sie
glorifizierte die koloniale Vergangenheit. Damit einher ging das
weitgehende Vergessen – Sandler verwendet hier den Begriff der Amnesie
– der negativen Aspekte des Kolonialismus. Die koloniale Agitation in
der NS-Zeit blieb nicht gänzlich wirkungslos. Jedenfalls blieb die
Kolonialfrage bis in den Zweiten Weltkrieg hinein Bestandteil
öffentlicher Debatten, sie war aus der Innen- wie der Außenpolitik
nicht wegzudenken.
Obgleich der Wiedererwerb der Kolonien in den
Zwischenkriegsjahren eine Frage des nationalen Prestiges blieb, gelang
es der Kolonialbewegung trotz aller Bemühungen nicht, der
Kolonialfrage Priorität zu verschaffen: nicht während der Weimarer
Republik und auch nicht während der NS-Zeit. Unter den vier großen
Komplexen, die durch den Versailler Vertrag geregelt wurden, rangierte
die Abtretung der Kolonien im Bewusstsein der Deutschen wohl hinter
den finanziellen, militärischen und territorialen Bestimmungen in
Europa an letzter Stelle. Dies hat bereits Jost Dülffer festgestellt,
dessen wichtiger Aufsatz „Kolonialismus ohne Kolonien: Deutsche
Kolonialpläne 1938“ (1984) in Sandlers Literaturliste allerdings nicht
aufgeführt ist.
Ein Blick in die Bibliographie der
zeitgenössischen Quellen und der Sekundärliteratur zeigt, dass die
Autorin gründlich recherchiert hat. Allerdings fehlt doch die eine
oder andere Publikation. Abgesehen von dem Aufsatz Dülffers wäre hier
auf die Studie „Appeasement and Germany's Last Bid for Colonies” von
Andrew J. Crozier (1988) zu verweisen. Auch ein so bemerkenswerter
Text wie der des Schriftstellers und Journalisten Balder Olden hätte
eine Berücksichtigung verdient. Olden, Autor des Buches
„Kilimandscharo. Ein Roman aus Deutsch-Ost Afrika“ (1928),
veröffentlichte 1936 in der Exilzeitschrift "Das Wort" einen Artikel
mit dem Titel „Deutschland will Kolonien“. Sein Aufsatz strotzt zwar
selbst vor rassistischen Stereotypen, doch er vergleicht die Praxis
der deutschen Kolonialherren in Afrika mit der Behandlung von
KZ-Häftlingen. Die Rückgabe der vormaligen deutschen Kolonien an das
NS-Regime hieße, so Olden, die dortige “Bevölkerung auszurotten”. “Die
ganze Kolonie wäre ein einziges Dachau – und würde bald ein einziger
Friedhof sein.” Es hat eben nicht nur krude Kolonialapologetik
gegeben, sondern auch solche kolonialkritischen Stimmen.
Mit “Empire in the Heimat” hat Willeke Sandler
eine konzise Darstellung der Kolonialbewegung während der NS-Zeit
vorgelegt. Sie belegt, dass dem überseeischen Kolonialismus durchaus
eine prägende Bedeutung für die nationale und kulturelle Identität der
Deutschen zukam, auch wenn er politisch keine Priorität bei der
NS-Führung hatte.
Joachim Zeller
Willeke Sandler: Empire in the Heimat: Colonialism and Public
Culture in the Third Reich,
Oxford University Press, New York 2018, 343 S., ISBN:
9780190697907
Kapitel:
Acknowledgments Abbreviations Introduction Chapter 1: The
Stakes of Overseas Colonialism in the Weimar Republic Chapter 2:
Gleichschaltung and the Beginnings of a Mass Movement,
1933-1935 Chapter 3: Locating Germanness, Locating the Colonial:
Competing Organizations and Visions of Empire Chapter 4: Caring
for Africans Here and There: Race, Place, and the Myth of the Good
German Colonizer Chapter 5: The Second Gleichschaltung in
1936 Chapter 6: The Paradox of Success, 1936-1939 Chapter 7:
Seeing the Colonies: Colonialist Visual Culture, 1936-1943
Chapter 8: Africa or the East? Colonialists during the Second World
War, 1939-1943 Epilogue: Echoes of Colonialism Bibliography
Index
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