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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 02.04.2022

 

 

 

Sandler Empire in the Heimat

Rezension von:

 

Willeke Sandler

Empire in the Heimat

Colonialism and Public Culture in the Third Reich

Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges kämpfte die Kolonialbewegung im Deutschen Reich für die Wiedergewinnung des durch den Vertrag von Versailles „geraubten deutschen Kolonialreiches“. Durch die erzwungene Abtretung der Gebiete in Übersee wurde das Deutsche Reich zu einem “postkolonialen Staat in einer immer noch kolonialen Welt”, wie Marcia Klotz dies formulierte.

Mit ihrem Buch „Empire in the Heimat“ legt Willeke Sandler, Historikerin an der Loyola University Maryland in Baltimore (USA), eine Darstellung des deutschen Kolonialrevisionismus vor, wobei sie sich auf die Jahre nach 1933 konzentriert.

Sie greift eine Thematik auf, zu der schon eine Reihe von Monographien publiziert wurden. So haben Wolfe W. Schmokel (1964) und Klaus Hildebrand (1969) sich mit dem Zusammenhang von Übersee-Imperialismus und Nationalsozialismus und hier vor allem mit den diplomatischen Aspekten gegenüber Großbritannien befasst. Alexandre Kum’a N’dumbe III (1993) und Karsten Linne (2008) untersuchten in ihren Studien vor allem die NS-Planungen für das Kolonialreich in Afrika. Sie haben gezeigt, dass die Kolonien in erster Linie der ergänzenden Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Rohstoffen und Kolonialprodukten dienen sollten.

Dagegen richtet Sandler ihr Augenmerk auf die koloniale Propaganda während der Nazi-Zeit. Nach einem Überblick zu den kolonialrevisionistischen Bestrebungen während der Weimarer Republik beginnt sie mit der im Jahr 1933 erfolgten “Selbstgleichschaltung” der Kolonialbewegung, deren wichtigste Lobbygruppe die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) war. Sie legt dar, wie als Rechtsnachfolger der Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft der Reichskolonialbund (RKB) gegründet wurde. Die zweite, diesmal erzwungene Gleichschaltung der zuvor aufgelösten Kolonialverbände im neugeschaffenen RKB fand 1936 statt. Die Leitung des neuen RKB wurde Franz Ritter von Epp übertragen, der schon dem Kolonialpolitischen Amt der Reichsleitung der NSDAP vorstand. Die Mitgliederzahl des RKB wuchs bis 1941 auf zwei Millionen an, während in der DKG vor 1933 lediglich um die 30.000 Mitglieder organisiert waren.

Was die kolonialpropagandistischen Tätigkeiten betrifft, so arbeitet Sandler den zentralen Konflikt heraus, der zwischen den kolonialen Kreisen und dem in dieser Frage nicht einheitlich auftretenden NS-Regime bestand. Während die einen unverdrossen an den Vorstellungen des klassischen Überseekolonialismus festhielten und durchaus Unterstützung etwa von Hermann Göring fanden, verorteten Adolf Hitler und andere, etwa Reichsbauernführer R. Walther Darré, den zu erobernden „Lebensraum“ der Deutschen ausschließlich in Osteuropa. Bei allen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der NS-Elite hinsichtlich der kolonialen Frage sollte am Primat der Politik zur Erlangung der Hegemonie in Europa nicht gerüttelt werden: Dem Kontinentalimperialismus waren alle anderen Pläne nachgeordnet, wenngleich der Osten Europas zu keinem Zeitpunkt das Endziel deutscher Expansion sein sollte.

Die Kolonialbewegung sah sich gezwungen, ihre Propaganda den Gegebenheiten anzupassen und so auszurichten, als teile die NS-Führung ihre Ziele. Man habe ein gemeinsames Ziel, nämlich die Lösung der noch „offenen Kolonialfrage“. In der Leitung der Kolonialbewegung war man äußerst ungehalten über die durch das NS-Propagandaministerium schon im Dezember 1933 erlassene Richtlinie bzw. über eine im Mai 1934 herausgebrachte Presseanweisung, die die Kolonialpropaganda des Reichskolonialbundes fortan mit erheblichen Einschränkungen belegte. Danach durfte sich die Propaganda lediglich auf die Widerlegung der „Kolonialschuldlüge“ der Alliierten und auf die Wiedererlangung der ehemaligen Kolonien zur Gewinnung von Rohstoffen und Kolonialerzeugnissen beziehen. Hingegen sei jegliche Werbung für Siedlungskolonien zu unterlassen. Trotz aller - nur teilweise befolgten - Beschränkungen und Uneinigkeiten, so Sandlers zentrale These, konnte die Kolonialbewegung um Ritter von Epp und Heinrich Schnee, dem letzten Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, eine gewisse Selbstständigkeit behaupten. Indem sich die führenden Vertreter der Kolonialbewegung konform mit dem Nazi-Regime gaben, konnten sie das Thema des Überseekolonialismus in ihrer Pressearbeit, in Ausstellungen oder auf Kongressen offensiv in der Öffentlichkeit vertreten.

Ein ganzes Kapitel widmet Sandler der visuellen Kolonialpropaganda, die als “Kampfmittel” aufgefasst wurde, darunter Film, Fotografie, Malerei bis hin zu Reklamesammelbildern. Die Kolonialbewegung pflegte – wie schon vor 1933 – das revisionistische Narrativ des guten deutschen Kolonisators und sie glorifizierte die koloniale Vergangenheit. Damit einher ging das weitgehende Vergessen – Sandler verwendet hier den Begriff der Amnesie – der negativen Aspekte des Kolonialismus. Die koloniale Agitation in der NS-Zeit blieb nicht gänzlich wirkungslos. Jedenfalls blieb die Kolonialfrage bis in den Zweiten Weltkrieg hinein Bestandteil öffentlicher Debatten, sie war aus der Innen- wie der Außenpolitik nicht wegzudenken.

Obgleich der Wiedererwerb der Kolonien in den Zwischenkriegsjahren eine Frage des nationalen Prestiges blieb, gelang es der Kolonialbewegung trotz aller Bemühungen nicht, der Kolonialfrage Priorität zu verschaffen: nicht während der Weimarer Republik und auch nicht während der NS-Zeit. Unter den vier großen Komplexen, die durch den Versailler Vertrag geregelt wurden, rangierte die Abtretung der Kolonien im Bewusstsein der Deutschen wohl hinter den finanziellen, militärischen und territorialen Bestimmungen in Europa an letzter Stelle. Dies hat bereits Jost Dülffer festgestellt, dessen wichtiger Aufsatz „Kolonialismus ohne Kolonien: Deutsche Kolonialpläne 1938“ (1984) in Sandlers Literaturliste allerdings nicht aufgeführt ist.

Ein Blick in die Bibliographie der zeitgenössischen Quellen und der Sekundärliteratur zeigt, dass die Autorin gründlich recherchiert hat. Allerdings fehlt doch die eine oder andere Publikation. Abgesehen von dem Aufsatz Dülffers wäre hier auf die Studie „Appeasement and Germany's Last Bid for Colonies” von Andrew J. Crozier (1988) zu verweisen. Auch ein so bemerkenswerter Text wie der des Schriftstellers und Journalisten Balder Olden hätte eine Berücksichtigung verdient. Olden, Autor des Buches „Kilimandscharo. Ein Roman aus Deutsch-Ost Afrika“ (1928), veröffentlichte 1936 in der Exilzeitschrift "Das Wort" einen Artikel mit dem Titel „Deutschland will Kolonien“. Sein Aufsatz strotzt zwar selbst vor rassistischen Stereotypen, doch er vergleicht die Praxis der deutschen Kolonialherren in Afrika mit der Behandlung von KZ-Häftlingen. Die Rückgabe der vormaligen deutschen Kolonien an das NS-Regime hieße, so Olden, die dortige “Bevölkerung auszurotten”. “Die ganze Kolonie wäre ein einziges Dachau – und würde bald ein einziger Friedhof sein.” Es hat eben nicht nur krude Kolonialapologetik gegeben, sondern auch solche kolonialkritischen Stimmen.

Mit “Empire in the Heimat” hat Willeke Sandler eine konzise Darstellung der Kolonialbewegung während der NS-Zeit vorgelegt. Sie belegt, dass dem überseeischen Kolonialismus durchaus eine prägende Bedeutung für die nationale und kulturelle Identität der Deutschen zukam, auch wenn er politisch keine Priorität bei der NS-Führung hatte.

Joachim Zeller

Willeke Sandler: Empire in the Heimat: Colonialism and Public Culture in the Third Reich, Oxford University Press, New York 2018, 343 S., ISBN: 9780190697907

Kapitel:

Acknowledgments
Abbreviations
Introduction
Chapter 1: The Stakes of Overseas Colonialism in the Weimar Republic
Chapter 2: Gleichschaltung and the Beginnings of a Mass Movement, 1933-1935
Chapter 3: Locating Germanness, Locating the Colonial: Competing Organizations and Visions of Empire
Chapter 4: Caring for Africans Here and There: Race, Place, and the Myth of the Good German Colonizer
Chapter 5: The Second Gleichschaltung in 1936
Chapter 6: The Paradox of Success, 1936-1939
Chapter 7: Seeing the Colonies: Colonialist Visual Culture, 1936-1943
Chapter 8: Africa or the East? Colonialists during the Second World War, 1939-1943
Epilogue: Echoes of Colonialism
Bibliography
Index

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