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Dr. Lorenz Werthmann und seine kolonialen Schattenseiten
von Heiko Wegmann
(2006, zuletzt
erweitert und aktualisiert 15.07.2022)
Lorenz Werthmann
(geb. 01.10.1858 in Geisenheim - gest. 10.04.1921 in Freiburg i.
Br.) war katholischer Priester, Geistlicher Rat, Geheimkämmerer,
Prälat und
Sozialpolitiker. 1897 wurde in Köln auf seine Initiative der "Charitasverband für das
katholische Deutschland" (seit 1921
Deutscher Caritasverband, DCV) gegründet. Er wurde erster Präsident
dieser Organisation, die ihren Sitz seitdem in Freiburg
i. Br. hat. Für die Unterstützung von Armen und deutschen
Auswanderer*innen setzte er sich ebenso ein wie für italienische
Arbeitsmigrant*innen in Deutschland. "Es gab kaum eine Notsituation
im kaiserzeitlichen Deutschland, deren Bekämpfung Werthmann nicht
als Arbeitsgebiet für den Caritasverband reklamiert hat" (Wollasch
2008, S. 4). Für seine
vielfältigen sozialpolitischen Leistungen wird er in Freiburg unter anderem dadurch
geehrt, dass eine Straße und die Caritas-Zentrale nach ihm benannt
sind, aber auch in zahlreichen anderen Städten gibt es
"Lorenz-Werthmann-Häuser" und Werthmann-Strassen.
In den Darstellungen über Werthmann, z. B. anlässlich
seines 150. Geburtsjahres 2008 (siehe Neher u. a. 2008),
findet sich allerdings keine Auseinandersetzung mit seinen
problematischen kolonialen Schattenseiten und seinem Eintreten für
das sogenannte "Deutschtum".
Dieser Beitrag, der erstmals im Jahr 2006 online ging und 2021
anlässlich Werthmanns 100. Todestag überarbeitet und erweitert
wurde, gibt kein umfassendes biografisches Bild. Und er gibt
auch keinen breiteren
Überblick zum Thema katholische Kirche, Mission und Kolonialismus.
Er bietet lediglich Anhaltspunkte für Werthmanns Haltung zum
(deutschen) Kolonialismus und "Auslandsdeutschtum" und soll dadurch Impulse für
vertiefte
Forschungen und eine differenzierte Beschäftigung geben.
Inhalt
-
Deutsche Kolonialkongresse [zum Kapitel]
-
Debatte um "Rassenmischehen in den deutschen Kolonien" [zum Kapitel]
-
"... ein Recht auf unsere Kolonien namens der Gerechtigkeit und der christlichen Religion" [zum Kapitel]
-
Werthmann und das "hoffentlich im Siege vergrößerte deutsche Kolonialreich" [zum Kapitel]
-
Siedlungspläne für das besetzte Baltikum während des Ersten Weltkriegs [zum Kapitel]
-
Werthmanns Engagement im Verein für das Deutschtum im Ausland [zum Kapitel]
-
Fazit: Heutiges Erinnern [zum Kapitel]
-
Literatur [zum Kapitel]
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Abb.: Porträt von Lorenz Werthmann (aus Liese 1929,
o.S.) |
1. Deutsche Kolonialkongresse
Lorenz
Werthmann war unter anderem ein Experte für Auswanderung und "Deutschtum in
Übersee", also gleichzeitig klassischen Themen der deutschen
Kolonialbewegung und -politik. Als Präsident des
Caritasverbandes suchte er deren Nähe und war z. B. Mitglied des großen "Deutschen Kolonialkongresses 1910" im Berliner Reichstag. Der Caritasverband gehörte 1910 wie auch beim folgenden Kongress 1924 (der nun
nach dem Weltkrieg aber kleiner ausfiel und nur noch an der
Berliner Universität stattfand) zu den Veranstaltern, noch nicht aber bei den
vorangegangenen Kongressen dieser Art 1902 und 1905. Laut Grosse
waren diese Kongresse Austragungsorte der größten und bedeutendsten
öffentlichen Debatten über die deutsche Kolonialpolitik: "Unter
Federführung der Deutschen Kolonialgesellschaft riefen rund 70
wissenschaftliche Einrichtungen, kirchliche Institutionen, nationale
Verbände und Wirtschaftsvereinigungen zu diesen Veranstaltungen auf,
um alle Personen zusammenzuführen, die im Deutschen Reich in
koloniale Aktivitäten involviert oder an diesen interessiert waren."
(Grosse 2005, S. 95). Auch wenn hier durchaus gestritten wurde,
blieb die SPD mit ihrer Kolonialkritik außen vor. An dem Kolonialkongress von 1910 nahmen 1.647 Personen teil. Werthmann
brachte hier Wortbeiträge bei den Sektionen "Besiedelung
deutscher Kolonien / Auskunftserteilung an Auswanderungslustige" und
"Die weltwirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands / Das Deutschtum
in Übersee" ein. Bei letzterer Sektion verwies er auf die
"energische Förderung" des "Deutschtums" durch den katholischen St.
Raphaelsverein seit 40 Jahren (siehe Redaktionsausschuss (Hg.) 1910,
S. 1009, 1102). |
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RaphaelsvereinDer Raphaelsverein zum
Schutze katholischer deutscher Auswanderer war Teil des Caritas-Verbandes (heute Raphaelswerk)
und gehörte zu den Mitveranstaltern der Deutschen Kolonialkongresse
1902, 1905 und 1910. Die Geschäftsführung des Raphaelsvereins ging 1914 an Prälat Dr. Werthmann über und
damit wurde auch die Hauptgeschäftsstelle von Limburg nach Freiburg verlegt.
Pater Sonnenschein, der als Spiritaner-Missionar in
Deutsch-Ostafrika tätig gewesen war, behauptete 1932 bei einem Vortrag in
Freiburg, man habe den "kolonialen Gedanken" schon lange im
Raphaels-Verein gepflegt (siehe Zeitungsbericht über die Rede Pater Sonnenscheins im Paulussaal 1932,
Freiburger Tagespost vom
28.11.1932).
Sonnenschein wurde am 17.7.1935 zum Vorstandsmitglied der Deutschen
Kolonialgesellschaft ernannt ( Bundesarchiv
R 8023/749, Pag. 5).Abb.: Ankündigung
Kolonialkundgebung, Freiburger Zeitung, 20.11.1932
Scan |
Lorenz Werthmann besuchte auch
weiterhin Kolonialveranstaltungen, so etwa die Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft
(DKG) in Hamburg vom 3.-7. Juni 1912, nachdem er sich nähere
Informationen von ihr hatte zusenden lassen (Schreiben von
Werthmann an DKG, 5. April 1912, Bundesarchiv, R 8023 / 760, Paginierung 416/417;
Borgmann 1958, S. 319).
Ob er an weiteren Hauptversammlungen teilnahm und ggf. inhaltlich auftrat, wäre weiter zu klären.
2. Debatte um "Rassenmischehen in
den deutschen Kolonien"
Im August 1912 nahm Werthmann im Anschluss an den Deutschen
Katholikentag in Aachen an einer Konferenz des "Missionsausschusses des
Zentralkomitees der Katholikenversammlungen Deutschlands" teil. Sie
wurde von M.d.R. Alois Fürst zu Löwenstein als Vorsitzendem geleitet, Werthmann
fungierte als der Schriftführer. Hier unterstützte
Werthmann den Wunsch des Straßburger Domkapitulars Msgr.
Dr. P. Müller-Simonis, der erklärte,
"daß doch die Missionäre die größeren
allgemeinen Veranstaltungen der Kolonialkongresse und die
Versammlungen der Kolonialgesellschaft mehr als bisher besuchen
möchten. Es sei von hoher Wichtigkeit, daß dort auch katholische
Stimmen gehört würden und daß die katholischen Wünsche und
Anschauungen zum Vortrag kämen. Bei der letzten Hauptversammlung der
Kolonialgesellschaft seien zehn protestantische Missionäre zugegen
gewesen, während von den katholischen Missionären nur P. Provinzial
Acker - Knechtsteden an der überaus wichtigen Versammlung teilgenommen
habe." (Caritasverband 1912, S. 29).
Dieser Aufruf erfolgte am Ende der
Konferenz des Missionsausschusses, deren Hauptthema sich um
"Rassenmischehen in den deutschen Kolonien" und die Haltung der
katholischen Kirche dazu drehte. Diese Debatte wurde damals gerade
intensiv geführt, etwa im Deutschen Reichstag. Das Hauptreferat des
Zentrums-Politikers Justizrat Dr. Karl Bachem aus Berlin verdeutlicht
die in diesen Reihen bestehende Spannung aus katholischer Lehre von
der Gleichheit der Menschen und einem massiven Kolonialrassismus.
Diese Spannung wird auch für Werthmann prägend gewesen sein. Dass Bachems Äußerungen in diesen Kreisen offenbar breit anerkannt
waren, zeigte das
Koreferat des Oblatenpaters und Provinzials Max Kassiepe, der sich auf
eine Umfrage bei 20 Oberen verschiedener Missionsgesellschaften
stützte (ebenda, S. 10). Werthmann meldete jedenfalls keinen Widerspruch, vielmehr
publizierte sein Caritasverband die von ihm als Schriftleiter
angefertigte Dokumentation der Tagung und die Aussagen sind durchaus auch mit
späteren Aussagen Werthmanns kompatibel (s.u.). Wegen der Rolle
Werthmanns bei der Tagung und für die Publikation werden hier im
Folgenden einige Eckpunkte
aus Bachems Rede wiedergegeben.
Abb.: Titel der in Freiburg beim
Caritasverband erschienenen Dokumentation der Konferenz des
Missionsausschusses des Zentralkomitees der Katholikenversammlungen
1912.
Bachem ging einerseits von verschiedenen
"Rassen" aus und wandte sich gegen eine "Vermischung", begründete
andererseits aber, warum katholische Geistliche in den Kolonien unter Umständen
trotzdem Eheschließungen vornehmen müssten - notfalls auch gegen den
Willen der Kolonialverwaltung oder der kolonialen Verbände. Die
Missionare trügen ihren Schülern
"die Lehre der Bibel vor, daß vor
Gott alle Menschen gleich sind, daß Jesus Christus, was das
Gottesreich angeht, keinerlei Unterschied gemacht hat zwischen den
Angehörigen aller menschlichen Stämme".
Ein explizites staatliches Verbot von "Mischehen" müsse deshalb "das
Zutrauen der schwarzen Zöglinge zu der Wahrhaftigkeit der Missionäre"
stören und "damit das ganze Missionswerk" schwersten Schaden erleiden"
(Caritasverband 1912, S. 6f).
Dennoch wurde eine
angebliche "Minderwertigkeit" der afrikanischen Bevölkerung propagiert:
"Was zunächst den Standpunkt der katholischen Kirche angeht, so sind
sämtliche Missionen ohne jede Ausnahme darüber einig, daß in
unsern afrikanischen Kolonien Mischehen zwischen Weißen und
Eingeborenen im höchsten Maße unerwünscht sind, und zwar
sowohl aus kulturellen wie aus pastoralen Gründen. Die Gründe
im einzelnen brauche ich in dieser Versammlung, deren
Mitglieder sämtlich sachverständig sind, nicht
auseinanderzusetzen. Anders liegt allerdings die Sache in
unsern australischen Kolonien, besonders in Samoa. Die
dortigen Eingeborenen stehen kulturell und intellektuell
erheblich höher wie die meisten Eingeborenenstämme in unsern
afrikanischen Kolonien, und dort liegt daher die Frage anders.
Ich beschränke mich zunächst auf die Frage, soweit sie unsere
afrikanischen Kolonien betrifft. Für diese gilt ausnahmslos
der Satz, daß unsere Missionäre seit jeher alles tun, was in
ihren Kräften steht, um derartige Rassenmischehen zu
verhindern. Etwas anders ist aber die Frage, ob sie, wenn
trotz ihres Abratens eine solche Ehe von katholischen
Nupturienten verlangt wird, die Entgegennahme ablehnen können.
Diese Frage ist unbedingt zu verneinen. Der katholische
Missionär ist verpflichtet, zu einer derartigen Ehe
mitzuwirken, wenn er seiner priesterlichen Pflicht nicht
zuwider handeln will. Die katholische Kirche ist eine
Weltkirche, keine Rassenkirche. Die katholische Kirche kennt
kein Ehehindernis der Rassenverschiedenheit, und wenn durch
Regierungsverordnung ein derartiges Hindernis eingeführt wird,
so ist der katholische Missionär von Gewissens wegen nicht in
der Lage, sich dein zu fügen." (ebenda, S. 6).
Von zentraler Bedeutung für diese unter Weißen geführte Debatte war die
Frage der Stellung der sog. "Mischlingsbevölkerung", die in der
Hierarchie der Rassentheorien eine Mittelstellung einnahm.
Laut Bachem seien "Mischlingskinder" intelligenter und
bildungsfähiger als schwarze (ebenda, S. 10).
Bachem zeigte sich insofern 'pragmatisch', das sich laut ihm Kinder aus
Verbindungen von Weißen (Männern) und Schwarzen (Frauen) trotz
Verboten praktisch gar nicht verhindern ließen. In diesem
Bevölkerungsanteil sah man sowohl Gefahren eines möglichen
Aufbegehrens als auch Chancen für Mission und Kolonialstaat. Deshalb
schlug Bachem die Zwangseinweisung der Kinder in Missionsinternate
vor und kalkulierte, wie dies finanziert werden könne:
"Gewiß hätten wir vom Standpunkt unserer politischen Zukunft aus ein
Interesse daran, eine Mischlingsbevölkerung nicht aufkommen zu
lassen. Wie aber die Dinge liegen, wie sich in allen englischen,
französischen usw. Kolonien gezeigt hat und wie sich jetzt auch in
unsern deutschen Kolonien zeigt, läßt sich das Entstehen einer
Mischlingsbevölkerung auf keine Weise hindern. Das ist im höchsten
Maße traurig, da eben, wie erwähnt, 99% der Mischlinge aus wildem
geschlechtlichen Verkehr hervorgehen. Mit dieser Tatsache wird aber
gerechnet werden müssen. Dann ist aber die Frage nicht so zu
stellen: Sollen Mischehen verboten werden? sondern die Frage ist
anders zu stellen: Was muß von Staats wegen geschehen, um die Gefahr
der unvermeidlichen Mischlingsbevölkerung möglichst herabzudrücken?
Da ist zu antworten, daß dann eben gesorgt werden muß, daß diese
Mischlingsbevölkerung nicht so erzogen wird, daß sie später die
deutsche Herrschaft bekämpft, sondern daß sie die deutsche
Herrschaft stützt. Wenn die Verwahrlosung der Mischlinge so
weitergeht wie bisher, dann ist ohne Zweifel die Gefahr für die
Zukunft groß. Werden diese Mischlinge aber in deutschfreundlichem
Geiste erzogen, so können sie zu einem sehr brauchbaren Element für
unsere deutschen Zwecke herangezogen werden. Das aber kann
geschehen, wenn die Mischlinge geschlossen in den Missionen erzogen
werden, sowohl in den katholischen wie in den protestantischen
Missionen, je nach der Konfession ihrer Eltern. (…) Man kann die
Pflicht der europäischen Väter, Alimente zu zahlen, durchführen und
gleichzeitig die Anordnung treffen, daß die farbigen Kinder in den
Missionen erzogen werden, wogegen dann die Alimentationsgelder der
Väter an diese Missionen gezahlt werden müssen. Dann ist unter
Umständen nur ein geringer Zuschuß des Staates nötig, um die
Schulbildung dieser Kinder auf eine höhere Stufe zu bringen. Sie
sind dann abgeschlossen von der schwarzen Bevölkerung und wachsen zu
einem Element heran, welches der deutschen Herrschaft und der
deutschen Kolonialpolitik dient." (ebenda,
S. 9).
3. Werthmann und das "hoffentlich
im Siege vergrößerte deutsche Kolonialreich"
Welche kolonialen Ziele Werthmann im Ersten Weltkrieg vertrat, wird aus einer Brandrede
unter dem Titel "Ernst und Größe der gegenwärtigen Weltstunde" ersichtlich, die er am 27. September 1914, also kurz nach Kriegsbeginn, im
(evangelischen) Freiburger Paulussaal an der Dreisam hielt:
„Und welcher Finanzieller Opfer unser Volk fähig ist, hat uns die Riesenüberzeichnung der Kriegsanleihe gezeigt. Hier darf ich wohl als Vertreter der katholischen Kirche mit demütigem Stolz darauf hinweisen, dass wie einst im Jahre 1813 (...) so auch jetzt die Kirchenbehörden ihre Gemeinden aufgefordert haben, an der Kriegsanleihe sich kräftig zu beteiligen. Ja, dass sie das Kostbarste, was sie besitzen, die schönsten Früchte ihres religiösen Lebens, dem Vaterlande zur Verfügung gestellt haben: tausende von barmherzigen Schwestern und Brüdern. (...)
Sollte Gott, wie wir alle hoffen, unseren Waffen seinen Beistand und sieghaften Erfolg verleihen, dann harren dem deutschen Volke neue große Friedensaufgaben: (...) Die dritte Aufgabe ist, die abgebrochenen Brücken des Welthandels wieder neu über die Staatsgrenzen und Weltmeere hinüberzuführen; eine vierte, die etwa in Blut und Kampf erworbenen Gebietsteile harmonisch mit dem deutschen Reiche zusammenzuschweißen. Eine fünfte Aufgabe ist das jetzt von den Feinden bedrängte, aber hoffentlich im Siege vergrößerte deutsche Kolonialreich, wieder auf- und auszubauen und mit dem Mutterlande in lebendige, fruchtreiche Wechselbeziehung zu setzen. Eine sechste: den mit den Kolonien neu erworbenen Untertanen die Segnungen des Christentums zu bringen. Eine Siebente: der deutschen Kultur und Wissenschaft unter allen Völkern der Welt die ihr gebührende Ehrenstellung wieder zu erringen“
(Werthmann 1914, S. 12f.).
Werthmann formulierte 1914 also klar, dass Deutschland seinen Kolonialbesitz im Krieg vergrößern solle. Neben dem Übergriff auf die ungefragten Kolonisierten hieß dies auch genau das zu tun, was später an den Siegermächten kritisiert wurde, nämlich den Konkurrenten Kolonien abzujagen. |
Abb.: Ankündigung aus Freiburger Zeitung, 27.9.1914; siehe auch den Bericht: "Vaterländische Kundgebung", Freiburger Zeitung, 28.09.1914. |
Der nach dem "Verlust" der deutschen Kolonien mit dem Versailler Vertrag 1919 anschwellende Kolonialrevisionismus betonte immer die mangelnde "koloniale Gleichberechtigung Deutschlands" gegenüber den anderen Kolonialmächten
(vgl. Linne 2008, S. 18ff.). Es wurde den Alliierten insbesondere vorgeworfen, mit der Einbeziehung der afrikanischen Kolonien in den Krieg die Kongo-Akte von 1885 verletzt zu haben. Allerdings gab es auch auf Seiten des deutschen Militärs und der Politik schon zu Kriegsbeginn konkrete Pläne (wenn auch nicht die Mittel), das deutsche Kolonialreich auf Kosten der gegnerischen Mächte zu vergrößern. Bereits am 28. August 1914 legte etwa der Staatssekretär im Reichskolonialamt, Heinrich Solf, ein Expansionsprogramm vor. Angola, Belgisch-Kongo, Französisch-Äquatorial-Afrika, Dahomey und ein Teil Senegambiens sollten in ein deutsches "Mittelafrika" integriert werden
(Linne 2008, S. 15f.). |
Unter den anderen Rednern der Vaterländischen Versammlung sprach mit Otto Winterer
der Oberbürgermeister a. D., der
persönlich Kolonialbeamte um Stiftungen für das 1895 gegründete
städtische Völkerkundemuseum gebeten, 1909 für die Stadt Freiburg die
Mitgliedschaft im Kolonialwirtschaftlichen Komitee erworben hatte und
der Vater des Kolonialoffiziers
Wilhelm
Winterer war (Wegmann 2006). Der Redner Prof.
Ernst Fabricius war ein Historiker und zeitweise Prorektor der
Freiburger Universität, der sich in Freiburg im Rahmen der
Fabricius-Fehrenbach-Kontroverse 1906/07 schon als scharfer
Kolonialbefürworter einen Namen gemacht und das mangelnde koloniale
Engagement der katholischen Zentrumspartei kritisiert hatte (Wegmann 2007).
4. "...
ein Recht auf unsere Kolonien namens der Gerechtigkeit und der
christlichen Religion"
Anfang 1919 zeichnete sich dann entgegen dieser auf ein riesiges Deutsch-Mittelafrika
gerichteten Hoffnungen das Ende der deutschen Kolonialherrschaft ab, das im Juni 1919 mit der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags definitiv besiegelt
wurde. Am 13. Februar 1919 fand im Vorfeld - wiederum im evangelischen Paulussal - eine große koloniale Protestversammlung statt. Auf der von den Freiburger politischen Parteien -
diesmal sogar einschließlich der SPD, aber ohne die USPD - und der Deutschen Kolonialgesellschaft organisierten Kundgebung trat neben Politikern und dem wenige Monate vorher zum Professor berufenen
Anthropologen und Kolonialbefürworter Prof. Eugen Fischer (auch er ein
prominenter Gegner von "Rassenmischehen") auch wieder Lorenz Werthmann als Redner auf:
"Als Vertreter der christlichen Missionen beleuchtete dann Herr Prälat Dr. Werthmann die engen Beziehungen zwischen Kolonien und Heidenmissionen. Beide seien aufeinander angewiesen. Vor dem Kriege hätten 440 deutsche Missionsstationen bestanden und 270 000 Heiden seien heute Christen. Er würdigte die Kulturarbeit der Missionare und erinnerte an die schmachvollen Leiden durch die grausame Behandlung durch die Feinde während des Krieges. Wir hätten ein Recht auf unsere Kolonien namens der Gerechtigkeit und der christlichen Religion, die die Heidenbelehrung gebiete, dann namens des Kulturfortschritts der Menschheit und der Interessengemeinschaft der weißen Rasse. Gerade die Feinde hätten das Ansehen der Weißen in den Kolonien unverantwortlich geschändet. Den Missionaren dürfe ihr Arbeitsfeld nicht genommen werden." (Freiburger Zeitung, 14.02.1919, S. 1, ganzer Bericht).
Die "Interessengemeinschaft der weißen Rasse" und die "Schändung des Ansehens der Weißen in den Kolonien" waren gängige kolonial-rassistische Argumentationsmuster, die besagten, die kulturell und "rassisch" tiefer stehenden "Eingeborenen" würden ihren Glauben an die Höherwertigkeit der "weißen Rasse" verlieren, wenn sie sähen, wie Weiße gegen Weiße kämpften und dabei sogar Schwarze gegen Weiße eingesetzt würden. Neben dem aus der Rede sprechenden Rassismus wird deutlich, dass Werthmanns Konzept von christlicher Mission ganz klar an die politisch-militärische Beherrschung der zu 'belehrenden Heiden' geknüpft war. Laut Presseberichten wurde vom vollbesetzten Saal einstimmig eine flammende Resolution für den Erhalt des Kolonialreichs beschlossen:
"Deutschlands Anspruch auf kolonialen Besitz aber beruht auf der Stärke seiner Bevölkerung, auf der Größe seiner wirtschaftlichen Interessen, auf den unabweisbaren Bedürfnissen von Industrie, Handel und Landwirtschaft. (...) Sie wendet sich an Regierung und Nationalversammlung und bittet sie, tatkräftig einzutreten für unsere kolonialen Interessen eingedenk des Wortes: Diejenige Nation, die am meisten kolonisiert, ist die erste der Zeit, und wenn sie es heute nicht ist, so wird sie es morgen sein." Wie 1914 wurde hiermit sogar angedeutet, es nicht bei den bisherigen Kolonien belassen zu wollen, sondern in Zukunft "am meisten" kolonisieren zu wollen (siehe die Dokumentation der Resolution und den Veranstaltungsbericht
in der Freiburger Zeitung,
14.02.1919).
Wenige Tage vor der erzwungenen Unterzeichnung des
Versailler Friedensvertrages durch das Deutsche Reich referierte
Werthmann am 16.6.1919 bei einer Tagung der Deutschen
Kolonialgesellschaft zur Auswanderungsfrage im Sitzungssaal ihres
Berliner "Afrikahauses". Er berichtete dort über die Stellung der
freien Vereine zum Reichswanderungsamt (Einladung vom 6.6.1919 in
Universitätsarchiv Freiburg C 68/4).
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Von 1926 bis zum Jahre 2007 gab es den Werthmannplatz vor der Uni-Bibliothek, der dann anlässlich des 550. Jubiläums der Uni in "Platz der Universität" umbenannt wurde. Gleichzeitig wurde der angrenzende Werderring in Werthmannstraße umbenannt.
Abb.: Schild Werthmanplatz vor der Umbenennung, Foto: H. Wegmann (2006) |
5. Siedlungspläne für
das besetzte Baltikum während des Ersten Weltkriegs
Während des
Ersten Weltkrieges schloss sich Werthmann einem Kolonialprojekt an, das
die deutsche Annexion und Germanisierung von bereits militärisch besetzten Gebieten im Baltikum zum Ziel hatte. Hierbei handelte es
sich um einen heute wenig bekannten Vorgang, der durch den Historiker
Ron Hellfritzsch im Rahmen einer Promotion an der Universität Greifswald erforscht wird. Organisatorischer Kern war die Vereinigung für deutsche Siedlung und
Wanderung (VfdSW),
"einem vom
Alldeutschen Verband initiierten Zusammenschluss sämtlicher namhafter
Organisationen in Deutschland, die sich der Betreuung deutscher
Auswanderer, der Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland sowie
der Siedlungspolitik verschrieben hatten. Zu den Mitgliedern der VfdSW
zählten u. a. die Deutsche Kolonialgesellschaft, die Gesellschaft zur
Förderung der inneren Kolonisation, der Gustav-Adolf-Verein, der Verein
für das Deutschtum im Ausland, der erwähnte Raphaelsverein zum Schutze
katholischer deutscher Auswanderer, der Caritasverband sowie der
Deutsche Ostmarkenverein. Vorsitzender wurde der ehemalige Gouverneur
von Deutsch-Südwestafrika Friedrich von Lindequist. (...) Ihr
langfristiges Ziel war die Schaffung eines geschlossenen deutschen
Siedlungsgebiets in Mitteleuropa, das als autarker und ethnisch
homogener kontinentaler Machtblock die Basis für eine Weltmachtstellung
des Deutschen Reiches bilden sollte. Dementsprechend verfolgte auch die
VfdSW erklärtermaßen die Absicht, sämtliche Wanderungsbewegungen von
Deutschen in aller Welt zentral zu organisieren und sie möglichst nach
Deutschland bzw. in von Deutschland kontrollierte Gebiete zu lenken. Zum
Teil ging es dabei um Umsiedlungsmaßnahmen, die Millionen Menschen
betroffen hätten." (Hellfritzsch 2020, S. 60).
Kopf bzw.
Meinungsführer der "katholische Seite" dieses breiter
aufgestellten Projektes war der Berliner Seelsorger Clemens August von
Galen, der spätere bekannte Kardinal und Bischof von Münster, den
Werthmann nach Kräften unterstützte.
Die Positionen
und Ziele Galens und Werthmanns waren weit weniger radikal als die ausgreifenden europäischen Annexions- und Zwangsaussiedlungspläne der
Vertreter etwa des Alldeutschen Verbandes. Gleichwohl gehörten beide
1916 zu den Gründungsmitgliedern des VfdSW. Galen ließ sich im Frühjahr
1917 in den Vorstand wählen und sorgte für den Beitritt weiterer
katholischer Organisationen. Seine eigene Basis lag im westfälischen
Verein katholischer Edelleute, in dem er 1916 seine Denkschrift über
seinen Baltischen Siedlungsplan vorstellte. Galens Herkunft als adeliger
Katholik lieferte ein wesentliches gesellschaftspolitisches Motiv für
seinen Aufruf für einen "modernen Kreuzzug": Durch gelenkte Auswanderung
und Kolonisation angeblich "freien" Siedlungslandes im
Anschluss an die historische deutsche Ostkolonisation sollten soziale
Spannungen im modernen Deutschland gemindert und
"zugleich an der
neuerschlossenen Peripherie eine von gesellschaftlichen Konflikten
befreite, stabile bäuerlich-konservative Gesellschaft aufbauen zu
können, die im katholischen Milieu des deutschen Kaiserreiches auf
Interesse stieß" (Hellfritzsch 2020, S. 52).
Die sozialromantische
Vorstellung einer von katholischen Adeligen geführten, ständischen
kolonialen Gesellschaft war somit eine konservative Variante des
"Sozialimperialismus" - Kolonisierung als Gegenentwurf zur
Demokratisierung. Dies ist auch im Kontext der Polarisierung zwischen
dem rechten und dem Arbeiterflügel innerhalb des politischen Katholizismus zu
sehen. Auch Werthmann war ein "Sozialreformer mit konservativer, bewusst
systemstabilisierender Ausrichtung" (Wollasch 2008, S. 3), allerdings
ohne adeligen Hintergrund.
Auf die
Einzelheiten und Varianten der Siedlungspläne kann an dieser Stelle
nicht näher eingegangen werden. Festzuhalten bleibt aber, dass diese
Pläne von kolonialromantischen Vorstellungen geprägt waren wie Hebung
der Kultur, Christianisierung und auch freiwilliger Assimilierung der
"niedriger stehenden" dortigen Bevölkerung. Angestrebt wurde eine
Aufteilung der Siedlungsgebiete in jeweils geschlossene katholische und
evangelische Gebiete, wobei Litauen und Teile Lettgallens (im heutigen Lettland)
katholisch besiedelt werden sollten. Als Siedler*innen wurden sowohl Reichsdeutsche
wie - insbesondere von Lorenz Werthmann - auch Rußland-Deutsche
vorgesehen. Irritierend ist laut Hellfritzsch, wie wenig in den
katholischen Plänen die realen Verhältnisse Litauens in den Blick
genommen wurden, und dass man sich praktisch keine Gedanken über die
Zukunft der jüdischen Bevölkerung in einem möglichst katholischen
Sattelitenstaat machte. Während Galen meinte, die Siedlung könne und solle ohne
Zwangsenteignungen und -Umsiedlungen in einem rechtlichen Rahmen
erfolgen, soll Werthmann eine härtere Vorgehensweise akzeptiert haben:
"Gegen das Vorhaben der deutschen Militärbehörden, die polnischen
Großgrundbesitzer Litauens zur Abgabe ihrer Ländereien zu zwingen,
meldete Clemens August von Galen – im Gegensatz übrigens zum Prälaten
Werthmann – deutliche Bedenken an" (Hellfritzsch 2020, S. 67).
Galen,
Werthmann sowie der Pfarrer Markus Glaser brachen im August 1918 im
Auftrag des VfdSW zu einer mehrwöchigen Erkundungsreise in das besetzte
Baltikum auf. Zu diesem Zeitpunkt liefen die Vorbereitungen der Obersten
Heeresleitung und der Reichsregierung,
"im Baltikum
eine Reihe von Staatswesen errichten zu lassen, die nach innen als
selbstständige staatliche Gebilde, jedoch nach außen als feste
untrennbare Bestandteile des Deutschen Reiches erscheinen sollten. (...)
Die Gegensätze zwischen den deutschen Vorhaben im Baltikum und den
Wünschen der davon betroffenen Bevölkerungsgruppen traten jedoch immer
mehr hervor. (...) Von Galen, Werthmann und Glaser sollten also helfen,
die Wogen zu glätten, und vor allem im litauischen Klerus bzw. durch
diesen in der litauischen Bevölkerung für eine die Annexion Litauens
durch Deutschland begünstigende Stimmung sorgen." (Hellfritzsch 2020, S.
63ff.).
Die
Delegierten versprachen bei ihrer Rückreise zwar, die deutschkatholische
Ansiedlung in Litauen einzuleiten, aber zumindest bei Galen hatte die
Reise doch zu einer Entmutigung geführt und er begann, sich
abzuwenden. Hellfritzsch bilanziert in Bezug auf Galens Projekt:
"Die Suche
nach Unterstützung für sein Siedlungsprojekt ließ von Galen letztlich an
Vorhaben und Strukturen mitwirken, die tatsächlich als Vorboten späterer
nationalsozialistischer Lebensraum-Planungen betrachtet werden können.
Sein Festhalten an seiner grundsätzlichen Ablehnung von Enteignungen und
Zwangsumsiedlungen ließen bei ihm aber allmählich Zweifel entstehen. Zu
einem Schlüsselerlebnis wurde für von Galen eine Reise nach Litauen und
nach Lettgallen, in deren Folge er sich ernüchtert von seinen Vorhaben
zu distanzieren begann. Früher als vielen anderen Beteiligten wurde ihm
damit letztlich die Realitätsferne bewusst, in der sich jene Pläne für
eine deutsche Kolonisation des Baltikums bewegten." (Hellfritzsch 2020,
S. 70.).
Nach dem Ende
des Ersten Weltkriegs sah Werthmann eine "drohende Auswandererflut im
neuen Deutschland", so der Untertitel seiner Broschüre über "Fünfzig
Jahre Raphaelsverein" vom April 1919. Darin eruierte er mögliche
Auswanderungsziele und kam zu dem Schluß, dass Afrika für eine deutsche
Massenaussiedlung "aus verschiedenen Gründen dauernd ausgeschlossen"
sei, "selbst wenn wir, was unwahrscheinlich, beim Friedensschluß unsere
Kolonien wiedererhalten sollten (...)". Dagegen gab er im Wortlaut eine
längere Passage über Einbürgerungs- und Ansiedelungsmöglichkeiten
deutscher Freikorps-Offiziere und Soldaten wieder, die das
"Anwerbebureau Baltenland" versprach (Werthmann 1919, S. 18).
6. Werthmanns Engagement im
Verein für das Deutschtum im Ausland
Werthmann war Mitglied der Männer-Ortsgruppe
Freiburg des "Allgemeinen Deutschen Schulvereins zur Erhaltung des
Deutschtums im Auslande" bzw. ab 1908 "Vereins für das Deutschtum im Ausland" (VDA). Der VDA vertrat eine nationalistische
Kulturpolitik, die komplementär zu der auf die formalen Kolonien ("Deutsche Schutzgebiete") ausgerichteten Politik der Kolonialverbände war,
mit denen er auch kooperierte. So lagen Schwerpunkte des VDA etwa in der
spezifischen Förderung deutscher Kultur bei den deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa. Gerade der Badische
Landesverband unterstützte auch "Badische Kolonien" in Tovar (Venezuela) und eine deutsche Schule in Ponta Grossa (Südbrasilien).
Im VDA gab teilweise deutlich
völkische Tendenzen. In der Freiburger Ortsgruppe hielt etwa Prof.
Ludwig Schemann 1902 einen mit viel Zustimmung aufgenommenen
Vortrag über "Gobineau und seine Rassenlehre" (Bericht im
Freiburger Tagblatt vom
14.03.1902). Joseph Arthur de Gobineau
(1816-1882) war einer der verhängnisvollsten Vordenker und Wegbereiter von Antisemitismus und Rassismus im 19. Jahrhundert.
Der in völkischen Kreisen gut vernetzte und Freiburg lebende Schemann
(1852-1938) setzte es sich zum Lebensziel, Gobineaus Werk zu
verbreiten, indem er dessen Werke übersetzte und die deutsche
Gobineau-Vereinigung gründete und leitete. Wie Werthmann zu
Gobineau und Schemann stand und ob Werthmann und Schemann in Freiburg
in Kontakt standen, müsste untersucht werden.
Am 1. Oktober 1915 teilte der Vorsitzende des
Freiburger VDA-Ortsvereins, Universitätsprofessor Geh. Hofrat Dr. Schulze, dem Freiburger Oberbürgermeister mit, dass dieses Jahr der Deutsche Gesamtverein seine Jahresversammlung in München abhalte.
Daran werde als Vertreter des Freiburger Ortsvereins Geistlicher Rat Monsignore Dr. Werthmann teilnehmen. Die Ortsgruppe habe die Absicht, den deutschen Verein, der nach einem siegreichen Krieg für die Festigung des Deutschtums im Ausland an Bedeutung ganz wesentlich gewinnen werde, zu einer Tagung in Freiburg in einem der nächsten Jahre einzuladen. Prof. Schulze fragte bei der Stadt an, wie diese sich dazu stellen würde. Der Oberbürgermeister erwiderte, dass er für seine Person sehr gerne die Ermächtigung zu dieser Einladung erteile, und er glaube, dass der Stadtrat zweifellos auch zustimmen werde, den Verein in einem der kommenden Jahre nach dem Krieg in Freiburg begrüßen zu können.
Am 6. Oktober 1915 beschloss der Stadtrat dann, dass er damit einverstanden sei, wenn "der Verein für das Deutschtum im Ausland zu einer Tagung in einem der kommenden Jahre nach dem Kriege hierher eingeladen wird" (Stadtarchiv
Freiburg C 3/353/9).
Lorenz Werthmann trat nach dem Ersten Weltkrieg öffentlich bei einer Veranstaltung des VDA über "Die Zukunft des Deutschtums in der Welt" im Paulussaal auf. Die Freiburger Zeitung zitierte seine mit viel Beifall
aufgenommene Rede:
"Durch den Ausgang des Krieges seien unsere Hoffnungen jäh zusammengebrochen. Wir hätten auf der Höhe des Glücks mit einer starken Rückwanderung gerechnet und jetzt müssten wir wegen der gewaltigen Arbeitslosigkeit unter allen Berufsständen auf eine notgedrungene Auswanderung von 5-10 Millionen gefasst sein. Der Stand unserer Valuta und die hohen Produktionskosten schlössen uns vom Weltmarkt aus. Dazu kämen die inneren Unruhen und die Arbeitsunlust. (...) Besonders müsse darauf geachtet werden, daß der Auswanderer die deutsche Kultur, Sprache, Religion und Sitte nicht verliere. Hindernisse der verschiedensten Art gelte es wegzuräumen. Dazu müssten alle Kräfte angespannt werden. Denn wenn auch alles untergehe, das Deutschtum müsse bestehen." (Freiburger
Zeitung, 18.03.1919. Artikel).
7. Heutige Erinnerung
Heutzutage wird Lorenz Werthmann
allein für seine sozialen Anliegen erinnert und geehrt. Beim Deutschen
Caritasverband heißt es im Beitrag über
den "Partner und Anwalt der Benachteiligten":
"Werthmann war ein genialer
Netzwerker und ein Wegbereiter einer Freien Wohlfahrtspflege, die in
einer konstruktiv-kritischen Distanz zum Staat steht. Er sah die Kirche
und ihre Caritas in der Verantwortung, an der Gestaltung des
Sozialstaates mitzuwirken und für die Rechte von benachteiligten
Menschen einzutreten. Er lehnte einen von ihm so bezeichneten
'Fürsorgeabsolutismus' des Staates ab und meinte, dass es im Interesse
des Gemeinwohls und des einzelnen Bürgers eine freie Wohlfahrtspflege
neben der staatlichen Wohlfahrtspflege geben müsse. Modern gesprochen
ging es ihm um Wahlfreiheit für den einzelnen. Für ihn war die
organisierte Caritas die Sozialbewegung der Kirche mit
gesellschaftlicher Sprengkraft. Dieses Selbstverständnis prägt die
verbandliche Caritas bis heute in ihrer Funktion als Anwalt,
Dienstleister und Solidaritätsstifter." [Website des DCV,
Zugriff 5.4.2021]
Für ein differenziertes Bild von Werthmanns Tätigkeit und Weltsicht wäre es von Bedeutung,
noch genauer zu untersuchen, welchen Stellenwert darin Kolonialgedanke und
"Deutschtümelei" gespielt haben.
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Im Jahre 1997
wurde anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Deutschen
Caritasverbandes und im Gedenken an seinen Gründer erstmals der
"Lorenz-Werthmann-Preis" zur Förderung der Sozialen Arbeit in
Deutschland und der wissenschaftlichen Befassung mit Aufgaben und
Tätigkeiten der freien Wohlfahrtspflege gestiftet.
Abb.: Schild Lorenz-Werthmann-Haus, Karlstr. 40 in Freiburg.
(Foto: H. Wegmann 2006)
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Heiko Wegmann (Freiburg 2006, zuletzt erweitert
und aktualisiert 16.11.2021)
8. Literatur
-
Borgmann, Karl (Hg.): Lorenz Werthmann. Reden und
Schriften, Freiburg i. Br. 1958
-
[Caritasverband]: Die Rassenmischehen in den
deutschen Kolonien. Das Internationale Institut für
missionswissenschaftliche Forschungen und die Ansiedlung von
Katholiken in den Kolonien. Verhandlungen des Missionsausschusses
des Zentralkomitees der Katholikenversammlungen Deutschlands am
Freitag, den 16. August 1912 im großen Saale des Karlshauses zu
Aachen (Vorsitzender: Alois Fürst zu Löwenstein, Schriftführer:
Msgr. Dr Werthmann), Caritasverband für das katholische Deutschland,
Freiburg im Breisgau 1912
-
Neher, Peter / Ingeborg Feige / Andreas C. Wollasch
/ Hans-Josef Wollasch: Lorenz Werthmann. Caritas-Macher und
Visionär, Freiburg 2008
-
Grosse, Pascal: Die Deutschen Kolonialkongresse in
Berlin 1902, 1905 und 1910, in: Ulrich van der Heyden / Joachim
Zeller (Hg.): "... Macht und Anteil an der Weltherrschaft" Berlin
und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005, S. 95-100
-
Hellfritzsch, Ron: Die
Wiedergewinnung der alten „Terra Mariana“. Clemens August von Galens
baltischer Siedlungsplan (1916–1919), in: Deutsch–Baltisches
Jahrbuch, Jahrbuch des baltischen Deutschtums, Neue Folge, Band 68
(Lüneburg 2020), S. 40-70
-
Hellfritzsch, Ron: Die
Wiedergewinnung der alten "Terra Mariana". Clemens August von Galens
baltischer Siedlungsplan 1916–1919, in: Peter Bürger und Ron
Hellfritzsch (Hg.): Das Bistum Münster im Ersten Weltkrieg.
Forschungen – Quellen, kirche & weltkrieg digitalbibliothek Band 13,
Düsseldorf 2022, S. 73-118
download der digitalen Buchfassung
(pdf), siehe dort auch die Quellendokumentation
-
Liese, Wilhelm: Lorenz Werthmann und der Deutsche
Caritasverband, Freiburg i. Br. 1929
-
Linne, Karsten: Deutschland
jenseits des Äquators? NS-Kolonialplanungen für Afrika, Berlin 2008
-
Redaktionsausschuss (Hg.): Deutscher
Kolonialkongress 1910. Verhandlungen des Deutschen
Kolonialkongresses zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910
-
Werthmann, Lorenz: Ernst und Größe der gegenwärtigen
Weltstunde, in: Reden. Gehalten von den Herren Oberbürgermeister a.
D. Dr. Winterer, Prälat Dr. Werthmann und Stadtpfarrer Schwarz in
der Vaterländischen Versammlung am 27. September 1914 im Paulussaale
in Freiburg im Breisgau, Freiburg 1914, S. 9-14
-
Werthmann, Lorenz: Fünfzig Jahre Raphaelsverein zum
Schutze katholischer deutscher Auswanderer und die drohende
Auswandererflut im neuen Deutschland. Caritas-Verlag Freiburg i. Br.
1919
-
Wegmann, Heiko: Prof. Ernst Fabricius (1857-1942).
Berühmter Limes-Forscher, Deutschtumsfunktionär und
Kolonialapologet, Freiburg 2007 / zuletzt aktualisiert 2017
Text
-
Wegmann, Heiko: Der Freiburger Kolonial-Offizier und
Autor Wilhelm Winterer, Freiburg 2006 / zuletzt aktualisiert 2011
Text
-
Wollasch, Andreas: Lorenz Werthmann (1858 - 1921).
Caritaspräsident, Priester, Sozialreformer, 2008,
pdf-download auf caritas.de
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