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Robert Koch, die Schlafkrankheit und Menschenexperimente im kolonialen Ostafrika

von Manuela Bauche

Zahllose Straßen und Plätze in Deutschland erinnern an den Mediziner Robert Koch (11.12.1843 - 27.5.1910). Berühmt wurde Koch durch den Nachweis eines Bakteriums als Erreger der Tuberkulose. Er löste damit einen bedeutenden Teil des Rätsels um eine Krankheit, die als eines der wichtigsten Leiden des 19. Jahrhunderts galt, und führte bakteriologische Methoden in die Medizin ein. 1905 wurde ihm für diese Leistung der Nobelpreis verliehen. Zuvor hatte Koch wichtige medizinische Forschungsinstitutionen in Berlin geleitet, unter anderem das Institut für Infektionskrankheiten, das heute Robert-Koch-Institut heißt. Seine Forschungen führten Robert Koch aber auch in Länder außerhalb Europas. Durch gewalttätige koloniale Eroberungen hatten sich europäische Mächte weite Teile fremder Kontinente zugänglich gemacht. Robert Koch profitierte davon: Die deutsche Kolonie Kaiser-Wilhelms-Land in der Südsee, vor allem aber die britischen und deutschen Gebiete in Ostafrika dienten ihm als Experimentierfelder für seine Forschungen – und Kolonisierte als Versuchsobjekte.

Robert-Koch-Plakat

Im Institut für Mikrobiologie und Hygiene der Berliner Humboldt-Universität erinnert noch heute eine Tafel daran, dass hier Robert Koch jenen Vortrag hielt, der ihn zu einem der berühmtesten Wissenschaftler seiner Zeit machte. In dem Gebäude, das damals das Physiologische Institut der Berliner Universität beherbergte, stellte er am 24. März 1882 die Ergebnisse seiner Arbeiten zur Tuberkulose vor. Mediziner waren bis dahin uneins gewesen, wie sie diese Krankheit, die in Europa zahlreiche Menschenleben forderte, zu klassifizieren hatten. Viele gingen gar nicht von einer einzigen Erkrankung aus, sondern hielten die sehr unterschiedlichen Krankheitsbilder, denen lediglich die typische Knötchenbildung im Organgewebe gemein war, für tuberkulöse Formen unterschiedlicher Infektionen. Robert Koch erteilte solchen Vorstellungen der Transformation von Krankheiten eine deutliche Absage und läutete damit einen Wendepunkt in der Medizin ein. Er hatte als erster ein Bakterium als Ursache für eine menschliche Infektionskrankheit nachgewiesen. Damit etablierte Koch die sogenannte Bakteriologie als gültige Methode zur Definition von Krankheiten und das experimentelle Arbeiten im Labor als wichtige Praxis zur Untersuchung von Infektionen. Der Trend führte weg vom Menschen: Nicht mehr über Beobachtungen in der Klinik, sondern über den Nachweis des jeweiligen Erregers im Labor wurden Infektionskrankheiten definiert (Gradmann 2005: 25, 109-24).

Acht Jahre nach Kochs denkwürdigem Vortrag, 1890, löste der Mediziner eine erneute Euphorie aus, als er der Öffentlichkeit ein Mittel präsentierte, das die Tuberkulose heilen sollte. Freilich erwies sich das sogenannte „Tuberkulin“ bereits wenige Monate, nachdem es auf den Markt gebracht worden war, nicht nur als Enttäuschung, sondern gar als Ergebnis einer offenbar willentlichen „Täuschung“ (Gradmann 2005: 159) durch den prominenten Mediziner: Viele der Patienten, die mit dem Mittel behandelt worden waren, litten unter starken Nebenwirkungen, einige verstarben. Als Koch unter öffentlichem Druck die Zusammensetzung des Mittels bekannt geben musste, stellte sich heraus, dass der Erfinder selbst nicht wusste, welcher der Bestandteile für die Wirkung des Mittels verantwortlich war. Auch die Versuchstiere, an denen er das Tuberkulin angeblich erfolgreich getestet hatte, konnte er nicht vorweisen. (Gradmann 2005: 134-62; Elkeles 1996: 133-46)

Die ersten Arbeiten zur Tuberkulose waren im Rahmen einer Arbeitsgruppe durchgeführt worden, die am Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin angesiedelt war und von Koch geleitet wurde. Für einen Mediziner, der seine Laufbahn keineswegs als Wissenschaftler, sondern als praktischer Arzt begonnen hatte, war dies ein steiler Aufstieg, und Koch sollte auch später prestigeträchtige Ämter inne haben: Im Gesundheitsamt stieg er zum stellvertretenden Direktor auf, 1885 wechselte er an den neu geschaffenen Lehrstuhl für Hygiene der Universität Berlin und trug damit erheblich zur Etablierung der Bakteriologie als universitäres Fach bei. Nach dem Trubel um den „Tuberkulin-Skandal“ kehrte er nicht an die Universität zurück. Stattdessen wurde ihm im Sommer 1891 die Leitung des gerade aus der Taufe gehobenen Instituts für Infektionskrankheiten übertragen – ein gut dotierter Posten, der aber zugleich mit einer rigoroseren Aufsicht von Seiten der Preußischen Kultusbehörde verbunden war, die einen weiteren Heilmittel-Skandal vermeiden wollte (Gradmann 2005: 27-8; 166).

Wettlauf um den Cholera-Erreger

Robert Kochs Tätigkeiten waren aber keineswegs auf die preußische Hauptstadt beschränkt. Bereits als junger Mann hatte er mit einer Auswanderung nach Amerika liebäugelt, wohin er freilich erst nach seiner Pensionierung Kurzreisen unternehmen würde (zur Bedeutung der Reisen in Kochs Leben und Werk: Gradmann 2005: 253-340). Als Forscher hatte er aber schon vorher zahlreiche Gelegenheiten, Europa zu verlassen – vornehmlich in Richtung kolonisierter Regionen, um dort medizinische Arbeiten durchzuführen. So hatte ihn im Sommer 1883 ein regelrechter Wettlauf um die Identifizierung des Cholera-Erregers zunächst ins britisch regierte Ägypten und schließlich nach Indien geführt. Kochs Expedition gelang es, die konkurrierende Forschergruppe, die der Franzose Louis Pasteur ausgesandt hatte, „abzuhängen“, denn nur die deutschen Bemühungen führten zum Erfolg. Möglich war das allerdings nur, weil Koch und seine Kollegen in Kalkutta von britischen Behörden und Ärzten großzügig unterstützt wurden: Regelmäßig wurden ihnen Leichen von an Cholera verstorbenen Indern für Sezierungen zur Verfügung gestellt. Aus dem so gewonnenen Material fertigten die Mediziner Bakterienkulturen an und waren schließlich in der Lage, die Cholera-Erreger zu beschreiben und zu isolieren. Bei Kochs Rückkehr nach Berlin feierte ihn die heimische Presse als siegreichen Helden im Kampf gegen eine gefährliche Krankheit auf ebenso gefährlichem und fremdem Terrain (Gradmann 2005: 287-97).

Nachdem er in Südafrika und Rhodesien Arbeiten zur Rinderpest und zum Küstenfieber durchgeführt hatte, wurde Koch 1899 erstmals in eine deutsche Kolonie entsandt. Aus Kaiser-Wilhelms-Land, einem Teil des pazifischen „Schutzgebiets“ Neu-Guinea, berichteten die Behörden schon seit der Annektierung von mehreren Hundert Malaria-Erkrankungen. Bei so vielen Kranken könne die Produktion wichtiger Exportgüter wie Kupfer und Kautschuk behindert werden, befürchtete die Kolonialverwaltung. Vor allem aber fielen auch viele Europäer der Krankheit zum Opfer. Auf Anregung der Deutschen Kolonialgesellschaft beauftragte deshalb das Auswärtige Amt Robert Koch und zwei wissenschaftliche Begleiter zu einer Expedition nach Neu-Guinea. Sie sollten vor allem eine wirksame Prophylaxe und Therapie gegen Malaria entwickeln. Als Ergebnis der halbjährigen Forschung empfahl Koch nicht nur, die bereits als Standard etablierte Vorbeugung durch Einnahme von Chinin. Es müssten außerdem Blutabnahmen und -tests auf breiter Basis organisiert werden. So sollten diejenigen ausfindig gemacht werden, die zwar keine Krankheitssymptome zeigten, aber den Malaria-Erreger dennoch in sich trugen. Weil sie als Ansteckungsrisiko für gesunde Menschen wahrgenommen wurden, sollten sie von diesen ferngehalten werden. Allerdings bewirkten die Umsiedlungen, die später dieser Argumentation folgend durchgeführt wurden, keine Trennung von Kranken und Gesunden, sondern die Segregation von Schwarz und Weiß (Eckart 1998: 83-6).

Schlafkrankheit in Deutsch-Ostafrika

Auch für Kochs Tätigkeit in Deutsch-Ostafrika und im britschen Uganda sechs Jahre später lieferte das rassistische Gedankengut der Zeit die Voraussetzung. Außerdem waren hier ärztliche, wissenschaftliche und ökonomische Interessen eng miteinander verknüpft. Die deutsche Reichsregierung beschloss, Koch nach Ostafrika zu entsenden, um eine Krankheit zu begutachten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer der meist beachteten „Tropenkrankheiten“ zählte: Die sogenannte menschliche Schlafkrankheit (Trypanosomiasis) hielt sowohl Kolonialregierungen in Afrika als auch Mediziner auf Trab. Ende 1900 nämlich war im britischen Protektorat Uganda eine Schlafkrankheitsepidemie festgestellt worden, die in nur wenigen Jahren eine Viertelmillion Menschen dahingerafft hatte. Damit war auch ein Großteil der Arbeitskräfte bedroht, auf die die Briten für den Ausbau ihrer kolonialen Infrastruktur angewiesen waren. Maßnahmen gegen die Seuche schienen deshalb dringend geboten. Auch andere Kolonialmächte fürchteten, dass eine Epidemie in ihren Gebieten das koloniale Projekt in eine Krise stürzen könnte. So schenkten die Behörden im an Uganda grenzenden Deutsch-Ostafrika jedem noch so vereinzelten Fall von Schlafkrankheit große Aufmerksamkeit (Eckart 1997: 340-1; Lyons 1992: 68-81).

Schlafkrankheit-Plakat

Das politische Interesse an der Schlafkrankheit bedingte auch ihre herausragende Beachtung unter Wissenschaftlern. Zwar war sie von europäischen Ärzten bereits Mitte des 18. Jahrhunderts beobachtet worden; ihre Symptome, die von Apathie, über Schlaf-, Bewegungs-, Sprachstörungen und körperliche Schwächung bis zum Tod führten, waren ihnen seither bekannt. Allerdings war Europäern bislang verborgen geblieben, wodurch die Krankheit verursacht und wie sie übertragen wurde. Als die Epidemie in Uganda bekannt wurde, setzte denn auch ein Wettlauf um ihre Erforschung ein. Wissenschafter strömten in unterschiedlichste afrikanische Regionen aus, um die Krankheit zu begutachten. Als Robert Koch sich im März 1906 in Hamburg nach Deutsch-Ostafrika einschiffte, war bereits seit einigen Jahren bekannt, dass die Schlafkrankheit von sogenannten Trypanosomen verursacht wurde und dass diese mikroskopisch kleinen Erreger durch die Tsetse-Fliege von Mensch zu Mensch übertragen wurden. Dennoch waren viele Fragen offen geblieben: Wird der Erreger nur auf Menschen übertragen oder gibt es Tiere, die als Zwischenwirte dienen? Wie lange tragen Tsetse-Fliegen die Trypanosomen in sich? Durchlaufen die Erreger in den Fliegen einen Zyklus mit verschiedenen Entwicklungsstadien? Dies waren Fragen, auf die Kochs Expedition Antworten liefern sollte. Vor allem aber hatte sich noch keine Therapie gegen die Schlafkrankheit bewährt. Geeignete Heilmittel gegen die Infektion zu testen und eine wirksame Anwendungsweise zu entwickeln, war Kochs Hauptauftrag (Gradmann 2005: 297-313; Hoppe 2003: 27-30).

Bei dessen Umsetzung würde er auch das Interesse deutscher Pharmakologen an seinen Arbeiten im Hinterkopf behalten müssen. Schließlich waren sie es, die den Mediziner mit Mitteln versorgten, die er testen sollte. Die meisten dieser Präparate waren bisher nur in europäischen Labors an Versuchstieren ausprobiert worden. Zwar hatten sie gute Wirkungen gezeigt, auf solche Erfahrungen allein durften Mediziner sich aber nicht verlassen. Wie heute mussten Medikamente auch am Menschen erprobt werden, bevor sie für den Markt zugelassen wurden. Nachdem bei Humanexperimenten in Deutschland Testpersonen erkrankt waren, hatte sich hier eine Öffentlichkeit gebildet, die medizinisches Handeln kritisch beäugte. In den Kolonien fehlte eine vergleichbare Kraft. Wahrscheinlich regte dies Mediziner und Pharmahersteller dazu an, dort breit angelegte Tests zu initiieren. Dieses Anliegen sollte Kochs Expedition prägen. Die Beobachtungen, die er über die Wirkungen chemischer Präparate auf Trypanosomen machen sollte, waren nicht nur für die Bekämpfung der Schlafkrankheit relevant: Die Ergebnisse würden sich auch auf die Behandlung anderer Krankheiten übertragen lassen. Insbesondere für die Behandlung der Syphilis, an der in Europa zahlreiche Menschen litten und deren Erreger als mit jenen der Schlafkrankheit verwandt galten, erhoffte man sich wertvolle Erkenntnisse. Mit seiner Schlafkrankheitsexpedition nach Deutsch-Ostafrika befand sich Robert Koch also am Puls der Zeit ( Elkeles 1996: 102-13, 191-203; Weatherall 1993: 925).

Die Forschungsexpedition

Freilich schien das große Interesse der deutschen Behörden und Mediziner an der Krankheit ihrem tatsächlichen Vorkommen nur bedingt gerecht zu werden: Als Koch im Mai 1906 mit Ehefrau und drei Assistenten in Deutsch-Ostafrika eintraf, musste sich das Team zunächst auf die Suche nach einem Seuchenherd machen, um überhaupt Untersuchungen durchführen zu können. Fündig wurden sie erst, nachdem sie die Grenze zur britischen Nachbarkolonie überschritten hatten. Im August richteten sie auf einer der Sese-Inseln im Victoriasee ein Forschungslager auf (Eckart 1997: 342-3).

Über 1000 Afrikaner würden hier täglich behandelt, berichtete Koch. Wie sie ins Lager kamen, ist unklar. Bei seinen später formulierten Entwürfen für eine Behandlung von Schlafkranken bemerkte Koch, dass nicht damit gerechnet werden könne, „daß die Kranken sämtlich freiwillig kommen“, und folgerte: „Sie müssen aufgesucht werden.“ (Koch 1907: 1894). Möglicherweise war ein solches „Aufsuchen“ der Kranken auch auf Sese üblich. In anderen Kolonien verbarg sich hinter diesem Begriff eine Vielfalt an Praxen – von Überzeugungsversuchen, über Strafandrohung bis hin zu gewaltsam erzwungener Fügsamkeit (Bauche 2005: 103-11).

Schlafkranke Bild: Schlafkranke

In Sese diente ein grasbedeckter Unterstand als „Behandlungsstelle“, wie Kochs Assistent Friedrich Karl Kleine erläuterte. Hier wurde Liste geführt über die Kranken, die alle „eine große auf Holz geschriebene Nummer um den Hals“ bekamen (Kleine zit. nach Eckart 1997: 343). Der Ausdruck „Behandlungsstelle“ kann getrost als Euphemismus bezeichnet werden, denn dem Forschungsteam ging es nicht in erster Linie um eine Heilung der Kranken, sondern darum, an ihnen die Wirkung unterschiedlicher Mittel zu beobachten. Am häufigsten griffen Koch und seine Kollegen zum sogenannten Atoxyl, einem arsenhaltigen Präparat, das im Ruf stand, die Trypanosomen im Körper der Kranken zu vernichten. Im Abstand von 10 bis 14 Tagen injizierten die Mediziner den Kranken das Mittel. Um dessen Wirkung nachvollziehen zu können, nahmen sie häufig, am Tag der Injektion sogar „von Stunde zu Stunde“ („Sitzung“: 931) Blutabnahmen vor. In Zelten prüften sie unter dem Mikroskop, ob die Erreger bereits aus dem Blut verschwunden waren. Eine genaue Beobachtung war wichtig, denn anscheinend traten häufig Rückfälle auf, was einige Mediziner in Deutschland dazu veranlasst hatte, von einer Resistenz der Trypanosomen gegen das Mittel auszugehen.

Schwere Nebenwirkungen

Koch wollte diese Vermutung nicht bestätigen. Dass nach einiger Zeit wieder Erreger im Blut der Behandelten zu finden waren, hoffte er auf eine zu schwache Dosierung zurückführen zu können. Obwohl ihm bewusst gewesen sein muss, dass der hohe Arsengehalt des Mittels gefährlich sein konnte, schreckte er nicht davor zurück, die Dosierungen zu steigern. Viele Afrikaner freilich widersetzten sich diesem Zugriff: „Nicht wenige Kranke entzogen sich sehr bald dieser stärkeren Behandlung“, berichtete Koch. Ihm war bewusst, dass dies daran lag, dass die Therapie „zu schmerzlich war und [sie] auch sonstige unangenehme Empfindungen verursachte, wie Uebelkeit, Schwindelgefühl, kolikartige Schmerzen im Leibe.“ Aber: „Da diese Beschwerden indessen nur vorübergehend waren, so wurde mit der Behandlung fortgefahren.“ (Koch 1907: 1890). Erst als Kranke über Sehstörungen klagten und diese sich bei einigen zu dauerhaften Erblindungen entwickelten, zeigte sich Koch einsichtig. Gänzlich wollte er allerdings nicht auf das Mittel verzichten. Stattdessen reduzierte er die Dosierung. Trotz der offensichtlich schädlichen Nebenwirkungen und obwohl sein Aufenthalt in Ostafrika zu kurz war, um den Nachweis für eine dauerhafte Heilung durch das Atoxyl überhaupt erbringen zu können, pries er das Präparat als „wahres Heilmittel“ an („Sitzung“: 932) und empfahl es als „gewaltige Waffe im Kampfe gegen die Schlafkrankheit“ (Koch 1907: 1894; „Sitzung“: 930-2; Eckart 1997: 343-4; Koch 1907: 1890-4).

Zu diesem Schluss war Koch nach einem Vergleich mit einer breiten Palette anderer Mittel gelangt, die er den Kranken in Sese verabreicht hatte. Sie waren bisher nur an Tieren getestet worden. Die Liste, die Koch nach seiner Rückkehr nach Berlin aufstellte, war lang. Sie enthielt arsenhaltige Präparate wie Natrium arsenicosum, Nucleogen, Arsenferratin, aber auch Farbstoffe wie Afridolblau und Trypanrot. Auf die Erprobung des Letzteren am Menschen hatte man in Deutschland bewusst verzichtet, wollte man doch den Testpersonen die starke Rotfärbung der Haut, die das Mittel verursachte, nicht zumuten. In Afrika galten solche Bedenken nicht. Wie die Schlafkrankenlager, die später in vielen anderen Kolonien errichtet wurden, diente auch Kochs Lager in Sese der europäischen Medizinforschung als Experimentierfeld (Headrick 1994: 85: Koch 1907: 1890-1).

Internierungspläne

Kochs Erfahrungen setzten den Maßstab für die Bekämpfung der Schlafkrankheit in den afrikanischen Kolonien Deutschlands. Nicht nur etablierte sich das Atoxyl als Standardmedikament in der Behandlung der Trypanosomiasis. Auch die anderen Empfehlungen, die Koch nach seiner Rückkehr nach Berlin formulierte, wurden in Deutsch-Ostafrika, später auch in Togo und Kamerun weitgehend beherzigt. Kochs zentrales Anliegen bestand darin, zu verhindern, dass Gesunde sich über Tsetse-Fliegen an Schlafkranken infizierten. Dazu schwebte ihm als Idealmodell ein ehrgeiziger Plan vor: Afrikaner müssten, so erläuterte er, aus solchen Regionen, in denen die Tsetse-Fliege vorkam, an fliegenfreie Orte umgesiedelt werden. Dort würde eine Ansteckung untereinander unmöglich, und: „[D]ie infizierten Individuen würden dann, da die Sterblichkeit ohne Behandlung eine absolute sei, ausnahmslos zugrunde gehen, damit werde dann die Seuche erlöschen. Die Gesunden könne man nach einer gewissen Zeit – bis die Fliegen ihre Infektionsfähigkeit verloren hätten – wieder an ihren ursprünglichen Wohnsitz zurücklassen.“ („Sitzung“: 935). Koch ging es also nicht in erster Linie um eine Heilung von Kranken, sondern darum, diese von Gesunden fernzuhalten, sie gewissermaßen als Ansteckungsquellen zu „isolieren“.

Dem Mediziner war bewusst, dass sein Plan undurchführbar sein würde. Er hatte ihn lediglich als Utopie formuliert, um seine Zielsetzungen abzustecken. Als praktikablere Variante präsentierte er das Konzept der „Konzentrationslager“ („Sitzung“: 936). Er hatte diesen Begriff der britischen Praxis entlehnt: In Südafrika hatten die Briten sogenannte „concentration camps“ eingeführt, um darin politische Gegner zu inhaftieren, und internierten darin jetzt Kranke. Koch empfahl, in Deutsch-Ostafrika Schlafkrankenlager zu errichten, in denen Infizierte fern von ihren Heimatorten dauerhaft untergebracht würden. Hier sollten sie regelmäßig mit Atoxyl behandelt werden. Offensichtlich zielte dieser Plan aber weniger auf eine Heilung der Kranken, als dass er derselben Idee folgte wie Kochs Vision großangelegter Umsiedlungen: Die Schlafkrankenlager sollten Kranke so lange von ihren Wohnorten fernhalten, „bis anzunehmen ist, daß an ihrem Wohnorte nach Entfernung aller Trypanosomenträger [also aller Infizierten] die Glossinen frei von Infektionsstoff geworden sind.“ (Koch 1907: 1894). Schlafkrankenlager wurden von Koch also nicht in erster Linie als Behandlungs-, sondern als Isolierstätten entworfen – ein Konzept, das auch in Togo und Kamerun übernommen wurde (Bauche 2005: 86-90; Eckart 1997: 345).

Kochstraße Foto: Die Robert-Koch-Straße im Freiburger Universitäts-Klinik-Viertel (Heiko Wegmann 2006)

Nach Kochs Willen sollten die Lager aber noch eine zweite Funktion als Forschungsstätten erfüllen. Der Mediziner scheute sich keineswegs, dies offen auszusprechen: „Da in den Konzentrationslagern eine genaue Beobachtung während längerer Zeit möglich sei, könne man hier am besten den empfehlenswerten Modus der Atoxylbehandlung ausfindig machen und beispielsweise auch eine etappenmäßige Therapie erproben“ („Sitzung“: 936). Tatsächlich wurden nach Kochs Abreise im Oktober 1907 in Deutsch-Ostafrika drei Schlafkrankenlager errichtet, in Togo und Kamerun wurden insgesamt fünf solcher Anstalten geschaffen. In ihnen wurde an den Körpern von Afrikanern mit über einem Dutzend verschiedener chemischer Präparate, mit unterschiedlichen Dosierungen und Verabreichungen experimentiert (Bauche 2005: 84, 90-103; Eckart 1997: 161-74, 346).

Die Gedenktafel im heutigen Institut für Mikrobiologie der Humboldt-Universität erinnert an einen Mediziner, der Methoden, Konzepte und Erkenntnisse einführte, die für die moderne Medizin von zentraler Bedeutung sind. Sie verschleiert aber auch, dass diese Ergebnisse zu einem bedeutenden Teil im Rahmen der gewalttätigen und rassistischen deutschen Kolonialherrschaft in Afrika und in der Südsee erzeugt wurden.

Manuela Bauche ist freie Hörfunkautorin und Afrikahistorikerin aus Berlin. Zurzeit bereitet sie ihre Dissertation zum Thema „Koloniale Wissenschaft? Genese und Diskurs medizinischen Wissens zwischen Kamerun und Deutschland, 1884-1920“ vor. Von ihr erschien: "Versuch und Irrtum - Kolonialmedizin in Kamerun und die Anfänge der Pharmaindustrie", iz3w Nr. 294, Juli/August 2006, S. 11 ff

Stand: Juni 2006. Die Abbildungen sind bis auf eine dem Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft entnommen (Stichwort Schlafkrankheit). | Zum Seitenanfang

Literatur

  • „Beratungen des Reichsgesundheitsrats über die Schlafkrankheit am 10. Dezember 1907“. In: Robert Koch (1912): Gesammelte Werke. Bd. 2 (2), 941-5.
  • „Sitzung des Reichsgesundheitsrates am 16. November 1907. Mitteilungen über den Verlauf und die Ergebnisse der vom Reiche zur Erforschung der Schlafkrankheit nach Ostafrika entsandten Expedition“. In: Robert Koch (1912): Gesammelte Werke. Bd. 2 (2), 930-40.
  • Bauche, Manuela (2005): Medizin und Kolonialismus. Schlafkrankheitsbekämpfung in Kamerun, 1900-1914. (Unveröff. Magisterarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin).
  • Eckart, Wolfgang U. (1997): Medizin und Kolonialimperialismus. Deutschland 1884-1945. Paderborn, München u.a.
  • Eckart, Wolfgang U. (1998): „Malaria and Colonialism in the German Colonies New Guinea and the Cameroons. Research, Control, Thoughts of Eradication“. In: Parassitologia 40, 83-90.
  • Elkeles, Barbara (1996): Der moralische Diskurs über das medizinische Menschenexperiment im 19. Jahrhundert. Jena, New York u.a.
  • Gradman, Christoph (2005): Krankheit im Labor. Robert Koch und die medizinische Bakteriologie. Göttingen.
  • Headrick, Rita (1994): Colonialism, Health and Illness in French Equatorial Africa, 1885-1935. Hg. v. Daniel R. Headrick. Atlanta.
  • Hoppe, Kirk A. (2003): Lords of the Fly. Sleeping Sickness Control in British East Africa 1900-1960. Westport & London.
  • Koch, Robert (1907): „Schlussbericht über die Tätigkeit der deutschen Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit“. In: Deutsche Medizinischen Wochenschrift 33 (46), 1889-95.
  • Lyons, Maryinez (1992): The Colonial Disease. A Social History of Sleeping Sickness in Northern Zaire, 1900-1914. Cambridge & New York.
  • Weatherall, Miles (1993): „ Drug Therapies “. In: William F. Bynum & Roy Porter (Hg.): Companion Encyclopedia of the History of Medicine. Bd. 2. London & New York, 915-38.
  • Worboys, Michael (1993): „ Tropical Diseases “. In: William F. Bynum & Roy Porter (Hg.): Companion Encyclopedia of the History of Medicine. Bd. 1. London & New York , 512-36.
  • Worboys, Michael (1996): „Germs, Malaria and the Invention of Mansonian Tropical Medicine. From ‘Diseases in the Tropics’ to ‘Tropical Diseases’“. In: David Arnold (Hg.): Warm Climates and Western Medicine. The Emergence of Tropical Medicine. Amsterdam & Atlanta, 181-207.

Siehe auch auf freiburg-postkolonial.de:

  • Flitner, Michael: Der Professor und die Tsetsefliege - Vom »Platz an der Sonne« zum »Platz für Tiere« [zu Bernhard Grizmek] (2000). Zum Text

Bild von der Wikipedia-Seite zu Robert Koch:

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