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Speitkamp, Winfried: Deutsche Kolonialgeschichte. Stuttgart: Reclam Verlag 2005, 208 S., 7 Karten; ISBN 3-15-017047-8; EUR 6,--

Bisher galt das in der UTB-Reihe verlegte Buch von Horst Gründer als das Standardwerk für einen Überblick über die deutsche Kolonialgeschichte. 1985 erstmals erschienen wurde es 2004 in der 5. Auflage gedruckt. [1] Es war bekannt für seine eurozentrische Perspektive, die sich am deutlichsten in der konsequenten Verwendung des Begriffes „Eingeborene“ zeigte. Von daher ist es begrüßenswert, dass Winfried Speitkamp mit der im Reclam-Verlag erschienen „Deutschen Kolonialgeschichte“ einen anderen Versuch einer Gesamtdarstellung unternommen hat. Im bekannten Hosentaschenformat des Verlages und mit sechs Euro sehr erschwinglich, verspricht das Büchlein schnelle Orientierung für Neueinsteiger in das Thema.

Speitkamp formuliert zu Beginn vier Aspekte von „deutscher Kolonialgeschichte“: Gewalt, kolonialen Alltag, Auswirkungen auf koloniale wie nachkoloniale Zeit sowie die heutige Erinnerung an diese Zeit. Er verweist auf die Bedeutung der genannten Aspekte sowohl für die koloniale Metropole als auch für die Kolonien selber und die Wechselwirkungen und Austauschprozesse zwischen diesen. In dieser Gewichtung setzt er sich deutlich gegenüber Gründer ab, der die Kürze und relative Folgenlosigkeit der Kolonialzeit für Deutschland betont. Speitkamp nimmt somit durch postkoloniale Theorie inspirierte kulturwissenschaftliche und globalhistorische Forschungstendenzen auf. Besondere Stärke des Bandes ist daher auch die Inkorporierung neuer Themen, wie „Stadt und Kultur in den Kolonien“ (Kapitel 7) mit dem Unterkapitel „Ästhetische Repräsentationen und die Symbole der Herrschaft“, sowie das Unterkapitel „interkulturelle Begegnungen und nationale Identität“ (Kapitel 9). Es gelingt ihm aber leider nicht immer überzeugend, seinen eigenen Anspruch umzusetzen. Zwar gibt Speitkamp an einigen Stellen der Transformation des kolonialen Projektes durch Afrika Raum, beispielsweise im Unterkapitel „Formen von Kooperationen und Herrschaftsbeteiligung“, das Buch bleibt allerdings über weite Strecken in einer deutschen Sichtweise verfangen, aus der heraus es nicht gelingt, den eigenen Ort radikal genug zu hinterfragen. So bleibt der längst überfällige Perspektivwechsel letztlich auch hier aus. Im Laufe der Lektüre drängt sich nämlich der Eindruck auf, dass zunächst holprig anmutende Formulierungen mehr als nur Ausdrucksschwächen sind. Ohne Distanzierung spricht er beispielsweise von der „Erziehungswirkung“ von Gefängnisstrafen (S. 69), von „Strafexekutionen“ (S. 71), den Herero als einem „Hirtenvolk“ (S. 55) und bringt lange Zitate, die des kritischen Kommentars dringend bedurft hätten.

Der Beginn des Inhaltsverzeichnisses liest sich fast wie ein zeitgenössisches Überblickswerk aus der Kolonialzeit: „Expansion“ (Kapitel 2), „Verfassung und Verwaltung“ (Kapitel 3), „Recht und Justiz“ (Kapitel 4), „Wirtschaft und Wirtschaftspolitik“ (Kapitel 5). Es fällt auf, dass Speitkamp der Bedeutung von Gewalt, auch alltäglicher Gewalt, für das koloniale Projekt relativ wenig Gewicht einräumt. Im Kapitel „Expansion“ erwähnt er einzig den so genannten „Araber-Aufstand“ (S. 34) und die „Okkupation qua Kriegsrecht“ gleichberechtigt als eine von vier Möglichkeiten der kolonialen Inbesitznahme (S. 40). Besonders eklatant wird dies im Kapitel 8: „Aufstände gegen die deutsche Herrschaft“. Zunächst erstaunt hier, wie generell, das Festhalten am kolonialen Jargon. In der neueren Forschung wird – unter Verweis auf die mit dem Wort „Aufstand“ transportierten Subtexte – explizit von Kriegen gesprochen [2]. Geradezu unerklärlich ist aber, warum Speitkamp sich hier auf „Deutsch-Südwestafrika 1904-1907“ und „Deutsch-Ostafrika 1905-1908“ beschränkt ohne diese zumindest gewichtend einzuordnen. Lediglich als Nebensatz im Kapitel „Verwaltungsaufbau und Personal“ verweist er auf die vielen Kriege in Kamerun und Togo, die er wiederum auf den kolonialen Diskurs rekurrierend „Militärexpeditionen“ nennt (S. 49). Hier fällt der Band deutlich gegenüber Gründer ab, der ein umfassenderes und komplexeres Bild entwirft. Koloniale Gewalt, die außerhalb der beiden erwähnten „Aufstände“ stattfand, wie Zwangsarbeit, verbannt Speitkamp in das Unterkapitel der „Ergebnisse und Folgen“ derselben (S. 133). Im Kapitel zu „Wirtschaft und Wirtschaftspolitik“ sucht man den Begriff ebenfalls vergebens. Vielleicht ist dies als Speitkamps Versuch zu lesen, Afrikaner nicht als Opfer zu beschreiben. Bereits in der Einleitung heißt es in Bezug auf die neuere Forschung: „Der Kolonialbevölkerung sollte gewissermaßen ihre eigene Geschichte zurückgegeben werden, sie sollte nicht bloß als Objekt, als hilfloses Opfer deutscher Gewalt, sondern als handelndes Subjekt erscheinen“ (S. 11). Die Warnung vor „einfachen Opfer-Täter-Dichotomien“ und die „hilflosen, passiven Opfer“, die es nicht geben dürfe, wird eine Spur zu oft einfach wiederholt. Stattdessen wäre es wünschenswert gewesen, mehr von deren tatsächlichen Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu erfahren, statt zum Beispiel seitenweise über den völkerrechtlichen Status der deutschen Kolonien. Bezeichnend sind seine Ausführungen im Kapitel „Interkulturelle Begegnungen und nationale Identität“ (S. 149), in dem er – ohne Literaturangabe – auf nur 150 aus Afrika stammende Personen verweist, die „nach Deutschland geholt“ wurden. Als Geschichte der Selbstermächtigung wird die Geschichte der Migration und schwarzer Präsenz in Deutschland von Speitkamp hier nicht erzählt [3].

Der größte Verdienst des Bandes ist, dass er auf die Bedeutung des heutigen Umgangs mit der Vergangenheit sowohl in Deutschland als auch in den ehemaligen Kolonien und deren globaler Vernetzung hinweist. Aktuelle politische Auseinandersetzungen aus dem Jahr 2004 aufgreifend, hebt Speitkamp besonders die Erinnerungskultur der Herero heraus. Erstaunlich ist, wie lapidar er behaupten kann, in Kamerun und Togo sei die Erinnerung an die deutsche Zeit „verblasst“ (S. 182). Zumindest fragt sich, auf Grund welcher Forschungen er zu diesem Schluss kommt. Wie an den meisten Stellen des Büchleins kommt er auch hier ohne Literaturangabe aus. Wichtig ist, dass Speitkamp auf die Schwierigkeiten einer transkulturellen Öffnung der Erinnerungskultur hinweist – schade jedoch, dass er die Möglichkeiten, die darin liegen, nicht deutlich genug herausarbeitet, denn gerade die Anerkennung komplexer und ambivalenter Vergangenheitsbezüge könnte zur Überwindung dichotomer Denkmuster in Europa beitragen [4]. Speitkamp ist der Ansicht, der Anstoß zur Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte könne nur aus den Ländern der ehemaligen Kolonien selber kommen. Mit Vehemenz wird bereits seit einiger Zeit jedoch darauf hingewiesen, dass Deutschland eine postkoloniale Gesellschaft ist und von daher auch um ihrer selbst willen sich mit dieser Vergangenheit beschäftigen sollte [5]. Dabei sollten die derzeit im Fokus stehenden Auseinandersetzungen um strukturelle und ideologische Zusammenhänge zwischen Kolonialismus und Nazi-Ideologie als der Beginn einer umfassenden Kritik an dem Projekt der europäischen Moderne gesehen werden. Von daher ist Speitkamp unbedingt darin zuzustimmen, dass die deutsche Kolonialgeschichte noch nicht zu Ende ist – wir befinden stattdessen immer noch mittendrin.

Stefanie Michels

[1] Gründer, Horst, Geschichte der deutschen Kolonien, München et. al. 2005 (5. Auflage).

[2] Vgl. Zimmerer, Jürgen und Joachim Zeller (Hgg.) Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen. Berlin 2003; Becker, Felicitas und Jigal Beez. Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907. Berlin 2005.

[3] Vgl. anders: AntiDiskriminierungsBüro Köln und cyberNomads (Hgg.). TheBlackBook. Deutschlands Häutungen. Frankfurt, London 2004.

[4] Vgl. Michels, Stefanie und Albert-Pascal Temgoua (Hgg.). Politique de la mémoire coloniale en Allemagne et au Cameroun/Politics of colonial memory in Germany and Cameroon . Berlin , Münster 2005.

[5] Vgl. Friedrichsmeyer, Sara, Sara Lennox und Susanne Zantop (Hgg.). The Imperialist Imagination. German Colonialism and ist Legacy. Ann Arbor 1998; Kundrus, Birthe (Hg.). Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Campus 2003; Conrad, Sebastian und Shalini Randeria (Hgg.). Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Campus 2002.

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