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Sandra Maß: Weiße Helden – schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918-1964. Böhlau Verlag, 2006, 370 S. 3-412-32305-5; € 49,90/SFr 85,50

Das schwarze Gesicht Lettow-Vorbecks ziert den Umschlag der Studie über koloniale Männlichkeit von Sandra Maß. Nicht nur die Inversion der Schwarz-Weiß-Abbildung, auch die Risse, die durch die Glasvorlage des Originals gehen, unterstreichen und verdichten Maß’ Thesen optisch. Als Spiegelgeschichte legt sie ihre Betrachtung der „Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland“ an. Anhand zweier – wie Maß sie nennt – „Propagandabewegungen“ der Zwischenkriegszeit zeigt sie, wie sich der „weiße Held“ im „schwarzen Krieger“ spiegelt und bricht: einerseits in der so genannten „Schwarzen-Schmach-Kampagne“ über afrikanische Besatzungssoldaten der französischen Armee im Rheinland, andererseits in der Figur der treuen Askari, die in Deutsch-Ostafrika vor und während des ersten Weltkrieges in der deutschen Kolonialarmee kämpften. In beiden Geschichten lieferten schwarze Soldaten die Folie zur Konstruktion weißer Männlichkeit. Ihr gelingen eine ganze Reihe neuer und grundlegender Erkenntnisse über die koloniale/weiße Männlichkeit unter besonderer Berücksichtigung soldatischer Männlichkeit. Tatsächlich – und das mag erstaunen – wurde die deutsche Kolonialgeschichte bisher nur am Rande unter dieser Fragestellung beleuchtet. Obwohl sie ihre Arbeit selber nicht im Umfeld der Whiteness Studies verortet, und die von ihr verwendeten Begriffe „weiße“ und „koloniale“ Männlichkeit daher auch nebeneinander verwendet werden, bietet die Arbeit eine nicht nur methodisch-theoretische Erweiterung zu den Arbeiten dieser Richtung1.

In sieben Kapitel unterteilt Maß den inhaltlichen Teil der Arbeit. Sie beginnt mit der „soldatischen Männlichkeit in der kolonialen Erinnerung an Deutsch-Ostafrika“. Hierbei stützt sie sich vor allem auf Memoirenliteratur von deutschen Teilnehmern des ersten Weltkrieges in Deutsch-Ostafrika. Die zeitliche Einordnung (1918-1933) erklärt sich so auch aus den Erscheinungsdaten der Literatur, bzw. der Virulenz des „Mythos der treuen Askari“ und seines Spiegelbildes, des kolonialen Helden Lettow-Vorbeck und dessen Kampf gegen die so genannte „Kolonialschuldlüge“.

Im nächsten Kapitel stellt sie die „Schwarze-Schmach-Kampagne“ und die „afrikanischen Besatzungssoldaten als Spiegel der Nachkriegszeit“ vor. Hier kann sie sich auf eine Reihe bereits publizierter Arbeiten, allen voran denen Christian Kollers2 stützen, deren Erkenntnisse sie nuancieren und ergänzen kann, indem sie neue Akten und Zeitungsartikel hinzuzieht. So arbeitet sie besonders die Rolle der Rheinischen Frauenliga heraus und das Bild weißer bürgerlicher Weiblichkeit, das diese über ihre Schriften – explizit auch gegen proletarische Weiblichkeit – erzeugten. Der deutschen Erzählung zum Thema der afrikanischen Besatzungssoldaten stellt sie die französische gegenüber. Dadurch kann sie zeigen, dass sich der Diskurs in Deutschland ab den 1920er Jahren von rassistischen und kulturalistischen Argumenten hin zu „Heimat“ und „Nation“ verschiebt. Die „weiße Frau“ und deren Schutzlosigkeit vor „wilden“ und „potenten“ Afrikanern und damit auch die Ohnmacht der deutschen Männer, sie zu beschützen, hat zu diesem Zeitpunkt keine politische Integrationskraft mehr. Lediglich bei dem „völkischen Rand“ der Kampagne werden die biologistischen Argumente weiter geführt, die dann in der NS-Zeit verstärkt aufgegriffen werden. Sie zeigt auch die Wirkung der Kampagne auf in Deutschland lebende Afrikaner und Afrodeutsche und deren Proteste dagegen.

Im Kapitel „Koloniale Vorstellungswelten zwischen Gewalt und bürgerlicher Ordnung“ entsteht als eine Art Synthese aus den beiden vorangegangen Kapiteln eine überzeugende Darstellung des Spannungsverhältnisses von Kolonialismus/Rassismus und Geschlechterverhältnissen. Sie geht dabei weit über die „soldatische Männlichkeit“ hinaus, und zeigt, wie Vorstellungen der bürgerlichen Familie und „apokalyptische Phantasmagorien“ in diese hinein- und zurückwirkten. In diesem Kapitel – dem Herzstück der Arbeit – beeindruckt besonders die theoretische und empirische Breite, mit der sie das Thema angeht. Kolonialgeschichte erscheint hier nicht als randständig, sondern zentral für die Konstitution und Selbstversöhnung weißer, bürgerlicher, deutscher Identität. In diesem Kapitel geht sie zeitlich und damit inhaltlich weit in die deutsche Kolonialgeschichte zurück. Beispielsweise in der Beschreibung des gewaltvollen Gewinns und Verlustes von Heimat durch weiße Männer in Afrika, deren Landschaft die sexualisierte Bühne für männliche Phantasien gibt. Überzeugend ist ihre Darstellung des ambivalenten Selbstbildes des „kolonialen Mannes“, der Afrika sowohl begehrt, als auch fürchtet, und somit sowohl sehnsüchtige Liebe als auch Gewalt empfindet und durch diese Ambivalenz zu rausch- und wahnhaften Grenzüberschreitungen fähig wird.

Der inhaltliche Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt jedoch in der Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen des ersten Weltkrieges in der Rheinlandbesetzung und der Idealisierung des Krieges in Afrika. Sie arbeitet dabei deutlich heraus, wie das Reden über den „ritterlichen“ Krieg in Afrika das Schweigen über das industrialisierte Sterben in Europa spiegelt. Der märchenhafte Krieg in Afrika und der individuelle Heldentod können somit als Zivilisationskritik gedeutet werden. In der „Schwarzen-Schmach-Kampagne“ bleibt der Krieg selber ebenfalls eine Leerstelle. Allerdings projiziert die Propaganda die Kriegsgewalt (auch die eigene) auf die afrikanischen Besatzungssoldaten und kann so das verletzte und gedemütigte Selbst dadurch versöhnen, dass die afrikanischen Soldaten zur alleinigen Ursache der Niederlage erklärt werden. Auch die Beschreibung der für Deutschland kämpfenden Askari in Afrika spiegelt eine Kritik an den verweichlichten, effeminierten deutschen Soldaten. Zeitlich wiederum in die Zeit vor 1918 gehend, zeichnet sie komplexe „rassisch“ und geschlechtlich markierte Hierarchien in den Kolonien, in denen afrikanische Diener an die Stelle der Frauen rückten und so in die Rolle der Mütter der weißen Männer schlüpfen können. Weiße Frauen sind in den (soldatischen) kolonialen Welten absent, die Askari-Familien werden hingegen in Zeiten des Friedens als Idyll gezeichnet. In Kriegszeiten werden die Askari-Frauen jedoch zur Bedrohung des kolonialen Paares des weißen Soldaten und des schwarzen Dieners.

Zwei Kapitel sind der NS-Zeit gewidmet („Koloniale Heldenphantasien im Nationalsozialismus“ und „Nationalsozialistische Gewalt und das koloniale Andere“). Eindrucksvoll gelingt ihr dabei die Darstellung des NS-Rekurses auf die kolonialen Helden Lettow-Vorbeck und Carl Peters, wobei Lettow-Vorbeck aus Sicht der NS-Ideologie ambivalent war, stand er doch für eine bürgerlich-koloniale Männlichkeit, während Carl Peters, in der Kaiser- und Weimarer Zeit gescheiterter Kolonialheld, durch das proletarische Element der Betonung von Kampf und Körperlichkeit dem NS-Ideal entsprach und folglich aufgebaut wurde. Brillant ist dann ihre Interpretation Rommels als Synthese aus diesen beiden Figuren: sowohl ritterlich als auch rücksichtslos und damit den alten und den neuen Heldenkult integrierend.

Maß beschließt ihr Werk mit dem „Abgesang kolonialer Männlichkeit nach 1945“ und veranschaulicht dies an den Afrika-Veteranenverbänden und der Fremdenlegion auf der einen und den nordafrikanischen und afroamerikanischen Besatzungssoldaten auf der anderen Seite. Diese Betrachtung endet mit dem Übergang in ein neues, nicht-soldatisches Männlichkeitsideal der 50er Jahre, in dem nunmehr „Lässigkeit“ zum Ideal wurde.

Maß’ Studie besticht durch den weiten Bogen, den sie spannt, sowohl zeitlich als auch thematisch. Gelegentlich scheint ihr dabei ihr Schwerpunktthema etwas aus dem Fokus zu geraten. Leicht unscharf erscheint auch ihr Propagandabegriff. Für die „Schwarze-Schmach-Kampagne“ und die dafür von ihr herangezogenen Texte kann dieser durchaus als gerechtfertigt gelten, sie zählt allerdings auch die gesamte Erinnerungs- und Memoirenliteratur zum ersten Weltkrieg in Deutsch-Ostafrika zu einem propagandistischen Diskurs und ihre Verfasser zu PropagandistInnen. Alle „subjektive[n] und kollektive[n] Interpretationskämpfe“ (S. 19) jedoch darunter zu fassen scheint, gerade mit Hinblick auf die heterogene Autorenschaft der Memoirenliteratur, jedoch wenig erkenntnisfördernd. Durchaus zuzustimmen ist ihr darin, dass es eine neue Dynamik und damit neue Erkenntnis bedeutet, die Kategorie der Erfahrung in die Diskursanalyse (als Analyse von Aussagen) einzubinden. Auch ihre Erweiterung mittlerweile etablierter Begriffe, wie „Phantasie“ oder „Imagination“ durch psychoanalytische (Lacan) und postkoloniale (Bhaba) Ansätze, überzeugt. So theoretisch und methodisch gerüstet, kann sie zeigen, dass „Propaganda“ und „Erfahrung“ eine unauflösbare Symbiose für die Deutung der Wirklichkeit eingehen und Phantasmen auch dazu dienen vor dem „Realen“ zu schützen, indem sie den Ort der Gefahr benennen. Dementsprechend spricht sie vom „Phantasma der treuen Askari“, das die Verweichlichung der weißen Soldaten in Europa thematisiert und von der „apokalyptischen Phantasmagorie“ der „Schwarzen-Schmach-Kampagne“, die Ohnmachts- und Bedrohungsgefühle der körperlichen Auslöschung weißer Männer benennt. Insgesamt zeigt die sehr gelungene Arbeit, wie zentral das koloniale/rassische aber auch proletarische „Andere“ für die Herstellung des weißen/bürgerlichen Selbst bis in die 1950er Jahre hinein war. Maß’ Hinweis auf die Funktion des „anderen Mannes“ in der Figur des „edlen Wilden“ und des „schwarzen Kriegers“ (jetzt in der Befreiungsbewegung) für linke Männlichkeitsentwürfe und weiße Entwicklungshelfer erscheinen so auf verblüffende Weise folgerichtig.

Stefanie Michels, Institut für Afrikanistik, Universität Köln, stef_michels@yahoo.de

[1] Zum Beispiel Walgenbach, Katharina. "Die weiße Frau als Träger deutscher Kultur". Koloniale Diskurse über Geschlecht, "Rasse" und Klasse im Kaiserreich. Frankfurt/Main 2005. Mehr

[2] Besonders Koller, Christian: „Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt“. Die Diskussion um die Verwendung der Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914-1930), Stuttgart 2001.

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