Rezension von:"Kolonialheld für Kaiser und Führer – General Lettow-Vorbeck" |
Vom selben Autor erschien in iz3w Nr. 299, März/April 2007, S. 10-13: Uwe Schulte-Varendorff: "Heil dir im Siegerkranz". Die Karriere des Kolonialoffiziers Lettow-Vorbeck zum Kriegsverbrecher |
Lettow-Vorbeck - Demontage eines Mythos
Im Oktober 2006 sorgten Fotos von Leichenschändungen in Afghanistan durch Soldaten der Bundeswehr für Aufsehen. Ihre Bad Segeberger Heimatkaserne ist in ehrendem Andenken nach einem General benannt, um den sich bis in die Gegenwart mancher Mythos rankt. Diese Namensgebung hat sie gemein mit der Kaserne des Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst im ostfriesischen Leer, das kürzlich vom Auslandseinsatz im Kongo zurückgekehrt ist, sowie weiteren Kasernen und Strassen in Deutschland. Der Osnabrücker Geschichtswissenschaftler Uwe Schulte-Varendorff macht sich in seiner Biografie „Kolonialheld für Kaiser und Führer – General Lettow-Vorbeck“ daran, diesen Mythos zu demontieren. Der Autor legt dar, mit welch brutalen Methoden Lettow-Vorbeck bei der Bekämpfung des „Boxeraufstands“ 1900 in China und ab 1904 des Befreiungskrieges der Herero und Nama in „Deutsch-Südwestafrika“ seine soldatische Musterkarriere beginnt. Schon zu Beginn werden seine Leistungen aus propagandistischen Gründen überhöht: Um die Kriegsbegeisterung anzuheizen, überhäufen ihn zunächst die diversen Kolonialmächte in China mit Orden und Auszeichnungen, später stilisiert man ihn im Kaiserreich zum Kriegshelden. Im Ersten Weltkrieg kann er sich mit der „Schutztruppe“ der Kolonie Deutsch-Ostafrika bis nach Kriegsende halten. Schulte-Varendorff legt dar, wie die glorifizierte Bindung britischer Streitkräfte durch den Einsatz des „Löwen von Afrika“ – die keineswegs kriegsentscheidend gewesen sei - häufig stark übertrieben werde. Und auch das Bild des „ritterlichen Kämpfers“ wird von ihm torpediert, in dem die durch Lettow-Vorbeck stetig begangenen Verletzungen geltenden Menschen- und Kriegsrechts, wie z.B. der „Haager Landkriegsordnung“, dokumentiert wird. Doch als Kommandant der einzigen unbesiegten Truppe gilt er fortan als lebender Beweis für die Dolchstoßlegende. Damit sei er ein ideales Vorbild der neu gegründeten Reichswehr geworden. Seine Unmenschlichkeit, antidemokratische Attitüde und sein Mangel an Selbstkritik werden auch anhand seiner nächsten Etappen deutlich gemacht: Sei es die Beteiligung am rechtsradikalen Kapp-Lüttwitz-Putsch oder seine (Kolonial-) Propagandatätigkeit für die NS-Regierung. Diese hat einen derart hohen Stellenwert für die NS-Propaganda gehabt, dass ihm der von ihm gewünschte Einsatz an der Front versagt blieb. Es gibt in einem Staat mit demokratischem Anspruch keinen Grund, Lettow-Vorbeck in irgendeiner Form eine Verehrung zu erweisen. Warum in der heutigen BRD dennoch ein unkritischer bis gar positiver Umgang mit dem General stattfindet, untersucht der Historiker im letzten Teil. Die Vorgehensweise des anschaulich geschriebenen Buches lässt sich als „hart, aber fair“ bezeichnen: Es stellt Lettow-Vorbeck und dem Kult um ihn ein desaströses Zeugnis aus, verbleibt aber in einem auf gute Quellenarbeit gestützten, sachlichen Ton. Es sei auch all den Lokal- und Bundespolitikern, Militärs und AnwohnerInnen empfohlen, die bis heute erfolgreich eine Umbenennung der von-Lettow-Vorbeck Kasernen und Straßen ablehnen. Philip Aubreville Uwe Schulte-Varendorff: Kolonialheld für Kaiser und Führer – General Lettow-Vorbeck, Ch. Links Verlag, Berlin 2006. 224 Seiten, 19,90 Euro. Flugschrift: Unter dem Titel „Der Mythos Paul von Lettow-Vorbeck“ setzt sich ein Autorenteam der „Aktion 3.Welt Saar“ 2007 kritisch mit dem Saarlouiser Ehrenbürger auseinander: Download als PDF (2 MB) Pressedokumentation zu Lettow-Vorbeck auf freiburg-postkolonial.de
siehe auch zum Thema Deutschostafrika:
|