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Freiburger Persönlichkeiten:

Prinz Johann Georg von Sachsen

Bild aus der Ankündigung (s.u.)

Eine Frage der Perspektive - Zur Ausstellung „Die Sammlung Prinz Johann Georg von Sachsen – Der Prinz in der Wüste“ vom 29.11.2005 - 29.01.2006 in der Universitätsbibliothek Freiburg

Logo [Bild aus der Ausstellungsankündigung, s.u. ]

von Winfried Rust*

Prinz Johann Georg von Sachsen (1869-1938) war zu seiner Zeit ein bekannter Bildungsreisender und Sammler, der mehrfach den Nahen Osten bereiste. Seit 1918 lebte er in der Freiburger Wiehre in einer Villa in der Mercystraße 6. Zur Jahreswende 2006 stellte nun die „Archäologische Sammlung Universität Freiburg“ in Zusammenarbeit mit dem Freiburger Stadtmuseum über 200 Exponate der Sammlung des Prinzen aus. Der feste Sitz seiner Sammlung ist im Landesmuseum Mainz.

1869 wurde Johann Georg von Sachsen als Kind des sächsischen Königshauses in Dresden geboren. Neben einer militärischen Ausbildung vertiefte er seinen katholischen Glauben, zu dem seine sächsisch-protestantische Familie konvertiert war und er absolvierte ein Studium der Staats- und Rechtswissenschaften und im Nebenstudium der Geschichte und Kunstgeschichte. 1889 führte ihn das Studium zum ersten Mal für ein Jahr nach Freiburg (in der Zeit lernte er bereits seinen späteren Freund und Reisebegleiter ab 1927, Joseph Sauer, kennen. Dieser sollte später die Freiburger Professur für christliche Archäologie und Kunstgeschichte übernehmen). Eine erste Bildungsreise führte den jüngeren Bruder des Königs von Sachsen 1905 nach Italien, Griechenland und in das Osmanische Reich. 1910 und 1912 leitete er zwei große Expeditionen nach Ägypten, Palästina und Syrien. Dabei nahm er ebenfalls diplomatische Aufgaben für das sächsische Königshaus und den deutschen Kaiser wahr. Die Reisen pendelten zwischen einer adeligen Grand Tour, einer Staatsreise und einer wissenschaftlichen Exkursion.

1918 verließ der Sachse mehr oder weniger fluchtartig die alte Heimat. Die Soldatenräte übernahmen die Macht, die königliche Familie dankte ab und verschwand eilig. Johann Georg von Sachsen fand in Freiburg ein „Exil“. Fortan lebte er seinen Neigungen entsprechend. Er widmete sich der Religions- und Kunstgeschichte des Nahen Ostens, den er wieder 1927, 1928 und 1930 bereiste. Der Prinz führte auf seinen Reisen ein akribisches Tagebuch und arbeitete Teile später zu wissenschaftlichen Aufsätzen u m. Im Mittelpunkt seines Interesses standen die Zeugnisse frühchristlicher Glaubensgemeinschaften. Er besuchte Klöster, Pilgerstätten, Grabungsstellen. Er kaufte zahlreiche Objekte für seine Sammlung, wie Büsten aus Syrien oder altägyptische Exponate. Vor allem sammelte er Zeugnisse des frühen Christentums: Griechische Ikonen, Kreuze der ägyptischen Kopten, Menasampullen für christliche Pilger und andere Zeugnisse christlicher Gemeinschaften im Orient. Außerdem fertigte er auch Fotografien und Zeichnungen an. Die Sammlung von Ikonen und christlichen Denkmälern des „Vorderen Christlichen Orients“, wie Johann Sauer schrieb, „dürfte ihresgleichen auf deutschem Boden nicht mehr haben“. Mit über 200 Exponaten zeigte die Ausstellung in Freiburg nur einen kleinen Teil davon.

Auf seinen späten Reisen nach Ägypten, Syrien und Palästina wurde er von Joseph Sauer begleitet. Die Reisen dienten ebenfalls der Sammlung und Forschung über die christliche Kunstgeschichte. Die Sammlung brachte ihn fast an den Rand des finanziellen Ruins. Zu ergänzen ist allerdings, dass er in Freiburg „standesgemäß“ in einer stattlichen Villa am Lorettoberg mit Dienerschaft lebte und der Lohnarbeit abhold blieb. Im Nachruf auf den 1938 gestorbenen Prinzen schließt sein Bruder, Prinz Georg von Sachsen: „Eine ganz besondere Liebe hatte er zu Kunst und Wissenschaft. (...) Kunst und Wissenschaft waren ihm Führerinnen zu Gott.“

Der koloniale Blick

So weit führen Kunst und Wissenschaft nicht immer. Zu Lebzeiten des Prinzen war der vorherrschende Blick in die Peripherie der koloniale Blick. Materiell war der deutsche Kolonialismus eine Struktur der Ausbeutung und Unterdrückung, ideell zeichnete er das Bild der unzivilisierten Fremde, von der sich der ‚ordentliche Deutsche’ abgrenzen und so selbst finden konnte. Gab es am Beginn des 20. Jahrhunderts ein Reisen jenseits dieses kolonialen Blickes von Oben nach Unten? Trug das Schaffen des Prinzen zu dem vorherrschenden oder zu einem neuartigen Blick in die Welt bei? Die Ausstellung „Die Sammlung Prinz Johann Georg von Sachsen – Der Prinz in der Wüste“ könnte den Eindruck erwecken, auf Reisen im letzteren Sinne gestoßen zu sein. Johann Georg von Sachsen hatte es nicht nötig, die Strapazen von sechs Forschungsreisen einzugehen. Er tat es aus Idealismus. Unter einem weißen Tropenhelm lächelt auf dem Ausstellungsplakat ein freundlicher Herr bescheiden in die Reisekamera. Doch kann die Ausstellung die Frage nicht beantworten, weil sie sie vermeidet.

Deshalb zunächst der Versuch einer kritischen Lesart der Ausstellung. „Der Prinz in der Wüste“ - Was soll uns das sagen? Das Motto ist zweigeteilt wie die Orient-Okzident-Geschichte. Hier der Prinz, da die Wüste. Hier Kultur, dort Ödnis. „Der Prinz in der Wüste“ klingt wie „Die Schöne und das Biest“.

Plakat

Litfaßsäule in Freiburg [Foto: H.W.]

Ein Blick auf die Schreckensbilanz des Deutschen Kolonialismus wirft andere Fragen auf, als die, die in der Ausstellung angesprochen werden: Wer beförderte die Unterdrückung und Massakrierung der „Wilden“? Wer schuf die Erzählungen, welche die Deutschen zur Herrenrasse verbanden? Je näher wir an einen Zeitgenossen heranrücken, um so unschärfer kann das Bild wieder werden. Etwas leichter Auflösliches als Verantwortung ist in Deutschland schwer zu finden. In den eigenen Familien, in der eigenen Stadt, im eigenen Milieu oder der eigenen Profession – kurz: in der eigenen Geschichte tut man sich schwer, fündig zu werden, wer genau die kolonialdeutsche Verblendung betrieben hat. Man kann sich noch an Kolonialwarenläden und Kolonialromane erinnern, aber die koloniale Schreckensherrschaft bleibt im Dunkeln. Historische Forschung müsste hier nach den Hintergründen der Geschichtsbilder fragen. Die Loyalitätsbindung gegenüber den „Eigenen“ verhindert gern, dass das abstrakte historische Bewusstsein konkret wird. Die Verwerflichkeit des deutschen Kolonialismus ist leicht geklärt, aber die nähere Verstrickung in sie bleibt rätselhaft. Lokalpatriotismus ist in Freiburg noch etwas Selbstverständliches. Auch die Bindungen der Honoratioren und Forscher begünstigen eine wohlwollende Sicht auf einen alten Sammelpionier. Entsprechend sind die Freiburger Museen für Völkerkunde und für Stadtgeschichte die meiste Zeit Institutionen, die alte Exponate ohne kritischen Esprit zur Schau stellen. Es gibt Ausnahmen, zum Beispiel die 100-Jahre-Jubiläumsschrift des Museums für Völkerkunde von 1995. Die Regel ist aber einfach die Pflege der Bestände. Die Ausstellung über den Prinzen und seine Sammlung ist sorgfältig zusammengestellt - das Problem ist die Auslassung, die reproduzierte Perspektive.

Ein Perspektivwechsel

Was war Johann Georg von Sachsen für ein Mensch? In einer kritischen Lesart war er ein anderer, als der nette Idealist der Ausstellung: Er war Vertreter des Hochadels, also Teil der Elite, die eine imperialistische und kriegerische Ausrichtung der deutschen Politik vor dem 1. Weltkrieg verantwortete; er war erzkatholisch und mit Sicherheit kein Kritiker der Kreuzzugsmassaker im Nahen Osten; er war Militarist als General der Infanterie; er war Kolonialreisender im Dienste der deutschen Reaktion (1910 und 1912 nahm er auf seinen zwei großen Expeditionen nach Ägypten, Palästina und Syrien ebenfalls diplomatische Aufgaben für das sächsische Königshaus und den deutschen Kaiser wahr. Bis September 1917 stand dann im 1. Weltkrieg die deutsch-türkische Front in Palästina); er war westzentrierter Orientreisender, denn sein Augenmerk galt dem Orient als Quelle christlicher Sammelobjekte; er war Kulturplünderer, so wohnte er 1912 der Bergung der Büste der Nofretete bei, die bald darauf zum Glanzstück des Ägyptischen Museums in Berlin wurde und er schrak nicht davor zurück, Sargstücke und Mumienhüllenstücke aus altägyptischen Gräbern nach Hause zu tragen. Er war zudem ein ‚guter Deutscher’: 1938 sagte sein Bruder Prinz Georg von Sachsen bei seiner Beerdigung nicht nur den Satz von Kunst, Wissenschaft und Gott, sondern im Ersten Weltkrieg „offenbarte sich ganz besonders sein vaterländisches Herz. (...) Während der Kriegszeit leitete er das Rote Kreuz in Sachsen und machte viele Reisen im Land und an die Front.“

Man stelle sich angesichts des Raubs der Nofretete vor, zur Lebzeit des Prinzen hätten irgendwelche Ägypter die Schätze eines alten Wittelsbachers mitgenommen - da wäre der Patriot und Infanterist sicher zur Stelle gewesen. Das Ganze ist undenkbar, während entgegengesetzt die Verwandlung der Grabschätze zu Berliner Museumsexponaten selbstverständlich war. Solche Fragen sind mindestens so spannend wie die Ausstellungssaga und werden doch nicht einmal erwähnt. Wem gehört die Büste der Nofretete? Vielleicht Niemandem, auch nicht „den“ Ägyptern. Sie ist heute ein Kulturgut der Menschheit und vielleicht ist sie in Berlin inzwischen gut aufgehoben. Immerhin findet sie dort jeder, der sie sehen will - abgesehen von den ÄgypterInnen, die sich eine solche Reise nicht leisten können. Kritikwürdig ist die Selbstverständlichkeit, mit der über die Ungleichheit der kolonialen Beziehung hinweggegangen wird.

So ist die Ausstellung eine nette Hommage an einen Sammler und Bildungsreisenden des frühen 20. Jahrhunderts. Zur Erbauung und Belehrung über frühchristliche Kunst und damalige Bildungsreisen in den Nahen Osten ist sie bestens geeignet. Den an der kolonialen Zurichtung Interessierten sei aber geraten: Bleiben Sie der Ausstellung fern! Die gezeigte Sammlung ist eben auch eine von Auslassungen. Vielleicht war der Prinz der harmlose und nette Sammler. Vielleicht war er es nicht – in jedem Fall umfängt ihn ein schwer durchdringlicher Kokon lokalpatriotischer, familialer, heileweltlicher, kameradschaftlicher Loyalität, an dem die Ausstellung weiter strickt. Es ist schwieriger, als es zuerst scheint, die prinzlichen Motive zu erkunden.

  • Ausstellungskatalog: Sammler – Pilger – Wegbereiter: die Sammlung des Prinzen Johann Georg von Sachsen, Mainz 2004
  • Rainer Warland: Joseph Sauer - der Reisegefährte des Prinzen Johann Georg in die Kunst des christlichen Orients. Aufsatz aus dem Ausstellungskatalog. Umsonst-download vom FreiDok-Server (415 KB, pdf)
  • Ausstellungsankündigung der Uni-Bibliothek Freiburg,
  • Archäologisches Institut der Universität Freiburg
  • Abteilung Kulturanthropologie/Volkskunde an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

*Winfried Rust ist Mitarbeiter des informationszentrums 3. welt - iz3w in Freiburg