(Post-)Koloniale Denkmalgeschichte |
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Kolonialadler fliegt nach Namibia - Denkmalgeschichte aus dem Namibian Weekender vom 13. August 1999 von Werner Hillebrecht Ein Stück namibischer Geschichte fand seinen Weg von Deutschland nach Namibia und wurde am 28. Juli auf dem Campus der Universität von Namibia der Studentischen Geschichtsvereinigung übergeben. Passenderweise fand die Übergabezeremonie vor der Büste von Simon Bolivar, dem Helden der Befreiung Südamerikas, statt – denn es ging um Kolonialismus, Befreiung und internationale Solidarität. Der historische Hintergrund reicht beinahe hundert Jahre zurück, zu dem Völkermord im deutsch-namibischen Krieg von 1904-1908. Bis auf den heutigen Tag gibt es kein einziges Denkmal für die namibischen Opfer des Völkermords, aber viele Denkmäler wurden für die deutschen Gefallenen dieses Krieges errichtet. Nicht nur in Namibia – jeder kennt die Reiterstatue in Windhoek – sondern auch in Deutschland. Eines dieser Denkmäler wurde 1913 in der kleinen Universitätsstadt Göttingen aufgestellt, im Andenken an die Soldaten des in Göttingen stationierten 84er Regiments, die in Namibia gefallen waren. Das Denkmal bestand aus einer Säule mit einer Textplatte und einem Bronzeadler. Lasst uns einen großen Sprung vorwärts in der Geschichte machen, bis ins Jahr 1978. Inzwischen, war in Namibia bereits seit zwölf Jahren, ein neuer Befreiungskampf im Gange, ebenso in Südafrika, das noch unter weißer Minderheitsherrschaft stand. Diese Befreiungskriege wurden von einer weltweiten Solidaritätsbewegung unterstützt – auch in Deutschland. Andererseits stützten die westlichen Regierungen stillschweigend die Minderheitsregimes im südlichen Afrika und weigerten sich, die von der internationalen Gemeinschaft und der Solidaritätsbewegung geforderten Sanktionen durchzusetzen. Das war die Lage, als im April 1978 eine Gruppe radikaler Studenten aus der Solidaritätsbewegung das Göttinger Denkmal entfernten. Sie zerlegten den Adler, ein Symbol des deutschen Imperialismus, und versteigerten die Teile auf einer 1.-Mai-Feier (übrigens am 1. Mai 1978 – drei Tage vor dem Massaker von Kassinga!). Das ersteigerte Geld wurde an die zimbabwische Befreiungsbewegung ZANU übergeben. Jetzt sind wir wieder 20 Jahre weiter, und Namibia, Zimbabwe und Südafrika sind befreit. Der Adler hat seinen Teil beigesteuert, einen kleinen, aber sehr symbolträchtigen Beitrag. Was ist nun aus den Bruchstücken geworden? – Gegenwärtig ist nicht bekannt, wo die meisten Teile sich befinden, aber der Kopf des Adlers wurde durch die Nachforschungen des deutschen Historikers Dr. J. Zeller zu seiner Dissertation über Kolonialdenkmäler wieder aufgespürt. Der jetzige Treuhänder des Kopfes wollte das Fragment nicht in privater Hand behalten, sondern als Schenkung an ein »Anti-Kolonialismus-Museum« geben, damit es mit seiner umgedrehten Bedeutung ausgestellt werden kann – nicht als Denkmal für den Kolonialismus, sondern für den Antikolonialismus und die internationale Solidarität. Wie er an Dr. Zeller schrieb: »Der Adler war metallgewordene Propaganda des Kolonialismus. Ihn umzumünzen in Propaganda für die Befreiung war und ist statthaft. Die Weltgeschichte, sagt Hegel, ist das Weltgericht.« Während das Geld, das durch den Adler aufgebracht wurde, nach Zimbabwe ging, wollte der Spender, der unbenannt bleiben will, den Adler selbst lieber nach Namibia fliegen lassen, um ihn mit angemessender Dokumentation seiner Geschichte auszustellen. Während der Adler selbst einen Krieg gegen Namibia verherrlichte, feiert er jetzt den Sieg des namibischen Volkes. Und nachdem er durch eine Gruppe studentischer Aktivisten demoliert wurde, ist er jetzt wieder an eine Studentengruppe übergeben worden. Hoffentlich findet dieses Denkmal-Bruchstück einen angemessenen öffentlichen Ausstellungsplatz zum Gedenken an den kolonialen Krieg, den Widerstand und die internationale Unterstützung für die Befreiung des südlichen Afrikas! Übersetzung aus dem Englischen: Uwe Jungfer Die iz3w nimmt weitere Bruchstücke des Denkmals gerne entgegen, um sie an die namibische Gruppe weiterzuleiten. Die »radikalen Studenten aus der Göttinger Solidaritätsbewegung« mögen doch bitte ihre Keller und ihre grauen Zellen durchforsten! Dieser Text entnommen aus: iz3w Nr. 241, S. 4, 1999 siehe auch zum Kolonialadler auf freiburg-postkolonial.de: Joachim Zeller (2007): Andauernde Auseinandersetzungen um das Kolonialkriegdenkmal in Göttingen. Eine Chronik Mehr |