Deutsche Kolonialherrschaft und Erinnerung in Kamerun -eine fiktive Gerichtsverhandlung (aus iz3w 267) |
In der Debatte um eine global verbindliche Rechtsnorm und einen internationalen Gerichtshof geht es in der Regel um die Verfolgung von (Kriegs)Verbrechen, die in jüngerer Vergangenheit verübt wurden. Vor allem in den USA ist nun auch eine Debatte um die Verbrechen des Kolonialismus entbrannt. Der folgende Beitrag stellt den deutschen Kolonialismus in Kamerun vor ein imaginäres Gericht. Die Unschuld vom deutschen Lande - Die koloniale Vergangenheit ‘vor Gericht’ von Kai Schmidt-Soltau* »Die Deutschen herrschten über Kamerun zwischen 1885 und 1940. Bevor die Deutschen kamen, lebten die Eingeborenen wie die Tiere. Ihre Herrschaft war hart, aber gerecht. Alles Schlechte, was heute die Entwicklung hemmt, kommt von den Engländern und vor allem von den Franzosen. Kamerun sollte wieder deutsche Kolonie werden«. Nein, Sie haben nicht aus Versehen das Mitteilungsblättchen des Traditionsvereins der Schutztruppe gekauft. Das iz3w ist auch nicht von einem Haufen revanchistischer Kolonialisten und Germanen im Tropenrausch gekapert worden. Nein, das eingangs präsentierte Ergebnis hat alle quantitativen statistischen Tests bestanden. Es ist eine repräsentative Antwort der Bewohner der Provinzen Südwest und Nordwest der Republik Kamerun auf die Frage nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft in diesem Lande. Wie das? In Anlehnung an Hegel wurde die Vorstellung entwickelt, dass die Weltgeschichte das Weltgericht sei, in der sich das Wahre, Vernünftige und Richtige letztendlich durchsetzt. Dieses Statement des deutschen Idealismus ist meiner Ansicht nach oft falsch oder verkürzt interpretiert worden, denn wenn die Geschichte das Gericht ist, geht es ihr zwar um Wahrheiten, doch sind diese Wahrheiten immer Konstruktionen auf der Basis von Informationen und Fragmenten der verschiedenen Beteiligten. Das Gericht sucht nicht die Wahrheit, sondern es sucht nach dem wahrscheinlichsten Tathergang. Nimmt man nun den deutschen Kolonialismus in Kamerun als Gerichtsfall, stellt sich zuerst die Frage, wer Opfer und wer Täter ist. Diese Frage ist für die Konstruktion der jeweiligen Sichtweise wichtig, denn das Opfer-Täter Paradigma bestimmt die Perspektive. Sehe ich den anderen als Täter, will ich seine Schuld und meine Leiden betonen. Bin ich der Täter, gilt es die Mitschuld des anderen zu unterstreichen und sei es nur durch den Verweis auf die Wahrnehmung des Täters, der andere habe sich nicht erfolgreich oder ausreichend gewehrt. Bereits vor Beginn dieser historischen Verhandlung, wie auch jeder anderen Gerichtsverhandlung, erfolgte auf Basis von Indizien und Zeugenbefragung eine Rollenzuweisung. Da wohl niemand allen Ernstes die Kameruner anklagen will, dass die Deutschen ihr Land 1884 kolonisiert haben und angesichts des Schuldeingeständnisses des Außenministers Joschka Fischer bezüglich des deutschen Kolonialismus, lassen wir diesen auf der Bank des Angeklagten Platz nehmen, über dessen Schuld oder Unschuld im Weiteren Zeugen vernommen werden sollen. Natürlich stellt sich hier die Frage der Relevanz für die heutige Zeit. Reicht ein Schuldeingeständnis um – so Fischer – »den Opfern und ihren Nachkommen zumindest die ihnen geraubte Würde zurückzugeben«, oder kann das Gericht nur lehren, »dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben«1? Erschwerend kommt hinzu, dass eine Reihe von Indizien-Gutachtern (auch Historiker genannt) zu der Auffassung gelangen, dass der deutsche Kolonialismus weder 1916 noch 1940 sein Ende fand, sondern bis heute andauert.2 Indizien und Zeugen Die eingangs erwähnte Widersprüchlichkeit in der Betrachtung der Historie führte in der Philosophie zur erregten Debatte über die Relation von Geschichte und Gedächtnis. Aleida Assmann versucht, diesen Gegensatz begrifflich zu fassen, indem sie »Speichergedächtnis und Funktionsgedächtnis« als »zwei Modi der Erinnerung« bezeichnet.3 In der Sprache des Gerichts könnte man diese zwei Modi als Indizienbefunde und Aussagen von Zeugen fassen. Da die Indizien selten für sich selbst sprechen, bedürfen sie einer Interpretation, um die Fragen nach Schuld und Tathergang zufriedenstellend zu beantworten. Im Kasten zur Chronik (siehe rechts) werden die wichtigsten Indizienfunde präsentiert. Die Beziehung dieser beiden Informationsquellen – Indizien einerseits, Zeugenaussagen andererseits – ist jedoch komplex. Pierre Nora gelangte zu der Auffassung, dass »Gedächtnis und Geschichte keineswegs Synonyme (sind), sondern in jeder Hinsicht Gegensätze (...). Das Gedächtnis ist ein stets aktuelles Phänomen, eine in ewiger Gegenwart erlebte Bindung, die Geschichte hingegen eine Repräsentation der Vergangenheit (...). Das Gedächtnis rückt die Erinnerung ins Sakrale, die Geschichte vertreibt sie daraus, ihre Sache ist die Entzauberung. Das Gedächtnis entwächst einer Gruppe, deren Zusammenhang es stiftet.«4 Transformiert man diese Aussage in die Gerichtsmetapher von Hegel, bedarf es demnach der Tat, deren Indizien und der Erinnerung daran, damit sich Opfer und Täter überhaupt als Gruppe formieren. Sicher hat das Gedächtnis die Tendenz, das Vergangene zu überhöhen, aber ohne Gedächtnis – ohne Zeugen – bleiben die Indizien stumm. Gute alte Kolonialzeit Die Vorstellung, dass das Gedächtnis Gruppen konstruiert und durch diese konstruktivistische Leistung eine Funktion erhält, ist in sich einleuchtend. Täter werden zu Tätern, indem sie sich der Opfer und der Indizien der Tat erinnern, und Opfer werden zu Opfern dadurch, dass sie sich gegenseitig im Angesicht der Täter oder der Indizien ihre gemeinsame Erinnerung erzählen. Dies ist alles einleuchtend und doch scheint es mir für den Gerichtsfall »Deutscher Kolonialismus in Kamerun« unzureichend, denn Opfer und Täter lassen sich gerade nicht anhand ihrer Gedächtnisse oder der vertretenen Konstruktionen des deutschen Kolonialismus erkennen und definieren. Die eingangs zitierten repräsentativen Aussagen der anglophonen Kameruner im Jahr 2000 haben gerade nicht die Funktion, sich als Opfer zu konstruieren, sondern sind ja geradezu das Gegenteil: Die Identifizierung des Opfers mit dem Täter. (»Sie waren hart, aber gerecht. Vor der deutschen Zeit waren wir wie die Tiere.«) Wer sind die im Weiteren vernommenen Zeugen und für wen sprechen sie? Mit Hilfe von empirischen Methoden wurde untersucht, wie unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in Kamerun die deutsche Kolonialzeit sehen und wie sie zu ihren Einschätzungen kommen.5 Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass die Befragten sicher waren, dass ihre Aussagen ihnen persönlich in keiner Weise nützen oder schaden konnten. Es handelt sich also um unparteiliche und repräsentative Zeugen in dem Sinne, dass sie nicht wissen konnten, ob sie für die Anklage oder für die Verteidigung aussagten. Aus den Ergebnissen der Befragung lassen sich vier Sichtweisen rekonstruieren: Zunächst diejenigen, die sich der deutschen Kolonialherrschaft als konstruktiver Begegnung erinnern. Nennen wir sie Zeugen der Verteidigung (für 59,6 Prozent der Befragten war die deutsche Kolonialzeit in Kamerun »konstruktiv«). Dann jene, die sich des Motivs der Deutschen erinnern und sich selbst als Opfer sehen, denn die Beschreibung als Ausbeutung kann selbst in postmarxistischen Zeiten als eine zutiefst negative Erinnerung konstatiert werden (deutsche Kolonialzeit war »ausbeuterisch« sagten 13 Prozent). Nennen wir diese Gruppe Zeugen der Anklage bezüglich der niederen Motive des Täters. Auch diejenigen, die die koloniale Begegnung vor allem als Gewalterfahrung in Erinnerung haben, können als Zeugen der Anklage angeführt werden (für 12,8 Prozent war die deutsche Kolonialzeit »brutal«). Und schließlich diejenigen, die den deutschen Kolonialismus als »notwendig« verstehen (8,7 Prozent). Sie würde ich auch als Zeugen der Verteidigung sehen, da »notwendig« bedeutet, dass etwas nicht anders möglich war, also zwangsläufig erfolgen musste. Die Erinnerung lässt nach Es soll im weiteren untersucht werden, ob diese Aussagen über die koloniale Vergangenheit kohärente Konstruktionen von klar umrissenen Gruppen sind, oder ob es sich nur um verschiedene Versionen derselben Erinnerung handelt. Denn es ist ja durchaus möglich, dass der deutsche Kolonialismus konstruktiv und ausbeuterisch zugleich war und die Grausamkeit zur Notwendigkeit wurde. Ausgehend von den kurz angerissenen Theorien sollte sich nachweisen lassen, dass die erfragten Sichtweisen auf die koloniale Vergangenheit die Funktion erfüllen, einer Gruppe von Menschen Sinn und Identität zu stiften. Eine der ersten Forschungsfragen zielte auf eine mögliche Korrelation zwischen dem »Heimatort« und den Sichtweisen, denn für Pierre Nora hat jedes kollektive Gedächtnis eine zeitlich und räumlich begrenzte Gruppe zum Träger. Das könnte heißen, dass beispielsweise für die Bewohner von Bali, deren Vorfahren sehr intensiv mit den Deutschen kooperiert haben, eine Betonung des »konstruktiven Charakters« der deutschen Kolonialherrschaft die Funktion hat, die Taten der Vorfahren zu rechtfertigen. Doch die Korrelationstests widersprechen einer Verbindung von Ort und »Konstruktion«, aber auch einer Verbindung zwischen den Konstruktionen und der ethnischen Gruppe, der Heimatprovinz, dem Bildungsniveau oder der bevorzugten politischen Partei. Während das Geschlecht der Befragten ebenfalls keinen Einfluss auf die Konstruktionen der Werturteile hat, verhält es sich mit dem Alter anders. Tatsächlich gibt es eine signifikante Korrelation zwischen den postkolonialen Konstruktionen und dem Alter der Befragten. Insoweit liegt Pierre Nora zumindest in einer seiner Kategorien richtig. Zusammenfassend kann man sagen, je älter die Zeugen waren, umso positiver war ihre Bewertung. Was sagt dieses Ergebnis aus? Als Ankläger würde ich betonen, dass die positivere Beschreibung der kolonialen Vergangenheit unter den älteren Befragten zum einen auf die von Pierre Nora angesprochene Glorifizierungstendenz des Gedächtnisses zurückgeht und zum anderen Ausdruck der mit Gewalt aufgeprägten »weißen Maske auf schwarzer Haut« im Sinne von Fanon ist. Als Verteidiger würde ich sagen, dass die direkte Erinnerung immer akkurater ist als die überlieferte d.h., dass der Augenzeuge besser über die Tat berichten kann als der Enkel des Augenzeugen. Nun, es gibt für beide Seiten noch mehr Interpretationen, die hier nicht diskutiert werden können, aber insgesamt reicht mir der Befund nicht aus, um die postkolonialen Konstruktionen zu erklären. Gibt es vielleicht eine andere Verbindung? Ist es vielleicht weniger der Ort als die konkrete Beziehung der Vorfahren zu den Deutschen? So ist es ja durchaus denkbar, dass der Nachfahre eines Schutztruppensoldaten eine ganz andere Erinnerung hat als seine Nachbarn, die unter den Deutschen eine ganze Reihe von Repressionen erlitten haben. Zum einen fand ich es überraschend, dass fast 60 Prozent der Zeugen einen direkten Augenzeugen in ihrer Familie haben, zum anderen, dass diese Augenzeugen eine noch positivere Erinnerung an die koloniale Epoche haben – zumindest nach Aussagen ihrer befragten Verwandten. Es kann davon ausgegangen werden, dass hier eine der Quellen für die postkolonialen Konstruktionen liegt, denn so paradox sich das anhört, haben Zeugen der Verteidigung überdurchschnittlich oft Augenzeugen unter der Verwandtschaft. Im Gegenzug haben Befragte ohne Verwandte mit Erinnerungen an den deutschen Kolonialismus ein überdurchschnittlich negatives Bild der deutschen Kolonialzeit. Unter denjenigen Befragten, die auf das kollektive Gedächtnis ihrer Familie zurückgreifen konnten, erwächst die positivste Sichtweise aus einem nichthäuslichen Arbeitsverhältnis, während die Existenz eines kolonialen »Lovers« zu einem überdurchschnittlich hohen Grad als Ausbeutung der Vorfahren verstanden wird. Koloniale Freunde führten bei den Nachgeborenen überdurchschnittlich oft zu dem Urteil der Brutalität. Postkoloniales Wissen Warum ist dies so? Neben den »Quellen der Erinnerung« und deren nachgewiesenem Einfluss auf die postkolonialen Konstruktionen liegt es im Sinne von Pierre Nora nahe, dass nicht nur die abstrakte Existenz der familiären kolonialen Begegnung in Beziehung zu den jeweiligen Beurteilungs-Paradigmen steht, sondern auch die Gedächtnisinhalte und Wertungen selbst. Dem ist jedoch nicht so. Weder zwischen den postkolonialen Konstruktionen und den konkreten Erinnerungsinhalten der »Zeitzeugen«, noch zwischen den postkolonialen Konstruktionen und den Urteilen der Familienmitglieder, die eine koloniale Begegnung mit den Deutschen hatten, gibt es eine belegbare Verbindung. Die Nachgeborenen bewerten die konkreten Erinnerungsinhalte ihrer Verwandten anders als diese. Das ist ungewöhnlich und widerspricht der Theorie. Dass die Daten nicht falsch sind, sondern nur die Hoffnungen auf eine oder mehrere in sich stimmige Aussagen, wird deutlich, wenn man die Beziehungen dieser Antworten untereinander untersucht. Es gab und gibt – wenn man den Erzählungen der Befragten glauben kann – bei jenen Kamerunern, die kolonialen Deutschen begegnet sind, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Bewertung und konkretem Erinnerungsinhalt. Während die Ursachen für die negativen Bewertungen der Verwandten mit konkreter kolonialer Begegnung relativ eindeutig sind (Boshaftigkeit, Folter, Plantagenarbeit), sind die Ursachen für eine positive Bewertung mit vier Ausnahmen (Erziehung, Entwicklung, Freundlichkeit und Ende der Sklaverei) für mich nicht einsichtig. Können Sie mir sagen, warum die konkrete Erinnerung an Autorität, Krieg, Härte und Ideologie des Herrenmenschen zu einer positiven Bewertung der deutschen Kolonialzeit führt? Diese von der Verteidigung mit Sicherheit gern zitierten Spiegelungen ebendieser Ideologie des kolonialen Herrenmenschen machen mich sprachlos. Die Existenz dieser Verinnerlichung der kolonialen Ideologie ist zwar für die Zwischenkriegszeit und auch für die Zeit nach der staatlichen Unabhängigkeit nachgewiesen,6 aber nachdenklich stimmt, dass sie noch heute – bald 90 Jahre nach Ende der deutschen Herrschaft – die dominierende Konstruktion ist. Zusammenfassend kann man die These aufstellen, dass im anglophonen Kamerun familiäre Erinnerungen als kollektives Gedächtnis zwar prägend auf die Aussagen der Zeugen einwirken, dass letztlich die zentrale Kategorie der Wertung aber offen bleibt. Es gibt also nicht die eine Quelle, den Ursprung für die postkolonialen Konstruktionen des deutschen Kolonialismus. Sie sehen schon, die geistigen Konstrukte werden immer komplexer und in sich widersprüchlicher, und doch bin ich nicht in der Lage, die Ursachen für die Existenz der verschiedenen Gedächtnisfragmente zu enthüllen. Aber auch hier bietet die Theorie eine Erklärung. Derrida sagt, dass »die Ursprünglichkeit von der Spur her und nicht umgekehrt gedacht werden muss.«7 Es bedarf scheinbar gar keiner realen Erinnerung, um postkoloniale Konstruktionen des deutschen Kolonialismus zu errichten, auch wenn sie diese zumindest teilweise beeinflussen. In diesem Sinne ist es nicht Ursachen- und Quellenforschung, die die inneren Strukturen der postkolonialen Konstruktionen enthüllen kann, sondern eher deren Projektion in die Zukunft. Das würde für die Theorie bedeuten, dass unabhängig aller oralen Traditionen auch in Kamerun das Funktionsgedächtnis das Speichergedächtnis dominiert. Welchen Zweck erfüllen also die Konstruktionen, wenn sie nicht über die Vergangenheit urteilen? Hoffen auf die koloniale Zukunft Der Sinn unserer Zeugenaussagen muss in der Zukunft liegen, denn auch Ereignisse und Erfahrung der Gegenwart bleiben überraschend folgenlos. Nicht nur die Wertung derjenigen, die die koloniale Begegnung selbst erlitten haben, hat keinen Einfluss auf die Konstruktionen, sondern auch postkoloniale Begegnungen mit Deutschen. Ob die Befragten selbst Deutsche kannten oder kennen, in welcher Beziehung sie zu diesen standen oder stehen, wie lange sie diese kennen oder kannten, noch deren Wahrnehmung bzw. an sie geknüpfte Wünsche, Hoffnungen oder Ängste haben unmittelbaren Einfluss auf die Werturteile. Bleibt also nur der Blick auf die Zukunft. Und fürwahr – es besteht ein signifikantes Verhältnis zwischen den postkolonialen Konstruktionen und dem Wunsch nach einer erneuten Kolonisation durch die Deutschen. Unglaublich, aber wahr: 73,6 Prozent der anglophonen Kameruner wollen gerne wieder von den Deutschen kolonialisiert werden, weil die Deutschen so »konstruktiv« sind, »Entwicklung bringen« oder die »Arbeitsethik fördern würden.« Nur 19,7 Prozent der Befragten wollen nicht, dass Kamerun wieder deutsche Kolonie wird, weil die Deutschen »grausam sein würden«, »uns ausbeuten würden« und »unmenschlich wären«. Spinnen die Kameruner denn? Bevor auf die Ursachen für diese Absurdität des Seins eingegangen wird, kann man zumindest insoweit zufrieden sein, dass sich gezeigt hat, dass die verschiedenen Konstruktionen eine Funktion haben, selbst wenn die Funktion darin besteht, dass das Opfer den Täter bittet, noch einmal tätig zu werden. Es muss schon sehr schlecht um eine Gesellschaft bestellt sein, wenn ihre Hoffnung für die Zukunft darin besteht, von Fremden beherrscht zu werden. In diesem Sinne ist der deutsche Kolonialismus in Kamerun ein doppeltes Verbrechen. Dass die Mehrheit der anglophonen Kameruner erkannt hat, dass ihre einzige Möglichkeit zur Teilnahme an der Globalisierung in der Unterwerfung unter den Willen eines Fremden besteht, markiert das Fa(k)tum der Kolonisierten und dokumentiert anschaulich die Kontinuität des Kolonialismus. Wenn Zeugen der Anklage sich als das genaue Gegenteil entpuppen, ist meist strukturelle Gewalt im Spiel. Die pro-deutschen Konstruktionen sind Indiz für die Hoffnungslosigkeit der Postkolonisierten. Somit zeigt sich, dass der deutsche Kolonialismus in Kamerun doch eine recht einseitige Sache war. Die einen kamen uneingeladen und ließen zum Dank ihre geistigen Konstruktionen zurück. In diesem Sinne möchte ich damit schließen, dass es scheinbar notwendig ist, das Gedächtnis der anglophonen Kameruner zu konfrontieren. Zu konfrontieren mit den Indizien der Tat. Mit den Indizien des deutschen Kolonialismus. In diesem Sinne würde ich dem Gericht empfehlen, den Täter zu zwingen, sich seiner Taten immer und immer wieder zu bekennen. Wenn das Opfer nicht länger Opfer sein will, ist dies sein gutes Recht, aber dem Täter sollte nicht gestattet werden, aus dieser Tatsache Kapital zu schlagen. Postkoloniale Konstruktionen des deutschen Kolonialismus in Kamerun gibt es viele. Täter nur einen. Anmerkungen:
*Kai Schmidt-Soltau ist selbständiger Gutachter in der Entwicklungszusammenarbeit und lebt seit 1997 in Kamerun. Der Artikel ist eine gekürzte Version des Vortrages »Postkoloniale Konstruktionen der kolonialen Begegnung – Die deutsche Kolonialzeit im Blick des anglophonen Kamerun« (Die koloniale Begegnung; Bonn September 2001). Neben dem bald bei Peter Lang erscheinenden Tagungsband (Hg.: Marianne Bechhaus-Gerst und Reinhard Klein-Arendt) ist der Text auch über www.Schmidt-Soltau.de zugänglich. Chronik der deutschen Kolonialzeit in Kamerun
Literatur:
Zusammengestellt von Stefanie Michels Der Text und die Zusammenstellung sind erschienen in: iz3w Nr. 267 (März 2003), S. 14-17 Zurück zur Übersicht Hintergrundtexte |