Warum Freiburg und warum "postkolonial"?Konzept für ein lokalpolitisches Projekt der Erinnerungsarbeit aus dem Jahre 2006 |
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Kolonialvergangenheit und deutsche Öffentlichkeit Die deutsche Kolonialvergangenheit ist in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland lange Zeit kaum präsent gewesen. Etwa seit Ende 2003 ist jedoch ein wachsendes Interesse an der Aufarbeitung zu verzeichnen. Dies drückt sich in einer ganzen Reihe von Buchpublikationen, Presseartikeln, Fernsehbeiträgen, Tagungen und Gedenkveranstaltungen aus, die die Kolonialkriege vor 100 Jahren erst in „Deutsch-Südwestafrika“ und dann in „Deutsch-Ostafrika“ thematisierten. Von staatlicher Seite aus gab es in 2004 z. B. die viel beachtete Entschuldigungsrede von Bundesministerin Wieczorek-Zeul in Namibia und erstmals wieder nach 15 Jahren einen – wenn auch völlig unverbindlichen – Bundestagsbeschluss (ebenfalls zu den kriegerischen Auseinadersetzungen in der südwestlichen Kolonie des deutschen Reiches). Ein wesentliches Element der Erinnerungsarbeit besteht darin, zunächst historische Fakten wieder zugänglich zu machen und aufzubereiten sowie durch Angebote zu deren Interpretation das Verständnis der Bevölkerung in Deutschland für die gemeinsame Geschichte mit den betroffenen Ländern zu fördern. Als „Betroffene“ wird dabei auch zunehmend die kolonisierende Gesellschaft selbst thematisiert. Welches Gedankengut führte überhaupt zum Kolonialismus, wie breit war es verankert, welche zeitgenössischen – auch oppositionellen – Debatten wurden vor und während der Zeit der formalen Kolonialherrschaft geführt? Welche Wechselbeziehungen mit den Kolonisierten gab es bzw. welche Rückwirkungen hatte die koloniale Erfahrung auf die direkt oder indirekt Beteiligten? Wie setzte sich der „koloniale Phantomschmerz“ dann nach dem endgültigen „Verlust“ der Kolonien im Jahre 1919 (Versailler Vertrag) fort? Diese Fragen zielen weit über die im Vergleich zu anderen Kolonialmächten kurze Phase formaler Herrschaft hinaus. Es geht vielmehr um grundlegende Fragen des Umgangs mit Menschen anderer Kulturen bzw. Gesellschaften, um eigene Zivilisations- und Entwicklungsvorstellungen. Dies ist zu betonen, weil derzeitig leider auch eine zunehmende Kolonialnostalgie zu verzeichnen ist und revisionistische Vereine wie der Traditionsverband mit aufwändigen Webseiten äußerst präsent im Internet sind. Bei der Thematisierung der genannten Fragen, also auch der kritischen Überprüfung eigener Denkmuster, wird deutlich, dass es sich bei den Problemen von sog. Entwicklungsländern nicht um eine reine „Fernproblematik“ handelt. Um Geschichte „erfahrbar“ zu machen und ein besonderes Interesse von BürgerInnen zu wecken, bietet es sich an, sie wörtlich „dort abzuholen, wo sie stehen“, nämlich in ihrer eigenen Stadt. In verschiedenen Projekten wurde das Thema deutscher Kolonialismus bislang vor allem für die beiden Kolonialmetropolen Berlin und Hamburg wissenschaftlich und pädagogisch aufgearbeitet. Fokus Freiburg Gemäß der Analyse des Kolonialismus als „kollektive mentale Struktur“ war dieser aber kein Randphänomen oder auf wenige Metropolen beschränkt. Er spiegelt sich wider in den zahlreichen Berichten und Debatten der lokalen Zeitungen der Zeit, in der massiven Verbreitung von Kolonialliteratur oder weil die aufgrund des Streits um die weitere Kriegsfinanzierung in „Deutsch-Südwest“ angesetzte Reichstagswahl von 1907 (die sogenannte „Hottentotten-Wahl“) eben das ganze Reich betraf. Mit dem Projekt freiburg-postkolonial.de soll die koloniale Verwicklung am Beispiel Freiburgs und seiner näheren Umgebung aufgearbeitet werden. Dabei wäre die Bezeichnung „koloniale Provinz“ im Falle Freiburgs nicht einmal richtig, denn es hat die ganze Palette kolonialer Interessen und Motivationen, Institutionen und Personen zu bieten, von der Wissenschaft bis zu Militärs. Obwohl es an der Freiburger Universität verschiedene HistorikerInnen gab und gibt, die sich mit dem deutschen Kolonialismus beschäftigten bzw. dies aktuell tun, ist die Stadtgeschichte in der Hinsicht bislang fast gar nicht aufgearbeitet worden. Es herrscht entsprechend ein äußerst geringes Problembewusstsein. Die Ausnahme bildet eine Jubiläumsschrift des Adelhauser Museums für Völkerkunde von 1995. Darin wird thematisiert, dass das Museum nicht nur im Kontext kolonialen (Forschungs-)Interesses gegründet wurde, sondern auch wesentliche Teile der Ausstellungsstücke von mit Freiburg verbundenen Offizieren, Forschern und Händlern unter im jeweiligen Fall mehr oder weniger fragwürdigen Bedingungen aus den Kolonien herangeschafft wurden (z.B. vom Gouverneur von „Deutsch-Südwestafrika“, Theodor Leutwein, dessen Grab auch in Freiburg liegt). Damit begegnen MuseumsbesucherInnen hier im Kleinen der selben Problematik wie in Berliner Museen. Entgegen der weitläufig verbreiteten Meinung gibt es aber auch darüber hinaus eine Vielzahl an engen Verbindungslinien in Form von Personen, Institutionen, Literatur, Orten und Ereignissen, die ihrer Erforschung, sachgerechten Aufarbeitung und Präsentation für die Freiburger BürgerInnen und andere Interessierte harren. Für einen Typus steht der bis zu seinem Tode sehr angesehene Freiburger Professor Eugen Fischer, der seine Reputation durch die in „Deutsch-Südwest“ durchgeführte rassenbiologische Studie „Die Rehobother Baster und das Bastardisierungsproblem beim Menschen“ (1908) erwarb. Fischer stand mit seiner Rassenforschung keineswegs alleine, konnte er doch in der Freiburger Ortsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene eine ganze Reihe weiterer prominenter Professoren (wie den Direktor der inneren Klinik und Freiburger Ehrenbürger Christian Bäumler) versammeln. Die NS-Kommentatoren der Nürnberger Rassegesetze vom September 1935 bezogen sich ausdrücklich auf Fischers Studie und er war z.B. 1937 persönlich als Gutachter für die Gestapo an Zwangssterilisationen von Kindern "weißer" deutscher Frauen und sog. "farbiger" französischer Soldaten, den sog. „Rheinlandbastarden“ beteiligt. 1939 erhielt Fischer zu seinem 65. Geburtstag den medizinischen Ehrendoktor von seiner geliebten Heimatuniversität Freiburg, samt der Goethemedaille für Kunst und Wissenschaft des ‚Führers’. Noch im Jahr 1961 wurde sein Buch über das Bastardisierungsproblem in einer leicht gesäuberten Fassung neu aufgelegt. Ein anderes Beispiel belegt die Beteiligung einer breiteren Öffentlichkeit in Freiburg. Der Höhepunkt der kolonialen Agitation wurde in Freiburg viele Jahre nach Ende der direkten Kolonialherrschaft erreicht. So wurde im Juni 1935 - nicht lange vor der Verkündung der Nürnberger Rassegesetze - eine mehrtägige reichsweite Großveranstaltung des Reichskolonialbundes und diverser Einzelverbände (wie dem Frauenverein vom Roten Kreuz für Deutsche über See, dem Kolonialkrieger-Bund etc.) abgehalten, die in der Tradition der Kolonialkongresse im Reichstag stand. Dort marschierten mit intensiver Unterstützung staatlicher und vor allem städtischer Behörden ehemalige Gouverneure, Massen von Kolonialkriegern aus dem ganzen Reich, SA, SS und viele weitere NS-Gliederungen. Der Oberbürgermeister Dr. Kerber forderte in seiner Rede auf dem Münsterplatz die Rückgabe der Kolonien an Deutschland, da koloniale Gleichberechtigung die Grundlage politischer Gleichberechtigung überhaupt sei. Die begleitende Kolonialausstellung in der städtischen Festhalle, die vom Freiburger Ostafrika-Veteran Dr. Wilhelm Winterer organisiert wurde, besuchten 21.000 Menschen. Imperialistische Bestrebungen dieser Art waren dabei für Freiburg nichts ganz Neues, bestand der Freiburger Ableger der Deutschen Kolonialgesellschaft doch bereits über 50 Jahre. Und die Stadt war durch Förderung des Oberbürgermeisters Dr. Bender und einen Gemeinderatsbeschluss seit 1926 zahlendes Mitglied dieser aggressiven Organisation. Das Projekt Diese Beispiele sollen hier zeigen, dass koloniales Denken und Handeln in Freiburg verankert und eben auch lange nach 1919 verbreitet war. Im Zentrum von freiburg-postkolonial.de steht als Informations- und Vernetzungsplattform die gleichnamige Internetpräsenz. Als work in progress soll sie einerseits neue Texte, Dokumente und Erkenntnisse immer zeitnah und frei zugänglich machen und andererseits zur aktiven Mitarbeit aufrufen. Die Webseite hat folgende Hauptrubriken/-seiten:
Auf der Grundlage der gesammelten Informationen, Texte und daraus entstehenden Debatten sollen mittelfristig ein Buch und weitere Materialien im Verlag des informationszentrums 3. welt erscheinen. In Ergänzung dazu sollen regelmäßig Veranstaltungen zu Aspekten des deutschen Kolonialismus allgemein und speziell zu Freiburger Themen stattfinden. Eine besondere Veranstaltungsform wären antikoloniale Stadtführungen, die z.B. für Schulklassen angeboten werden könnten. Sie könnten Straßen mit Namen wie Bismarck, Wilhelm, Heinrich von Stephan oder Graf Spee ansteuern, die Universität, wo Anthropologen Menschenschädel aus den Kolonien sammelten und vor der General von Epp 1935 die Kolonialeiche mit original südwester Erde pflanzte. Sie könnten Station machen am Stadtgarten, wo sich einst die große Kolonialausstellung befand, zur kolonialen Dankestafel im Eingang des Adelhausermuseums oder zur Gaststätte „Zum Bären“ führen, wo der Ortsverein der Kolonialkrieger sein Kolonialheim hatte. An allen diesen Orten kann Geschichte ganz konkret vermittelt werden. Um all diese Informationen hier anbieten und Veranstaltungen durchführen zu können, ist zunächst ein großes Maß an Recherchearbeit nötig. An dieser Stelle möchten wir zur Unterstützung des Projektes einladen: Wer nützliche Hinweise geben möchte oder gar eigene Texte, Bilder oder Dokumente beisteuern kann, ist ganz herzlich dazu eingeladen. Auch finanzielle Unterstützung ist herzlich willkommen (siehe Impressum/Kontakt). Heiko Wegmann, Dipl. Sozialwissenschaftler und Geschäftsführer des iz3w (www.iz3w.org) im Februar 2006 Nachtrag: Kolonialgeschichtliche Stadtrundgänge durch Freiburg können auf Anfrage von Dr. Heiko Wegmann oder Julia Rensing M.A. (info@freiburg-postkolonial.de) durchgeführt werden. Auf Anfrage kann auch die Ausstellung "Freiburg, die deutsche Kolonialgeschichte und Afrika" ausgeliehen werden. Auf derzeit 28 Hänge-Tafeln (ca. 30 x 90 cm) werden Aspekte wie Exotik, Auswanderung nach Afrika im 19. Jahrhundert, Freiburger Kolonialoffiziere, Kolonialbewegung in Freiburg sowie koloniale Völkerkunde und Anthropologie als Teil der deutschen Kolonialgeschichte dargestellt. Als Aspekte der postkolonialen Geschichte wird auf die »Schwarze-Schmach«- Kampagne, die Massaker der Wehrmacht und Waffen-SS an afrikanischen Kolonialsoldaten 1940 in Frankreich oder die Besetzung Badens durch Kolonialsoldaten 1945 und das heutige Afrikabild eingegangen. Heft-Editorial der iz3w 301 (S. 3, Ausgabe Juli/August 2007) über freiburg-postkolonial.de Vorwärts in die Geschichte Mit (Neo-)Kolonialismus und postkolonialen Debatten befasst sich die iz3w schon seit 1970. Doch erst die hundertste Jährung des Herero-Krieges gab 2004 den Anstoß, die deutschen Anteile daran in den Blick zu nehmen. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass der deutsche Kolonialismus sehr viel tiefergehendere Konsequenzen hatte, als die weit verbreitete Schuldabwehr-Haltung "Wir waren's nicht, die anderen aber noch mehr" glauben machen möchte. Kolonialismus betraf eben nicht nur die kolonisierte, sondern auch die kolonisierende Gesellschaft, und zwar auf allen Ebenen: politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell. Diese die Selbst- und Fremdbilder strukturierende Wechselbeziehung fing nicht erst mit der formalen Besitzergreifung an und endete auch nicht mit dem Versailler Vertrag. Wir stellten uns die Frage, was das Spezifische am deutschen Kolonialprojekt war und inwieweit er als Vorläufer des Nationalsozialismus gelten kann. |