logo

 

Zwei Schritte vorwärts und einen zurück – Anmerkungen zur aktuellen Debatte um den Maji-Maji-Krieg in „Deutsch-Ostafrika“

Personen Lokalpresse

In die Debatte um die deutsche Kolonialvergangenheit ist dieses Jahr weiter Bewegung gekommen. So wurden im November u. a. in Wuppertal und Berlin größere Konferenzen abgehalten, in Hamburg und einigen anderen Städten fanden Veranstaltungsreihen statt, mehrere neue Publikationen erschienen und eine dreiteilige Dokumentation schaffte es zur Primetime ins ZDF und wurde von 3,5 Millionen ZuschauerInnen gesehen. Dabei stellte sich jedoch heraus, dass die Beschäftigung mit dem Komplex recht unterschiedlichen Motiven folgt und entsprechend die Interpretationen nach wie vor erstaunlich kontrovers sind.

Vom 11.-12.11.05 fand im Deutschen Historischen Museum in Berlin die Tagung „Mit Zauberwasser gegen Gewehrkugeln - Der Maji-Maji-Aufstand im ehemaligen Deutsch-Ostafrika vor 100 Jahren“ statt, die gemeinsam mit dem Berliner Missionswerk und der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte ausgerichtet wurde. Das DHM hatte sich schon im Vorjahr in einer Ausstellung mit dem Krieg in „Deutsch-Südwestafrika“ auseinandergesetzt und man kann es als erinnerungspolitischen Fortschritt in Deutschland ansehen, dass nun auch die Ereignisse in „Deutsch-Ostafrika“ vor 100 Jahren an einem so prominenten Ort mit über 160 TeilnehmerInnen verhandelt wurden.

Konferenz

Die Referenten waren ausnahmslos Männer (vorwiegend älterer Jahrgänge), die ein großes Faktenwissen zu bieten hatten und eine Reihe wichtiger Fragen ansprachen: Für Deutschland z. B. wie es zu der außerordentlichen Radikalisierung und Brutalisierung der Kolonialpolitik kommen konnte, welche verhängnisvolle Rolle die Kolonialideologie und die „Schutztruppen-Angehörigen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges einnahmen (Freicorps, Drang nach Osten) oder wie heute mit Kolonialdenkmälern umgegangen werden sollte; für Tansania, wie das Binnenverhältnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen war, welche Rolle kultisch-religiöse Aspekte für die Mobilisierung spielten oder ob die Niederlage im Nachhinein eher als traumatische Erinnerung oder als Fanal für die spätere Unabhängigkeitsbewegung dastehe.

Konferenz

Allerdings gingen die Probleme schon beim Untertitel der Veranstaltung los. So bestand Prof. Itandala von der Universität Dar es Salaam darauf, dass es sich um einen Krieg zur Wiedererlangung von Souveränität gehandelt habe. Die von den deutschen Kolonialisten geprägte Bezeichnung „Aufstand“ beinhalte dagegen, dass die Afrikaner nicht einmal dazu in der Lage gewesen seien, eine legitime Kriegspartei zu sein. Richtiggehend umstritten war die Rolle der christlichen bzw. insbesondere der mitveranstaltenden evangelischen Mission. Auf der einen Seite waren kritische Worte vom Zeit-Autor Bartholomäus Grill („Seelenfischer“) und vom Historiker Niesel (Doppelrolle der Missionare als Herren im Bunde mit der Kolonialverwaltung, aber auch als Anwälte der AfrikanerInnen, die Niesel allerdings etwas naturalistisch „Eingeborene“ nannte) zu hören. Sehr selbstkritisch trat Moderator Pfarrer Eberhard Hitzler auf, der ein Beispiel für die tansanischen Erinnerungen an das rassistische Herrenmenschendenken erzählte. So erinnerten sich tansanische Bewohner eines Dorfes noch in den 1970er Jahren an drei Worte eines deutschen Missionars: „Schweinehund“ und „Harro fass“.

 

Gegensätzliche Bewertungen des Kolonialismus

Auf der anderen Seite sorgte der Historiker und Pfarrer Christoph Sehmsdorf für einen Eklat. Denn seinen ermüdenden Vortrag, der auch Verurteilungen der kolonialen Gewalt enthielt, schloss er damit, dass der deutsche Kolonialismus an sich gar nicht so schlecht gewesen sei. Man komme nicht umhin zu konstatieren, dass etwa in den Reiseschilderungen von Kolonialoffizieren deutlich das echte Bemühen um Entwicklung des ihnen anvertrauten Landes zum Ausdruck komme. Zwar seien die Maßnahmen der Kolonialverwaltung schlecht „vermittelt“ gewesen und man hätte die Einheimischen mehr beteiligen müssen, doch das Prinzip, brachliegende Arbeit zu verwerten und in den Dienst der Modernisierung zu stellen, sei doch richtig.

Für diese Äußerung gab es nennenswerte Zustimmung aus dem Publikum, das sich zu einem großen Teil aus älteren deutschen Herren zusammensetzte. Angesichts der klaren ausbeuterischen kolonialen Zielsetzung (Rohstoffe und Geltung für das deutsche Reich) wie der realen Unterdrückungspr Praxis (Betrug, Prügel, Zwangsarbeit und Mord) erklärte auf der anderen Seite die Kolonialhistorikerin Stefanie Michels, beschämt darüber zu sein, an einer Konferenz teilzunehmen, auf der solcherart zynische Ansichten geäußert würden. Auch sie erhielt dafür Zustimmung und diese Spaltung sollte sich noch an anderen Punkten zeigen.

Neben Äußerungen von evangelischen Mitveranstaltern brachte am Prominentesten Prof. Horst Gründer auf den Punkt, was manche unter einer differenzierten Betrachtung verstehen. Bei Gründer, unstrittig einer der bedeutendsten deutschen Kolonialhistoriker, ist zu sehen, dass umfassendes Faktenwissen nicht vor ebenso problematischen Interpretationsweisen schützt. So verrenkte er sich argumentativ völlig, um beweisen zu können, dass der Herero-/Nama-Krieg irgendwie kein Genozid gewesen sei, indem er eine Reihe Argumente für diese These vorbrachte, ohne sie letztlich widerlegen zu können.

Offensichtlich schuldet sich seine Interpretation eben mehr seiner Herangehensweise, stets auch die positiven Seiten in der deutschen Geschichte finden zu wollen: „Wir müssen nicht immer mit dem Wort Genozid im Munde herumlaufen“. Die ewige Larmoyanz nütze nichts und man müsse als Deutscher auch nicht immer das „Büßergewand“ anziehen, denn nirgendwo in der Geschichte habe es Modernisierung ohne soziale Kosten gegeben. Prof. Helmut Bley erwiderte scharf, dass dies unsäglich sei und man Verbrechen nicht aufrechnen könne. Die Sichtweise erinnere an den Topos, dass Hitler nicht so schlecht gewesen sei, weil er doch auch Autobahnen gebaut habe (Bley selbst hatte allerdings vorher auch schon Joschka Fischers Namibia-Diktum gerechtfertigt, keine „entschädigungsrelevanten Äußerungen“ zu machen).

Schließlich sattelte der ehemalige deutsche Botschafter in Tansania Heinz Schneppen, mit sichtlicher Unterstützung von Pfarrer Sehmsdorf, noch eins drauf: Die Frage schmerze, aber wäre es den Afrikanern nicht schlechter ergangen, wären sie von einer anderen als der deutschen Macht kolonisiert oder gar sich selbst überlassen geblieben? Insgesamt zeigte sich also ein heterogenes Bild der Debatte, das den Ansatz der Postcolonial Studies untermauert, dass es beim Kolonialismus nicht nur um die Kolonien, sondern wesentlich auch um die – fortdauernden – Rückwirkungen auf die Vorstellungen der ehemals kolonisierenden Gesellschaften geht und dass koloniales und Entwicklungsdenken stärker verwandt sind, als allgemein angenommen wird.

 

Ein anderes Bild: Konferenz entwicklungspolitischer Gruppen

Ein anderes Bild bot die gleich am 13.11. folgende, von einem breiten Bündnis an entwicklungspolitischen und Partnerschaftsgruppen getragene „Gedenkveranstaltung zum 100. Jahrestag des Maji-Maji-Krieges“ in der Berliner Werkstatt der Kulturen. In die Wissmannstraße, die bezeichnenderweise nach dem Gouverneur von „Deutsch-Ostafrika“ benannt ist, kamen weit über 300 BesucherInnen - diesmal auch viele TansanierInnen. Kornelia Freier (Tanzania-Network.de e.V.) stellte eingangs historische Zusammenhänge dar und Mr. D. F. Kisalya (Umoja wa Watanzania/ Berlin) beschäftigte sich mit der Problematik, wie Deutsche und TansanierInnen gemeinsam Erinnerungsarbeit leisten könnten, denn allzu oft herrsche Stillschweigen oder folgenlose Betroffenheit bei dieser schwierigen Thematik vor. Konkret forderte er, dass koloniale Straßen umbenannt werden müssten (Nyerere statt Wissmann) und noch in Deutschland befindliche Körperteile nach Tansania zurückgeführt und dort würdig beerdigt werden müssten.

Theaterstück

Deutliche Worte fand auch die alte und neue Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, in einem Grußwort, das von einem BMZ-Mitarbeiter verlesen wurde. Sie betonte, dass die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte und damit auch des Maji-Maji-Aufstandes von großer Bedeutung seien. „Die Grausamkeit, mit der die deutschen Kolonialtruppen diesen Aufstand niederschlugen, ist Ausdruck der verblendeten, menschenverachtenden, brutalen, rassistischen Grundhaltung der damaligen Kolonialherren. Vergebung und Versöhnung setzen voraus, dass wir diese Verbrechen während der Kolonialzeit in unserem gemeinsamen Bewusstsein verankern und nicht zulassen, dass sie verdrängt werden.“ Auch wenn die Bezeichnung Aufstand in ihrem Text dominierte, so sprach sie doch auch einmal von dem „Krieg der deutschen Kolonialtruppen gegen die Völker des südlichen Tangnyika“.

Theaterstück

Der Kreuzberger MdB Christian Ströbele räumte ein, dass er bis 1998 wie wohl viele Deutsche „praktisch nichts“ über den deutschen Kolonialismus gewusst habe. Dies mag erklären, warum er 1999 für die Grünen-Fraktion noch geäußert hatte, dass Deutschland doch für eine konstruktive Rolle in Afrika prädestiniert sei. Denn es hätte das „Glück“ gehabt, „sehr früh aus der Kolonialisierung gewaltsam herausgetrieben worden zu sein.“ Dies sei eine Chance und so könne Deutschland eine unbelastete Vorreiterrolle übernehmen. In Erweiterung der Position Wieczorek-Zeuls forderte er dagegen nun, dass es neben der geforderten Erinnerungsarbeit auch praktische Konsequenzen geben müsse. Dies schließe z.B. die Einrichtung eines besonderen Fonds für den Austausch und die Förderung der ehemaligen Kriegsregion in Tansania ein. Straßen sollten nicht unbedingt umbenannt, sondern als Erinnerungsorte erhalten und kritisch kommentiert werden. Auch sollten an verschiedenen Stellen Deutschlands permanente Gedenksteine oder –tafeln angebracht und ein Parlamentsbeschluss zu Tansania gefasst werden, der möglichst über den zu Namibia von 2004 hinausgehen solle. Ziel der Bildungsarbeit solle sein, dass in ein paar Jahren nur noch wenige nichts über das Thema wissen.

Anlass zu Spekulationen gab die von VeranstalterInnen und Publikum mit Enttäuschung aufgenommene Absage des tansanischen Botschafters: Es wurde wie schon bei der vorangehenden Tagung von der Botschaft mitgeteilt, Tansania nehme grundsätzlich offiziell keine Stellung zu diesem Thema. Innenpolitisch dürfte die Sache zwar in Tansania aus verschiedenen Gründen sehr viel unkomplizierter liegen, als z.B. in Namibia. Außenpolitisch ist es allerdings so, dass Tansania zu den stärker geförderten Schwerpunktländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gehört und möglicherweise diese Gelder nicht wegen ungewisser Reparationsforderungen gefährden will.

In einem verlesenen Grußwort des Berliner Auswärtigen Amtes hieß es: „Es war von Beginn an unsere Haltung, in Übereinstimmung mit der tanzanischen Führung, den 100. Jahrestag des Maji-Maji-Aufstandes nicht durch regierungsseitige Veranstaltungen hervorzuheben. Vielmehr ist es aus unserer Sicht in der Tat eine Aufgabe zwischen den Gesellschaften und den Menschen unserer beiden Länder, durch eine differenzierte Betrachtung und Analyse des Wegs, den unsere Geschichte über ein Jahrhundert hinweg genommen hat, zugleich weiterreichende Erkenntnisse zum Aufbau und zur Festigung, zur Unverzichtbarkeit von Demokratie und Menschenrechten zu gewinnen.“

Nachdem im Schreiben generell die bilaterale Arbeit von Nichtregierungsorganisationen als Ergänzung der eigenen Tätigkeit gelobt wurde, soll sie sie bei diesem Thema also ersetzen. Fazit: Auch wenn weiterhin bei zwei Erinnerungsschritten voraus immer gleichzeitig einer zurück gemacht wird, so geht es immerhin doch in der Summe weiter. Das tansanische Ensemble Bagamoyo Players erhielt jedenfalls für das Theaterstück „Zauberwasser gegen Gewehrkugeln“ tosenden Applaus in der Wissmannstraße.

Text und Fotos von Heiko Wegmann (Mitarbeiter des informationszentrums 3. welt in Freiburg).

Der Artikel wurde Mitte November 2005 verfasst und erschien in unterschiedlicher Fassung in mehreren Zeitschriften. Die Bilder wurden auf den jeweiligen Veranstaltungen gemacht. Die letzten drei zeigen das Theaterstück Kinjiketile der Bagamoyo Players zum Maji-Maji-Krieg.

Siehe auch zum Thema: Becker, Felicitas und Jigal Beez (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905 - 1907 (2005) Zur Rezension

Kinjiketile