Debatte um Entschädigung und Entschuldigung wegen deutscher Kolonialverbrechen in Namibia |
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In die Debatte um Entschädigung und Entschuldigung wegen deutscher Kolonialverbrechen in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) in den Kolonialkriegen von 1904-1907 ist Mitte 2006 neue Bewegung gekommen. Einen neuen Impuls wie auch neue Erkenntnisse lieferte im Oktober ein Seminar in Berlin. Wir bringen hier aus diesem Anlass zwei Besprechungen, die zu ähnlichen Einschätzungen kommen, sich aber auch ergänzen. H.W.
Reparationsforderungen bleiben aktuell - Berliner Seminar leistet Mittlerdienste Von Henning Melber, 16.10.2006 Am 13./14. Oktober 2006 fand in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin eine Tagung zum Thema „Deutsche Kolonialverbrechen – Wie kann Wiedergutmachung für die Herero und Nama aussehen?“ statt. Veranstalter war das Büro des Bundestagsabgeordneten Hüseyin Aydin, Obmann für die Fraktion „Die Linke“ im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er hatte Ende August 2006 Namibia bereist und als Gastredner bei den Gedenkveranstaltungen der Herero (zum Redemanuskript), in Gesprächen mit Regierungsvertretern und im Rahmen einer Pressekonferenz die Auffassung vertreten, dass der Schuldanerkennung durch die deutsche Bundesregierung in Form der Rede der Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul vom August 2004 in Ohamakari endlich konkrete Taten in Form von Reparationsleistungen folgen müssten. Derzeit bereitet Aydin einen Entschliessungsantrag seiner Fraktion vor, der wenig Aussichten auf eine Verabschiedung durch die Regierungsparteien hat, aber zumindest zu einer Debatte im Deutschen Bundestag führen soll, in welcher Form sich die Regierung für die damaligen Verbrechen verantwortlich zu zeigen gedenkt. Bislang war als einzig erkennbares Ergebnis der Ministerrede 2004 eine Versöhnungsinitiative angekündigt worden. Sie soll mit insgesamt 20 Millionen Euro als Sondermaßnahme über zehn Jahre zugunsten der seinerzeit am meisten betroffenen Bevölkerungsgruppen (Herero, Nama und Damara) die bereits hohen bilateralen Entwicklungshilfeleistungen (die im offiziellen Jargon der „besonderen historischen Verantwortung“ geschuldet sind) ergänzen. Obgleich ein entsprechendes Abkommen beider Regierungen anlässlich des Staatsbesuchs von Präsident Pohamba Ende November 2005 von deutscher Seite zur Unterzeichnung vorbereitet war, erklärte die namibische Delegation kurzfristig weiteren Klärungsbedarf und verweigerte die Ratifizierung. Seither haben weitere Konsultationen stattgefunden, die möglicherweise zu einer Realisierung der Vereinbarung in naher Zukunft führen könnten. Dies könnte jedoch eher verschleiernde denn klärende Effekte haben: wie eine Vertreterin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Rahmen des Berliner Seminars ausdrücklich bestätigte, handelt es sich bei dieser Versöhnungsinitiative keinesfalls um eine Maßnahme, die als Reparationsleistung (miss-)verstanden werden soll. Bundestagsabgeordneter Hüseyin Aydin (Foto: Heiko Wegmann) Hüseyin Aydin versteht seine Initiative im Sinne der im Mai 2006 verfassten Erklärung der Informationsstelle Südliches Afrika (ISSA). Diese forderte, dass einem Schuldbekenntnis auch materielle Konsequenzen i.S. kompensatorischer Leistungen zu folgen hätten, da ein Völkermord nicht verjährt. Aydins Besuch in Namibia wirkte als Katalysator und scheint unerwartete Bewegung in die seit Jahren verhärteten Fronten zu bringen. So legte Chief Rirurako, Initiator der privaten Reparationsklage bei US-amerikanischen Gerichten, im September dem namibischen Parlament einen Antrag vor (siehe The Namibian vom 20.9.06), der um Unterstützung für die Reparationsforderungen ersucht. Bislang meldeten sich in der parlamentarischen Debatte Redner fast aller Parteien unterstützend zu Wort. Selbst führende Vertreter der Regierungspartei Swapo verhielten sich zustimmend zu den Absichten, die Forderungen der seinerzeit am meisten betroffenen Bevölkerungsgruppen im nationalen Rahmen als legitime namibische Entschädigungsansprüche zu deuten. Diese Trendwende in Namibia ist bis vor kurzem kaum vorstellbar gewesen. Sie könnte den Herero (aber auch den Nama und Damara) künftig möglicherweise von offizieller staatlicher Seite eine bisher nicht akzeptierte Legitimation im Zuge ihrer Bemühungen zubilligen und damit auch in den bilateralen Beziehungen mit der deutschen Regierung von Gewicht sein. Es lässt sich dabei nur spekulieren, inwieweit unter psychologischen Gesichtspunkten die Initiative Aydins bei den Vertretern der Swapo vielleicht für eine grössere Bereitschaft zur Anerkennung der Herero-Position gesorgt haben könnte. Immerhin repräsentiert er zum einen eine Partei, die an die guten Beziehungen mit dem DDR-Staat erinnert. Zugleich ist er erkennbar kein Vertreter der deutschen „Leitkultur“. Aus der Sicht führender Vertreter der Befreiungsbewegung an der Macht sind dies beides eher positive Anknüpfungspunkte, die hinsichtlich der Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Denkanstössen dienlich sein dürften. Uazuvara Katjivena (Foto: Heiko Wegmann) In Berlin wurden die Gespräche am Freitagabend mit einer bewegenden, in Deutsch gehaltenen Rede des mittlerweile in Norwegen lebenden Publizisten und früheren NBC-Programmdirektors Uazuvara Katjivena eröffnet. Selbst ehemals Mitglied des Swapo-Zentralkomitees, betonte er die Notwendigkeit des Dialogs, aber auch des materiellen Ausgleichs, um zu einer Aussöhnung zwischen den Nachfahren der Opfer und denen der damaligen Tätergesellschaft gelangen zu können. Am darauf folgenden Tag dokumentierten die aus Windhoek angereisten Vertreter der komkurrierenden Herero-Gruppierungen überraschende Harmonie. Der Nudo-Parlamentarier Arnold Tjihuiko als Vertreter von Paramount Chief Riruako einerseits sowie der Repräsentant der sechs Herero-Königshäuser Rudolf Hongoze andererseits zeigten sich in allen entscheidenden Punkten ähnlicher bis gleicher Auffassung. Chief Riruako hatte im Vorfeld der Veranstaltung noch grundsätzlich kritisiert, dass die Fraktion der sechs Königshäuser überhaupt eingeladen wurde, da er nachdrücklich einen Alleinvertretungsanspruch für sich vertitt. Dadurch schien die Teilnahme erst von Tjihuiko und dann von Hongoze gefährdet, und umso mehr war die Annäherung eine unerwartete Entwicklung, die der gemeinsamen Sache dienen dürfte. Beide Herero-Sprecher betonten, dass es auch um Entschädigungsleistungen für erlittenes Unrecht für andere Betroffene (Nama und Damara) ginge und die Herero keinesfalls einen Ausschliesslichkeitsanspruch erheben. Beide machten deutlich, dass es nicht nur um materielle Kompensation gehe, sondern ebenso um ein symbolkräftiges Reuebekenntnis und andere Versöhnungsgesten. Des weiteren sei keinesfalls an eine finanzielle Transaktion gedacht, die den Herero Gelder zur willkürlichen Verfügung übereigne. Vielmehr schlugen beide die Einrichtung einer gemeinsamen Kommission vor, die sich aus Vertretern beider Regierungen sowie der betroffenen Bevölkerungsgruppen zusammen setzen sollte. Die Beteiligten hätten einen Dialog über besonders geeignete Formen einer Aussöhnung zu führen. Des weiteren solle ein Reparationsfond eingerichtet werden. Bei dessen Schwerpunktsetzung in der Mittelverwendung sollen zwar alle Interessengruppen zu Rate gezogen werden, dessen Verwaltung solle aber unabhängigen Experten beider Länder obliegen. Der Fond solle Infrastrukturmaßnahmen sowie andere Investitionen zur Förderung dauerhafter und tragfähiger Entwicklung finanzieren. Diese sollen den Regionen zugute kommen, die von der damaligen Kriegsführung der „Schutztruppe“ und den dieser folgenden Massnahmen der Kolonialverwaltung am meisten betroffen und bis heute strukturell benachteiligt seien. Dabei sollen alle dort lebenden Menschen ungeachtet derer ursprünglicher Herkunft davon profitieren. Die Mittelverwendung müsse völliger Transparenz und Rechenschaftspflicht unterliegen. vlnr.: Nudo-Parlamentarier Arnold Tjihuiko, Moderatorin Almut Hielscher, Königshäuser-Repräsentant Rudolf Hongoze (Foto: Reinhart Kößler) Dass es jedoch mindestens ebenso sehr um eine Aufarbeitung des Unrechts im ideellen Sinne geht, machten alle deutlich, die im Namen der Nachfahren der damals Betroffenen das Wort ergriffen. So gab sich unter den Anwesenden mit Israel Kaunatjike ein hellhäutiger, in Berlin lebender Herero zu erkennen, dessen (vergebliche) Suche nach seinen deutschen Vorfahren/Verwandten in Namibia als Dokumentarfilm 2004 ausgestrahlt wurde. Seine Schwester, blauäugig und mit langen hellen Haaren, lebt – wie Tjihuiko berichtete - heute als Herero in Namibia. Kaunatjike wies auf die noch immer in den Asservatenklammern Berliner Institute eingelagerten Hereroschädel hin, die zu Forschungszwecken dorthin verbracht worden waren. Deren Rückführung und Beisetzung in heimischer Erde wird nach wie vor verweigert. Auch dies ist eine Form, den damals Besiegten weiterhin die Bearbeitung des Traumas zu erschweren und die Erinnerung an das begangene Unrecht lebendig zu halten. Des weiteren fand sich im Saal ein Kameruner mit Herero-Namen, der Nachkomme damals deportierter Kriegsgefangener ist. Bis heute hat er trotz intensiver Suche keine Erkenntnisse über seine Herkunftsfamilie im heutigen Namibia sammeln können. Die Folgen solcher von Gewalt geprägten Familiengeschichten (zu denen Vergewaltigung und Verschleppung als gängige Herrschaftspraktiken zählten) auf die Identitäten der heute lebenden Menschen gehören ebenso zu den aufzuarbeitenden Dimensionen, wie die nach wie vor ungelöste Landfrage. Dabei sind auch Fragen des Erbrechts und der Staatszugehörigkeit (besonders was die „illegitimen“ Nachfahren deutscher Siedler betrifft, die meist das Ergebnis von Vergewaltigungen waren), ein bislang eher tabuisiertes Thema geblieben, das sich keinesfalls erledigt hat. Bis heute leben die offiziellen Erben deutschen Privatbesitzes in Sichtweite derjenigen, denen jedes Familienrecht von deutscher Seite der Vorfahren verweigert wird. Unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten analysierte Malte Jaguttis von der Universität Hamburg die juristischen Aspekte der Reparationsforderungen. Er präsentierte dabei eine selten vertretene Sichtweise und Rechtsauffassung, wonach dem 1885 geschlossenen Schutz- und Freundschaftsvertrag des Kaiserreichs mit Häuptling Maherero die letztlich entscheidende rechtliche Bedeutung zukomme. Damit wird als Ausgangslage dokumentiert, dass es sich bei der Kolonisierung eben gerade nicht um die Einverleibung „herrenlosen Landes“ handelte. Vielmehr wurden die Kolonisierten als offizielle Vertragspartner quasi in den Stand justitiabler Subjekte erhoben bzw. als solche durch die Vertragsschliessung rechtsrelevant anerkannt. Somit konnten die Rechtsnormen, wie sie unter „zivilisierten Nationen“ vereinbart waren, auch für die Ausgestaltung der deutschen Beziehungen zu deren kolonialen „Mündel“ Gültigkeit reklamieren. Die vertragsrechtliche Absicherung deutscher „Schutzherrschaft“ erweist sich somit auch als Bindung an durch international kodifiziertes Recht geschaffene Normen. Die Relativierung der Vernichtungskriege mit dem Verweis auf den herrschenden Zeitgeist könne deshalb aus zweierlei Gründen nicht gelten. Zum einen gab es genügend Beweise eines durchaus vorhandenen Unrechtsbewusstseins (wie nicht zuletzt die Kontroversen im deutschen Reichstag um die Kriegsführung in den Kolonien dokumentierten). Zum anderen (und rechtlich bedeutsamer) müsse der Vertrag zwischen Kaiserreich und Herero, der letzteren den Schutz und Rechte garantierte, als anzuwendende Rechtsgrundlage gemäss der Formel „pacta sunt servanda“ (Verträge sind zu halten) gelten. Als weitere Bestätigung dieser Auslegung lässt sich anführen, dass auch unter den Vollstreckern des Völkermords nachweislich ein Rechtsbewusstsein existierte, das die praktizierte Vernichtungsstrategie in Bezug zu den geltenden Völkerrechtskonventionen jener Zeit setzte und nach Begründungen suchte, weshalb diese nicht auf die „kolonialen Mündel“ anzuwenden seien. Der Journalist Rolf-Henning Hintze (über die Ereignisse seit der Entschuldigungsrede der Ministerin am Waterberg), der Soziologieprofessor Reinhart Kössler (über Formen der Einbeziehung von Nama und Damara in die Wiedergutmachung) und Henning Melber (über den Umgang mit dem Völkermord in Deutschland) komplettierten die von Almut Hielscher (der ehemaligen Entwicklungshelferin im Herero-Kulturzentrum in Okakarara) moderierten thematischen Blöcke mit weiteren Beiträgen und Überlegungen. Damit wurde der Eindruck gefestigt, dass es in beiden Ländern Individuen und Gruppierungen gibt, denen an einer Aufarbeitung der Geschichte mittels Dialog, Schuldbekenntnis und zukunftsweisender Initiativen zur Versöhnung gelegen ist. Dabei wurde das Grundverständnis geteilt, dass dies ohne materielle Konsequenzen in Form von Reparationsleistungen keine Überzeugungskraft habe. Dass sich die Bundesrepublik Deutschland mit der Erfüllung einer solchen Forderung zu einem Schritt entschliessen würde, der von weitreichender Bedeutung auch für den Umgang mit anderen Kolonialverbrechen sein könnte, wurde hierbei keinesfalls als Einwand akzeptiert. Schliesslich wurde schon öfter geschichtliches Unrecht durch korrigierende Massnahmen wenn schon nicht ungeschehen gemacht, so doch zumindest ausdrücklich anerkannt und kompensiert. Angesichts der jüngsten Entwicklungen sowohl im namibischen Parlament (s.o.) als auch hinsichtlich dieses Seminars darf die aktive Rolle von Hüseyin Aydin als neuerlicher Beweis dafür verstanden werden, dass auch von denen, die ausserhalb des herrschenden Diskurses und Politikverständnisses agieren, erfolgreich Dinge bewegt werden können. So bleibt gespannt abzuwarten, was die weitere Debatte im namibischen Parlament und die Aussprache über den noch einzureichenden Entschliessungsantrag der Linkspartei im Deutschen Bundestag ergibt. So viel ist schon jetzt deutlich: das Thema ist längst nicht vom Tisch, und Handlungsbedarf bleibt angesagt. In seiner Schlussrede bekräftigte so auch Hüseyin Aydin seine Absicht, weiter am Ball bleiben zu wollen. Wenn daraus – um im Bilde zu bleiben – eine Steilvorlage für die Bundesregierung würde, hätte Aydin dagegen nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Ein Beschluss der Regierungskoalition, die deutsche Verantwortung für den Völkermord anzuerkennen und entsprechende Taten folgen zu lassen, würde seine Partei unterstützen. Jenseits dieser eher unwahrscheinlichen Perspektive wird es - ähnlich wie hinsichtlich der Debatte im namibischen Parlament – interessant zu verfolgen sein, welche gewählten Vertreter der deutschen Bevölkerung sich ausser dem Abgeordneten Aydin und seiner Partei zumindest in moralisch-ethischer Hinsicht und ihrem Gewissen verpflichtet eindeutig zum Thema zu äussern wagen, sobald es zur parlamentarischen Aussprache um den geplanten Entschliessungsantrag kommt. Henning Melber Unerwartete Bewegung - Berliner Seminar bringt Dynamik in Wiedergutmachungsforderungen für deutsche Kolonialverbrechen von Claus Kristen, 27.10.2006 Hüseyin Aydin, Mitglied des deutschen Bundestages in der Fraktion "Die Linke", lässt schon anhand seines Namens vermuten, dass es sich bei ihm nicht gerade um einen typischen Vertreter deutscher Leitkultur handelt. Und tatsächlich könnte er dafür sorgen, in einem ganz speziellen Punkt für ein wenig Furore zu sorgen: er will in einer Debatte im Bundestag die kolonialen Verbrechen des Deutschen Reichs und deren bis heute andauernden Folgen in den ehemaligen Kolonialstaaten thematisieren. Dabei geht es konkret um Reparationsforderungen der Herero im damaligen Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), an denen die Deutschen im Krieg von 1904-1907 einen Völkermord begingen und die in den USA eine Klage gegen beteiligte Firmen und die deutsche Bundesregierung eingereicht haben. Zugleich handelt es sich um eine noch weiter gehende Fragestellung: welches Verhältnis hat Deutschland zu seiner kolonialen Vergangenheit - und in gewisser Weise auch Gegenwart, wenn man (siehe unten) davon ausgehen kann, dass eine "Dekolonisation" bis heute gar nicht stattgefunden hat? Aydin hielt sich vor kurzem selbst in Namibia auf und lud nun für den 13./14. 10. 2006 zu einem Seminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Berlin ein. Das Thema lautete: "Deutsche Kolonialverbrechen - Wie kann Wiedergutmachung für die Herero und Nama aussehen?" Dieses Thema war schon deshalb spannend, weil es sich auch auf andere Opfergruppen der Deutschen ausweitete. Zudem waren hochrangige Herero-Repräsentanten eingeladen. Frank Renken, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Herrn Aydin und Moderator (Foto: Heiko Wegman) Das Seminar wurde eröffnet mit einer eindrucksvollen Rede von Uazuvara Katjivena, eines ehemaligen Mitglieds des Swapo-Zentralkomitees. Er forderte den Dialog zwischen den Beteiligten bzw. deren Nachkommen und betonte zugleich den Anspruch auf Reparationszahlungen. Das eigentliche "Arbeitsprogramm" begann am folgenden Tag und entpuppte sich als sehr intensiv an Vorträgen und darauf folgenden Diskussionen. Malte Jaguttis, Jurist aus Hamburg, begann mit einer gewagten These. Seiner Ansicht nach habe der 1885 zwischen Kaiserreich und Herero geschlossene "Schutzvertrag" die Kolonisierten in den Stand justiziabler und rechtsrelevanter Subjekte erhoben. Jaguttis nahm dies als interpretatorischen Ansatz für die folgenden kriegerischen Ereignisse. Hier aber meldet sich Zweifel an. Bislang wurden die "Schutzverträge" eher als dünn bemänteltes und schlecht kodifiziertes Mittel einseitiger Machtausübung betrachtet, deren Zweck vor allem in der Politik des "teile und herrsche" lag. Eine Gruppe der kolonisierten Bevölkerung wurde gegen eine andere ausgespielt, in diesem Fall Herero und Nama. Gibt es wirklich einen Grund, von dieser Sichtweise abzugehen? Rolf-Henning Hintze war als Journalist längere Zeit in Namibia tätig und bei entscheidenden Ereignissen der letzten Jahre selbst anwesend. Diese schilderte er überaus anschaulich - etwa die Rede der BMZ-Ministerin Wieczorek-Zeul im Jahre 2004, in der sie zum ersten Mal als deutsches Kabinettsmitglied von "Völkermord" sprach und eine - biblisch verklausulierte - Entschuldigung äußerte. Das habe alle überrascht und über die Motive dieses Eingeständnisses spekulieren lassen. Leider sei anschließend von deutscher Seite nichts Konkretes erfolgt. Die Rede der Ministerin kollidiere zwar mit der Feststellung des damaligen Außenministers Fischer, wonach keine "entschädigungsrelevanten" Äußerungen gemacht werden dürften. Doch die Politik der Bundesregierung richte sich da ganz nach Fischers Strategie. Dies war der Anlass für eine anwesende Vertreterin der "Kreditanstalt für Wiederaufbau", auf die vorhandene "Versöhnungsinitiative" der Bundesregierung sowie die versprochene Aufstockung der Entwicklungshilfe für Namibia hinzuweisen. Zugleich betonte sie, es handele sich hier um regierungsamtliche Tätigkeiten, die nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit, sondern hinter verschlossenen Türen stattzufinden hätten - ein Punkt, der gegen Ende des Tages nochmals thematisiert wurde. Es folgten die mit Spannung erwarteten Vorträge von Arnold Tjihuiko und Rudolf Hongoze aus Namibia. Tjihuiko ist Repräsentant des Herero-"Paramount-Chiefs" Riruako, welcher die Reparationsklage im Namen des "Genozid-Komitees" eingereicht hatte. Hongoze vertritt dagegen die "Royal Houses", eine - bislang - konkurrierende Herero-Gruppe. Die Einladung Hongozes hätte fast die gesamte Veranstaltung zum Kippen gebracht, da sich Riruako vehement gegen das Auftreten der "Royal Houses" ausgesprochen hatte. Dieser Teil stand unter dem Motto: "Differierende Ansichten zur Wiedergutmachung". Somit erwartete der Chronist eher einen Schlagabtausch. Doch er wurde enttäuscht - zunächst negativ, sodann positiv. Denn es gab keine Differenzen, sondern eine sehr weitgehende, wenn nicht völlige Übereinstimmung. Zunächst stellte sich die spontane Frage, ob die beiden Herero-Vertreter aus rein taktischen Gründen gegenüber einem überwiegend deutschen Publikum eine Einheit demonstrieren wollten, die eigentlich gar nicht vorhanden war. Doch die mit Vehemenz und Überzeugungskraft vorgetragenen Argumente belehrten eines besseren. Nach den beiderseitigen Statements gibt es bezüglich der Reparationsfrage in den verschiedenen Herero-Fraktionen keinen Dissens mehr. Die Forderungen wurden vielmehr auf die anderen betroffenen Gruppen - Nama und Damara - ausgeweitet. Auch in den angestrebten Methoden praktischer Durchführung offenbarte sich erstaunliche Einigkeit: es gehe nicht um Bargeld, sondern um Infrastrukturmaßnahmen für Gebiete, die heute noch an den Folgen der deutschen Kriegsführung leiden. Dabei solle eine gemeinsame Kommission beider Regierungen und zivilgesellschaftlicher Organisationen gebildet werden. Vor allem erwartet aber wurden Gesten der Reue und Versöhnung. Tjihuiko bezeichnete die deutscherseits betriebene "Versöhnungsinitiative" als einen unbefriedigenden Weg, der abgewiesen werden müsse. Hongoze titulierte die von der Bundesregierung geplante zusätzliche Erhöhung der Entwicklungshilfe - 20 Mio. Euro in einem Zeitraum von 10 Jahren - als "Peanuts". Sehr deutlich zu spüren war die Verärgerung über die Handlungsweise der Bundesregierung, in quasi neokolonialer Manier Maßnahmen zu ergreifen, ohne die eigentlich Betroffenen zu konsultieren. Als nächster Vortragender referierte Henning Melber über den "Umgang mit dem Völkermord an Herero und Nama in Deutschland". Zwar gäbe es inzwischen Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen, die Bewegung in dieses Thema brächten, doch herrsche in Deutschland keineswegs ein "dekolonialisiertes Bewusstsein". Als Beispiele erwähnte er den mangelnden öffentlichen Umgang mit deutscher Kolonialvergangenheit, z. B. in Schulbüchern, oder auch unkritische bis kolonialapologetische Fernsehsendungen. Er beklagte die mangelnde Solidarität bisheriger "befreundeter" politischer Gruppierungen mit einer Erklärung der Informationsstelle Südliches Afrika ISSA vom Mai 2006. Dort wird in erfrischender Deutlichkeit Stellung bezogen zur "Versöhnungsinitiative" sowie zum Verhalten Wieczorek-Zeuls seit ihrer "Entschuldigungsrede". Melber spekulierte zudem darüber, ob die harte Haltung der Bundesregierung gegenüber den Herero-Reparationsforderungen daraus resultieren könne, dass auch nur ein teilweises Eingehen auf diese ein Fass ohne Boden öffnen würde, und das nicht nur in Namibia... Reinhard Kößler stellte die Frage, wie und ob Nama und Damara als ebenfalls betroffene Gruppen in die Wiedergutmachung einbezogen werden könnten. Häufig wird ja die Herero-Forderung als elitär und nur auf sich selbst bezogen verstanden - ein Missverständnis, wie sich spätestens an diesem Wochenende herausstellte. Kößler berichtete von stark fragmentierten gesellschaftlichen Verhältnissen bezüglich der Nama und Damara, die eine einheitliche Organisierung stark behindern - im Gegensatz zu den sehr strukturierten Herero-Gruppen. Doch haben sich in letzter Zeit auch Nama- und Damara-Sprecher öffentlich geäußert - die Chancen für ein gemeinsames Vorgehen aller Betroffenen sind damit gestiegen. Hüseyin Aydin schließlich sprach das Schlusswort: sein Entschließungsantrag im Bundestag habe wenig Aussichten auf eine Verabschiedung, doch das eigentliche Ziel sei, eine Debatte über deutsche Kolonialverbrechen zu initiieren. Hierbei ist ihm Erfolg zu wünschen. Noch wünschenswerter wäre, die Debatte in das öffentliche Bewußtsein zu transportieren und damit zu einer gesellschaftlichen "Dekolonialisierung" beizutragen. Von Regierungsseite jedenfalls werden die Vorgänge als staatlicher Verwaltungsakt begriffen, der hinter verschlossenen Türen stattzufinden habe. So erhielt Aydin unmittelbar vor dem Seminar einen Brief Wieczorek-Zeuls mit der Feststellung, diese Veranstaltung sei kontraproduktiv und würde die Fronten lediglich verhärten. In Namibia ist das Thema inzwischen auf der Tagesordnung. Das Parlament diskutiert ausführlich über die Reparationsforderungen. Die bislang eher zurückweisende Regierungspartei SWAPO zeigt Zeichen der Annäherung. In den großen namibischen Zeitungen wird ausführlich über das Berliner Seminar berichtet. Hier zeigt sich ein grundlegender Unterschied zur deutschen Seite, welche die Methode der Geheimdiplomatie vorzuziehen scheint. Offensichtlich ist eine Ausweitung der Diskussion in die Gesellschaft hinein nicht gewünscht. Vielleicht wird auch befürchtet, die Fragestellung könne sich auf eine Politik des Neokolonialismus erweitern. Claus Kristen |