RezensionSpurensuche in der Hauptstadt |
Ulrich van der Heyden/ Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin Edition, Berlin 2002, 320 Seiten, Euro 24,80 Spurensuche in der Hauptstadt Der Kolonialismus war nach der Aufgabe der »Schutzgebiete« für Deutschland keineswegs erledigt. Die Kontinuitäten kolonialer Spuren aufzuzeigen, ist das große Verdienst des Buches Kolonialmetropole Berlin. In über fünfzig Beiträgen geht es um die Rolle verschiedenster politischer kolonialer Gremien und die Stützung des Kolonialgedankens durch wissenschaftliche Institutionen. Der koloniale Diskurs und seine Symbolik in Film, Malerei und Musik, die Bedeutung von Kolonialwarenläden, Kolonialgesellschaften und der für eine ideologische Untermauerung kolonialen Machtstrebens arrangierten Völkerschauen sind Teil eines Puzzles, das erahnen lässt, wie tief sich der koloniale Gedanke in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingeschrieben hat. »Unvergessen bleiben uns unsere Kolonien. Darum sollte jedem Schutztruppler und Kolonialfreund diese Büste als Erinnerungssymbol das Heim schmücken«, so warb 1934 eine Anzeige für den Versand einer Bronzebüste für zehn Reichsmark. Der Kolonialrevisionismus hielt auf diese Weise bis in die kleinbürgerlichen Haushalte Einzug. Ein harmloses Relikt war dieses Andenken nicht; es ist Ausdruck einer Weltsicht, die den »Zivilisationsauftrag« der »Kaiserlichen Schutztruppen« längst ersetzte durch das »koloniale Wollen«. Sie gipfelte in der Forderung: »Gebt uns unsere Kolonien wieder, die das deutsche Volk zum Atmen braucht«. Den Beiträgen gelingt es, den schleichenden Übergang vom zunächst mit einer eurozentrischen Überlegenheitsperspektive verbundenen wilhelminischen Kolonialgedanken in ein aggressiv-rassistisches imperiales Weltmachtstreben zu verdeutlichen. Dieses trat in der kolonialistischen Propaganda vom »Volk ohne Raum« (so der Titel eines Kolonialromanes von Hans Grimm) gerade auch im Nationalsozialismus zutage. Durch fast alle Beiträge zieht sich die Auseinandersetzung mit der »kolonialen Willens- und Wissensbildung«, die im postkolonialen Revisionismus zunehmend von rassenkundlich untermauerten Feindbildern geprägt war. Schon das im Rahmen der frühen Kolonien diskutierte »Bastardproblem« verwies auf gedankliche Vorläufer nationalsozialistischer Rassenpolitik. »Rassenmischehen«, die laut dem Staatssekretär des Reichskolonialamtes Solf »Schäden an beiden Rassen« verursachten, galt es zu verhindern, denn diese »mißverstandene Humanität rächt sich ebenso wie würdeloses Herabsteigen zur niederen Rasse« (Solf 1912). Die Spurensuche des Buches nimmt stets Bezug auf konkrete Orte in Berlin, auf zerstörte Gebäude und abgebaute Denkmäler der kolonialen Epoche. Zudem bringt sie eine ganze Reihe von kolonialen Relikten ans Tageslicht, die – längst aus dem modernen Berlin entsorgt – in Bildarchiven verborgen waren: Werbeanzeigen, Fotos, Karikaturen, Zeitungsreportagen, Gemälde, Büsten oder »Fremdenpässe« mit dem Eintrag »besondere Kennzeichen: Neger«. Oder die Biographie der ersten schwarzen MigrantInnen in Berlin, die meist als Künstler und Sportler in der Unterhaltungsindustrie unterkamen und der Öffentlichkeit als Geschöpfe deutscher Wohltätigkeit vorgeführt wurden. Doch auch die im heutigen Stadtbild sichtbaren Zeugnisse, deren koloniale Bezüge nicht immer offensichtlich sind, erscheinen zahlreich – angefangen beim botanischen und zoologischen Garten bis hin zu den über 23 Straßennamen kolonialen Ursprungs wie Petersallee, Mohren- und Lüderlitzstraße. Bücher gegen das Vergessen des kolonialen Machtstreben Deutschlands sind rar – und noch seltener jene, die ihre Analyse nicht rein geschichtlich aufziehen und alles im Lichte eines »vergangenen Kapitels« behandeln, sondern bis in die Jetztzeit führen. Allein deshalb ist die reich bebilderte Beitragssammlung lesenswert. Die AutorInnen führen die Facetten einer Koloniallobby vor, ohne die der deutsche Kolonialismus kaum denkbar wäre. Dass manche AutorInnen trotz ihrer kritischen Absicht wenig distanziert mit den Begriffen der kolonialen Sprache umgehen, zeigt einmal mehr, wie subtil der koloniale Diskurs fortwirkt. Etwa wenn bemerkt wird, dass »es zu einer wirklichen Begegnung mit dem Fremden nicht gekommen sei, und dass wenig ethnographisches Interesse bestanden habe, die Fremde kennen zu lernen«. Dennoch kann selbst die immer wieder durchschimmernde Begeisterung einiger AutorInnen für ethnographische Zeugnisse nicht davon abhalten, das detailreiche und gut recherchierte Buch mit Gewinn zu lesen. Martina Backes Diese Rezension ist zuerst erschienen in: iz3w Nr. 276 (2004), S. 34 |