RezensionKolonialkriege - Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus |
Thoralf Klein / Frank Schumacher (Hg.): Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus, Hamburger Edition, Hamburg 2006, 369 S., 35 €, ISBN 978-3-936096-70-5. In der Vorstellung vieler Zeitgenossen gehören Kolonialkriege der Vergangenheit an. Doch schaut man genauer hin, handelt es sich keineswegs um ein überholtes Phänomen. Auch über das Ende der formalen Dekolonisationsphase in den 1980er Jahren hinaus lassen sich Kriege als kolonial klassifizieren. Dazu gehört etwa der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan (1978) wie es gute Gründe dafür gibt, den seit Frühjahr 2003 im Irak geführten Krieg als einen kolonialen Krieg zu betrachten. Wurde früher die Gewaltausübung an der Peripherie als Pazifizierungsmaßnahme gegen „aufständische Eingeborene“ legitimiert, denen westliche Zivilisation und rechter Glaube gebracht werden müsse, sind es heute - im postkolonialen Zeitalter - Demokratie und Menschenrechte, die die Rechtfertigungsdiskurse bestimmen. Thoralf Klein und Frank Schumacher unternehmen in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband den Versuch, die militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus in einer vergleichenden Kulturgeschichte näher unter die Lupe zu nehmen. Zeitlich fokussiert auf das 19. und 20. Jahrhundert, werden an Hand von zehn Fallbeispielen die Bedingungen und der Verlauf von Kolonialkriegen, das militärische Vorgehen, die Diskurse über die Kriege wie die Sprachregelungen und Erinnerungspolitiken untersucht. Historisch reicht der Bogen von den Indianerkriegen in den USA (1840-1890), dem Boxerkrieg in China (1900/1901), den deutschen Kolonialkriegen in Ostafrika und Südwestafrika vor und nach 1900, dem Krieg der USA auf den Philippinen (1899-1913), dem Krieg Spaniens in Marokko (1921-1927), dem italienisch-äthiopischen Krieg in Ostafrika (1935/36), der japanischen Aggression in China (1931-1945) bis hin zum französischen Algerienkrieg (1954-1962). Überraschenderweise findet sich in dem Buch auch ein Beitrag über den Burenkrieg in Südafrika (1899-1902), obwohl doch auf beiden Seiten Weiße kämpften. Die Frage, wie ein Kolonialkrieg definitorisch gefasst werden kann, wirft Dirk Walter in seinem erhellenden Essay auf. Darunter versteht er die an der kolonialen Peripherie in der Regel in den Formen des kleinen und asymmetrischen Krieges ausgeübte physische Gewalt. Unabhängig davon, ob es sich um eine formelle Kolonialherrschaft oder um eine informelle Einflussnahme handelt, zielt die Gewalt darauf ab, Gebiete in ein expandierendes Wirtschaftssystem einzugliedern bzw. den status quo aufrechtzuerhalten. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Kolonialismus durch Disziplinierung, Arbeitszwang, Segregation, Enteignung und (genozidalen) Massenmord charakterisiert werden kann. So handelt es sich bei dem Kolonialkrieg in gewisser Hinsicht um einen permanenten Krieg, verursacht durch den hohen Grad der Gewalt im kolonialen Alltag. Der Kolonialkrieg stellt nur die Spitze einer latenten Gewaltkultur dar, was insbesondere für Siedlungskolonien kennzeichnend ist. Der niemals endende Kolonialkrieg konterkariert im Übrigen die althergebrachte Vorstellung, die Europäisierung der Erde sei ein Projekt des Fortschritts gewesen, das Frieden, Zivilisation, Gerechtigkeit und Wohlstand gebracht habe. Den Kolonialkrieg als radikalste Form von Gewaltanwendung expandierender Staaten systematisch zu untersuchen, ist überfällig gewesen. Einen solchen Band hat man bisher auf dem Buchmarkt vergeblich gesucht. Die Ergebnisse der hier vorgestellten Einzelfallstudien in einer comparativen Analyse zusammenzuführen, wird die Aufgabe weiterer Forschungsvorhaben sein. Wie in dem Band zutreffend angemerkt wird, harren weitere Aspekte des Kolonialkrieges ihrer Aufarbeitung, so zum Beispiel die Militärtechnologie, Gender- und Umweltaspekte oder medizinhistorische Fragestellungen. Joachim Zeller, 25.10.2006 |