RezensionAfrika in der Jugendliteratur |
Kodjo Attikpoe: Von der Stereotypisierung zur Wahrnehmung des ‘Anderen’ – Zum Bild der Schwarzafrikaner in neueren deutschsprachigen Kinder- und Jugendbüchern (1980-1999). Peter Lang Verlag, Franfurt a.M. u.a. 2003, 232 Seiten, 37,80 Euro Afrika in der Jugendliteratur Kinder- und Jugendliteratur über Afrika? Da schweben einem sogleich bunte Bilder vor: fröhliche Kinder spielen zwischen Rundhütten in der Sonne oder spüren abenteuerlustig im grünen Dschungel seltenen Tieren nach. Genau solchen Images, Klischees oder Stereotypen geht der in Togo geborene Literaturwissenschaftler Kodjo Attikpoe auf den Grund. Seine Dissertation Von der Stereotypisierung zur Wahrnehmung des ‘Anderen’ – Zum Bild der Schwarzafrikaner in neueren deutschsprachigen Kinder- und Jugendbüchern (1980-1999)« liest sich dem akademischen, begriffsbeladenen Titel zum Trotz leicht, locker und interessant. Man hat es längst geahnt, dass die hier zu Lande über Afrika publizierte Kinder- und Jugendliteratur ein Bild von Afrika zeichnet, das ebenso wenig dem afrikanischen Alltag entspricht wie das Bild, das in der deutschen Erwachsenenliteratur oder in den hiesigen Medien über Afrika verbreitet wird. Warum sollte Jugendliteratur eine Ausnahme von der Sehnsuchts- oder Katastrophenprojektion bilden? Aber es ist dann doch erstaunlich, in welchem Maße sich offenkundig stupide Klischees und Meinungen auch in Titeln und Verlagen halten, die eigentlich für ein gutes und engagiertes Programm stehen. Zur Untermauerung seiner Beobachtungen legt Attikpoe in klar gegliederten Abschnitten die Problematik seines Themas dar, schildert die Stereotypen in geschichtlicher und vergleichender Weise, widmet sich den Schwierigkeiten der Wahrnehmung von Anderen als Fremde und spannt den Bogen der zugehörigen Sekundärliteratur auf, in der Afrika seit Jahrzehnten als Projektionsfläche westlicher Ängste und Wünsche konstruiert wird. So weit, so gut. Attikpoes eigene Leistung besteht darin, diesen Bogen weiter zu spannen und in die Gegenwart zu ziehen. Das ist verdienstvoll und erhellend – bietet aber, was freilich auch nie Ziel von Attikpoes Arbeit war oder sein konnte, keine Lösung. Attikpoe bleibt in seinem Fazit vage und allgemein, selbst wenn er Recht damit haben mag, dass die afrikanische Kinderliteratur »erst dann auf einen fruchtbaren Boden im deutschen Sprach- und Kulturraum fallen (wird), wenn sich das Afrikabild in der deutschen Gesellschaft grundsätzlich ändert.« Ohnehin sitzt der Teufel im Detail. Wie schwierig der interkulturelle Dialog ist, das ist Attikpoes eigener Arbeitsweise zu entnehmen. Ein Beispiel: Im Roman »London, Liebe und all das« von Dagmar Chidolue (Beltz & Gelberg, 1989) sieht Attikpoe eine Anspielung auf »das Klischee des sexuell und gefühlsmäßig mächtigen Schwarzen«. Die Szene, die der Literaturwissenschaftler als Beleg für seinen Argwohn anführt, schildert hingegen nur, dass ein (deutsches) Mädchen erstmals die Liebe so erlebt, wie es ihm »bisher nie passiert« war. Einen Zusammenhang zwischen der Besonderheit der ersten Liebe und der Tatsache, dass der Freund des Mädchens ein Nigerianer ist, ist daraus nicht erkennbar, selbst wenn man zugute hält, dass es neben der oberflächlichen immer auch eine sublime Textbedeutung gibt. Da scheint die Sensibilität des Autors eher der Grund für seinen Vorbehalt zu sein. Anderes Beispiel: Henning Mankell zeichnet in seinem Jugendroman »Das Geheimnis des Feuers« (Oetinger, 1997) das Bild einer afrikanischen Mutter, die ihre Tochter Sofia scheinbar unbewegt in eine ungewisse Zukunft entlässt. Das wiederum leuchtet Attikpoe nicht ein, und es ist bezeichnend, dass er zum Beweis allein die Subjektivität seiner Wahrnehmung heranzieht: »Meines Erachtens«, schreibt Attikpoe, »ist die Haltung der Mutter im afrikanischen Kontext schwer faßbar und vorstellbar.« Hat da nicht Attikpoe möglicherweise selbst ein Klischee im Kopf – das von der immerwährend treu sorgenden afrikanischen Mutter, die keinen Überdruss über ihre sicherlich mitunter sorgenbringende Nachkommenschaft kennt? Und wie wissenschaftlich haltbar, wie objektivierbar ist der subjektive Erfahrungshorizont, wenn es darum geht, den afrikanischen Kontext zu definieren? Liegt nicht Anmaßung just auch in der Auffassung, dass ein Afrikaner von Haus aus besser dazu in der Lage sein müsste als ein Europäer, die Situation in jedwedem afrikanischen Land zu erläutern? Beispiel Südafrika: Attikpoe ist es völlig schleierhaft, warum Tengo, die jugendliche Hauptfigur im Roman »Warten auf den Regen« von Sheila Gordon (Arena, 1989), nicht aktiv gegen die Apartheid kämpft und seine Eltern sich mit ihrem Schicksal begnügen. Tengo setzt auf seine schulische Ausbildung, vertraut seinem im ANC aktiven Cousin und widersetzt sich erst spät aktiv dem Apartheidregime. Ist es nicht denkbar, dass sich eine südafrikanische Familie, die unter dem Druck der Apartheid leidet, in ihr Schicksal fügt und auf eine bessere Zukunft nur hofft? Schildert der genannte Roman nicht womöglich einen Gewissenskonflikt, bis er sich schließlich im Widerstand entlädt? Herrscht da nicht ein anderes Klischee im Denken Attikpoes, wenn er davon ausgeht, dass einfach jeder schwarze Südafrikaner zur Apartheidzeit ein Widerstandskämpfer gewesen sein muss? Es sind zum Glück nur Nuancen, bei denen sich solche Zweifel an Attikpoes Thesen regen. Es zeigt sich damit aber, wie diskussionsbedürftig die interkulturelle Kommunikation selbst ist. Dass Attikpoe zu einer solchen Diskussion anregt, ist der große Vorteil seiner Arbeit. Sie macht empfänglich für ein zumindest weniger verstelltes Bild von Afrika. Manfred Loimeier Diese Rezension ist zuerst erschienen in: iz3w Nr. 278/279 (2004), S. 67 |