Der dem "Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen" nahestehende Hobbyhistoriker Arne Schöfert hat in dem unter Geschichtsesoterikern bekannten Buchverlag König einen Band über den "Reichskolonialbund" (RKB) vorgelegt. „Die historische Aufarbeitung der Kolonialpolitik im ‚Dritten Reich‘ ist bisher nur oberflächlich erfolgt“, schreibt er in der Einleitung (S. 7). Sicher gibt es hier noch viel Forschungspotential, aber diese Feststellung ist insofern verwunderlich, als dass es durchaus eine Reihe jüngerer wie auch klassischer Untersuchungen zum Thema gibt, wie jene von Karsten Linne [1], Alexandre Kum'a Ndumbe III [2] oder Klaus Hildebrand.[3] Tatsächlich bietet jedoch gerade die Geschichte des RKB aufgrund zerstörter Quellenbestände und fehlender Überlieferung viele offene Fragestellungen.
Der RKB war 1933 als Dachorganisation der verschiedenen kolonialpolitischen Organisationen geschaffen worden. 1936 wurde er unter dem gleichem Namen neu gegründet und endgültig gleichgeschaltet. Damit war der NS-RKB die zentrale Institution, die die kolonialrevisionistische Propaganda der Weimarer Republik im neuen Regime fortführte. Für seine Propaganda bediente er sich verschiedenster Mittel: Er gab Zeitschriften – u.a. die „Deutsche Kolonialzeitung“ sowie „Kolonie und Heimat“ –, Bücher und Agitationsschriften heraus, organisierte Vorträge, reichsweite Tagungen und Ausstellungen. Letztere bilden für Schöfert den „Aufhänger“ seiner Untersuchung der Geschichte des RKB, genauer: nur die beiden Kolonialausstellungen 1939 in Dresden und 1940 in Wien.
Dem 1933 unter dem Präsidenten und ehemaligen Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, Heinrich Schnee, gegründeten RKB attestiert Schöfert, sich gegenüber dem NS-Regime zunächst eine weitgehende Unabhängigkeit bewahrt zu haben. Zwar entstand der RKB als eine von vielen Sammlungsorganisationen, die nach 1933 verschiedene Teile der Gesellschaft in das Regime integrieren sollten – in diesem Fall die konservativen Kolonialrevisionisten. Gleichwohl möchte Schöfert den RKB von parteinahen Sammlungsbewegungen und Parteigliederungen wie dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund oder dem NS-Lehrerbund unterschieden wissen. Schließlich sei die „freiwillige“ Gründung des RKB als kolonialer Dachverband einer zwangsweisen Gleichschaltung der deutschen Kolonialbewegung zuvorgekommen. Die Ernennung des NSDAP-Politikersund Reichsstatthalters in Bayern, Franz Ritter von Epp, zum Stellvertreter Schnees lässt aber durchaus Zweifel an dieser „Unabhängigkeit“ aufkommen. Epp wurde 1934 auch Reichsleiter des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP. Die endgültige Gleichschaltung des RKB, die Auflösung der Teilverbände und die Neuorganisation streng nach dem Führerprinzip unter dem neuen Bundesführer von Epp folgte 1936. In diese Zeit des „neuen RKB“ bis zu dessen Auflösung nach einem „Führerbefehl“ vom Januar 1943 fallen auch die beiden Kolonialschauen, die Schöfert zur Illustration der kolonialen Propaganda des RKB dienen.
Schöferts Darstellung der Organisationsgeschichte des RKB fällt leider sehr knapp aus. Der Autor widmet diesem äußerst wichtigen Teil gerade einmal 12 Seiten inklusive Abbildung und zwei abgedruckten Quellen zur Auflösung des ersten RKB. Einen weitaus größeren Raum als die im Klappentext versprochene Geschichte des RKB und der NS-Kolonialpolitik nehmen die Beschreibungen der beiden Kolonialausstellungen ein, auf deren von Schöfert rein deskriptiv präsentierte Geschichte an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll. Die Textabschnitte dazu fallen inhaltlich noch weitaus dürftiger aus als jener zur Geschichte des RKB. Stattdessen warten die entsprechenden Kapitel mit einer ganzen Flut von Abbildungen auf, darunter zahlreiche Fotografien aus dem online verfügbaren Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG).[4] Sie zeigen vor allem die Ausstellungsräume der Veranstaltungen, in denen überwiegend ethnografische und gewerbliche Exponate präsentiert wurden, sowie Programmhefte und Ausstellungsführer. Die LeserInnen bekommen zwar so einen detaillierten visuellen Eindruck von der Propaganda, die unbedingt erforderliche Analyse der Inszenierung der deutschen kolonialen Phantasien - wollte man die Propaganda nicht schlicht reproduzieren - fehlt aber. Der Autor begnügt sich jedoch mit knappen, rein deskriptiven Abschnitten über die Vorgeschichte der Ausstellungen, ihre Organisation und Durchführung. Zahlreich sind auch Zeitungsauschnitte zu finden, die - zu großen Teilen der lokalen Presse entnommen – über die beiden Ausstellungen berichten, Reden wiedergeben oder die Veranstaltungen bewerben. Auch diese Quellen dienen der bloßen Illustration und werden an keiner Stelle kritisch kommentiert.
Der überwiegende Teil der Abbildungen zeigt Gedenkmünzen, Abzeichen, Uniformen, Sammelbilder und Postkarten bis hin zu einer Reihe „Dienststellenschilder“ von RKB-Ortsverbänden. Die Aussagekraft vieler Abbildungen muss nicht nur mit Blick auf die letztgenannten bezweifelt werden. An der Auswahl, Art und Kommentierung zeigt sich das spezifische Interesse Schöferts: Der größte Teil entstammt dem an Abstrusitäten nicht armen Militariamarkt, auf dem es offensichtlich auch Käufer für RKB-Ortsgruppendienststellenschilder zu geben scheint. Während eine Analyse der Abbildungen ausbleibt, wird detailliert über Einzelheiten der abgebildeten Uniformen, Flaggen und Abzeichen informiert.
Weshalb Schöfert unter den Kolonialtagungen und -veranstaltungen im betreffenden Zeitraum ausgerechnet jene beiden in Dresden und Wien in den Blick nimmt, bzw. sich auf diese beschränkt, lässt der Autor teilweise offen. Zwar sticht die Dresdner Veranstaltung mit Blick auf die offizielle Zahl von 400.000 BesucherInnen weit aus der Reihe der Kolonialveranstaltungen hervor. Nach Schöferts Bewertung war die Dresdner Schau „Höhepunkt und praktischer Schlusspunkt der Agitationstätigkeit kolonialrevisionistischer Kreise in Deutschland. Die ganze spätere Tätigkeit war ohne Höhepunkte, auf niedrigem Niveau und uninspiriert.“ (S. 82). Der Autor versäumt es nicht, unter der Überschrift „Bewertung und Epilog“ sein Bedauern über die Auflösung der Ausstellungen auszudrücken, deren Bestände nicht im Zusammenhang überliefert sind. „Die teilten das Schicksal von Millionen anderer Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg: verschollen, vernichtet, vergessen...“
Im Vorwort erhebt der Autor nicht den Anspruch, eine erschöpfende Geschichte des RKB verfasst zu haben, wie es der Titel zu versprechen scheint. Ansonsten müsste man diesen Anspruch nämlich als gründlich gescheitert bezeichnen. Wer sich über die Geschichte des Kolonialrevisionismus in Deutschland und des RKB informieren möchte, sollte die Arbeiten von Hildebrand, Linne oder auch die gründliche Untersuchung von Susann Lewerenz [5] zur Hand nehmen. Der wissenschaftliche Wert von Schöferts Untersuchung erscheint demgegenüber als äußerst dürftig. Interessant dürfte er vor allem für Freunde des Militariahandels und Fans kolonialhistorischer Devotionalien wie Gedenkmünzen, Uniformen, Abzeichen oder Sammelbildchen sein. Denn der Autor darf nun für sich in Anspruch nehmen, die erste umfangreiche Übersicht über Devotionalien aus dem Kontext des RKB vorgelegt zu haben.
Korbinian Böck (M. A. Geschichte)
Arne Schöfert: Der Reichskolonialbund und seine kolonialrevisionistische Propagandatätigkeit zwischen 1939 und 1943, 248 Seiten, Buchverlag König, Greiz 2012, ISBN: 978-3943210217, 24,80 €. Inhaltsübersicht siehe unten
Fußnoten:
- [1] Karsten Linne: Deutschland jenseits des Äquators? NS-Kolonialplanungen für Afrika, Berlin 2008 Zurück
- [2] Alexandre Kum'a Ndumbe III: Was wollte Hitler in Afrika? NS-Planungen für eine faschistische Neugestaltung Afrikas. Frankfurt 1993 Zurück
- [3] Klaus Hildebrand: Hitler, NSDAP und die koloniale Frage 1919-1945, München 1969. Zurück
- [4] http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/ Zurück
- [5] Susann Lewerenz: Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940). Rassismus, Kolonialrevisionismus und postkoloniale Auseinandersetzungen im nationalsozialistischen Deutschland, Bd. 3, Africa and Europe Colonial and Postcolonioal Encounters / Afrika und Europa. Koloniale und postkoloniale Begegnungen, Frankfurt a. M. etc. 2006. Zurück
Siehe auch zum Thema:
- Rheinisches JournalistInnenbüro: Kolonialpläne der Nazis: »Auch hier liegt deutsches Land!« - Ein deutsches Reich in Afrika Mehr
- Der Buchautor Karsten Linne im Interview: Die NS-Kolonialplanungen für Afrika Mehr
- Dokumentation einer Debatte um (Dis-)Kontinuitäten von Kolonialismus und Nationalsozialismus. Mit Hauptbeiträgen von Jürgen Zimmerer und Birthe Kundrus, sowie ergänzenden Beiträgen von Philip Geck, Anton Rühling, Jörg Später und Heiko Wegmann Mehr
Weitere Rezensionen von Korbinian Böck:
- Schlottau, Ralf: Deutsche Kolonialrechtspflege. Strafrecht und Strafmacht in den deutschen Schutzgebieten 1884 bis 1914 (2007) Zur Rezension
- Henrichsen, Dag (Hg.): Hans Schinz: Bruchstücke. Forschungsreisen in Deutsch-Südwestafrika. Briefe und Fotografien (2012) Zur Rezension
- Nduka Agwu, Adibeli/ Antje Lann Hornscheidt (Hg.): Rassismus auf gut Deutsch. Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen Zur Rezension
- Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee. Der Aufstand auf Ponape gegen die deutschen Kolonialherren 1910/11 (2010) Zur Rezension
Zum Seitenanfang
INHALT Schöfert: Reichskolonialbund:
Selbstdarstellung: Aufgaben und Aufbau des RKB“
Mitgliederstatistik
1.Teil Das größte Projekt des Reichskolonialbundes:
Die Kolonialausstellung Dresden 1939
1.1 Einleitung
1.2 Zur Geschichte des Reichskolonialbundes
1.3 Planung und Vorbereitung der Ausstellung
1.4 Aufbau und Struktur
1.5 Eröffnung
1.6 Merchandising
1.7 Gesamtbeurteilung
1.8 Danksagung
1.9 Register abgebildeter Personen
1.10 Literatur und Quellen
2.Teil Die Mitteldeutsche Kolonialschau in Wien 1940
Exemplarische Darstellung einer Wanderausstellung im 3.Reich
2.1 Einführung
2.2 Prolog im Jahr 1939
2.3 Die Wanderausstellungen des Reichskolonialbundes
2.3.1 Exkurs: „Auch hier liegt unser Lebensraum“
2.4 Die Mitteldeutsche Kolonialschau
2.5 Struktur der Ausstellung in Wien
2.6 Ein Film-Dokument „Die koloniale Wochenschau“
2.7 Pressestimmen
2.8 Bewertung und Epilog
2.9 Quellen und Literatur
3.Teil Materialsammlung
3.1 Satzung und Zusatzbestimmungen
3.2 Mitgliedsabzeichen und –karte
3.3 Gab es eine RKB-Uniform?
3.4 Bundesflagge
3.5 Geldbeschaffung I – Kolonial-Denkmünze
3.6 Geldbeschaffung II – Lotterien
3.7 Geldbeschaffung III – Spendenmarken
3.8 Die Ehrenurkunde des RKB
3.9 Die Ehrenplakette und Amtsträgerabzeichen
3.10 Propagandagrafiken (Dias, Poster und Ansichtskarten)
3.11 Mitgliederwerbung (Formulare + Broschüren)
3.12 Dienststellenschilder
3.13 Tagungsabzeichen
3.14 Festabzeichen
3.15 Bildquellen
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