In die Reihe lokalhistorischer Initiativen, die sich um die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus vor Ort bemühen, gehört auch das 2008 ins Leben gerufene Projekt „Köln postkolonial – Ein lokalhistorisches Projekt der Erinnerungsarbeit“. Im vorliegenden, reich bebilderten Band sind nach rund 5 Jahren kolonialhistorischer Arbeit 40 Beiträge aus dem Umfeld des Projekts versammelt und vermitteln ein facettenreiches Bild von Köln als „Kolonialmetropole des Westens“.
Eingeleitet wird der Band durch einen knappen Abriss der deutschen Kolonialgeschichte von Joachim Zeller, der insbesondere für Berlin zahlreiche Aspekte der lokalen Kolonialgeschichte untersucht hat. Die weiteren Beiträge gliedern sich in die thematischen Kapitel von "Köln und der Kolonialismus", über Wirtschaft, Wissenschaft, Mission, Inszenierung im öffentlichen Raum, kolonialen Begegnungen bis zum Kolonialrevisionismus nach 1918. Den Schluss bilden 4 Beiträge zur Gegenwart des Kolonialen in Köln.
Einige der Beiträge greifen Themen auf und knüpfen an Fragen an, die sich in fast allen Fällen ergeben, wo Kolonialgeschichte lokal aufgearbeitet wird. Zu nennen sind hierbei die in jeder größeren Stadt vorhandenen Völkerkundemuseen. Den spezifischen kolonialen Sammlungskontext des Rautenstrauch-Joest-Museums untersucht Larissa Förster sehr gelungen in einem der längeren Beiträge des Buches.
Ein Spezifikum innerhalb des ersten Themenblocks bildet sicherlich der Beitrag zu der im ganzen Reich gelesenen Kölner Zeitung. Diese leistete sich mit Hugo Zöller, einem ausgesprochenen „Kolonialfreund“, einen eigenen Korrespondenten für die Berichterstattung aus den Kolonien, die daher einen entsprechend großen Raum in der Zeitung einnahm und eine reichsweite, großbürgerlich geprägte Leserschaft erreichte.
Ins Zentrum jeder lokalhistorischen kolonialen Spurensuche gehört auch die Geschichte der örtlichen Kolonialbewegung. Am Beispiel Kölns wird einmal mehr deutlich, in welchem Ausmaß diese ein Elitenprojekt war. Das Mitgliederverzeichnis der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) um 1900 liest sich dementsprechend wie ein „Who’s who“ Kölns dieser Zeit, wobei zahlreiche rheinische Industrielle mit ihrem Engagement auch konkrete wirtschaftliche Interessen verfolgten. Solchen Interessen und Aktivitäten von Kölner Unternehmern gehen auch die Beiträge im Kapitel „Koloniale Wirtschaft“ nach. Dabei ergibt sich mit dem Fabrikanten Eugen Langen, Schwiegervater des in Köln bestatteten Hermann von Wissmann, eine interessante Überschneidung innerhalb des „kolonialen Personals“ der Stadt. Langen gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Kölner DKG und war finanziell an der ursprünglich von Carl Peters mitbegründeten Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) beteiligt.
Neben dem individuellen wirtschaftlichen Engagement einzelner Unternehmer existierte in Köln mit der Rheinischen Handei-Plantagen-Gesellschaft auch ein Kolonialunternehmen, hinter dem der Bankier Simon Alfred von Oppenheim stand. Die Geschichte dieser in Deutsch-Ostafrika tätigen Gesellschaft spiegelt die Schwierigkeiten wider, mit denen solche Unternehmungen verbunden waren, die hier wie in den meisten Fällen nur sehr bescheidene Erträge abwarfen. Zugleich zeigt Marianne-Bechhaus-Gerst, die auch als Mitherausgeberin des Bandes auftritt, in diesem Beitrag beispielhaft den ausbeuterischen Charakter der Arbeitsbedingungen der einheimischen Arbeitskräfte auf den deutschen Plantagen, die in weiterer Konsequenz zu größten Schwierigkeiten bei der Anwerbung der dringend benötigten ArbeiterInnen führten. Ein Beitrag über Kolonialwarenläden in Köln rundet das Wirtschaftskapitel ab.
Das Kapitel zu kolonialer Wissenschaft in Köln wartet neben einem Blick auf das Völkerkundemuseum mit einem Beitrag über den bekannten „Afrikaforscher“ Gustav Nachtigal auf, der ab 1861 in der Rheinmetropole als Militärarzt arbeitete. Die bis heute teilweise sehr positive Darstellung seiner Rolle bedarf – das macht Mitherausgeberin Anne-Kathrin Horstmann deutlich – einer dringenden Relativierung: Im Auftrag Bismarcks schloss Nachtigal nach 1884 sogenannte „Freundschafts-, Handels- und Protektoratsverträge“ mit west- und südwestafrikanischen Herrschern ab, die den ersten Schritt auf dem Weg zur Herstellung einer deutschen Kolonialherrschaft in den betreffenden Gebieten darstellten.
Der kurze Abschnitt zu Mission und Kolonialismus behandelt zwei Vereinsgründungen: den Afrika-Verein deutscher Katholiken in Köln und den Evangelischen Afrika-Verein, die im jeweiligen konfessionellen Milieu für die Missionsbemühungen in Übersee warben. Die katholische Seite hatte dabei mit Domkapitular Franz Karl Hespers (1846-1915) einen wichtigen Fürsprecher. Entsprechend dem benediktinischen „ora et labora“ sollte seiner Ansicht nach nicht nur eine Bekehrung der einheimischen Bevölkerung in den Kolonien zum Christentum, sondern auch eine „Erziehung zur Arbeit" stattfinden.
Zu den unter dem Stichwort „Inszenierungen“ untersuchten Aspekten gehören die berüchtigten Völkerschauen, die sich für Köln in großer Zahl nachweisen lassen, ebenso wie die inszenierte Fauna des Kölner Zoos. Eine Spezialität bildet der Beitrag zu Exotismus und Rassismus im Kölner Karneval. Insbesondere im Frühjahr 1885, nur kurz nach der berühmten Kongo-Konferenz von 1884/85, herrschte ein regelrechtes Afrikafieber in Köln. Zehn Jahre später war es der Kolonialskandal um den Gouverneur von Kamerun, Heinrich Leist, der eine spöttische Behandlung im Rosenmontagsumzug 1895 erfuhr. Dargestellt wurde Leist, wie er an einen Baum gefesselt ist und – in Verkehrung der tatsächlichen Vorgänge in der deutschen Kolonie – von schwarzen Frauen ausgepeitscht wird.
Besonders überzeugend sind die Artikel zum deutschen „Kolonialismus ohne Kolonien“ nach dem Verlust der überseeischen Besitzungen im Vertrag von Versailles 1919. Als herausragender Akteur ist hierbei Konrad Adenauer, der Kölner Oberbürgermeister von 1917 bis 1933, zu nennen. Dessen kolonialrevisionistischem Engagement während der Weimarer Republik – u.a. war er 1931 bis 1933 stellvertretender Präsident der DKG – waren einige große koloniale Veranstaltungen in Köln zu verdanken. Dieser Aspekt seiner Biographie wird heute weitgehend von seiner Rolle als erster Bundeskanzler der Bundesrepublik überstrahlt und ist wenig bekannt. Den Schluss des Bandes bilden Beiträge zur Gegenwart des Kolonialen in Köln, die u.a. anhand von Denkmälern und Straßennamen manifest wird.
Die große Zahl der Beiträge in diesem Band bietet einige Vielfalt und ist insofern zu begrüßen. Andererseits fallen einige Beiträge angesichts der Komplexität der behandelten Themen dadurch zu knapp aus. Etwas kurz sind auch das Vorwort nebst Einleitungsartikel geraten. Wünschenswert wäre hier eine stärkere theoretische Verortung des Bandes gewesen, die die LeserInnen entlang leitender Fragestellung durch die große Zahl der thematisch breit gestreuten Artikel hätte führen können. Auch fehlt ein abschließendes Resümee über die bis dato geleistete Arbeit von Köln postkolonial, das eine Bewertung der bisherigen Ergebnisse hätte vornehmen und offene Fragen formulieren können. Ein Personenregister hätte schließlich die Suche nach einzelnen Akteuren erleichtert.
Alles in allem nimmt dieser gelungene und reich bebilderte Beitrag zur kolonialen Metropolenforschung die LeserInnen mit auf eine vielfältige Spurensuche zu einem Kapitel der Kölner Stadtgeschichte, das den allermeisten Menschen bis dato nicht bekannt sein dürfte und dem man daher auch über Köln hinaus eine reiche LeserInnenschaft wünschen mag.
Korbinian Böck (M. A. Geschichte)
Marianne Bechhaus-Gerst / Anne-Kathrin Horstmann (Hg.): Köln und der Deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche, Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien 2013. 286 Seiten, 34,90 €. Inhaltsverzeichnis (pdf)
Siehe auch: "Köln postkolonial - Ein lokalhistorisches Projekt der Erinnerungsarbeit"
Rezensionen:
- Bechhaus-Gerst, Marianne: Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen. Eine Lebensgeschichte (2007) Zur Rezension
- Bechhaus-Gerst, Marianne und Mechthild Leutner (Hg.): Frauen in den deutschen Kolonien (2009) Zur Rezension
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