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Rezension hier eingestellt im Februar 2010

 

siehe auch:

  • Michels, Stefanie: Opfer des Bekennens - Zur kolonialen Erinnerungspolitik in Kamerun und Deutschland (2003). Zum Text
  • Möhle, Heiko: Eine endlose Geschichte - Nachwirkungen des Deutschen Kolonialismus in Kamerun (2004) Zum Text
  • Oguntoye, Katharina: Prekäre Subjekte - Die afrikanische Diaspora in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus (2009) Zum Text [Schwerpunkt auf Kamerunischen Immigranten]
  • Schmidt-Soltau, Kai: Die Unschuld vom deutschen Lande - Die koloniale Vergangenheit vor Gericht (2003, nebst Zeittafel). Zum Text (siehe auch Replik)
  • Simo, David: Hartnäckiges Erbe - Wie koloniale Strukturen Kamerun bis heute prägen und Probleme bereiten (2009) Zum Text

 

 

 

 

cover

Albert Gouaffo:

 

Wissens- und Kulturtransfer im kolonialen Kontext.

 

Das Beispiel Kamerun - Deutschland (1884-1919)

 

Bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus dominierten früher empirisch-systematische Grundlagenarbeiten zur Herrschaftspraxis der Kolonisatoren. Darauffolgend richtete sich das Interesse verstärkt auf die kolonisierte Bevölkerung, mithin standen peripheriezentrierte Forschungsansätze im Vordergrund. In jüngster Zeit wendete man sich zuvorderst der kolonialen Metropolenforschung zu. Sie verdankt ihre Anregung den interdisziplinären und überwiegend diskursanalytisch ausgerichteten Arbeiten der „postcolonial studies“, die den Kolonialismus als gegenläufigen Prozess verstehen, insofern dessen Auswirkungen nicht nur auf die kolonisierten Völker, sondern ebenso auf die metropolitanen Gesellschaften zu untersuchen sind. Dabei stehen gegenwärtig vor allem Fragen nach der Interdependenz von Identität und Alterität im Mittelpunkt, d.h. in welcher Form die Kolonialdiskurse das kulturelle und mentale Selbstverständnis der vormaligen Imperialmächte geprägt haben.

In diesen Kontext gehört die Studie „Wissens- und Kulturtransfer im kolonialen Kontext. Das Beispiel Kamerun - Deutschland (1884-1919)“ von Albert Gouaffo. Bei dem Buch handelt es sich um die an der Universität Saarbrücken eingereichte Habilitationsschrift von Gouaffo, der Associate Professor für deutsche Literatur, Landeskunde sowie Komparatistik am Département de Langues Etrangères Appliquées (LEA) der Universität Dschang in Kamerun ist. Davon ausgehend, dass die Kolonialherrschaft keine Einbahnstraße war, untersucht der Autor das Beziehungsgeflecht zwischen der Kolonie Kamerun und dem „Mutterland“, dem Deutschen Reich. Die zentrale These, die er seinem Buch zu Grunde legt, lautet: Die Abgrenzung von dem Fremden, hier in Gestalt Kameruns, habe zum Nationalbildungsprozess der Deutschen beigetragen. Methodisch basierend auf den Konzepten des „Kulturtransfers“ und des „Sozialdiskurses“, hat Gouaffo das in Deutschland zirkulierende Wissen über Kamerun eingehend unter die Lupe genommen. Das Material hat er dabei unter drei Fragestellungen durchforstet: Was war über die Anthropologie Kameruns bekannt? Auf welchen Textsorten und Medien basierte das Wissen? Und schließlich fragt er nach dem Rezeptionskontext im Deutschen Reich in den drei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg.

Kamerun 1

„Deutsche Kolonien. Bismarck Begründer der deutschen Kolonien, Am Kamerunfluss, Bagida“, Zuckerin Chemische Fabrik von Heyden (Süßstoffe), Dresden-Radebeul, um 1900.

Die für die Deutschen identitätstiftende Funktion des Überseereiches tritt in diesem Reklamesammelbild klar zutage. (Bild: Sammlung Willi Goffart).

Im ersten Teil der Arbeit werden in knappen Abrissen die Institutionen des deutsch-kamerunischen Wissenstransfers dargestellt, darunter Missionsgesellschaften, staatliche Verwaltungsorgane, etwa die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, die Deutsche Kolonialgesellschaft, wissenschaftliche Institute, Kolonialmuseen und koloniale Handelsgesellschaften. Daran anschließend werden die Träger und Medien des Wissenstransfers vorgestellt. Dazu zählen die deutschen Forschungs- und Kamerunreisenden, Kolonialmilitärs und -beamte wie auch die kamerunischen Migranten, die in Deutschland gelebt und sich aufgehalten haben. Als Quellenbasis dienten ihm Kolonial- und Missionszeitschriften, das einschlägige geographische Schrifttum, die Tagespresse, koloniale Prosa, zum Beispiel der Roman „Das Duallamädchen“ (1908) von Jesco von Puttkamer, Reiseliteratur bis hin zu Bild- und Textmaterial der berüchtigten Völkerschauen mit Teilnehmern aus Kamerun. Im zweiten Teil, dem Kernstück seiner Analyse, widmet sich Gouaffo der Wissensverarbeitung und der Rezeption des Gegenstandes „Kamerun“ in Spiegel gedruckter Medien. Der dritte und abschließende Teil der Studie konzentriert sich auf Völkerschauen bzw. Kolonialausstellungen. Insbesondere ist es hier die Person des kamerunischen Prinzen Samson Dido, der zusammen mit einigen Familienmitgliedern im Jahr 1886 in Berlin auftrat und auf dessen Spurensuche sich der Autor begibt.

Es verwundert kaum, dass die Wahrnehmung Kameruns mit seinen Völkern, Kulturen, Religionen, Räumen und Landschaften durch den Fremdblick der deutschen Akteure meist von Stereotypen und Exotisierungen bestimmt wurde. Allerdings war das Verhältnis zwischen Metropole und Peripherie vielschichtig und zielte nicht nur auf die Produktion von Differenz. Von der kolonialen, hierarchisch geprägten Begegnung profitierten durchaus beide Seiten, doch führte sie bei aller Wechselseitigkeit nicht immer zur gegenseitigen Verständigung. Wie Gouaffo deutlich macht, galt die deutsche Wissensproduktion nicht zuletzt der Sicherung der Macht, sie war Herrschaftswissen, denn nur wer seine kolonialen Untertanen kannte, konnte sie auch beherrschbar machen.

In seinen Schlussbemerkungen hebt Gouaffo nochmals hervor, dass die deutsch-kamerunischen Beziehungen zur Stärkung der deutschen (National-)Identität beigetragen haben. Die Vorstellungen über Kamerun „dienten als Deckmantel für den Kampf um eigene nationale, politische und ökonomische Interessen des Reiches“ (S. 244). Der „Andere“ bot die Folie, um die weiße - um klare Abgrenzungen bemühte - Identität und Überlegenheit zu stabilisieren. Soweit die Theorie, doch hätte man gerne mehr über diesen Prozess erfahren. Ein Vergleich zu anderen europäischen Kolonialmächten hätte sich hier angeboten, etwa zum britischen Empire. In Großbritannien wird durchaus kontrovers darüber diskutiert, welche Bedeutung der kolonialen Interaktion zur Schaffung einer britischen Identität zukam. So wies kürzlich Bernard Porter (‚The Absent-Minded Imperialists’. Empire, Society and Culture in Britian, [2004]) die These zurück, dass das Empire einen grundlegenden Bestandteil britischer Kultur und nationaler Identität bildete.

Kamerun 2

Das 1886 errichtete Denkmal für Gustav Nachtigal in Douala/Kamerun. Die Inschrift unter dem bronzenen Medaillon mit dem Profil Nachtigals lautet:

„DEM ANDENKEN DES KAISERLICH DEUTSCHEN GENERALKONSULS DR. GUSTAV NACHTIGAL GEWIDMET VON DEN DEUTSCHEN KAUFLEUTEN IN WESTAFRIKA 1886.“ (Foto: Joachim Zeller, 2009).

Wie auch immer, der Autor hat ein wichtiges Buch vorgelegt, dass sich sehr gut parallel zu vergleichbaren Arbeiten wie derjenigen von Birthe Kundrus (Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien, [2003]) liest. Sie hat dargelegt, dass die Kolonien das schwächelnde nationale Selbstwertgefühl der Deutschen aufwerteten. Was man sich schon bei Kundrus gewünscht hätte, drängt sich auch bei Gouaffo auf, nämlich eine stärkere Berücksichtigung der Perspektive der „unterworfenen Kolonialvölker“, in diesem Fall der Kameruner, die jedoch mit der Fokussierung auf die „deutsche Seite“ außen vor bleiben. Im Sinne einer „histoire croisée“ oder einer „entangled history“ wäre es jedenfalls reizvoll gewesen, wenn der Kulturtransfer auch in umgekehrter Richtung, d.h. nach Kamerun Aufnahme in die Untersuchung gefunden hätte. So wäre diese Erweiterung die logische Fortsetzung der vorliegenden Forschung, um nicht zuletzt die Frage zu klären, ob der Kolonialismus für Kamerun nur eine Episode oder eine fundamentale Transformation bedeutete.

Joachim Zeller

Albert Gouaffo: Wissens- und Kulturtransfer im kolonialen Kontext. Das Beispiel Kamerun - Deutschland (1884-1919), Königshausen & Neumann, Würzburg 2007

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