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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 2.9.2010

 

 

 

Förster Erinnerung

Rezension von: Larissa Förster: Postkoloniale Erinnerungslandschaften. Wie Deutsche und Herero in Namibia des Kriegs von 1904 gedenken

Geteilte Kriegserinnerungen

Der 14. August 2004 ging als Meilenstein in die Annalen der deutsch-namibischen Beziehungen ein. Die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul sprach als erstes Mitglied einer deutschen Bundesregierung eine Entschuldigung für die deutschen Kolonialverbrechen im ehemaligen Südwestafrika, dem heutigen Namibia, aus. Die Gedenkfeier, auf der die Ministerin sprach, fand anlässlich des hundertsten Jahrestages der „Schlacht am Waterberg“ auf historischem Boden statt, in Ohamakari bei Okakarara.

Mit dem Waterberg auf der einen und Ohamakari auf der anderen Seite verbinden sich die zentralen Erinnerungstopoi der deutsch- bzw. der hererosprachigen Namibier in Bezug auf den verheerenden Kolonialkrieg der Jahre 1904-1908. Die Kölner Ethnologin Larissa Förster, Co-Kuratorin der 2004/05 in Köln und Berlin sehr erfolgreich gelaufenen Ausstellung „Namibia - Deutschland: Eine geteilte Geschichte“, hat nun eine Studie vorgelegt, in der sie die mündlichen Kriegsüberlieferungen von Namibia-Deutschen und Herero einer eingehenden Untersuchung unterzogen hat. Ihr Buch darf große Aufmerksamkeit für sich beanspruchen, da der Kolonialkrieg von 1904-1908 bis heute ein zentrales Ereignis namibischer Geschichte darstellt.

Förster hat während ihrer mehrmonatigen Aufenthalte in Namibia eine intensive Feldforschung in der Waterberg-Region betrieben und zahlreiche Interviews mit den dort lebenden Menschen geführt wie sie ergänzend zahlreiche (un-)gedruckte Quellen ausgewertet hat. Im Zentrum ihres synchronen und diachronen Vergleichs der Erinnerungsinhalte und -praktiken der vergangenen hundert Jahre steht also nicht die geteilte Geschichte, sondern ihr geht es um die geteilten Kriegserinnerungen. Dabei wird „geteilt“ im Sinne einer „Verflechtungsgeschichte“ (Sh. Randeria) als „gemeinsam“ und „getrennt“ aufgefasst. Da die multikulturelle und multiethnische Gesellschaft Namibias von einem Nebeneinander einzelner Erinnerungskulturen geprägt ist, gibt es zwar eine gemeinsame, alle Namibier einende Geschichte, aber ein trennendes Gedächtnis der einzelnen Bevölkerungsgruppen mit ihren spezifischen kulturgeschichtlichen Prägungen.


Maharero Day 1994

Maharero Day (Herero-Tag) in Okahandja/Namibia, 1994. (Foto: J. Zeller)

Eindrücklich belegt die Autorin, dass die kollektiven Erinnerungen nicht isoliert von einander existieren, sondern im Austausch, Konkurrenz und Konfrontation zueinander stehen. Für die deutschsprachigen Namibier, d.h. die deutschstämmigen Farmer in der Region, wurde der Waterberg zum Ort der „Entscheidungsschlacht“ gegen die Herero und zu einer deutschen Landschaft, wie sie gleichsam zur Überwindung von Fremdheitsgefühlen gefunden werden musste. Allerdings wurden die seit 1923 auf dem Waterberg-Friedhof von Vertretern der deutschen Sprachgruppe abgehaltenen Gedenkfeiern im Jahr 2003 vom damaligen Präsidenten Nujoma verboten. Zur Begründung hieß es, das Waterberg-Gedenken sei reaktionär und würde die Bemühungen um eine nationale Versöhnungspolitik unterminieren. Der junge namibische Staat demonstrierte damit seine Macht zur Deutungshoheit der Vergangenheit.

Hingegen stellt der Waterberg für die Herero kein Symbol für den Krieg dar, sondern das Gefecht in Ohamakari (ovita yOhamakari). Dort institutionalisierten die Herero seit den 1960er Jahren den Ohamakari Day, der allerdings nie die Aufmerksamkeit fand wie der jährlich Ende August in Okahandja abgehaltene Maharero Day. Der bei diesen Erinnerungsfeiern aufmarschierenden oturupa (im deutschen Sprachgebrauch meist „Truppenspielerbewegung“ genannt) kam eine entscheidende Bedeutung bei der Rekonstruktion und Reorganisation der Herero-Gesellschaft nach dem traumatischen Kolonialkrieg zu. Untrennbar zu den Ohamakari-Gedenkfeiern (omazemburukiro) gehört auch die Erinnerung an die Flucht in die Omaheke-Halbwüste, wo damals die Herero zu Zehntausenden den Dursttod erlitten. Spätestens im Gedenkjahr 2004, so Förster, setzte sich der Begriff genocide für die Kriegskatastrophe in weiten Kreisen der hererosprachigen Bevölkerung durch, die zuvor vom „Krieg mit den Deutschen“ gesprochen hatten.

Die umfangreiche Untersuchung von Larissa Förster ist ein gewichtiger Beitrag zu der sehr breit geführten Debatte um den internationalen memory boom. Vor allem aber gewährt sie einen exzellenten Einblick in das cultural mapping in Namibia. Es wird gezeigt, wie Herero und Namibia-Deutsche ganz verschiedene Kriegserinnerungslandschaften mit ihren Orten, Erzählungen und Ritualen kreierten. Die Memoralisierung des Kolonialkrieges war und ist geprägt von Konjunkturen und Flauten, Wellen des Erinnerns wechseln sich ab mit solchen des Vergessens und des Verdrängens. Resümierend stellt Förster fest: „Der Krieg von 1904 war gewissermaßen eine ‚wiederaufladbare’ Metapher, in der sich unterschiedliche koloniale und postkoloniale Machtkonstellationen und Konkurrenzen ausdrücken ließen.“ (S. 345)

In ihrem Ausblick gibt Förster einen kurzen Überblick über die aktuelle Entwicklung der vergangenen Jahre. Waren zuvor vor allem die Herero mit ihren geschichtspolitischen Initiativen in den nationalen und internationalen Medien präsent, brachten sich nun auch die Nama - wie die Damara und San, die sich inzwischen ebenfalls als Opfer der deutschen Völkermordpolitik begreifen - in die öffentliche Debatte ein. Mittlerweile haben Herero und Nama eine Zusammenarbeit vereinbart, um ihren Forderungen nach Wiedergutmachung für den Krieg von 1904-08 gegenüber der Bundesrepublik Deutschland besser Gehör verschaffen zu können. Chief Dawid Frederick von den !Aman-Nama und Paramount-Chief der Herero Kuaima Riruako unterzeichneten im Dezember 2007 eine entsprechende Kooperationsvereinbarung. Und schon ein Jahr zuvor, im September 2006, wurde durch einen Beschluss des Windhoeker Parlaments die Reparationsfrage als eine nationale Angelegenheit anerkannt. Allerdings hat es darauf bisher keine Reaktion seitens der bundesdeutschen Regierung gegeben wie sich überhaupt seitdem kaum etwas getan hat. Die sog. Sonderinitiative der deutschen Bundesregierung, die eine Investition von 20 Mio. Euro (160 Mill. N$) für ein Zehnjahresprogramm vorsieht, wird von den Betroffenen nicht als Wiedergutmachung anerkannt.

Ob die heute noch getrennten kollektiven Kriegserinnerungen eines Tages vielleicht zu einer gemeinsamen Form des Erinnerns finden werden, wie dies die Autorin zum Schluss ihrer Arbeit als Frage in den Raum stellt, wird sich erweisen. Bleibt dem Buch eine Übersetzung ins Englische zu wünschen, so dass es vor allem auch in Namibia rezepiert werden kann.

Joachim Zeller

Larissa Förster: Postkoloniale Erinnerungslandschaften. Wie Deutsche und Herero in Namibia des Kriegs von 1904 gedenken, Campus, Frankfurt/Main 2010, 392 Seiten. 39,90 €, Verlagsinfo:


Siehe auch:

  • Interview mit dem namibischen Botschafter Neville Gertze zum Problem der Schädel von Namibiern in deutschen Archiven (2009) Zum Text
  • Kößler, Reinhart: Genocide, Apology and Reparation –the linkage between images of the past in Namibia and Germany (2007; pdf, 27 Seiten) Zum Text
  • Kößler, Reinhart: Dringender Klärungsbedarf - Das Gedenkjahr 2004 zeigt die Verwerfungen der post-kolonialen Gesellschaft in Namibia (2005) Zum Text
  • Namibia-Themenschwerpunkt in iz3w Nr. 300: Altlasten - Namibias langer Weg in die Unabhängigkeit (2007) Mehr
  • Melber, Henning: In the shadow of genocide. German-Namibian reconciliation a century later (2006) Zum Text
  • Müller, Tobias: Die Politik der nationalen Versöhnung in Namibia - Den Spagat überzogen? Magisterarbeit aus dem Jahr 2002. (80 Seiten, pdf, 815 KB) Zum Text
  • Hillebrecht, Werner: Denkmalgeschichte - Göttinger Kolonialadler fliegt nach Namibia (1999). Zum Text
  • Wegmann, Heiko: Freiburg und der Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika Theodor Leutwein (2006) Zum Text
  • Engombe, Lucia: Kind Nr. 95. Meine deutsch-afrikanische Odyssee (2004). Zur Rezension

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