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Schulte-Varendorff, Uwe: Kolonialheld für Kaiser und Führer – General Lettow-Vorbeck (2006) Zur Rezension

Eckard Michels: Paul von Lettow-Vorbeck.

cover lettow

Die koloniale Geißel Ostafrikas
Eine neue Biographie zeichnet das Leben von Paul von Lettow-Vorbeck nach

Paul von Lettow-Vorbeck war nach Paul von Hindenburg der Heerführer, der nach dem Ersten Weltkrieg die größte Popularität im Deutschen Reich besaß. Als er am 2. März 1919 mit den Resten der deutsch-ostafrikanischen Schutztruppe durch das Brandenburger Tor nach Berlin einmarschierte, jubelten ihm Zehntausende von Menschen zu. Die Kundgebung in dem von revolutionären Unruhen erschütterten Berlin war die Geburtsstunde des Mythos vom „unbesiegten Helden von Ostafrika“.

Die von dem Historiker Eckard Michels - er lehrt am Birkbeck College der Universität von London - vorgelegte Biographie spürt auf mehr als vierhundert Seiten dem Leben dieses preußischen Kolonialoffiziers nach. Der Autor sieht Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964) als einen typischen Vertreter des ostelbischen Kleinadels, dessen Karriere als Berufsoffizier durch die Familientradition vorherbestimmt war. Nach dem Besuch der Kadettenanstalt in Potsdam und Berlin-Lichterfelde wurde der Vierundzwanzigjährige 1894 zum Großen Generalstab nach Berlin abkommandiert. Lettow-Vorbeck machte aber nicht im Reich Karriere, sondern in Übersee. Erste militärische Erfahrung in den Kolonien sammelte Lettow-Vorbeck in China (1900/01, Boxer-Krieg) und in Deutsch-Südwestafrika (1904-07, Herero-Krieg).
Bis dahin ein unbekannter Oberstleutnant, gelangte er mit seinem Einsatz in Deutsch-Ostafrika zu Ruhm. Als Oberkommandierender der kleinen Schutztruppe kämpfte sich Lettow-Vorbeck zusammen mit seinen „treuen Askaris“ beinahe vier Jahre lang tausende von Kilometern durch die Kolonien Deutsch-Ostafrika, Britisch-Rhodesien und Portugiesisch-Mozambique, um so seinen Gegnern - vor allem den britischen Verbänden - zu trotzen. Dabei stellte dieser Krieg eigentlich ein von vornherein aussichtsloses Unterfangen dar, war doch allgemein bekannt, dass die deutschen Überseekolonien militärisch nach außen nicht zu verteidigen sind. Vor allem aber verfehlte Lettow-Vorbeck das von ihm angestrebte Ziel, durch einen Guerillakrieg eine möglichst große Anzahl gegnerischer Truppen auf dem afrikanischen Kriegsschauplatz zu binden und damit deren Einsatz in Europa zu verhindern, insofern, als die dafür auf alliierter Seite eingesetzten Truppenteile zahlenmäßig viel zu gering waren. Der Abnutzungs- und Durchhaltekrieg in Ostafrika sollte ohne jeden Einfluss auf den Ausgang des Weltkrieges bleiben.
Michels zeigt in seiner Studie in aller Klarheit auf, dass Lettow-Vorbecks Weigerung, die Neutralität der Kolonie zu wahren - abgesehen von den vergleichsweise geringen menschlichen Verlusten auf den Schlachtfeldern -, hunderttausenden von afrikanischen Zivilisten das Leben kostete. Die vermeintliche Heldentat des „preußischen Löwen“ war eigentlich eine humanitäre Katastrophe und bedeutete nicht zuletzt langfristige ökologische Verheerungen für Ostafrika. Lettow-Vorbeck ließ, dies passt ins Bild, jegliche Empathie mit den afrikanischen Opfern vermissen. In seinen 1957 erschienen Memoiren erwähnte er sie mit keinem einzigen Wort. Die soldatische „Ritterlichkeit“, zu der man sich später auch unter seinen ehemaligen Gegnern, den britischen und südafrikanischen Offizierskollegen, gegenseitig gratulierte, bezog sich nur auf die Weißen. Schon vor geraumer Zeit hatte der britische Historiker John Iliffe unmissverständlich über den mit äußerster Skrupellosigkeit geführten Feldzug Lettow-Vorbecks geurteilt: Es handele sich dabei um einen „Höhepunkt der Ausbeutung Afrikas: seine Verwendung als reines Schlachtfeld.“
Die abschließenden Kapitel seines Buches widmet Michels dem weiteren Lebensweg Lettow-Vorbecks. 1919 schlug er zunächst im Auftrag der Reichsregierung mit dem „Korps Lettow“ die revolutionären Unruhen in Hamburg nieder. Doch musste er nach Beteiligung an dem von ultrarechten Militärs durchgeführten Kapp-Lüttwitz-Putsch im Sommer 1920 seinen Abschied aus der Reichswehr nehmen. Er übersiedelte nach Bremen, wo er als Bankkaufmann und in einer Eisengroßhandlung arbeitete. 1928-1930 saß er - sich allerdings auf die Rolle des Hinterbänklers beschränkend - für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) im Reichstag. Es folgte eine kurzzeitige Zugehörigkeit zu der gemäßigten Konservativen Volkspartei (KVP). Neben diesen Tätigkeiten avancierte Lettow-Vorbeck in den zwanziger und dreißiger Jahren zur wichtigsten Symbolfigur des deutschen Kolonialrevisionismus. Unermüdlich reiste er als Propagandaredner für die Kolonialbewegung im Land auf und ab. Nicht zuletzt war er durch sein in hohen Auflagen erschienenes Erinnerungsbuch „Heia Safari“, das seinen Lesern eine Mischung aus Kolonialabenteuer und Kriegsverherrlichung bot, in der Öffentlichkeit präsent. Unverdrossen hielt er an der Auffassung fest, Afrika werde dem „Volk ohne Raum“ dereinst wieder zur Heimat werden. Diese Position, die er auch in den Jahren nach 1933 propagierte, brachte ihn in Gegensatz zu den Nationalsozialisten, die bekanntlich ihren kolonialen Raum in Osteuropa sahen.
Aus der Generation der „Wilhelminer“ stammend, vertrat Lettow-Vorbeck ein antidemokratisch-reaktionäres Weltbild, weshalb die Weimarer Republik bei ihm auch auf Ablehnung stieß. Wie viele seines Standes war er von einer geradezu pathologischen Angst vor dem angeblich überall lauernden Bolschewismus getrieben. Mit seinem Streben nach Widerherstellung deutscher Großmachtposition entpuppte er sich als ein typischer Wegbereiter des Nationalsozialismus. Obgleich er das offene Engagement für die NSDAP mied, kollaborierte er nach 1933 bereitwillig mit dem NS-Regime. Eine erneute, von ihm nachdrücklich gewünschte militärische Verwendung in der Wehrmacht blieb ihm verwehrt.
Eckard Michels hat eine umfassende und quellennahe Darstellung der Biographie Paul von Lettow-Vorbecks vorgelegt, die kaum etwas zu wünschen übrig lässt (auch wenn manche Passagen etwas langatmig geschrieben sind). Sie ergänzt in hervorragender Weise das von Uwe Schulte-Varendorff vorgelegte Buch „Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck - Mythos und Wirklichkeit“. Beide Autoren kommen übrigens zu dem gleichen Resümee: Für die Traditionspflege der Bundeswehr ist Lettow-Vorbeck heute nicht mehr geeignet.
Bleibt noch ein kritischer Hinweis zu der Gestaltung des Schutzumschlages des Werkes von Michels. Der Verlag reproduziert hier noch einmal die mythisch umwehte Figur des Generals als Blickfang. Dieses Bild mag für den Verkauf des Buches nützlich sein. Im Buch wird dieser Mythos des Kriegs- und Kolonialhelden jedenfalls erfolgreich dekonstruiert und Lettow-Vorbeck als das entlarvt, was er war: die große koloniale Geißel, welche einst Ostafrika heimsuchte.

Joachim Zeller, April 2009

Eckard Michels: Paul von Lettow-Vorbeck. Eine Biographie. Ein preußischer Kolonialoffizier, Schöningh, Paderborn 2008, 434 S., ISBN-13: 9783506763709, € 39,90

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