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Grada Kilomba: Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism.

Unrast Verlag, Münster 2008. 151 Seiten, 16,- Euro
cover kilomba
Grada Kilomba, Mitherausgeberin des Bandes "Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland", hat jetzt mit Plantation Memories eine scharfsinnige Analyse von Alltagsrassismus vorgelegt. Das Buch kreist um die Erlebnisse von zwei Schwarzen Frauen, deren Erfahrungen mit Rassismus von Kilomba jedoch nicht als Einzelfälle gewertet werden. Die exemplarischen Episoden erlauben generelle Reflexionen über die Struktur des Alltagsrassismus und dessen koloniale Kontinuitäten. Die zentrale These des Buches ist schon im Titel "Plantation Memories" angedeutet: Der Alltagsrassismus verweist auf die Geschichte rassistischer Unterdrückung, die im Erleben von Diskriminierung schmerzhaft in Erinnerung gerufen wird. Alltagsrassismus stellt eine für das Schwarze Subjekt traumatische Wiederaufführung einer gewaltsamen kolonialen Vergangenheit dar.

Zur Illustration dieser These beginnt Kilomba ihr englischsprachiges Buch mit dem historisch nicht nur in Brasilien verbürgten Fall der eisernen Gesichtsmaske. Diese wurde den SklavInnen von den Kolonialherren angelegt, um sie zu demütigen und am Sprechen zu hindern. Die Autorin gebraucht dieses Instrument, diese mask of speechlessness, als Metapher, um zu verdeutlichen, wie Alltagsrassismus kolonialen Mustern der Herrschaft gehorcht. Das Schwarze Subjekt wird auch im übertragenen Sinne am Sprechen gehindert, indem Räume und SprecherInnenpositionen weiß gehalten werden. Schwarze und People of Color werden hingegen abgewertet, ihre Legitimität zu sprechen wird negiert, und sie werden als überempfindlich und emotional degradiert, wenn sie diese Machtverhältnisse und rassistischen Äußerungen kritisieren.

Die Autorin schildert aus persönlicher Erfahrung, wie weiße KollegInnen ihre Arbeit zu Postkolonialer Theorie und Alltagsrassismus als interessant, aber sehr subjektiv zu kategorisieren versuchten. Dabei wird eine binäre Logik bemüht, die auf der einen Seite die "seriöse" Wissenschaft als objektiv darstellt, während auf der anderen Seite WissenschaftlerInnen, die die eigene Positionalität reflektieren und deren Eingebundenheit in rassistische und sexistische Verhältnisse der Unterdrückung explizit machen, als subjektiv, emotional und irrelevant abgetan werden. Kilomba bezeichnet dies als Abwehrstrategie, die einem wiederkehrenden Muster gehorcht: Rassismus wird als ein persönliches Problem des Schwarzen Subjektes umzudeuten versucht, und das Weiße Subjekt leugnet seine Verantwortung, erneut eine koloniale Szenerie aufgeführt zu haben.

Die traumatische Dimension des Alltagsrassismus verdeutlicht Kilomba am Wort "Neger". Rassismus gehorcht einem diskursiven Regime, in dem eine Assoziationskette durch bestimmte Wörter initiiert wird. Das N-Wort ruft eine ganze koloniale Geschichte von Ausbeutung und Degradierung hervor. Eine Interviewpartnerin von Kilomba berichtet davon, wie sie mit dem N-Wort beschimpft wurde. In jenem Moment, so die Autorin, wurde die Person in eine koloniale Szenerie mit ihrer totalen Machtasymmetrie zurückgeworfen. Die Dichotomie von Herr und Sklave wird symbolisch wiederhergestellt, Kolonialismus wird als real erfahren. Diese Plötzlichkeit und Unvorhersehbarkeit, die die Erfahrung mit dem Alltagsrassismus kennzeichnet, ist laut Kilomba ein zentrales Charakteristikum vom klassischen Trauma. Die Vergangenheit wird zur Gegenwart.

Die Präsenz kolonialer Herrschaftsstrategien zeigt Kilomba anschaulich anhand der jeder Schwarzen und Person of Color in Deutschland gestellten Frage "Woher kommst Du?" In dieser Frage verdichten sich verschiedene koloniale Strategien der Erfassung und Kontrolle. Deutschland wird als weiß imaginiert und jede Abweichung von dieser Norm als außerhalb der Nation stehend konstruiert. Ersichtlich wird das aus der sich sofort anschließenden Frage "Ich meine wirklich?". Es geht beim "Woher kommst Du" nicht um reales Interesse der fragenden Person am Gegenüber, sondern um die Reduzierung des Schwarzen Subjekts auf ein Objekt. Deutschsein und Schwarzsein werden in dieser Frage als Gegensatz behandelt und das Schwarze Subjekt automatisch als das Andere markiert. Nationalität wird hier implizit über "Rasse" hergestellt.

Kilomba unterstreicht mehrfach, was schon von Schwarzen Feministinnen wie bell hooks oder Patricia Hill Collins betont wurde, dass Rassismus und Sexismus nicht separat betrachtet, sondern nur als sich überschneidende Formen der Unterdrückung verstanden werden können. Insbesondere Schwarze Frauen werden zu exotisierten Objekten der Begierde gemacht. In der rassistischen Logik wird der weibliche Körper zu einem zu erobernden Terrain, das ambivalente Gefühle hervorruft: die Faszination des "Fremden" und "Anderen" sowie dessen Ablehnung. Historisch schlug sich dies in der Konstruktion der Figur der hypersexualisierten Schwarzen Frau nieder, die sexuelle Phantasien weckte, aber auch als bedrohlich angesehen wurde. Die Autorin zeigt anhand verschiedener Interviews, wie sich diese rassistischen Vorstellungen in der Gegenwart fortschreiben. Beispielsweise ist das Befühlen der Haare von Schwarzen Menschen durch wildfremde weiße Menschen, wie es die Interviewpartnerinnen der Autorin schildern, ein Beispiel für die koloniale Kontinuität: Der Schwarze Körper wird seziert und seine Autonomie und körperliche Integrität ignoriert.

Die Strategien, die Kilomba zur Bekämpfung des Alltagsrassismus vorschlägt, fasst sie in der Formel "Zum Subjekt werden" zusammen. Sie argumentiert unter Rückgriff auf Frantz Fanon, dass die Dimension des Rassismus zentral für die Traumata des Schwarzen Subjekts ist, und deshalb deren Verarbeitung auf der spezifischen Erfahrung des Rassismus basieren muss. Die Strategien der Dekolonialisierung, wie Kilomba sie nennt, bestehen darin, sich dieser Wirkungsmächtigkeit von Alltagsrassismus bewusst zu werden, ihm mittels aktiver Solidarität mit anderen Schwarzen Menschen entgegen zu wirken und durch das Setzen von Grenzen wieder ein Subjekt zu werden.

"Plantation Memories" leistet einen wichtigen Beitrag zu der in Deutschland wenig entwickelten Forschung über Alltagsrassismus, weil es Ansätze aus Psychoanalyse und Postkolonialer Theorie produktiv verbindet. Die Originalität des Buches besteht darin, dass die individuellen Erfahrungen Schwarzer Menschen mit Alltagsrassismus als traumatische Wiederaufführung einer kolonialen Vergangenheit begriffen werden können.

Philipp Dorestal

Diese Rezension ist zuerst erschienen in iz3w Nr. 311 (März/April 2009)

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