Der Band will einen systematischen Überblick über die verschiedenen Tätigkeitsfelder und Funktionen geben, die einheimische und weiße Frauen in den deutschen Kolonien ausübten. Er teilt die Thematik dazu in die Rubriken "Koloniales Selbstverständnis", "Koloniale Frauenwelten", "Koloniale Frauenmission" und "Koloniale Frauenbilder" auf. Umfassend ist der Band auch in geographischer Hinsicht: Er beschränkt sich nicht auf die deutschen Kolonien in Afrika, sondern berücksichtigt auch das “Erbpachtgebiet” Kiautschou in China und die kolonisierten Südseeinseln. Dabei gestaltete sich – was wenig überraschend ist – vor allem die Betrachtung der Situation der lokalen Frauen als schwierig: sie können mangels eigener Zeugnisse fast ausschließlich durch die Brille der Kolonisatorinnen wahrgenommen werden. Eine Ausnahme stellt die “antikoloniale Legende” um Sai Jinhua dar, die nach dem Ende der deutschen Kolonialbesatzung in China zur Heldin stilisiert wurde und sich in den 1930ern selber hierzu äußerte.
In mehreren der Aufsätze – u.a von Martha Mamozai, Dag Henrichsen, Anette Dietrich und Dörte Lerp – wird auf die Bevölkerungspolitik in den Kolonien und auf deren Auswirkungen auf den Rassismus in Deutschland eingegangen (wobei es leider zu einigen Wiederholungen kommt). Die Auswanderung deutscher Frauen in die Kolonien wurde gezielt gefördert, um die “Vermischung” der deutschen Kolonisten mit lokalen Frauen zu verhindern. Die weißen Frauen sollten dadurch das “Deutschtum” in den Kolonien bewahren helfen. Insbesondere in Deutsch-Südwestafrika wurden auch Verbote von Mischehen erlassen und aus “Misch”beziehungen hervorgegangene Kinder nicht als legitime Erben anerkannt. Dadurch sollte verhindert werden, dass “Mischlings”kinder eines Tages in leitende Funktionen in den Kolonien gelangen könnten. In dem Bemühen, die weiße Rasse “rein” zu halten, wurden schwarze Frauen als hässlich und minderwertig abqualifiziert. In der Südsee, wo Deutschland sich eher auf den Handel als auf Siedlung konzentrierte, war die Trennung nicht ganz so strikt, und die Schönheit der Polynesierinnen wurde anerkannt.
Aber auch in Deutschland hatte die in den Kolonien verfolgte “Rassenreinhaltungspolitik” Auswirkungen, da damit die Kategorie “Rasse” erstmals als Grundlage für eine Ungleichbehandlung eingeführt wurde – obwohl Forschung und Politik sie letztlich nicht genau definieren konnten. Dietrich thematisiert außerdem das Engagement von Akteurinnen der radikalen Frauenbewegung in Deutschland für den Kolonialismus und gegen “Rassenmischung”. Dargestellt werden auch die Parallelen zwischen der Konstruktion von Geschlechtern und Rassen.
Interessant an den Aufsätzen zum Thema Koloniale Frauenmission ist zum einen die In-Blick-Nahme der Missionarinnen selbst, zum anderen, dass die AutorInnen die Tätigkeit der Missionarinnen durchaus differenziert bewerten. So stellt Andreas Eckl – der Argumentation von Simone Prodolliet und Ursula Kägi folgend – fest, dass die Missionarinnen einerseits selbst Opfer patriarchalischer Machtstrukturen und des engen europäischen Frauenbildes waren, andererseits aber ebenso kolonialistische Täterinnen und – zumindest in Afrika – stark im rassistischen Diskurs verhaftet Sie hätten aber auch die persönliche Aufwertung der Frau und ihre schrittweise rechtliche Gleichstellung eingeleitet – und es sei zu beachten, dass die Missionarinnen keine Zwangsmittel hatten, also auf die Freiwilligkeit der missionierten Afrikanerinnen angewiesen waren. Und Vera Gaide betont in ihrem Aufsatz über die Frauenmission während der Kolonialzeit in China, dass die Missionarinnen in erster Linie in die Kolonien gingen, um das Christentum zu verbreiten, nicht das “Deutschtum”. “Im Hinblick auf die Missionarinnen lässt sich also nicht vereinfachend von “Agentinnen der deutschen Kolonialmacht” sprechen – im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Frauen, die versuchten, genau dies zu werden”, so Gaide (S. 167). Zwar betrachtet sie die Haltung der deutschen Missionarinnen gegenüber den Chinesinnen kritisch, beschreibt aber auch, dass deren Tätigkeit durchaus positive Aspekte hatte: So verbesserten sie u.a. die medizinische Versorgung sowie die Bildung für Frauen und Mädchen – und sie nahmen die traditionell unterdrückten chinesischen Frauen als Individuen war.
Im letzten Teil des Buches über “Koloniale Frauenbilder” wird die Darstellung der kolonisierten Frauen in den afrikanischen, chinesischen und samoanischen Gebieten betrachtet. Dabei werden sowohl die literarischen Schilderungen als auch Fotografien untersucht.
Die Bandbreite der Beiträge von 18 Autorinnen und Autoren ist sowohl in Hinblick auf die Themen als auch auf die Qualität groß: Von Porträts einzelner Kolonisatorinnen, Reisenden oder kolonisierten Frauen über thematische Schwerpunkte wie die Darstellung der Frauenkolonialschulen oder der Fotografie von Samoanerinnen reicht es bis zu rassismustheoretischen Ansätzen. Vor allem im ersten Teil des Buches – nach einer interessanten Einführung von Martha Mamozai – kommt es in mehren Artikeln zu deutlichen Wiederholungen. Diese lassen sich in einem Sammelband, in dem jeder Artikel auch für sich alleine stehen muss, nicht gänzlich vermeiden, hätten aber durch das Lektorat doch reduziert werden sollen. An anderer Stelle widersprechen sich die Beiträge, ohne aufeinander Bezug zu nehmen. So heißt es beispielsweise im Aufsatz von Dörte Lerp, ein Überschuss unverheirateter Frauen in Deutschland – der als eine der Begründungen für die Förderung der Auswanderung in die Kolonien diente – sei demographisch nicht nachweisbar (S. 33), während wenige Seiten danach Livia Loosen schreibt: “Ein wichtiges Motiv für die Ausreise war die Tatsache, dass damals im Deutschen Reich ein statistischer Frauenüberschuss bestand ...” (S. 41).
Wer mit der Thematik vertraut ist, wird in dieser Publikation sicher auf einiges Bekanntes stoßen. Doch in der Zusammenschau der verschiedenen Aspekte und geographischen Regionen bereichert der Sammelband die Literatur zu dem Thema, lässt Parallelen und Unterschiede erkennen und ist darüber hinaus vor allem auch für “Laien” gut lesbar. Zudem stützen sich die Beiträge teilweise stärker auf empirisches oder historisches Material, als dies in bisherigen Büchern, die die Kolonialgeschichte unter dem geschlechterspezifischen Blickwinkel betrachteten, der Fall war. Ob die Thematik durch „Frauen in den deutschen Kolonien“ in der akademischen historischen Forschung breiter diskutiert werden wird, wie Marianne Bechhaus-Gerst in einem Interview im WDR hofft, bleibt aber noch abzuwarten.
Ulrike Huber, Historikerin, Redakteurin bei LaRadio, Juli 2009
Marianne Bechhaus-Gerst und Mechthild Leutner (Hg.): Frauen in den deutschen Kolonien, Ch. Links-Verlag, Berlin, März 2009, 284 Seiten,
PREIS: 24.90 EUR, ISBN: 978-3-86153-526-3