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Zum Programm des DHM-Symposiums (pdf)


siehe auch zum Thema:

Margarete Brüll: Die deutschen Kolonien in der Südsee (1995; pdf, 18 Seiten) Zum Text


Margarete Brüll: Kolonialzeitliche Sammlungen aus dem Pazifik - Ethnografika im Adelhausermuseum als Freiburger Erbe des Kolonialismus (1995, pdf, 28 Seiten) Mehr

 

Kolonialismus als "Entwicklungshilfe"

Das Symposium des Deutschen Historischen Museums Berlin „Der Traum vom Paradies? Das Deutsche Reich in der Südsee“ vom 13.-14. September 2007

von Christian Kopp (Berlin postkolonial), 16.10.2007 (aktualisiert 27.10.2007)

Schon seit einigen Jahren bemüht sich das Deutsche Historische Museum in Berlin um die Darstellung deutscher Geschichte im internationalen Zusammenhang. So fanden seit 1998 Ausstellungen und Symposien zur deutschen Kolonialgeschichte in Tsingtau (China), Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika (1) statt. Im Rahmen der Berliner Asien-Pazifik Wochen vom 10.-23.9.2007 lud nun der renommierte Bayreuther Fachhistoriker Prof. Hermann Hiery zu einer weiteren Tagung über die kaum bekannte Rolle des Deutschen Reichs in der Südsee ein. Leider wurde, wer dabei auf eine kritische, wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus im Pazifik gehofft hatte, enttäuscht. Das imperiale Gewaltunternehmen der Kaiserzeit wurde zum diskussionswürdigen Modell für Deutschlands zukünftiges Engagement in der Region verklärt.

Poster Bild: Einladung Veranstalter

„There is absolutely nothing to apologize for“

In seinem einleitenden Referat verwies Hiery mit ersichtlichem Stolz auf den bedeutenden Anteil, den Deutsche, wie z.B. der Hamburger „Südseekönig“ Godeffroy, an der „Erschließung und Entwicklung“ des südlichen Pazifiks gehabt hätten. Kritischer äußerte er sich über die halbstaatliche Annexion und „Verwaltung“ erster Südsee-Territorien ab 1885. So hätte z.B. die Neuguinea-Kompagnie – geführt von „Verbrechern, Versagern und Vergessenen“ - eine „humanitäre Katastrophe“ unter der indigenen Bevölkerung verursacht. Mit der staatlichen Übernahme der Kolonien in den Jahren 1899/1900 wäre dann allerdings eine grundsätzliche Kehrtwende vollzogen worden: Die zumeist bürgerlichen, gebildeten und liberalen deutschen Kolonialbeamten hätten sich in „nahezu gewaltfreiem Kolonialkontakt“ der Kultur der Südseebewohner angepasst, ihnen Bildung vermittelt, ihre kulturelle Identität gestärkt und Frieden gestiftet. Kurz: Hiery interpretierte die deutsche Pazifik-Kolonisation aufgrund ihrer weniger brutalen Methoden als frühe deutsche „Entwicklungshilfe“.

DHM - Südsee

Der Ehrengast aus Samoa: H. Misa Telefoni Retzlaff (2.v.r.; Foto: DHM Berlin)

Diese angesichts von Kanonenbooten, Strafexpeditionen, politischen Morden und Massendeportationen (2) mehr als fragwürdige Deutung fand lebhafte Unterstützung durch Hermann MisaTelefoni Retzlaff, stellvertretender Premierminister von Samoa. Der Nachfahre des obersten deutschen Postbeamten vor Ort hob zu einer wahren Hymne auf Samoas Zeit unter den Deutschen an: die Gouverneure Solf und Schultz-Ewerth wären „wonderful men“ gewesen und die zahlreichen Nachfahren deutscher Kolonialisten würden bis heute mit Stolz auf ihre Abstammung verweisen. Sein Fazit: Im Gegensatz zu den Neuseeländern bräuchten sich die Deutschen für ihre Kolonialherrschaft über Samoa nicht im Geringsten zu schämen.

„Ihr sollt nicht Weiße werden, nur das Böse sollt ihr aufgeben!“

Den zweiten Tagungsteil zur Missionsgeschichte leitete Prof. Horst Gründer ein, der auf den „unstrittigen“ Zusammenhang von Kolonialismus und Mission verwies. Während die zahlreich geladenen Vertreter deutscher Missionswerke auf diese Verbindung nicht näher eingehen wollten, traf Gründers These von der „größten Bedeutung“ der Missionen für die „Öffnung der pazifischen Welt“ auf ihre Zustimmung. In den Selbstdarstellungen der Missionare offenbarte sich eine erschreckende ideologische Nähe zu den Begründern ihrer Institutionen. So behauptete z.B. Hermann Vorländer , Direktor des Missionswerkes der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, allen Ernstes, Missionspionier Flierl wäre seinerzeit dem Ruf „Komm herüber und hilf uns!“ der Bewohner Papua-Neuguineas gefolgt. Als Kronzeuge für die anhaltende Dankbarkeit der Protestanten Papua-Neuguineas sprach dann Manasseh Lapu, derzeit Gastpfarrer in Bochum, der das freundschaftliche Verhältnis zwischen den nun unabhängigen evangelisch-lutherischen Kirchen beider Länder hervorhob. (3)

Einem Wunder, so Josef Alt vom St. Pius Kolleg in München, kämen angesichts der großen Entfernung von den „Kulturländern“, der Sprachenvielfalt und der „Wildheit“ der Bewohner auch die Leistungen der katholischen Steyler Mission nahe. Denn immerhin sei man wegen der „undurchdringlichen Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Christentum „an die Menschen nur herangekommen“, indem man sie materiell unterstützte und medizinisch betreute. Und auch die Herz-Jesu-Schwestern Agnes Winter und Bartholomäa Janssen betonten, dass von ihren Vorgängerinnen mit Kursen wie „Charakterbildung“, „Haushaltsführung“ und “Grundlagen der Hygiene“ „Pionierarbeit in der Entwicklungshilfe“ unter den „Eingeborenen“ geleistet worden sei.

Podiumsdiskussion DHM

Podiumsdiskussion mit den ReferentInnen: H. Gründer, H. Vorländer, M. Lapu, J. Alt, A. Winter, B. Janssen (v.l.; Foto: DHM Berlin)

Die vom Publikum gestellte Frage nach einer selbstkritischen Auseinandersetzung der Missionen mit ihrer Geschichte stieß auf allgemeines Unverständnis, sodass sich Hiery zur Ehrenrettung der Missionare, die „fast alle“ Selbstzweifel gehabt hätten, verpflichtet fühlte. Geradezu entrüstet reagierten die Missionare dann auf die Frage nach einheimischem Widerstand gegen „das Überstülpen einer fremden Kultur“. Obwohl Hiery korrigierend eingestand, dass damals „nicht alles“ freiwillig übernommen wurde, blieben Erläuterungen über die zahlreichen Morde an Missionsvertretern - wie zum Beispiel durch die Baining 1904 in Ost-Papua – sowie über die Hintergründe solcher Gewalttaten aus.

„Am lebenden Objekt“

Der zweite Tag des Symposiums wurde durch einen Vortrag des deutschstämmigen Prof. James Bade aus Neuseeland über die Nachfahren deutscher Siedler in der Region eingeleitet. Danach ging Prof. Helmut Zedelmayer am Beispiel der „Samoadörfer“ auf das Phänomen der „Völkerschauen“ in Deutschland zwischen 1874 und 1933 ein. Der Historiker strich das kommerzielle, wissenschaftliche und sexuelle Interesse an den Veranstaltungen im „Mutterland“ heraus und verwies auf den starken Trend zur exotisch-erotischen Inszenierung der Menschen aus Übersee. Zu einer Verurteilung der menschenverachtenden „Völkerschauen“ konnte sich Zedelmayer - zur Erleichterung eines besorgt nachfragenden „Tropical Islands“ - Besuchers - dennoch nicht entschließen. Und auch Hiery wiegelte ab: auf Samoa hätten die Menschen Schlange gestanden, um mit der „Völkerschau“ auf Tournee gehen zu können.

Klarere Worte über die ambivalente Rolle der „kolonialen Wissenschaften“ fand Dr. Brigitta Bauer vom Missionsärztlichen Institut Würzburg. So strich die Medizinerin nicht nur die verheerenden Folgen der im Zuge des Kolonialismus in die Südsee eingeschleppten Krankheiten für die indigenen Gesellschaften heraus. Sie betonte vor allem auch, dass die medizinische Betreuung der Bevölkerung sehr spät und dann vorrangig aus kolonialwirtschaftlichen bzw. missionsstrategischen Erwägungen heraus übernommen wurde. Mit dem indisch-australischen Museologen Prof. Amareswar Galla fand sich schließlich der erste Redner des Symposiums, der postkoloniale Macht- und Denkstrukturen konsequent offen legte. So forderte Galla die Dekolonisierung europäischer Museen und ihrer Ausstellungspraxis sowie die direkte Einbeziehung indigener Gesellschaften, wenn es um Darstellungen ihrer Kultur und ihrer Geschichte ginge.

Wie die von Galla angemahnte „global partnership“ nach Ansicht des Auswärtigen Amtes aussehen könnte, vermittelte Wolfgang Piecha, neuer Leiter des Referates Südostasien-Pazifik. Er verwies auf die derzeitigen Bemühungen der Regierung, dem „Bedeutungszuwachs“ der pazifischen Region - die mit immerhin zwölf Stimmen in der UNO vertreten ist - durch verstärkte „Wirtschaftshilfe“ und „Ausbildungsförderung“ gerecht zu werden. Abschließend entwarf die Konferenz eine Resolution, welche die politisch-historische Ausrichtung der Veranstaltung noch einmal ganz klar zum Ausdruck brachte, indem sie die deutsche Politik dazu aufforderte, „die historisch gewachsenen freundschaftlichen Beziehungen“ zu den pazifischen Staaten künftig noch stärker zu berücksichtigen.

Ausgefallen: interkultureller Dialog zur Kolonialgeschichte

Dass das geplante Schlussgespräch „Taugt die Kolonialgeschichte zum interkulturellen Dialog?“ angesichts der kaum noch 20 verbliebenen Zuhörer ausfallen musste, entbehrt gewiss nicht der Ironie. Die Gründe für das allgemeine Desinteresse liegen jedoch klar auf der Hand. Ein Symposium zur Kolonialgeschichte, auf dem anstelle von kritischen Fachleuten vor allem Vertreter der ehemals kolonisierenden und missionierenden Institutionen zu Wort kommen, verdient seinen Namen nicht. Und wer „interkulturellen Dialog“ zum Thema ankündigt, darf dazu nicht nur zwei ausgesuchte Offizielle aus den von Deutschland kolonisierten Ländern einladen. Dem Deutschen Historischen Museum in Berlin bleibt nur zu wünschen, dass es der globalen Postkolonialismus-Debatte endlich die Türen öffnet und seinen Besuchern zukünftig mehr zu bieten hat als „Hiery and Friends“.


Fußnote

  • 1Wegmann, Heiko: Zwei Schritte vorwärts und einen zurück – Anmerkungen zur aktuellen Debatte um den Maji-Maji-Krieg in „Deutsch-Ostafrika“ (zur Tagung „Mit Zauberwasser gegen Gewehrkugeln“ am 11.-12.11.05 im Deutschen Historischen Museum in Berlin und der „Gedenkveranstaltung“ in der Berliner Werkstatt der Kulturen). Zur Besprechung | Zurück
  • 2 Am radikalsten ging die deutsche Kolonialregierung im Zusammenspiel mit der Marine 1910/11 gegen Widerstandskämpfer auf Ponape vor. Dazu: Hempenstall, P. "Mikronesier und Deutsche", In: H. Hiery (Hrsg.): Die Deutsche Südsee, 1884-1914: Ein Handbuch, Paderborn 2001, S. 589-603; generell siehe auch: Krug, A.: Der Hauptzweck ist die Tötung von Kanaken: Die deutschen Strafexpeditionen in den Kolonien der Südsee 1872-1914, Tönning 2005 | Zurück
  • 3 Paul Steffen meint, daß die Mission zu radikal und forciert in das bestehende Sozialgefüge der Baining eingegriffen hätte. Steffen, P.: "Die katholischen Missionen in Deutsch-Neuguinea", in: H. Hiery (Hrsg.): Die Deutsche Südsee, 1884-1914: Ein Handbuch, Paderborn 2001, S. 343-383 | Zurück

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