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Eine Frage der Zeit?
Nur wenig später, der 1. Weltkrieg hat begonnen, beauftragt Winston Churchill den grantigen Oberleutnant Geoffrey Spicer Simson, in geheimer Mission zwei Kanonenboote durch halb Afrika an den Tanganjikasee zu schleppen, um die Deutschen im Zaum zu halten und die unbedeutende „Wissmann“ zu versenken – nicht wissend, dass bald die große „Götzen“ den See beherrschen könnte. Als der Krieg in Europa ausbricht, stehen sich die Gegner auch am Tanganjikasee gegenüber. Die „Götzen“ kommt nicht mehr zum Einsatz, die Deutschen können Kigoma nicht halten, und so versenkt Anton Rüter, der den geliebten Arbeitsrock gegen die Uniform tauschen musste, die „Götzen“, um sie vielleicht eines Tages wieder heben zu können. (Später wurde sie, zuerst erfolglos von den Belgiern, dann von Engländern gehoben und tut bis heute auf dem See gute Fährdienste für Tansania.) „Eine Frage der Zeit“ ist ein spannender Abenteuerroman; die historischen und technischen Hintergründe sind gut recherchiert und vor allem junge Leser bekommen einen Eindruck von der Mentalität und den Allmachtsträumen jener Zeit. Es bleibt aber nach der Lektüre beim Rezensenten ein schaler Geschmack. Askaris nennt Axel Capus „Negersoldaten“; das befremdet, zumal auch sonst von „Negern“ oft die Rede ist. Die soziale Wirklichkeit der Kolonisierten kommt nur am Rande vor, wenn z.B. der Gouverneur Schnee es herzlich bedauert, auch weibliche Sträflinge („Negerinnen“) in Ketten legen zu müssen. Schwarze Frauen kochen für die drei weißen Schiffsbauer, wie selbstverständlich verschwinden sie zur Nacht abwechselnd in den Unterkünften der drei aus Papenburg (dabei sind die Männer scharf auf die weiße Frau des Gouverneurs!). Der stolze (natürlich!) Massai-Prinz erträgt ohne zu klagen die Schläge mit der Nilpferdpeitsche; nur im Gespräch mit ihm blitzt einmal das auf, was man sich durchweg gewünscht hätte, dass nämlich die Afrikaner nicht nur als Statisten benutzt werden. Es reiht sich leider ein bekanntes Klischee an das andere. Hier findet ein Rückfall in finstere Literaturzeiten statt; ich meine nicht Joseph Conrad oder Tania Blixen, sondern die vielen Epen von Siedlern, weißen Frauen mit Massais und Afrika-Abenteurern, die heute über Buchseiten und Fernsehbildschirmen ihr Unwesen treiben.
Die Idee, über die „Götzen“ und ihre Geschichte ein Buch zu schreiben, ist nicht schlecht (wenn auch kein Stoff für Werner Herzog). Die Ausführung allerdings bedient sich jener Afrikabilder, die wir längst überwunden glaubten. Man mag einwenden, dass damals tatsächlich die Einheimischen nur Statisten waren – was aber eine sehr eurozentristische Sichtweise ist und ich so nicht sehen mag. Welchen Sinn macht es, wenn wir uns unkritisch die fragwürdigen Wahrnehmungen jener Zeit, garniert mit ein paar Blicken auf arme Sträflingsfrauen und Prügelstrafe, zu eigen machen? Warum dann überhaupt geschichtliche Rückblicke, wenn nicht entweder eine neue (böse oder versöhnliche) Sicht der Ereignisse angeboten wird? Uwe Timm hat doch gezeigt, dass es möglich ist! *Hermann Schulz, geboren 1938 in Ostafrika, war bis 2001 Verlagsleiter und lebt heute als Autor in Wuppertal. Zuletzt erschienen: „Der silberne Jaguar“ (Roman, Carlsen-Verlag 2007) |