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Der Kolonialkrieg in Südwestafrika und die deutsche Öffentlichkeit Heutzutage ist in der Gesellschaft und unter HistorikerInnen öfter die Meinung anzutreffen, der deutsche Kolonialismus im Allgemeinen und speziell der Kolonialkrieg gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika (1904-1908) seien für die Deutsche Geschichte nur randständige Episoden gewesen. Deutschland als postkoloniale Gesellschaft anzusehen und zu erforschen, sei deshalb übertrieben. Zu welch überzeugenden Ergebnissen die seit ein paar Jahren deutlich erstarkte postkoloniale Perspektive jedoch gelangen kann, beweist die fulminante Studie des Historikers Frank Oliver Sobich über "Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich". Darin untersucht er, wie sich die Konzepte des "inneren Feindes" (des Proletariats, der Sozialisten bzw. Sozialdemokratie) und des "äußeren Feindes" (in diesem Fall insbesondere der Herero und Nama) im Kolonialkrieg und den damit zusammenhängenden Reichstagswahlen 1906/07 verbanden. Für seine kompetente Diskussion des Verhältnisses von politischem System und deutscher Öffentlichkeit bezieht er dabei einerseits bekannte Quellen wie Reichstagsdebatten und eine äußerst umfangreiche Forschungsliteratur ein. Forschungsneuland betritt er darüber hinaus mit der systematischen Auswertung der Kolonialberichterstattung in Tageszeitungen mit verschiedener politischer Ausrichtung sowie des sozialdemokratischen Vorwärts. Dabei geht es ihm nicht vorrangig darum, was in Südwestafrika 'wirklich passiert' ist, sondern um den kolonialen Diskurs in Deutschland: Welche Informationen wurden in der Öffentlichkeit verbreitet, aus wessen Perspektive wurde berichtet? Welche Bilder der KontrahentInnen und ihrer Kriegführung wurden gezeichnet? Mithin: wie bekannt war die Vernichtungsstrategie des Generals von Trotha und wie weit gingen Zustimmung und Kritik daran? Auf jeden Fall war der Kolonialkrieg ein großes Medienereignis, das bei gewissen Nuancen von einer Hetze gegen die afrikanischen KontrahentInnen geprägt war: Das vorher noch ambivalentere Bild von 'Schwarzen' (zwischen "edlen Wilden" und "geborenen Sklaven") wurde in Richtung "schwarze Bestien" transformiert, denen alle möglichen Gräueltaten zugetraut und häufig angedichtet wurden. Die Tageszeitungen stellten sich meist direkt in den Dienst der deutschen Militärs und ihrer Kriegspropaganda und schürten ein Klima der Vergeltung und des Hasses auf die Aufständischen. Kritik an den kolonialen Zuständen und der barbarischen deutschen Kriegführung wurden als Vaterlandsverrat und speziell als unmoralisch gegenüber den im Felde stehenden Soldaten gebrandmarkt. Auch wenn die Berichterstattung der sozialdemokratischen Presse selbst teilweise problematisch war, so brachte gerade sie immer wieder scharfe Kritik. So schrieb der Vorwärts im Januar 1904 zu den Gründen des Aufstandes: "Schnaps und Syphilis, das sind auch hier die Kulturgüter, die man den Eingeborenen neben der Nilpferdpeitsche gebracht hat!" Und die Leipziger Volkszeitung berichtete bereits wenig später von der Verrohung der deutschen Kriegführung und zitierte aus Soldatenbriefen Passagen wie "Wir dürfen keine Gefangenen machen, was lebend ist und schwarze Farbe hat, wird niedergeschossen". Die Welt, im Flugblatt erklärt Ein weiterer Schwerpunkt befasst sich mit der Reichstagsauflösung im Dezember 1906 und den kurz darauf erfolgten Neuwahlen im Januar 1907, den damals so genannten "Hottentottenwahlen". Dazwischen lag ein ebenso kurzer wie heftiger Wahlkampf, der ganz wesentlich von der Debatte um Kolonialskandale und wiederum die Kriegführung in Südwestafrika geprägt war - unmittelbarer Anlass für die Reichstagsauflösung war die Nichtgenehmigung eines von der Regierung Bülow eingebrachten Nachtragshaushaltes für die Finanzierung des sich hinziehenden Krieges gegen die Nama. Diese hatten sich zwischenzeitlich auch gegen die deutsche Herrschaft erhoben. Auch hier erschließt der Autor ein neues Feld, indem er systematisch das Massenmedium des Wahlkampfflugblattes untersucht. In der Literatur wird meist davon ausgegangen, dass der Angriff der Liberalen und Konservativen sich in erster Linie gegen das katholische Zentrum mit seiner Detailkritik am Kolonialismus richtete, während die Sozialdemokratie quasi nebenbei mitbekämpft worden sei. Sobich versucht dagegen nachzuweisen, dass es sich um eine einschneidende Radikalisierung im Kampf der Regierung und der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie handelte. Die Titel gebende Kombination der beschworenen äußeren Bedrohung des Reiches durch "schwarze Bestien" mit der inneren "roten Gefahr" kennzeichnete den herrschenden Diskurs. Dabei schälte sich eine neue Art des Antisozialismus heraus, der bei den Sozialisten nun zunehmend zwischen einer bösartigen Führung und gutmütigen, irregeleiteten Anhängern unterschied. Um letztere wurde also zunehmend als Wähler geworben, statt sie als „Pöbel“ einfach nur von der Macht fernhalten zu wollen. Aufgrund verschiedener wahlrechtlicher Faktoren verlor die Sozialdemokratie am Ende fast die Hälfte ihrer Reichstagssitze, obwohl sie mit großem Abstand die größte Partei blieb und auf ihren starken Stimmenzuwachs von 1903 sogar noch 250.000 Stimmen draufsatteln konnte. Doch der Wahlausgang wurde von allen wegen des Sitzverlustes als großes Scheitern interpretiert und auch in der sozialdemokratischen Führung wurde diese Interpretation übernommen. Der Historiker zeigt, wie in der Folge rechte und kolonialbefürwortende Kräfte um Gustav Noske in der SPD Auftrieb erhielten. Nach den Wahlen wurden demnach die Weichen weg von Klassenpolitik und hin zu nationalistischem Denken gestellt, die 1914 in der vieldiskutierten Bewilligung der Kriegskredite für den Ersten Weltkrieg münden sollten. Sobich bleibt in seinem Buch nicht bei einer diskursanalytischen Detailanalyse von Kriegsberichterstattung oder Wahlkampf stehen, sondern ordnet seine Ergebnisse breiter in die Real- und Ideengeschichte des Deutschen Reiches ein. Dies reicht von der Entwicklung von Vorstellungen über "Rasse", Volk und Nation über die innere Mobilisierung in den „Hottentotten-Wahlen“ bis zur Frage, wie damit der Sieg der imperialistischen ‚Weltpolitik’ und die andauernde Ruhigstellung der Opposition erreicht wurden. Alles in allem liefert Frank Oliver Sobich ein schonungsloses Bild des Deutschen Kaiserreiches, sei es in Hinsicht auf dessen völkische und rassistische Ideengeschichte oder in Hinsicht auf dessen publizierte Meinung zum Vernichtungskrieg gegen Herero und Nama. Heiko Wegmann, November 2007 Auf www.freiburg-postkolonial.de sind zahlreiche Zeitungsartikel (vor allem aus der Freiburger Zeitung) aus dem Untersuchungszeitraum des rezensierten Buches dokumentiert (siehe ab 1904) und die Recherche und dokumentarische Arbeit werden weiter fortgesetzt. In der Rubrik Dokumente sind darüber hinaus Freiburger Originalfluglätter des Reichstagswahlkampfes dokumentiert. Inhalt von »Schwarze Bestien, rote Gefahr« Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich |