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Frank Oliver Sobich:

»Schwarze Bestien, rote Gefahr« Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich,

erschienen im Herbst 2006 bei Campus Wissenschaft (Frankfurt/M), 425 Seiten, 45 € / 78 SFr

Der Kolonialkrieg in Südwestafrika und die deutsche Öffentlichkeit

Heutzutage ist in der Gesellschaft und unter HistorikerInnen öfter die Meinung anzutreffen, der deutsche Kolonialismus im Allgemeinen und speziell der Kolonialkrieg gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika (1904-1908) seien für die Deutsche Geschichte nur randständige Episoden gewesen. Deutschland als postkoloniale Gesellschaft anzusehen und zu erforschen, sei deshalb übertrieben.

Zu welch überzeugenden Ergebnissen die seit ein paar Jahren deutlich erstarkte postkoloniale Perspektive jedoch gelangen kann, beweist die fulminante Studie des Historikers Frank Oliver Sobich über "Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich". Darin untersucht er, wie sich die Konzepte des "inneren Feindes" (des Proletariats, der Sozialisten bzw. Sozialdemokratie) und des "äußeren Feindes" (in diesem Fall insbesondere der Herero und Nama) im Kolonialkrieg und den damit zusammenhängenden Reichstagswahlen 1906/07 verbanden. Für seine kompetente Diskussion des Verhältnisses von politischem System und deutscher Öffentlichkeit bezieht er dabei einerseits bekannte Quellen wie Reichstagsdebatten und eine äußerst umfangreiche Forschungsliteratur ein. Forschungsneuland betritt er darüber hinaus mit der systematischen Auswertung der Kolonialberichterstattung in Tageszeitungen mit verschiedener politischer Ausrichtung sowie des sozialdemokratischen Vorwärts.

Dabei geht es ihm nicht vorrangig darum, was in Südwestafrika 'wirklich passiert' ist, sondern um den kolonialen Diskurs in Deutschland: Welche Informationen wurden in der Öffentlichkeit verbreitet, aus wessen Perspektive wurde berichtet? Welche Bilder der KontrahentInnen und ihrer Kriegführung wurden gezeichnet? Mithin: wie bekannt war die Vernichtungsstrategie des Generals von Trotha und wie weit gingen Zustimmung und Kritik daran? Auf jeden Fall war der Kolonialkrieg ein großes Medienereignis, das bei gewissen Nuancen von einer Hetze gegen die afrikanischen KontrahentInnen geprägt war: Das vorher noch ambivalentere Bild von 'Schwarzen' (zwischen "edlen Wilden" und "geborenen Sklaven") wurde in Richtung "schwarze Bestien" transformiert, denen alle möglichen Gräueltaten zugetraut und häufig angedichtet wurden. Die Tageszeitungen stellten sich meist direkt in den Dienst der deutschen Militärs und ihrer Kriegspropaganda und schürten ein Klima der Vergeltung und des Hasses auf die Aufständischen. Kritik an den kolonialen Zuständen und der barbarischen deutschen Kriegführung wurden als Vaterlandsverrat und speziell als unmoralisch gegenüber den im Felde stehenden Soldaten gebrandmarkt. Auch wenn die Berichterstattung der sozialdemokratischen Presse selbst teilweise problematisch war, so brachte gerade sie immer wieder scharfe Kritik. So schrieb der Vorwärts im Januar 1904 zu den Gründen des Aufstandes: "Schnaps und Syphilis, das sind auch hier die Kulturgüter, die man den Eingeborenen neben der Nilpferdpeitsche gebracht hat!" Und die Leipziger Volkszeitung berichtete bereits wenig später von der Verrohung der deutschen Kriegführung und zitierte aus Soldatenbriefen Passagen wie "Wir dürfen keine Gefangenen machen, was lebend ist und schwarze Farbe hat, wird niedergeschossen".

Die Welt, im Flugblatt erklärt

Ein weiterer Schwerpunkt befasst sich mit der Reichstagsauflösung im Dezember 1906 und den kurz darauf erfolgten Neuwahlen im Januar 1907, den damals so genannten "Hottentottenwahlen". Dazwischen lag ein ebenso kurzer wie heftiger Wahlkampf, der ganz wesentlich von der Debatte um Kolonialskandale und wiederum die Kriegführung in Südwestafrika geprägt war - unmittelbarer Anlass für die Reichstagsauflösung war die Nichtgenehmigung eines von der Regierung Bülow eingebrachten Nachtragshaushaltes für die Finanzierung des sich hinziehenden Krieges gegen die Nama. Diese hatten sich zwischenzeitlich auch gegen die deutsche Herrschaft erhoben. Auch hier erschließt der Autor ein neues Feld, indem er systematisch das Massenmedium des Wahlkampfflugblattes untersucht. In der Literatur wird meist davon ausgegangen, dass der Angriff der Liberalen und Konservativen sich in erster Linie gegen das katholische Zentrum mit seiner Detailkritik am Kolonialismus richtete, während die Sozialdemokratie quasi nebenbei mitbekämpft worden sei. Sobich versucht dagegen nachzuweisen, dass es sich um eine einschneidende Radikalisierung im Kampf der Regierung und der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie handelte. Die Titel gebende Kombination der beschworenen äußeren Bedrohung des Reiches durch "schwarze Bestien" mit der inneren "roten Gefahr" kennzeichnete den herrschenden Diskurs. Dabei schälte sich eine neue Art des Antisozialismus heraus, der bei den Sozialisten nun zunehmend zwischen einer bösartigen Führung und gutmütigen, irregeleiteten Anhängern unterschied. Um letztere wurde also zunehmend als Wähler geworben, statt sie als „Pöbel“ einfach nur von der Macht fernhalten zu wollen.

Aufgrund verschiedener wahlrechtlicher Faktoren verlor die Sozialdemokratie am Ende fast die Hälfte ihrer Reichstagssitze, obwohl sie mit großem Abstand die größte Partei blieb und auf ihren starken Stimmenzuwachs von 1903 sogar noch 250.000 Stimmen draufsatteln konnte. Doch der Wahlausgang wurde von allen wegen des Sitzverlustes als großes Scheitern interpretiert und auch in der sozialdemokratischen Führung wurde diese Interpretation übernommen. Der Historiker zeigt, wie in der Folge rechte und kolonialbefürwortende Kräfte um Gustav Noske in der SPD Auftrieb erhielten. Nach den Wahlen wurden demnach die Weichen weg von Klassenpolitik und hin zu nationalistischem Denken gestellt, die 1914 in der vieldiskutierten Bewilligung der Kriegskredite für den Ersten Weltkrieg münden sollten.

Sobich bleibt in seinem Buch nicht bei einer diskursanalytischen Detailanalyse von Kriegsberichterstattung oder Wahlkampf stehen, sondern ordnet seine Ergebnisse breiter in die Real- und Ideengeschichte des Deutschen Reiches ein. Dies reicht von der Entwicklung von Vorstellungen über "Rasse", Volk und Nation über die innere Mobilisierung in den „Hottentotten-Wahlen“ bis zur Frage, wie damit der Sieg der imperialistischen ‚Weltpolitik’ und die andauernde Ruhigstellung der Opposition erreicht wurden. Alles in allem liefert Frank Oliver Sobich ein schonungsloses Bild des Deutschen Kaiserreiches, sei es in Hinsicht auf dessen völkische und rassistische Ideengeschichte oder in Hinsicht auf dessen publizierte Meinung zum Vernichtungskrieg gegen Herero und Nama.

Heiko Wegmann, November 2007


Auf www.freiburg-postkolonial.de sind zahlreiche Zeitungsartikel (vor allem aus der Freiburger Zeitung) aus dem Untersuchungszeitraum des rezensierten Buches dokumentiert (siehe ab 1904) und die Recherche und dokumentarische Arbeit werden weiter fortgesetzt. In der Rubrik Dokumente sind darüber hinaus Freiburger Originalfluglätter des Reichstagswahlkampfes dokumentiert.

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Inhalt von »Schwarze Bestien, rote Gefahr« Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich

Einleitung
Forschungsgegenstände und Fragestellungen 10
Methode und Forschungsperspektive 15
Postkolonialer Perspektivwechsel und traditionelle Kolonialgeschichte 18
Volk, Nation und ›Rasse‹ 19
Rassismus und Nationalismus 24
Rassismus und Kolonialismus - Derivate des Nationalismus? 27
Kritik der Vorurteils- und Stereotypenforschung 28
Sinn und Funktionsweise rassistischer Vorstellungen 31
Die Macht rassistischer Vorstellungen 34
Quellenlage und Schreibweise 37

1. Aufstände und Kriege in ›Deutsch-Südwest‹
Deutschland als Kolonialmacht 42
Deutschland und ›Deutsch-Südwest‹ 47
Die Gründe des Aufstands der Herero 50
Aufstand, Krieg und Vernichtung 54
Der Aufstand der Nama 63
Gefangenenlager und Zwangsarbeit 65
Bilanz des Krieges 66
Neue Politik und Verschärfung des kolonialen Rassismus 68

2. Die Aufstände in der deutschen Öffentlichkeit
Die südwestafrikanischen Aufstände im Deutschen Reichstag 73
Der Aufstände in der bürgerlichen Presse 79
Die Aufständischen als Bestien: Die ›Gräueltaten‹ der Herero 81
Bürgerliche Analysen der Gründe für den Herero-Aufstand 86
Der Aufstände in der sozialdemokratischen Presse 90
Der Konflikt um die Missionare 97
Kriegszieldiskussion in Deutschland 100
Das ›System Trotha‹ in der deutschen Öffentlichkeit 104

3. Das neue Bild der ›Schwarzen‹
Zwischen ›edlen Wilden‹ und ›geborenen Sklaven‹ 112
Die erste Vereindeutigung: Negatives Naturwesen 115
Kolonialer Wettlauf und die Biologisierung des Rassebegriffs 118
Zweiteilung des Naturwesen-Schemas: Kind und Tier 122
Kräfteverschiebungen im kolonialen Diskurs 125
Das neue Bild der ›Schwarzen‹ und der deutsche Rassismus 130
Politische Konjunktur und gesellschaftliche Feindbilder 139

4. Rassismus und Antisozialismus
Rassismus und kapitalistische Entwicklung 145
Französische Revolution und Entstehung des Proletariats 149
Die Pariser Kommune: Bedrohung durch die Masse 152
Der Nationalstaat und die Angst vor dem Volk 154
"Da unten" - die Entdeckung der ›wilden‹ Welt der Arbeiter 157
1890 - neue Kampfbedingungen, neue Kampfformen 161
Der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie 163
Zwischen Herrenstandpunkt und Sozialreform 165
Umorganisation der antiproletarischen Topoi 167
Widerlegungen sozialistischer Theorien 171

5. Sozialdemokratie, Kolonialpolitik und das deutsche Kaiserreich
Politischer Klassenkampf und soziale Ausgrenzung 177
Die Arbeiterbewegung als Ersatzvaterland 181
Krisentheorie und Fortschrittsoptimismus 184
Das objektive Dilemma der Sozialdemokratie 186
Die "doppelte Loyalität" der Arbeiterbewegung 188
Zwischen liberaler und sozialistischer Kolonialkritik 190
Die sozialdemokratische Debatte über den Herero-Aufstand 193

6. Nationale Formierung und Weltpolitik
Organizistischer Nationalismus und ›Feindabwehr‹ 200
Völkischer und kulturalistischer Nationalismus 201
Nationalstaat und ›Reichsfeinde‹ 206
Der ›Staat der Junker‹ und sein Volk 207
Nationalisierung des Parteiensystems und Antiparlamentarismus 210
Von der großpreußischen Außenpolitik zur ›Weltpolitik‹ 213
Schutzzoll und Heeresstärke 216
Neue und alte Rechte 220

7. Die Auflösung des Reichstags: Eine Krise des Kaiserreichs?
Kolonialskandale und ›Kolonialmüdigkeit‹ 225
Die innenpolitische Stimmung 1906 228
Die außenpolitische Interpellation Bassermanns 228
Die große Abrechnung mit der Kolonialpolitik 232
Das Vorspiel zum 13.12.1906 235
"Wenn Sie wollen, haben Sie die Krisis!" 238
Die Reaktionen der Parteien 240
Die Auflösung - Verzweiflungstat oder Krisenstrategie? 242

8. Bülow-Block und Zentrum
Rolle des Staatsapparates 248
Nationale Mobilisierung und Parteienkonkurrenz 249
Antisemiten und Block 253
Neue Rolle der Liberalen 254
Außerparlamentarische Schützenhilfe 256
Stimmen von der Basis 259
Bülow-Block - taktischer Streich oder tragfähiges Bündnis? 260
Die Bedeutung des ›Ultramontanismus‹ 261
Die Antwort des Zentrums 268

9. Innere Mobilmachung in den "Hottentotten-Wahlen"
Traditionelle antisozialistische Polemik 273
"Schwarze Bestien" - zweite Aufführung 275
"Peter Moors Fahrt nach Südwest" 279
Leugnung und Relativierung kolonialer Verbrechen 281
Gemeinsames Interesse von Arbeitern und Unternehmern 284
Die außenpolitische Dimension 286
Antisozialismus und Rassismus 290

10. Die Antwort der Sozialdemokratie
Kosten der kapitalistischen Kolonialpolitik 300
Kolonialgräuel, Aufstandsursachen und Vernichtungskrieg 301
Zusammenhang innerer und kolonialer Unterdrückung 305
Außenpolitische Isolierung, Völkerverbrüderung, Sozialismus 306
Wahlrechtsraub und Klassen-Rassismus 310
Widerlegung antisozialistischer Argumente und alternativer Patriotismus 311

11. Imaginärer Sieg der ›Weltpolitik‹ und Zähmung der
Opposition

Der Ausgang der Wahlen 318
Das Wahlergebnis in der ausländischen Presse 322
Das Verschwinden der bürgerlichen Opposition 325
Die Konstruktion einer "Niederlage" der Sozialdemokratie 327
Die sozialdemokratische Auswertung der Wahlen 330
Die Rede Gustav Noskes und die Folgen 334
Der Stuttgarter Kongress 339
Der Essener Parteitag 342
Ein Weg zum August 1914? 345

12. Rassifizierung und Sexualisierung der ›Schwarzen‹ nach 1907
Biologisierung, Bestialisierung, Sexualisierung: ein Dreischritt? 349
Die "Neger-Seele" - völkischer versus kulturalistischer Rassismus 350
Die Mischehen-Debatte 352
Die ›schwarze Gefahr‹ 358
Die ›schwarze Schmach‹ 361
Rassistische Projektion im Dienst der Politik 366
Deutsche Analysen über Gründe und Ursachen der Besatzung 372

Schlussfolgerungen und Forschungsperspektiven
Der Geist von 1914 und die Sozialdemokratie 383
Koloniale Erfahrung, Vernichtungskrieg und I. Weltkrieg 388

Literatur- und Quellenverzeichnis 401
Abkürzungsverzeichnis 423

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