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»Selten eine gute Figur«

Belletristische Literatur über die Deutschen und ihren Kolonialismus in Afrika

von Manfred Loimeier *

Personen Lokalpresse

Dieser Text ist zuerst erschienen in: iz3w Nr. 277 (Juni/Juli 2004), S. 40ff.

cover iz3w

Neben den klassischen Kolonialromanen gibt es sowohl in Deutschland wie in afrikanischen Ländern Literatur, die sich in kritischer Absicht mit dem Deutschen Kolonialismus befasst. Doch die Literaturwissenschaft schenkt insbesondere den antikolonialen Epen, Theaterstücken und Gedichten aus Afrika wenig Aufmerksamkeit. Dabei zeichnen ihre Autoren ein vielschichtiges Bild von den Deutschen.

Es war einmal in Afrika, vor rund einhundert Jahren. Damals erhoben sich allerorten Afrikaner gegen Eindringlinge aus Europa. In Westafrika kämpfte Samory Touré gegen die Franzosen, im Süden verlor die sagenumwobene Nehanda gegen die Briten, im Osten stritten die Maji-Maji gegen die Deutschen, im Nordosten behauptete sich der Mahdi gegen die Engländer, und Kaiser Menelik jagte die Italiener aus Äthiopien. Im Südwesten, dem heutigen Namibia, stellten sich 1904 Herero und Nama den Deutschen entgegen (siehe iz3w 275). Mehrere deutschsprachige Autoren haben diesen Krieg zum Thema ihrer literarischen Arbeit gemacht: Uwe Timm in »Morenga«, der Namibier Giselher W. Hoffmann in »Die schweigenden Feuer« und zuletzt Gerhard Seyfried in »Herero«.

Alle drei Romane haben Dokumentarcharakter. Am sachlichsten geht dabei Uwe Timm mit seinem Recherchematerial um, denn er versucht erst gar nicht, die historischen Fakten einer weitgehend fiktionalisierten Handlung unterzuordnen. Timm erzählt die Geschichte nach, wie er sie mit Hilfe von Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und Aktenvermerken zu rekonstruieren verstand. Weiter geht Giselher W. Hoffmann, der nicht nur die Zeit des Kriegs darstellen, sondern darüber hinaus Einblicke in Geschichte und Kultur der Herero und Nama liefern will. Hoffmann liefert einen interessanten historischen Roman, scheitert aber in dramaturgischer Hinsicht, weil er sich in chronologischen Details verliert. Dies zieht eine unübersichtlich verschlungene Romanhandlung nach sich. Sowohl Hoffmann als auch Timm versuchen indessen, den Krieg der Deutschen gegen Herero und Nama nicht nur aus Sicht der Deutschen zu zeichnen, sondern auch aus Sicht der betroffenen einheimischen Bevölkerung. In Hoffmanns Roman steht diese Intention sogar im Vordergrund.

Banal und exotisierend

Umso überraschender ist daher Gerhard Seyfrieds Roman »Herero«. Er stellt einen doppelten Rückschritt dar. Zum einen begnügt er sich mit einer dokumentarisch angehauchten Arbeit – einer Arbeit, die Timm schon früher, besser und redlicher geliefert hatte. Zum anderen nimmt Seyfried einen Perspektivwechsel vor, ohne dass dies literarisch oder historisch Sinn macht. In seinem Roman steht ein deutscher Kolonialsoldat im Mittelpunkt, und die Leser erfahren nur durch die deutsche Brille vom Krieg in Namibia. Die andere Seite der Medaille – also die Perspektive der Nama und Herero – bleibt vollkommen ausgeblendet. Damit dokumentiert der Roman indirekt die anhaltende Unwissenheit in Deutschland über den Aufstand von 1904 bis 1907. Seyfried sah sich offenbar bemüßigt, das Wissen über die damaligen Ereignisse immer noch nachliefern zu müssen. Der Roman steht zudem für den Rückfall in einen Eurozentrismus, der den Aufstand der Herero als Anlass für einen Selbstverteidigungskrieg der Deutschen nimmt. Weder benennt er den kolonialistischen Impuls noch verurteilt er ihn gar ausdrücklich.

So entwicklungslos, wie Seyfrieds Held durch das Geschehen stolpert, so wenig entwickelte sich hierzulande ein Bewusstsein vom Zusammenhang zwischen deutscher Reichsgründung und der langfristig imperialen Politik Deutschlands. Der Roman konserviert die deutsche Geschichtsvergessenheit, indem er nicht über die historischen Machtverhältnisse aufklärt. Seyfried entschuldigt diese Unwissenheit jedoch geradezu durch das Deckmäntelchen eines oberflächlichen Interesses am Herero-Aufstand. Dieses beschränkt sich aber eben nur auf die eigene, deutsche Position. Die Relikte des kolonialen Blicks selbst werden weder thematisiert noch überhaupt bemerkt. Was Seyfried interessiert haben dürfte, ist allein der Exotismus seines Themas, das nur deshalb exotisch wirkt, weil es vorher aus dem deutschen Bewusstsein gestrichen wurde. Stattdessen wäre es wünschenswert gewesen, den Verdrängungsprozess selbst sichtbar zu machen. Dass Seyfried dies nicht einmal in den Sinn kommt, unterstreicht die tückische Banalität seines »Herero«-Romans.

Die Kritik an den drei erwähnten Romanen fiel bislang nicht allzu scharf aus. Das mag damit zusammenhängen, dass der hierzulande auf vergleichsweise großes Interesse stoßende Aufstand der Herero und Nama noch nicht aus der Sicht eines schwarzafrikanischen Autors thematisiert wurde. Die Bildungspolitik zur Apartheid-Zeit in Namibia grenzte Nicht-Weiße aus und hat so dazu beigetragen, dass Schrift- und Buchkultur einem erheblichen Nachholbedarf unterliegen. Ein Vergleich der deutschsprachigen Romane mit der literarischen Interpretation des Kolonialkrieges durch einen nama-, dama-, englisch- oder hererosprachigen Autor aus Namibia ist daher bislang nicht möglich.

Bezeichnenderweise ist es ein südafrikanischer Schriftsteller, der sich zuletzt des deutschen Kolonialismus im damaligen Südwestafrika annahm. André Brink aus der Kaprepublik schildert in seinem jüngsten, 2003 mit dem Common Wealth Writers Prize ausgezeichneten Roman »The Other Side of Silence« das Schicksal einer jungen Deutschen, die nach Südwest verschifft wurde, um dort den deutschen Herren als Prostituierte zu Diensten zu sein.

Herkulische Gestalten

Seyfried steht mit seiner exotisierenden und zugleich eurozentrischen Sichtweise in einer langen Traditionslinie der literarischen Befassung mit ‚Afrika’ und mit dem Kolonialismus. Von 1904 bis 1906, also zur Zeit des Herero-Krieges, reiste beispielsweise der deutsche Ethnologe Leo Frobenius erstmals nach Zentralafrika und begann mit der Aufzeichnung afrikanischer Fabeln und Legenden. Der Schriftsteller Yambo Ouologuem aus Mali griff dies in seinem Roman »Das Gebot der Gewalt« auf und verballhornte die Figur Frobenius’ zu Fritz Schrobenius. Er karikiert dessen weltferne Suche nach einer irgendwie ‚afrikanischen’ Seele: »Mit der augenfälligen Eleganz eines Kolonisten am Sonntag gekleidet, oft lachend, wollte er für alles einen metaphysischen Sinn finden, sogar für die Form des Palaverbaums, unter dem sich die Würdenträger berieten.«

Über ‚Afrika’ mehr zu erfahren, lag im Trend der Zeit. Ungefähr zur selben Zeit wie Frobenius’ erste Afrikafahrt begründeten britische Missionare im südlichen Afrika die so genannte Zöglingsliteratur, mittels der sich Afrikaner im autobiografischen Schreiben üben sollten. Auch die Franzosen sprachen sich fortan dafür aus, nicht nur Franzosen über Afrika, sondern Afrikaner über sich selbst schreiben zu lassen. Man erführe dann viel direkter, was man als Kolonialmacht über die afrikanische Seele wissen müsse. Als Diedrich Westermann schließlich 1938 sein Buch »Afrikaner erzählen ihr Leben« publizierte, wurde es bald in französischer Übersetzung nachgedruckt. Der Khoisan Xkou-goa-Xob aus Deutsch-Südwestafrika schreibt darin über den Beginn des Kolonialkrieges zwischen den Afrikanern und den Deutschen in Südwestafrika: »Als damals die Ovambo die Feste Namutoni umzingelten und den ganzen Tag ihre Gewehre ratterten, war ich ein Junge von fünfzehn bis sechzehn Jahren. (...) Ihr Weißen wisst ja auf Tag und Stunde anzugeben, wann Namutoni überfallen wurde«, fährt der Autor fort und spielt damit auf den Angriff vom 27. Januar 1904 auf die deutsche Festung an.

Doch daheim im Reich wollte man wenig wissen von einer solchen afrikanischen Sicht der Dinge. Dort erlebte vielmehr Hans Grimms Kolonialklassiker »Volk ohne Raum« von 1926 mehrere Nachdrucke. Bis 1940 stieg die Zahl der verkauften Exemplare auf 540.000, und unterstrich so den aufrechterhaltenen Anspruch des Deutschen Reichs auf seine im und nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen Kolonien in Afrika. Wie selbstbezogen der deutsche Blick auf Afrika war, zeigt sich auch daran, dass der gemeinhin erste afrikanische klassische Roman, den ein afrikanischer Autor 1929 publiziert hatte, in der Weimarer Republik kaum beachtet worden war. Dabei hätten deutsche Kolonialbefürworter aus der Tatsache, dass der Autor von »L’Esclave« (Der Sklave), Félix Couchoro, aus der vormaligen deutschen Kolonie Togo stammte, bestens propagandistisches Kapital bezüglich der Nachwirkungen einer ‚vorbildlichen’ deutschen Kolonialerziehung schlagen können.

Bei seinen Recherchen für eine Dissertation über das Bild der Deutschen in den frankophonen Literaturen Westafrikas stieß der togolesische Literaturwissenschaftler Antoine Hounhouenou auf einen weiteren, hierzulande wenig beachteten Roman Couchoros. Es handelt sich um »Le secret de Ramanou« (Das Geheimnis von Ramanou) aus dem Jahr 1968. Auch bei diesem Werk ist erstaunlich, welch positives Bild Couchoro von der deutschen Kolonialvergangenheit in Togo und den Deutschen zeichnet. Von der Gestalt eines Herkules, mit blonden Haaren und blauen Augen, sowie gebildet und mehrsprachig präsentiert sich der in Köln geborene Protagonist Marcus Wolf den Lesern von Couchoros Roman. Wolf spricht sogar eine afrikanische Landessprache, heiratet eine Afrikanerin und kehrt nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs verantwortungsbewusst zu seiner afrikanischen Familie zurück. Der Begriff »djanma« (verschliffen für ‘allemand’, deutsch), den Couchoro als Ausdruck der Bewunderung für die deutschen »Zivilisatoren« verwendet, steht noch heute in Togo für mutig, tapfer und stark.

Herr-Knecht-Verhältnisse

Es ist unklar, ob Couchoro in seinen Roman »Le secret de Ramanou« eine nostalgisch verklärende Sicht auf die deutsche Kolonialvergangenheit präsentiert, um damit gegen die damals in Togo allgegenwärtige Politik Frankreichs zu protestieren. Im heutigen Tansania, wo 1905 die Maji-Maji gegen die deutsche Kolonialarmee kämpften (siehe iz3w 276), wäre eine solche Deutschtümelei unvorstellbar. Dort gestaltete der sansibarische Dramatiker und Poet Ebrahim Hussein ein Theaterstück nach der legendären Figur des Maji-Maji-Widerstands, Kinjeketile Ngwale. Der Held wird darin als erfolgreich dargestellt, weil er es versteht, die konkurrierenden afrikanischen Völker im Widerstand zu einen. Vermutlich hat das Block-Denken des Kalten Kriegs dazu beigetragen, dass der Mythos von Kinjeketile zwar in der Deutschen Demokratischen, kaum aber in der Bundesrepublik Deutschland zum Begriff wurde.

Husseins 1969 auf Suaheli und 1970 auf Englisch unter dem Titel »Kinjeketile« veröffentlichtes Stück liegt seit 1974 auch in deutscher Übersetzung vor. Hussein, der 1970 Assistent des Theaterwissenschaftlers Joachim Fiebach an der Humboldt-Universität Berlin war, kommt in seiner Vorbemerkung zu einer wenig vorteilhaften Bewertung der Deutschen: »Zu Beginn unseres Jahrhunderts begannen die deutschen Kolonialisten, im südlichen Tansania Baumwolle zu pflanzen. Sie zwangen die Matumbi zur Arbeit in ihren Pflanzungen. (...) Als die Deutschen ins Land kamen, zwangen sie den Matumbi Steuern auf. Kinjeketile brachte dem Volk die Bedeutung des Begriffes Einheit bei. (...) Ich habe versucht, in meinem Stück drei Dinge darzustellen. Erstens wollte ich zeigen, wie sich die Matumbi zu dem brutalen Eindringen der Deutschen verhielten. Besonders soll das Herr-Knecht-Verhältnis gestaltet werden. Zweitens versuchte ich, die politische Atmosphäre dieser Periode (1890-1904) zu skizzieren. Drittens berührte ich das Thema der ökonomischen Ausbeutung der Afrikaner durch die Deutschen. Tansania wurde um seine Produkte und Arbeitskräfte betrogen.«

Die Deutschen machten selten eine gute Figur in afrikanischer Literatur über die Kolonialzeit. Dies zeigt auch der Roman »Der weiße Zauberer von Zangali« von René Philombe aus Kamerun, in dem sich die Figur des Kolonialoffiziers Hans Dominik findet. In dem 1969 publizierten Roman, dessen Handlung 1915 einsetzt, heißt es: »Ach, es waren die Deutschen, die diese neumodische Seuche nach Kamerun eingeschleppt hatten. Ihr ohnehin schon fürchterliches Regiment wurde noch schrecklicher, nachdem sie im ersten Weltkrieg in vollen Zügen den Geruch von Blut geatmet hatten. Ach, diese Deutschen! Soeben hatten sie sich, wütend wie die Wölfe, denen man ihre Beute entrissen hat, verschämt wie die Nachteulen im Sonnenlicht, aus den besetzten Gebieten zurückgezogen. In ihrem Gefolge zog ein ansehnliches Heer großer Dorffürsten, die sie mit viel Alkohol sowie plumpen Versprechungen und Lügen einlullten. (...) In der Zeit ihres unfreiwilligen schändlichen Rückzugs schlugen die Deutschen dann aber einen ganz neuen Ton an und hetzten: ‘Die Franzosen sind ein ungemein barbarisches Volk!’ Ach, diese Deutschen! Als man sie dann aber vor dem ‘ungemein barbarischen Volk’ davonlaufen sah, brach das ganze Beti-Volk in laute Dankeshymnen an die Götter aus (...) und man fragte sich, wie diese Deutschen es hatten wagen können, die Barbarei der Franzosen anzuprangern, sie, die die Barbarei schlechthin verkörperten. (...) Die Alten, die das Glück gehabt hatten, diese Schreckensherrschaft zu überleben, schauderten beim bloßen Anblick daran. Weit schlimmer als die Arbeitslager, Zwangsabgaben und Massenhinrichtungen waren die vielen Vergewaltigungen, Razzien, Raubzüge gewesen, diese erniedrigenden Szenen, dieser totale Mangel an Respekt vor den ehrwürdigsten Häuptern des Volkes (...) Jetzt wartete man auf die Franzosen, dieses ‘ganz besonders barbarische Volk’. (...) In Wirklichkeit hatte sich nichts geändert. Dieselbe Hölle war los, dasselbe Blut floss, nur mit dem einen Unterschied: Statt der Deutschen mit ihrem Major Dzomnigi waren es jetzt die Franzosen mit Oberstleutnant Hutin, die ein Regiment mit Schweiß und Blut führten.«

Allerdings musste die Begegnung zwischen Weiß und Schwarz nicht notgedrungen derart brutal verlaufen, um einen wenig sympathischen Eindruck von den Deutschen zu vermitteln. In dem bereits 1938 erschienenen Band »Afrikaner erzählen ihr Leben« schildert Bonifatius Foli aus Togo seine Erlebnisse so: »Ich mußte nun den Weißen das Essen auftragen und den Präfekten rufen; man sagte mir ich solle an seine Tür klopfen, und wenn er antworte, hineingehen und ihn deutsch anreden. Ich sagte: ‘Ich verstehe ja kein Deutsch, wie soll ich das machen?’ Der Weiße belehrte mich: ‘Du mußt sagen: Bitte, das Essen ist fertig.’ Ich sprach es ihm viermal nach, bis er zufrieden war. Ich klopfte an, der Präfekt rief: ‘Herein!’ Ich trat zu ihm, und er fragte: ‘Na?’ Da meldete ich: ‘Bitte, das Essen ist fertig.’ Er freute sich, legte mir den Arm um den Hals, und wir gingen zusammen ins Eßzimmer. Als alle Weißen versammelt waren, forderte er mich auf, das nochmal zu sagen, damit alle es hörten. Ich tat es, sie fingen alle an zu lachen, dann wurde gebetet, und man aß.«

Blinde Literaturwissenschaft

Über die Darstellung des deutschen Kolonialismus in den zeitgenössischen afrikanischen Literaturen lassen sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht nur wenig gesicherte Aussagen machen. Zum einen dürfte die während der deutschen Kolonialzeit produzierte, und nicht selten auch beauftragte, afrikanische Schrift-Literatur weitgehend unter Anleitung oder Aufsicht deutscher Beamter entstanden sein. Sie liefert daher vermutlich ein verfälschtes Bild von Afrika, das mit dem der deutschen Kolonialliteratur korrespondieren dürfte.1 Zum anderen steht eine gründliche Sichtung der oralen Literaturen Afrikas unter dem Gesichtspunkt Deutscher Kolonialismus noch aus – obwohl davon auszugehen ist, dass Gesänge und Gedichte in afrikanischen Sprachen einen anderen Blick auf ihn ermöglichten. Das Interesse der Afrikanistik an deutschen Hochschulen kreist aber nach wie vor überwiegend um sprachwissenschaftliche Fragestellungen bezüglich Grammatik und Phonetik afrikanischer Sprachen.

Dadurch werden zwar – quasi als Arbeitsmaterial – auch literarische Texte in den deutschen universitären Kontext eingeschleust. Aber obwohl manche Zeugnisse, insbesondere aus Tansania (ehemals Deutsch-Ostafrika), in jüngerer Zeit neu bearbeitet werden, steht ihre literaturwissenschaftliche Rezeption nahezu vollständig aus. Und selbst das zur Kolonialzeit gesammelte und in Deutschland gelagerte Manuskriptmaterial (zumindest in der Suaheli-Sprache) ist noch nicht einmal vollständig gesichtet. Dessen Erschließung erfolgt schleppend, weil zum einen die Zahl der Übersetzer begrenzt ist und zum anderen sich das Interesse der deutschen Leserschaft auf Prosa konzentriert. Dabei zeichnen sich afrikanische Literaturen gerade durch ihren Reichtum an Liedern, Gedichten und Epen aus.

Hinsichtlich der Spuren des Kolonialismus in den literarischen Werken aus dem Westen Afrikas sind deutsche Literaturwissenschaftler bisher auf den Umweg über französischsprachige Publikationen angewiesen, die entsprechende Themen – nicht selten nur am Rande – in Liedern der Wolof oder in frankophonen Romanen aufgriffen. Eine der wenigen Ausnahmen davon ist das jüngst erschienene Buch des Saarbrücker Literaturwissenschaftlers Hans-Jürgen Lüsebrink, »La Conquête de l’espace public colonial«. Darin wird der senegalesische Autor Abdoulaye Sadji zitiert, der Lieder und Gesänge aus der Zeit des Ersten Weltkriegs aufzeichnete und diese erläuterte. Die Deutschen kommen bei Sadji nicht gut weg: »Bald, den Kopf zurückgebeugt, summten die schwarzen Frauen beherzte Lieder voller Verachtung für die Deutschen. Die Namen von Wilhelm und dem Kronprinz, die sie gehört hatten, tauchten immer wieder in neuen Gesängen auf. Gegen wen kämpften ihre Brüder und Ehemänner? Gegen Wilhelm und den Kronprinz, die einzigen Gegner, die einer Erwähnung überhaupt würdig waren. Die Frauen nahmen das ganze deutsche Volk nur durch diese beiden Namen wahr, die die Aggression symbolisierten, die als die hauptverantwortlichen Kriegstreiber galten.«

In der afrikanischen Bevölkerung entstanden seinerzeit auch revanchistische Träume von einem grandiosen Sieg über die Deutschen, der es ihnen ermöglichen würde, Gefangene und Sklaven zu nehmen, die fortan für die siegreichen Afrikaner arbeiten würden. Gemäß Lüsebrink fährt Sadji fort: »Ihre Stimmen wurden fester und von weitem forderten sie von ihren Brüdern und Ehemännern Gefangene. (...) Ja, eine deutsche gefangene Frau, die für sie zu den Brunnen ging und sich dienstfertig der Hausarbeit annahm. Man könnte sie nach Lust und Laune erniedrigen, ihr rücksichtslos die Verachtung, den Hass, den man für die Deutschen hatte, entgegenspucken. Man könnte ihr sagen: ‘He, rede ich nicht mit dir? Tochter eines Hundes ... Nimm die Kalebasse und mach dich zu den Brunnen auf, bring die Abfälle auf den Müllhaufen. Pack diesen Reisigbesen und mach damit den Hüttenboden sauber.’«

Einen weiteren Schwerpunkt der Befassung mit den Deutschen setzten die so genannten Tirailleurs Sénégalais (afrikanische Soldaten im Dienste der französischen Armee). Ihnen widmete der Poet und spätere Präsident Senegals, Léopold Sédar Senghor, einen Großteil seiner Lyrik. Die deutsche Propaganda hatte die Präsenz der Tirailleur Sénégalais während des Ersten Weltkriegs als unfaire Kriegsführung gewertet und sie zur Zeit der Besetzung des Rheinlands durch alliierte Truppen als »schwarze Schande« verbrämt. Dieser Begriff setzte sich auch in den Köpfen der afrikanischen Soldaten nachhaltig fest. In seinem französischsprachigen Gedicht »Den für Frankreich gefallenen Senegalschützen« erwähnt Senghor die »schwarze Schande« sogar auf Deutsch: »Man schmückt die Gräber mit Blumen, man wärmt den unbekannten Soldaten auf. Euch aber, meine dunklen Brüder, nennt niemand. (...) Die Schwarze Schande!«

Spuren der Rassentheorie

Die Erinnerungen an die deutsche Kolonialzeit in Afrika sind häufig von den eher präsenten Kolonialpraktiken der Belgier, Portugiesen, Briten und Franzosen überlagert, weshalb das Ansehen der Deutschen nicht immer schlecht ist. Andererseits trugen die Klischees, die insbesondere Briten und Franzosen über die Deutschen verbreiteten, in nicht geringem Maß zum Image der Deutschen in Afrika bei. Die dadurch erzeugte und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg spürbare Abscheu und Furcht vor den Deutschen illustriert für das anglophone Westafrika eine Szene aus dem autobiografisch geprägten Roman »Aké« des nigerianischen Literaturnobelpreisträgers Wole Soyinka. Er führt darin die Figur des Pa Adatan ein, der sich mit einer Vielzahl von Amuletten Hilfe dabei erhofft, als selbsternannte Ein-Mann-Armee sein Dorf vor Hitler schützen zu können. Auch in seinem autobiografischen Roman »Isarà« spielt Soyinka auf eine vermeintlich bevorstehende deutsche Invasion im Norden Nigerias an: »Überhaupt, die Soldaten! (...) Waren sie nicht auch in das Warenlager in Ilaro eingebrochen, auf dem Weg zu ihrer Verlegung in die Grenzstadt Meko, wo sie der Invasion, von der man gerüchteweise sprach, Einhalt gebieten sollten?«

Auch der (reale) Aufenthalt afrikanischer Autoren in deutscher Gefangenschaft oder die Konfrontation mit deutschen Soldaten während des Zweiten Weltkriegs fand Eingang in die afrikanischen Literaturen. Léopold Sédar Senghor beispielsweise war als Kriegsgefangener in Deutschland interniert, wo er Deutsch lernte, und der senegalesische Filmemacher und Romancier Ousmane Sembène war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Baden-Baden stationiert. Durch Sembènes Film »Camp de Thiaroye« über ein Massaker der französischen Armee an den Tirailleurs Sénégalais ziehen sich systematisch Szenen aus deutschen Konzentrationslagern. Aus dem Off erklingen »Lili Marleen« und deutsche Worte wie »schnell, schnell« oder »Achtung!« Einer der Protagonisten dieses Films steht unter dem Schock des Anblicks von Buchenwald.

So hinterließen nicht nur der Deutsche Kolonialismus, sondern auch der Zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus Spuren im afrikanischen Diskurs. Während sich bis dahin vor allem die afrikanischen Befürworter der so genannten Métissage-Kultur (frz.: Mischung) zu Wort gemeldet und eine gemeinsame Zukunft der Menschheit im Zusammenwachsen der afrikanischen und der europäischen Völker gesehen hatten, entkräfteten die während des Nationalsozialismus propagierten Rassentheorien die Vision von einer gemeinsamen kulturellen Entwicklung.

Anmerkung:

1 Aus Tansania ist das auf Suaheli verfasste »Uimbo wa Kaizari« des Dichters Mbaraka bin Shomari bekannt, das »Kaiserlied« von 1897, das zum Genre der Suaheli-Preislieder zählt. Darin kommen sehr oft die Worte ‘Aufstand’, ‘Kriegsgefangene’, ‘Widerstand leisten’, ‘aufhängen’ oder ‘marschieren’ vor. Der Berliner Suaheli-Dozent Carl Velten verzeichnete 1907 in seinem Buch »Prosa und Poesie« weitere Preisgedichte, und zehn Jahre später stellte er in dem Band »Suaheli-Gedichte« Auftragsproduktionen vor, in denen auch die Militäreinsätze der deutschen Kolonialherren thematisiert werden. Darüber hinaus bestand in Tansania aber auch das Genre der kolonialismuskritischen Suaheli-Versdichtung.

Literatur:

  • Giselher W. Hoffmann, Die schweigenden Feuer, Wuppertal, 1994.
  • Ebrahim Hussein, Kinjeketile, in: Joachim Fiebach (Hg.), Stücke Afrikas, Berlin/ DDR 1974.
  • Hans-Jürgen Lüsebrink, La Conquête de l’espace public colonial, Frankfurt/M. 2003.
  • Yambo Ouologuem, Das Gebot der Gewalt, München 1969.
  • René Philombe, Der weiße Zauberer von Zangali, Frankfurt/M. 1980.
  • Léopold Sédar Senghor, Botschaft und Anruf, München 1966.
  • Gerhard Seyfried, Herero, Berlin 2003.
  • Wole Soyinka, Isarà, Frankfurt/M. 1996.
  • Wole Soyinka, Aké, Zürich 2003.
  • Uwe Timm, Morenga, Königstein 1978.
  • Diedrich Westermann, Afrikaner erzählen ihr Leben, Berlin 1938.

Manfred Loimeier arbeitet als Rezensent afrikanischer Literaturen für Hörfunk und Printmedien. Er veröffentlichte 2002 das Buch »Wortwechsel« im Horlemann Verlag, eine Sammlung von Interviews mit 40 SchriftstellerInnen aus Schwarzafrika.