(Post-) Koloniale OrteAuswanderung aus Pfaffenweiler bei Freiburg |
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„… dass wir Ihnen unsere Verbannung in Erinnerung bringen…“ Auswanderung von Pfaffenweiler nach Algerien im 19. Jahrhundert Von Edith Lass, März 2007* (alle Fotos: Heiko Wegmann 2007) Im kleinen Ort Pfaffenweiler, im Markgräflerland bei Freiburg gelegen, deuten die Straßenbenennung „Unterer Afrikaweg“ ebenso wie ein Denkmal auf einen nennenswerten geschichtlichen Abschnitt des Dorfes hin: die mehr oder weniger freiwilligen Auswanderungen armer BürgerInnen in eine „bessere“ Welt.
Kriege und Missernten Badische Gemeinden versuchten im 19. Jahrhundert, durch (Zwangs-) Auswanderungen ihre verarmte Bevölkerung loszuwerden. Die Zeit Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts war in Südbaden geprägt von kriegerischen Auseinadersetzungen (napoleonische Kriege), einer gescheiterten Revolution (1848/1849, angeführt von Friedrich Hecker und Gustav von Struve) und immer wieder Missernten. Es herrschte „solche Noth, dass man gar nichts anderes hört, (…) im Oberland, einige Meilen von hier, isst man Brot aus Baumrinde und gräbt todte Pferde aus; das Vieh stirbt den Bauern aus Mangel an Gras und Futter“ (Rahel Varnhagen von Ense zitiert nach Weeger 1997: 239; aus diesem Buch auch alle weiteren Zitate, soweit nicht anders angegeben). Besonders 1845 und in den folgenden Jahren führten die Kartoffelfäule und schlechte Getreideernten zu einer Hungerkrise, so dass die Gemeinde Pfaffenweiler, wie auch viele andere badische Gemeinden, genötigt waren, eine Suppenanstalt einzurichten, Saatgut anzukaufen und Arbeitsbeschaffungen durchzuführen. Die Gemeindekasse wurde durch diese Unterstützungsbeiträge für kinderreiche Familien, Erwerbslose, Kranke und uneheliche Kinder stark beansprucht. Um einer weiteren Misere zu entgehen, wanderten 1846 massenhaft Handwerker und TagelöhnerInnen aus dem Südwesten aus, um in der „Neuen Welt“ ein besseres Leben zu finden. Es waren Menschen, die nur wenig Grund und Boden besaßen, oder schon völlig mittellos waren und nur durch öffentliche Zuwendungen überlebten. Um diese „Hungerleider“ los zu werden, finanzierten Gemeinden die Übersiedlung; besonders Mütter mit unehelichen Kindern entließ man gerne in die „bessere“ Welt, denn die Gemeinde musste für diese bis zum 14. Lebensjahr aufkommen. Unter dem Strich rechnete sich die Finanzierung der Ausreise. Die Öffentlichkeit begrüßte derlei Investitionen, sie sah in der dauerhaften Auswanderung die Lösungsmöglichkeit für soziale Probleme aller Art. 1843 wanderten 358 Bürger aus der Gegend des Kaiserstuhls, hauptsächlich aus Endingen, Wyhl und Oberbergen über Le Havre nach Venezuela aus und gründeten dort die bis heute bestehende „Kolonie Tovar“ (deren kulturelle Abkapselung und Nationalismus wurde später regelmäßig vom Freiburger Ableger des „Verein für das Deutschtum im Ausland“ gefördert). Blick vom Afrika-Denkmal auf den Ort Pfaffenweiler. Bevorzugtes Ziel der EmigrantInnen war aber zunächst Nordamerika. Weil die Regierung des Staates New York aber nicht für die mittellosen Einwanderer und Einwanderinnen aufkommen wollte, mussten jeder „Schiffs-Kapitän, Eigner oder Agent, die Emigranten aus Europa bringen, und die an den Ufern dieses Staates landen wollen, für diese Leute während 2 Jahren eine Garantie gegen Verarmung stellen.“(Großherzoglich Badisches Anzeige-Blatt für den Oberrhein-Kreis vom 22.4.1846, zit.n. Weeger: S. 244)). Die Transportunternehmer reagierten auf das verstärkte Ausreiseinteresse. Die Schiffspreise in Le Havre erhöhten sich ungemein, was einige Emigrationswillige umkehren ließ. Die badische Gemeinde Pfaffenweiler suchte daraufhin andere Wege, um ihre Hilfsbedürftigen los zu werden: 1853 entschied das Gemeindegremium den Wegzug von „23 Auswanderungs-Familien hiessiger Armen nach Algerien in 136 Köpfen“ (zit.n. Weeger: S. 251) zu finanzieren. Der Transfer nach Nordafrika war erheblich billiger als eine Ausreise nach Amerika. Die Dorfchronik Pfaffenweilers beschreibt, dass das notwendige Geld aus dem Verkauf des Gewanns Hasenfahren-Wald erzielt werden sollte. Das gerodete Holz und die parzellierten Flurstücke wurden an die Bürger Pfaffenweilers veräußert. Seitdem trägt dieses Flurstück den Namen „Afrika“. Vor wenigen Jahren wurde am Hüttenrainweg auf dem Dürrenberg auch ein Denkmal errichtet. Das Afrika-Denkmal als Weinkelch (Inschrift siehe unten). Schlechte Aussichten Bevor aber konkrete Reisevorbereitungen der „fleißigen Leute, die gut mit dem Rebbau umzugehen wissen“ (zit.n. Weeger: S. 251), getroffen werden konnten, musste das Bezirksamt Staufen im Namen der Gemeinde Pfaffenweiler bei der Präfektur in Colmar um Erlaubnis fragen. Algerien war schließlich seit 1830 französische Kolonie (deutsche Kolonien gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht) und forderte ein Mindestvermögen pro Familie oder pro Kopf. Pfaffenweilers Bürgermeister reiste persönlich am 28. August 1853 zum Präfekten, um die Sache zu beschleunigen und schlug eine Familienberechnung vor. Eine pro-Kopfberechnung hätte die Gemeindekasse stärker belastet. Der Gemeinderat wünschte für seine „fleißigen Leute“ „etwas von der Landsbeschaffenheit ihrer neuen Heimath in Algier (zu) wissen“ (zit.n. Weeger: S. 251), welche Arbeiten dort verrichtet werden, ob Eigentum erworben werden kann, welches Getreide angebaut wird. Die Antwort fiel keineswegs günstig aus, denn die Präfektur, die sich auf den Kenntnisstand des Kriegsministeriums berief, vermittelte, dass die meisten Reben den Arabern gehören „und die Besitzer stellen nur Eingeborene für dieses Arbeiten ein“ (zit.n. Weeger: S. 252). Nur einer Familie konnte Arbeit zugesagt werden. Trotz des Wissens um die kaum vorhandenen Verdienstmöglichkeiten für die Aussiedler wurden sie als Antragsteller auf die Liste genommen. Inwieweit die Gemeinde Pfaffenweiler direkten Druck auf die potentiellen EmigrantInnen ausgeübt hatte, ist nicht bekannt, aber sie bezeichnete 1854 immer noch 43 EinwohnerInnen als „notorisch arm“ und bei Frauen häufte sich der Vermerk: “arretirt und vorgeführt wegen Bettels“ (Gemeinderatsprotokolle 1852-1863, zit.n. Weeger: S. 89). Es ist davon auszugehen, dass ein repressives Klima die Entscheidung für die Ausreise erleichtert hat. Bürokratische Scheinehen und Aufbruch Mit dem Freiburger Bankhaus Sautier wurden die Auszahlungsmodalitäten der AuswandererInnen geregelt: Bei Reiseantritt bekam jede Familie erst einen Teil der von der Gemeinde zugesagten 500 Franken, den Rest bekäme die Gruppe in Marseille ausgehändigt. Anfang November 1853 meldete das französische Kriegsministerium den lokalen Behörden, dass die „22 Familien von Pfaffenweiler sich als Arbeiter nach Algerien“ (zit.n. Weeger: S. 252) begeben könnten. Zuvor aber erledigte die Gemeinde einen bürokratischen Akt. Zum einen erstellte sie eine Liste mit Berufsangaben der EmigrantInnen, darunter einen „vorzüglichen praktischen Rebman“, vorzügliche Steinhauermeister, Schuster und Drechselmeister. Zum anderen entschied der Bürgerausschuss, dass nicht verheiratete Paare am Tag vor ihrer Abreise getraut werden, denn die Familienausreise war die billigere Variante. Die Betroffenen stimmten nur unter der Vorraussetzung zu, dass die Vereinbahrung bei Nichtausreise unwirksam wird. Bevor es im Dezember los ging, wurden die Familien mit Kleidern und Schuhwerk ausgestattet, örtliche Schreiner bauten und reparierten Reisekisten und Fuhrbesitzer bewarben sich für den Auftrag, die einzelnen Gruppen nach Mulhouse zu transportieren Am 13.12.1853 war es soweit: Um 1 Uhr nachts setzten sich die ersten zwei Fuhrwerke in Richtung Neuenburg (kurz vor Frankreich) in Bewegung. Insgesamt verließen in den folgenden Tagen etwa 130 Frauen, Männer und Kinder Pfaffenweiler in Richtung Provinz Constantine (Qustantinah, heute mit über 500.000 EinwohnerInnen die drittgrößte Stadt Algeriens). Die östlich von Algier gelegene Stadt war 1837 von französischen Truppen erobert worden (siehe zu Constantine: Wikipedia). Verzweifelte Briefe aus Algerien Wie aus Briefen nach Pfaffenweiler zu ersehen ist, waren die Afrika-AuswandererInnen mit ihrem neuen Domizil keineswegs zufrieden. Der Briefeschreiber Wilfried Luhr, von dem das Zitat aus 1861 aus dem Titel stammt, verstand sich als Sprecher der Afrika-AuswandererInnen. Er schrieb von Verbannung, von himmelschreiendem Unrecht bei „fremden Völkern unser Leben durchmarttern“ zu müssen. Auch berichtete er von Betrug, denn Versprechungen von Unterstützung wie „Haus…Zugvieh und Saamen für die Felder…Kleidungsstück und Lebensmittel biß zur ersten Erndte…“ (zit.n. Weeger: S. 259) wurden nicht eingelöst. Die meisten fanden keine Arbeit, was vorauszusehen war (siehe Schreiben des französischen Kriegsministeriums), hinzu kamen todbringende Krankheiten wie der Ausbruch der Cholera im April 1854 in Bòne und letztendlich die Zerstörung des Traumes, als „Kolonisten anerkannt“ zu sein und nicht als „Bettlervolk abgewiesen“ zu werden. Hintergrund dieser Klage von Luhr ist eine Anordnung Frankreichs, nach der nur vermögende AuswandererInnen als Siedler wirtschaften durften, alle anderen mussten sich als Arbeiter verdingen. Davon hatte die Gemeinde Pfaffenweiler allerdings zuvor Kenntnis gehabt. Obwohl die Armen damals selbst ein Gesuch zur Auswanderung stellten, kamen sich die meisten später wie Abgeschobene vor und sahen in der Rückkehr nach Pfaffenweiler die Erlösung von dem ungeliebten Exil.
Auf der linken Seite des Kelchs Details des mit 1853 überschribenen Auswanderungsmotivs, rechts ein Detail des mit 1970 überschrieben Weinbaumotivs. Verantwortungen Bei der Ursachensuche für die missglückte Emigration nach Afrika sind mehrere Faktoren zu nennen: Zum einen haben sich die AuswandererInnen kaum für die Situation der in Algerien lebenden arabischen Bevölkerung interessiert, beziehungsweise sahen in ihnen die „unterentwickelten Wilden“. Sie machten die Araber während des Kolonialkrieges für ungeheuerliche Grausamkeiten verantwortlich. Zum anderen genehmigte die französische Regierung die Einreise, obwohl sie von den unzureichenden Lebensbedingungen wusste. Zum Dritten ist die Gemeindeverwaltung Pfaffenweiler als Hauptverantwortliche zu nennen: Trotz Kenntnis der ungenügenden Arbeitsmöglichkeiten wurden die Auswanderer als vorzügliche Weinbauern angepriesen, Kostenerwägungen führten zu Scheinehen und falsche Versprechungen lockten Gemeindearme in eine vermeintlich bessere Zukunft nach Afrika. Der Chronist Hermann Baier hält fest: “Verschiedene Gemeinden hätten am liebsten ihre gesamte minderbemittelte Bevölkerung nach Algerien gebracht, ohne zu bedenken, ja wahrscheinlich nur zu ahnen, dass das Gelingen einer Ansiedlung in Algerien von ganz anderen Voraussetzungen abhing als in Amerika“ (Hermann Baier, Badische Gräber in Algerien, zit.n. Weeger: S. 261). Die Nachbargemeinden Bollschweil, Ebringen, Bremgarten und Hartheim stoppten aufgrund ihres Informationsstandes ihre geplanten Auswanderungsvorhaben nach Algerien, aber sie verfrachteten ihre Armen ebenso in die Ferne, in erster Linie jedoch nach Amerika. Die Statistik spricht in den Jahren 1850-1855 von 1.926 ÜbersiedlerInnen von Baden nach Algerien , eine große Zahl an Rückkehrern belegte deren schlechte Lebensverhältnisse, insofern war Pfaffenweiler keinesfalls eine Besonderheit. Rückkehr verweigert Erstaunlicherweise sind nach Pfaffenweiler nur 10 Menschen zurückgekehrt. Ein Grund dafür liegt vermutlich im drastischen Vorgehen der Gemeinde: Frau Paulina Gutgsell z.B. kehrte nach dem Tod ihrer Mutter bereits in Lyon um. Pfaffenweiler verweigerte ihr den Heimatschein, fragte jedoch in Staufen nach, was zu tun sei. Wahrscheinlich lebte sie dort als Magd ohne irgendein Vermögen. Auch der folgende Briefausschnitt vom 23.10.1861 an „Wilfrid Luhr und Genossen & Consorten“ wird seine Wirkung getan haben: “… und wen ihr die unglückliche Rückkehr hierher unternommen hätten hier ist nicht eine Wohnung, nicht ein Zimmer zum Unterkommen, blos in Scheuer oder Stallungen könt ihr auf eine Nacht beherbergt werden. Oder wo Verdienst hernehmen, da hier mit Ausnahme der Steinbrüche nicht einen Taglohn gefunden werden kann. Mehr wird zu schreiben nicht nötig sein, bleibet in Gottes Nammen wo ihr Verdienst haben, hier ist keiner“ (zit.n. Weeger: S. 260). Das Verhältnis zu den Amerika-AuswandererInnen stellt sich ganz anders dar. Bis heute pflegt Pfaffenweiler eine Städtepartnerschaft mit der Gemeinde Jasper (Indiana, USA), wohin Mitte des 19. Jahrhunderts über 300 BürgerInnen ausgewandert sind. Die Pfaffenweiler Lokalgeschichte wurde mehrfach auf den Bühne inszeniert, der Südwestfunk sendete ein Hörbild und es wurde der Dokumentarfilm „Verbannt ins Paradies“ gedreht, der am 25. September 1996 im Fernsehen gezeigt wurde. Literatur
Die Inschrift der des Denkmals: "Not, Armut und Missernten führten im 19. Jahrh. zu Auswanderungen. 1853 zogen 132 Bewohner nach Nordafrika. Die Gemeinde musste den Auszug ihrer Kinder durch Abholzung auf dem danach benannten Gewann Afrika finanzieren. Schwer war das Los in der Fremde und die Hoffnungen zerrannen in Tränen und Bitterkeit, wie uns Briefe und Hilferufe berichten. Gott will, dass Menschen nach seinem Bilde menschenwürdig leben - Dies kann um so erfolgreicher gefprdert werden in dem Masse es gelingt, die Erfüllung ihrer irdischen Bedürfnisse über die Grenzschwelle des blossen Vegetierens anzuheben - Das ist der grund, sich um den Weinbau in Pfaffenweiler zu mühen - Ausspruch Pfarrer Deichelborer 1959-1966. Brot brachte den Winzern die Rebflurbereinigung auf Flächen von übeer 100 Hektar in den jahren 1955-1970. hand in hand ging der Neuaufbau ertragreicher Pfropfenreben und die Entwicklung genossenschaftlicher Kellerwirtschaft und vermarktung. Diese Existenzsicherung war nur möglich durch grosse, insbesondere finanzielle Opfer in Zuversicht und Einigkeit. " |