Dokumentation:Im folgenden dokumentieren wir eine Sammelrezension des Freiburger Professors für Volkswirtschaft Eugen von Philippovich. Von den 28 (!) besprochenen Büchern ist hier der Teil zum britischen Kolonialismus ausgelassen (Bücher 1-8). |
Transkription: Philip Aubreville |
Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Johannes Conrad (Hrsg.), Band 16 (Neue Folge), Jena 1888: Verlag von Gustav Fischer. Seite 47-55 und 171-183 Litteratur I. Neuere Litteratur über Kolonien und Kolonialpolitik. Besprochen von Eugen von Philippovich.
(...) [weiter ab Seite 171] Litteratur. II. Neuere Litteratur über Kolonien und Kolonialpolitik. Besprochen von Eugen von Philippovich. (Schluß.) Während die englische Kolonialpolitik sich zu den letzten Schritten anschickt, die ein kolonisierendes Land thun kann, indem es die politische und soziale Gleichstellung der Kolonien mit dem Mutterlande herbeiführen will, ist Deutschland im Begriffe, die ersten zu thun. Daß es den Deutschen niemals an kolonisatorischer Fähigkeit gemangelt hat, zeigt uns Simonsfeld in seinem hübschen Aufsatze, der in knapper Form die gewaltige Kolonisationsarbeit der Deutschen im Osten von der Zeit an vorführt, da noch die Elbe die Ostgrenze des Deutschtums bildete. Die Handelskolonisation unserer Städte im Mittelalter und die ersten Versuche einer überseeischen Kolonisation in Venezuela, Westafrika und Ostindien schließen sich hieran an, als Zeugen des Bestrebens, die Kraft des eigenen Volkstums auch über den Grenzen des Reiches zur Geltung zu bringen. Welche Kulturarbeit die Deutschen auch nach dem Verfalle des Reiches in fremden Staaten verrichtet haben, bedarf noch der Darstellung kommender Geschichtsforscher, wenn wir auch in Werken wie Kapp's 'Geschichte der deutschen Einwanderung in Amerika', schöne Beiträge zu einer Geschichte des Deutschtums auf der Erde besitzen. Uns wenigstens den Bestand der wichtigsten Gruppen des Deutschtums in fremden Staaten in der Gegenwart vorzuführen, uns bekannt zu machen mit der allmählichen Bildung derselben, den Bedingungen ihres materiellen und geistigen Daseins und dem wahrscheinlichen Ziele ihrer künftigen Entwickelung, ist die Aufgabe, welche sich die Arbeit von Jung gestellt hat. Das Buch, das in seiner neuesten Auflage durch eine Darstellung der Erwerbungen in West- und Südwestafrika, sowie Neuguinea vermehrt wurde, erhebt nicht den Anspruch, ein Quellenwerk zu sein, doch giebt es mannigfache Aufschlüsse über die Zahl und Gesittung der Deutschen in der Fremde. Wenn Jung diese zusammenhängenden Gruppen unserer, fremder Staatshoheit unterworfenen Landsleute 'deutsche Kolonien' nennt, so zeigt dies, wie verdorben unser Sprachgebrauch ist. Würden die neun Millionen Deutsche¹ [Fußnote: 1) So hoch schätzt Emil Rothe in Tenner, Amerika (Berlin-New-York 1886. 2. Auflage.) S. 228 die Zahl der Deutschen. Wahrscheinlich seien es mehr. Vgl. hierzu den interessanten Aufsatz von Engelbrecht in der Zeitschr. des kgl. preuß. statist. Bureaus 1887. Heft I. II. über 'Verbreitung und Beschäftigung der Einwanderer in den Vereinigten Staaten von Amerika mit besonderer Rücksicht auf die Deutschen', der darthut, daß die Deutschen mit den Engländern den höchsten Rang unter den Eingewanderten einnehmen.], die in den Vereinigten Staaten von Nordamerika leben, in der That eine Kolonie bilden, dann könnten wir uns getrost mit dem Engländertum messen. Leider aber ist es nur zu wahrscheinlich, daß der höchste Erfolg des Deutschtums in Nordamerika darin bestehen wird, daß [Wechsel auf Seite 172] es bei seinem Aufgehen im Amerikanertume einen mildernden Einfluß auf das Yankeetum ausübt. Ob das 'geistige Auferstehung' ist, wie Kapp meint, ist mir zweifelhaft. Kolonien hatten die Deutschen bisher nicht gebildet, als Kolonisten waren sie stets geschätzt, höher als die Kolonien bildenden Engländer. Daß diese kolonisatorische Thätigkeit nach Herstellung eines mächtigen deutschen Reiches ihren kosmopolischen Charakter verlieren mußte, ist so natürlich, daß man sich verwundern muß, wie geistreiche Männer in der jüngsten kolonialen Bewegung in Deutschland etwas Künstliches, Vorübergehendes erblicken können. Sie scheint mir im Gegenteil im hohen Maße aus der Vergangenheit des deutschen Volkes herausgewachsen und der Richtung der allgemeinen Staatsentwicklung unserer Zeit angepaßt zu sein. Denn neu ist an ihr nur, daß eine deutsche Staatsgewalt die Erfolge deutscher Kolonisten schützt. Was die einzelnen in unseren Kolonien thun, Handels- und Plantagenbetriebe organisieren, das haben Deutsche schon seit längst vergangenen Zeiten in aller Herren Länder und in aller Herren Dienste gethan. Es fehlte nur die Vereinigung dieser in die Ferne schweifenden Kräfte in deutsche Kolonien, der regelmäßige Wiederersatz derselben Arbeit; es konnte sich keine Tradition bilden. So kommt es, daß die Deutschen seit langem kolonisiert haben und sich doch in Deutschland nur geringe koloniale Erfahrung angesammelt hat. An die Stelle der Planlosigkeit der Vergangenheit tritt jetzt Ziel und Ordnung und das Streben nach wirtschaftlichem Gewinn verbindet sich mit dem Gedanken, daß man einen Besitz zum dauernden Vorteile der Nation erwerbe. Dieses Zusammenschließen der Volkskräfte in einer Frage, die bisher als eigenste Angelegenheit des einzelnen angesehen wurde, mag unerwartet gekommen sein, allein ist es weder künstlich, noch wird es etwas Vorübergehendes sein. Man kann nicht erwarten, daß, während Dampf und Elektrizität die Weltteile einander näher bringen, unsere Bedürfnisse nach den Produkten aller Zonen zu verlangen, der Weltverkehr die Bedingungen unseres volkswirtschaftlichen Gedeihens beherrscht und so alles die Staaten drängt, sich in entfernten Erdteilen Macht und Ansehen zu verschaffen, unser Volk auf die natürliche Grundlage dieser Machtentwickelung, auf den Besitz überseeischer Gebiete verzichten werde. Mit großer Wärme hat Peters in seinen kolonialpolitischen Aufsätzen diesen Gedanken wiederholt einen treffenden Ausdruck gegeben und durch die fortlaufende Gegenüberstellung von Erscheinungen des Engländertums und des Deutschtums unsere politisch-sozialen Schwächen scharf gekennzeichnet. Die Schrift, welche größtenteils Aufsätze zusammenfaßt, die in den letzten vier Jahren in Zeitschriften erschienen sind, gewährt zugleich einen belehrenden Einblick in die Phasen, welche das deutsch-ostafrikanische Unternehmen, das ja durch die Peters´schen Erwerbungen im Herbste 1885 eingeleitet worden war, durchgemacht hat und in den Geist, welcher die von Peters geleitete 'Gesellschaft für deutsche Kolonisation' erfüllt. Diese Vereinigung trat 1884 neben den bereits 1882 gegründeten 'Deutschen Kolonialverein', um, während dieser sich vor allem die Aufklärung des deutschen über die Bedeutung der Kolonien angelegen sein ließ, praktisch vorzugehen und für bestimmte Erwerbungen zu interessieren. Es war schwer zu vermeiden, daß die in diesen Vereinen [Wechsel auf Seite 173] verkörperten Gegensätze nicht auch einmal aneinandergerieten. Ein Stück dieser, nur die Vereinsbewegung in Deutschland berührenden Fehden spielt sich in Dr. Arnedt's Schrift ab, welche die Bedeutung der ostafrikanischen Erwerbungen hervorhebt, im übrigen aber die Sache der Kolonisationsgesellschaft gegen den Kolonialverein führt. Zum großen Vorteile für alles, was durch Vereine auf diesem Gebiet geleistet werden kann, wird die nunmehr durchgeführte Verschmelzung der beiden Korporationen gereichen. Was in Deutschland in den letzten Jahren an Thatsachen und Theorien vorgebracht wurde, um die Notwendigkeit der Koloniengründung zu erweisen, - und das ist bekanntlich sehr viel und oft von zweifelhaftem Werte – findet man zusammengetragen in Baumgarten's Schrift über die deutschen Kolonien und nationalen Interessen. Es ist mir nicht möglich, den Inhalt dieser 114 Seiten zu charakterisieren oder gar zu kritisieren – so viel fremde Gedanken lassen sich zwar auf gedrängtem Raume vorbringen, aber nicht besprechen. Ob das vorgetragene 'geographische, ethnographische, statistische und handelsgeschichtliche Beweismaterial' genügen wird, wie der Verfasser meint, 'um den Scheingründen; Vorururteilen, Verdächtigungen und Herabwürdigungen, wodurch man das thatkräftige, selbstständige Vordringen Deutschlands auf dem weltwirtschaftlichen Gebiete in der Erwerbung von überseeischen Niederlassungen hemmen und rückläufig machen will, allen Boden zu entziehen', muß bezweifelt werden und der Verfasser wird sich mit dem Bewußtsein begnügen müssen, durch seine populäre Schrift vielen Lesern eine Reihe belehrender Einzelheiten geboten zu haben. Vielleicht wird er sogar manchen überzeugt haben, daß 'die Erziehung der Naturvölker, eine Pflicht des koloniengründenden Deutschlands, als einer sittlichen Weltmacht.. die grundlegende Aufgabe des heutigen Geschlechtes' sei. Ein engeres Ziel steckt sich die Arbeit von Dr. Charpentier, welche ohne auf geschichtsphilosophische Meinungen oder auf die Entwicklungsgeschichte der deutschen Wirtschaftsverhältnisse einzugehen., den äußeren Zusammenhang der Ereignisse schildert, die den Erwerb der deutschen Kolonien begleitet haben. Der Titel der Schrift ist daher etwas zu weit gefaßt, denn sie bietet uns keine 'Entwickelungsgeschichte,' sondern erzählt, wo und unter welchen äußeren Schwierigkeiten der Kolonialbesitz erworben wurde. Aber zur ersten Orientierung in dieser Hinsicht ist das Werkchen zu empfehlen. Das mit England betreffs Ostafrika und mit Portugal betreffs Abgrenzung der gegenseitigen Kolonialgebiete getroffene Uebereinkommen konnte bei Charpentier noch keine Berücksichtigung finden. Aber auch bezüglich der übrigen Schutzgebiete wäre eine schärfere Bezeichnung der Grenzen wünschenswert gewesen. Reichliches Material zur deutschen Kolonialgeschichte liefert das Werk Herrn von Koschitzky´s. Die erste Hälfte des ersten Bandes behandelt als 'Vorgeschichte der deutschen Kolonisation' die Kolonisierung Kurlands, Livlands, Preußens, die Thätigkeit der Hansa und die ersten Versuche überseeischer Erwerbungen, die kolonisatorischen Unternehmungen der Niederländer, die Bildung deutscher 'Kolonien' in Rußland und Brasilien, die Kraftentfaltungen nach außen in Handel, Mission und Auswanderung und die ersten Regungen der Volksstimmung zu gunsten von [Wechsel auf Seite 174] Kolonien in diesem Jahrhundert, kurz alles, was sich aus der Vergangenheit als Beweis ansehen läßt, 'für die Berechtigung der Deutschen, sich als kolonisierendes Kulturvolk bei dem großen Wettkampfe in der Zivilisierung der Naturvölker zu beteiligen.' Die zweite Hälfte ist der 'Kolonialpolitik des deutschen Reiches' gewidmet und stellt in drei Kapiteln dar: die Entwickelung der Kolonialpolitik, die Congokonferenz und die Gründung des Kongostaates, die Angelegenheit der Postdampfersubvention. Der zweite Band schildert die 'Erwerbung der Reichsschutzgebiete bis zur Erledigung des Karolinenstreites' in eingehender Weise. Von den an die Samoa- und Tongainseln anknüpfenden internationalen Verhandlungen der siebziger Jahre bis auf den Vertrag mit Spanien vom 11. Dezember 1885 betreffs der Karolinen werden alle die Entwickelung der deutschen Kolonialpolitik begleitenden diplomatischen Verhandlungen, Reichstagsdebatten und Vorgänge in den überseeischen Gebieten mit großer Genauigkeit, oft unter Beibringung des Textes der gewechselten diplomatischen Schriftstücke, der gehaltenen Reden, der geschlossenen Verträge uns vorgeführt, so daß wir in von Koschitzky´s Werk die vollständigste bisher erschienene zusammenhängende Darstellung der deutschen überseeischen Erwerbungen besitzen. Um so mehr ist es zu bedauern, daß diese Darstellung willkürlich mit dem Ende des Jahres 1885 abbricht, statt auch noch die Laufe der Jahre 1886 und 1887 erfolgten Neuerwerbungen (Salomonsinseln, Viktoria), vor allem aber die für die internationale Stellung und innere Entwickelung gleich wichtigen Grenz- und Anerkennungsverträge mit den interessierten Staaten zu berücksichtigen. - Daß die Systematik des Werkes von eigentümlicher Art ist, wird man bereits aus der Inhaltsangabe ersehen haben. Die 'Vorgeschichte' deutscher Kolonisation enthält ja doch fortwährend eine Darstellung wirklicher Kolonisation; der Abschnitt 'Kolonialpolitik des deutschen Reiches' enthält im ersten Kapitel fast nur eine Zusammenfassung des Inhaltes des zweiten Bandes; einzelne Agenden werden ganz zerrissen. Die Verhandlungen bezüglich der Fidschiinseln werden im 15. Kapitel der Vorgeschichte, im 1. Kapitel des zweiten und im 3. Kapitel des dritten Abschnittes dargestellt. Es scheint, daß der Verfasser ursprünglich eine andere Art der Darstellung geplant hat, da eine Anmerkung S. 128 des ersten Bandes auf ein nicht vorhandenes Kapitel verweist. Recht fühlbar ist der Mangel an Quellenangaben. Die wenigen Werke, welche der Verfasser citiert, beziehen sich keineswegs auf die wichtigsten von ihm gemachten oder solche Angaben, die etwa mehr als andere zur Vergleichung und weiteren Forschung anregen könnten. Ueberhaupt wird die Art seiner Geschichtsschreibung nicht allgemeinen Beifall finden können. Statt in der 'Vorgeschichte' das Geschehene unter große einheitliche Gesichtspunkte zusammenzufassen, stellt er Kapitel wie: Auswanderung, deutsche Kolonien in Rußland, in Brasilien, die Heidenmission, die Marine, der deutsche überseeische Handel u.s.w., welche alle viel interessanten Stoff enthalten, unvermittelt nebeneinander. Auch die beiden anderen Abschnitte bieten den Anblick eines wertvollen, aber nicht gerade künstlerisch bearbeiteten Materials – die Bruchstücke und Trümmer des zu benutzenden Rohmaterials mitten im Texte wirken geradezu störend, während ihre Sammlung in einem Anhang ganz nützlich gewesen wäre. Die bereits erwähnte Doppelbehandlung wie das Zerreissen einzelner Angelegenheit [Seite 175] erschweren die Orientierung ungemein. - Eine Ergänzung des Inhaltes durch die neuesten Verträge, eine Umarbeitung in Bezug auf die Darstellung und die Hinzufügung eines Registers würden aus dem Buche ein wirklich wertvolles Werk machen. Die Gebiete, deren Erwerbung als Kolonialbesitz seitens Deutschlands in den vorerwähnten Arbeiten ihre Darstellung findet, setzen sich folgendermaßen zusammen. In Südwestafrika: Das Gebiet nördlich vom Oranjefluß bis zum Kunene ausschließlich der Walfischbai. Im Süden wird die Grenze vom Oranjefluß und im Innern gegen Britisch-Betschuanaland durch den 20° östlicher Länge gezogen. Im Norden folgt die Grenze dem Kunene von der Mündung bis zu seinen zweiten Fällen, dann dem 17° südlicher Breite bis zum Kubango, dann diesem bis Andara, von wo sie in gerader Linie bis zum Sambesi in die Nähe der Stromschnellen von Kolima geht, so daß die Grenze des Nordens weit über die des Südens ins Innere reicht. In Westafrika: 1) Das unter dem Namen Kamerun Gebiet. Und zwar bildet hier im Süden etwa 2° nördlicher Breite die Grenze, im Norden eine Linie, die vom Rio del Rey nach Jola am Benue geht. 2) Das an der Küste zwischen dem 1° und 2° östlicher Länge gelegene Togoland in beiläufigem Umfange von 18 000 qkm. In Ostafrika: Hier sind die Verhältnisse etwas verwickelter. Nach den mit England und Portugal getroffenen Vereinbarungen hat sich Deutschland ein Gebiet gesichert, das im Süden von Rovuma und dem 12° südlicher Breite, im Norden von einer Linie begrenzt wird, die von der Mündung des Flusses Umba nach dem Jipesee zieht, längs der Ost- und Nordküste dieses Sees, sowie im Osten und Norden des Kilima-Ndscharo weiterläuft bis zu dem Punkte am Ostufer des Viktoria-Nianza-Sees, welcher vom 1° südlicher Breite getroffen wird. Das Gebiet nördlich dieser Grenze bis zum Tanaflusse und dem Schneidepunkte des 1° nördlicher Breite mit dem 37° östlicher Länge fällt England zu. Innerhalb dieser Gebiete jedoch untersteht die ganze Küstenlinie auf 2 ½ deutsche Meilen ins Innere der Hoheit des Sultans von Zanzibar, doch ist derselbe verpflichtet, die Häfen Pangani und Dar-es-Saalam der Verwaltung der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft zu überlassen und ihr die Zolleinhebung daselbst zu verpachten. Aus dem ganzen oben bezeichneten, dem deutschen Einflusse unterworfenen Territorium sind bis jetzt nur die Zanzibar gegenüberliegenden Provinzen Usagara, Ngura, Usegua und Ukami dem Schutze des Reiches durch einen Schutzbrief unterstellt. In dem nördlich des Tanaflusses an der Küste gelegenen Sultanat Witu hat eine deutsche Gesellschaft Hoheitsrechte über einen Teil des Landes vertragsmäßig erworben, der Sultan von Witu selbst hat sich unter deutschen Schutz gestellt. Bezüglich des ganzen Küstengebietes der Somalis bis Bender Gasan mit Ausnahme einiger dem Sultan von Zanzibar gehörigen Küstenorte bestehen vertragsmäßige Ansprüche der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft. In der Südsee: Die Nordostküste von Neu-Guinea, welche den Namen „Kaiser Wilhelmsland“ erhielt, der bisher als Neu-Britannien bezeichnete Archipel unter dem Namen „Bismarck-Archipel“, die größeren der Salomonsinseln (Bougainville, Choiseul, Isabella) und den Marschallinseln. In der Literatur, welche über die Kolonisations- oder Kultivationsfähigkeit dieser deutschen Gebiete bisher erschienen ist, nehmen [Wechsel auf Seite 176] die beiden Werke von Buchner und Fischer jedenfalls eine hervorragende Stellung ein. Namentlich von dem leztgenannten, leider schon verstorbenen Forscher ist zu rühmen, daß seine klaren Urteile eine weitgehende Bestätigung gefunden haben. So vor allem durch das später erschienene Werk von Buchner. Beide sind geachtete Afrikareisende, beide hatten als Aerzte und Naturforscher ein richtigeres Urteil über die Bedeutung der gemachten Erfahrungen. Buchner hat mehrere Jahre in Westafrika zugebracht, Fischer sieben Jahre im äquatorialen Ostafrika verlebt, doch kennt er auch die westafrikanischen Gebiete. Buchner schreibt vor allem über und für Kamerun, für welches er ein eingehendes Entwickelungsprogramm feststellt, Fischer über die Kultivationsfähigkeit des tropischen Afrika im allgemeinen, aber doch mit besonderen Hinweisen auf unsere Kolonien. Beide treten den landläufigen Urteilen über die 'Fruchtbarkeit' Afrikas schroff entgegen, beide erweisen sich als Pessimisten – aber beide treten warm für die deutsche Kolonialpolitik in Afrika ein. Die Kultivierung tropischer Kolonien seitens der Deutschen erscheint ihnen als eine Notwendigkeit, aber als eine harte Arbeit, die nur dann einen Gewinn bringen kann, wenn man sich des beschränkten Zieles, das man zu erreichen vermag, bewußt bleibt. Was zunächst die Anpassungsfähigkeit der Europäer an das Klima anbelangt, von der ja so viel für die Ausnützung des Gebietes abhängt, so drücken beide die gleiche Ansicht aus. 'Als Aufseher, Unterrichter, Anleiter für die eingeborne Bevölkerung wird er (der Europäer) in den Tropenländern Afrikas für eine gewisse Zeit ohne Schaden für seine Gesundheil thätig sein können.“ (Fischer S. 33). 'Kamerun gehört entschieden zu den ungesundesten Plätzen der Erde. Es ist aber kein Grund vorhanden, zu glauben, daß Kamerun ungesunder sei als Brasilien oder Ostindien zur Zeit der ersten Entdecker war, ehe die Europäer dort seßhaft wurden und ihre Existenzbedingungen auch dort immermehr verfeinerten“ (Buchner, S. 158). Nach drei bis fünf Jahren müsse ein längerer Aufenthalt in gemäßigten Klimaten erfolgen. Daß diese gemäßigten Urteile durch übertrieben ungünstige oder übertrieben günstige in Deutschland verdrängt würden, war angesichts mancher Agitationen zu befürchten. Leipoldt hat sich daher gewiß einer nützlichen Arbeit unterzogen, indem er die Angaben in den zahlreichen Schriften der Afrikareisenden in Bezug auf das Tropenklima und dessen Rückwirkung auf den Europäer sammelte und zu einem Gesamtbilde vereinigte. In drei Abschnitten werden die einzelnen klimatologischen Erscheinungen und ihr Einfluß auf den menschlichen Körper, die einzelnen seltener oder häufiger auftretenden Krankheiten und ihre übliche Behandlung, endlich Wohnung, Kleidung, Nahrung und sonstige Pflege des Körpers besprochen. Ein vierter Abschnitt giebt einen Überblick über die Gesundheitsverhältnisse in den einzelnen Tropenländern Afrikas. Die Schrift wird wesentlich dazu beitragen, überschwengliche Hoffnungen zu zerstören, allzu große Befürchtungen aber abzuschwächen. Auch der Laie wird erkennen, daß noch so viele Einzelbeobachtungen und Einzelurteile nicht zur Begründung eines wissenschaftlichen Urteils über die natürlichen Lebensbedingungen in einem ganzen Erdteile hinreichen. Allein sobald man die Summe der persönlichen Erfahrungen zieht, erhält man eine Bestätigung jener Urteile von Buchner und Fischer, welche jede Hoffnung auf Ackerbaukolonisation im [Wechsel auf Seite 177] tropischen Afrika vernichten, der europäischen Arbeit aber im Handels- und Plantagenbetrieb ausreichenden Spielraum gewähren. Der Handel bietet gegenwärtig wenig Aussichten. Die 'ungeheuren Absatzgebiete' seien nicht vorhanden, weil es an afrikanischen Exportprodukten fehle. Der Gesamtumsatz des Zanzibarhandels, der sich auf ein Gebiet von 20 000 Quadratmeilen erstreckt, beläuft sich jährlich nur auf ca. 35 Millionen Mark. Dabei sei jedes Fleckchen des dem Zanzibarhandel tributären Gebietes seit Jahren durch arabische Händler aufgesucht. Deutschland partizipiert an jener Summe mit ca. 4 ½ Mill. Mark (Import 3 Mill., Export 1 ½ Mill.) 'Dabei ist aber von Bedeutung, daß der größte Teil der von deutschen Firmen importierten Waren nicht deutschen Ursprungs ist.' (Fischer, S. 3 u. 5). Deutschland exportiere zur Zeit von der wichtigsten und gewinnbringendsten Ware, billigen Baumwollartikeln so gut wie gar nichts nach Afrika, das von Amerika und England versorgt werde. Damit gehe der größte Gewinn, den Afrika der heimatlichen Industrie bieten könne, verloren. (Fischer, S. 128).¹ [Fußnote: 1) Nach Briefen von Beamten der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft kauft man seine Reiseausrüstung, namentlich Kleider, zweckmäßiger in Aden und Zanzibar, als in Deutschland, da sie dort billiger seien. Anzüge, die in Berlin 50 u. 20 Mark kosten, erhält man dort um 12 und 6 Mark. Vgl. „Kolonialpolitische Korrespondenz“ 1887 No. 34 und 35. Hier spielt jedenfalls schon indische Konkurrenz mit, welche auch die Engländer, sogar vom Kap, verdrängt.] Nach Buchner hingegen bieten in Kamerun gerade die Baumwollenzeuge und Kleider den geringsten Gewinn. (S. 97). Aber auch er ist der Meinung, 'ein Zahl-, ein Gewinngebiet von Bedeutung ist Afrika nicht, kann es vielleicht noch werden, aber sicher nur langsam und spät.' (S. XI.) Das wichtigste Exportprodukt ist das Elfenbein, von dem jährlich etwa 800 000 Kilo im Werte von ca. 16 Mill. Mark aus Afrika kommen. Zur Gewinnung derselben müssen jährlich etwa 40 000 Elefanten getötet werden, so daß dieses wertvolle Tier dem Aussterben entgegengeht. Die sonst in Betracht kommenden Exportprodukte Afrikas sind in der Gegenwart gering. Im Osten: Kautschuk, Gewürznelken, Kopal, Häute, Kopra, Orseille, roter Pfeffer, Sesamsaat, Erdnüsse. Diese Produkte gedeihen zum Teil nur auf den Inseln Zanzibar und Semba, zum Teil nur in den Küstengegenden. (Fischer, S. 5 u. 6). Im Westen: Palmöl, Palmkerne, in geringen Quantitäten: Kautschuk, Kakao, Ebenholz, Kalabarbohne (Buchner, S. 86, Fischer, S. 7). Was die Kultivationsfähigkeit des Bodens unter europäischer Leitung in der Zukunft anbelangt, so läßt sich hier manches hoffen. Die ideologische Art unsrer bisherigen Afrikaforschung kennzeichnet Fischer in dem Satze: 'Trotz aller Experimente, die in Afrika gemacht worden sind, trotz allen Geldes, das Afrika gekostet hat, wissen wir nicht einmal, ob in den Küstengebieten des äquatorialen Westens oder Ostens Kaffee, Baumwolle oder Tabak gezogen werden kann.' (S. 19). Fischer glaubt, daß der Kaffee die größte Zukunft in Afrika habe. ² [Fußnote: 2) Nach den bisherigen Erfahrungen der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft unterliegt es keinem Zweifel, daß in den Gebieten auch Tabak und Baumwolle in sehr guter Qualität gewonnen werden können. Vgl. 'Kolonialpolitische Korrespondenz' 1887, No. 7, 15 und 29. Es handelt sich also nur um die Rentabilität des Betriebes.] Buchner, der sein Urteil über das gegenwärtige Kamerun dahin zusammenfaßt: 'Der Handel ist gering; die Produktion gleich Null, die Bevölkerung in Faulheit und Spitzbüberei verkommen, die Arbeit unerschwinglich teuer und trotzdem schwer zu [Wechsel auf Seite 178] beschaffen. - - Das Land selber jedoch ist gut und leistungsfähig', meint, daß alle tropischen Nutzgewächse in Kamerun gezogen werden könnten, vor allem: Oelpalme, Kokospalme, Erdnüsse, Sesam, Bassia und Butyrospermum (zur Gewinnung der sogenannten Sheabutter) Kaffee, Kakao, Chinarinde, Indigo, Kautschukliane, Reis, Zuckerrohr, Thee, Tabak, Baumwolle. 'Die vulkanische Natur des Bodens, die Sicherheit unerschöpflicher Regenmengen, namentlich aber auch die jungfräuliche und noch erziehungsfähige Ursprünglichkeit der eingeborenen Bevölkerung: das sind die Faktoren, die Günstiges versprechen, ohne daß dabei die große Sünde eines leichtfertigen Optimismus allzusehr gefürchtet zu werden brauchte.' (S. 70.) Die größte Schwierigkeit bereitet aber hierbei die Frage, wie der Neger, auf dessen Arbeitskraft die Kultivation afrikanischen Bodens angewiesen ist, - 'Afrika kolonisieren, heißt den Neger arbeiten machen' (Fischer) – zu erziehen sei. Nach dem Urteile Fischers, Buchners, Hübbe-Schleidens darf an eine Einführung fremder Arbeitskraft, etwa von Kuli's, nicht gedacht werden. Das hieße die Entwickelung der großen heimischen Bevölkerung vollständig unmäglich machen, die wirtschaftliche Ausnützung der erworbenen Gebiete von einer unzuverlässigen, unsicheren, teueren fremden Arbeitsmenge abhängig werden lassen. Der Uebergang aus Sklaverei und Häuptlingsabhängigkeit, in der sich die Neger heute befinden, zu vollkommener Selbstständigkeit muß aber vorbereitet werden. Buchner und Fischer meinen, daß das System des Sklavenloskaufs hierzu am geeignetsten wäre. Das heißt, man kaufe Sklaven, siedle sie als arbeitspflichtige Hörige an und verpflichte sich, sie nicht zu verkaufen und sie gut zu behandeln. Fischer denkt außerdem daran, daß man die bestehende obrigkeitliche Gewalt der Häuptlinge zur Erlangung von Arbeitskräften benützen könne. Gegen das erstere System wendet Hübbe-Schleiden in einem Aufsatze in der deutschen Kolonialzeitung¹ [Fußnote: 1) Jahrgang 1887, 15., 16. und 17. Heft.)] mit Recht ein, daß die moralischen Mängel desselben zu groß seien. Die Eingeborenen würden sehen, daß wir Sklaven halten und den Umstand, daß wir nicht mit Sklaven handeln, nicht beachten. Wir würden in den Ruf kommen, die Sklaverei zu unterstützen, zumal durch unseren Ankauf ja doch der Sklavenraub und -handel der Araber gefördert würde. Er bildet den Vorschlag Fischers weiter aus und empfiehlt auf der untersten Kulturstufe 'Verwendung von Arbeitern, die von den eingeborenen Herren ohne Lohnzahlung zu stellen sind und von der europäischen Verwaltung nur ihre Nahrung erhalten.' Dies System wird von Spaniern und Niederländern, auch in französischen Besitzungen angewandt. Erst später sollten die Arbeiter unter der Verantwortung ihrer Stammherren anzuwerben sein und die Anwerbung sollte gegen Unterhalt und Monatslohn in europäischen Waren zum Ortswerte auf bestimmte Zeit geschehen. Buchner, Fischer und Hübbe-Schleiden stimmen darin überein, daß der Neger 'ohne einen gewissen Zwang niemals für die Kulturarbeit gewonnen und nie auf eine höhere Kulturstufe gebracht werden könne.' Gegen die Meinung der Genannten wendet Soyraux ein, daß man bisher nur die Verschleppung, Versklavung oder Hörigkeit versucht habe, um stetige Arbeitsleistung vom Neger zu erlangen, ohne daſs man aber Beweise für die Unfruchtbarkeit des nicht-hörigen Negers erbracht hätte. Ihm [Wechsel auf Seite 179] erscheint es unzweckmäßig, dies Thema, das einen Erdteil und Millionen von Menschen umfaßt, in dieser oder jener Form einheitlich erledigen zu wollen, und er gelangt zu der Meinung, daß eine jedem Unternehmungsleiter innerhalb gesetzlicher Begrenzung eingeräumte Zwangsgewalt zwar notwendig, den dazu berufenen tüchtigen Männern aber die Wahl ihrer Erziehungsweise den Individuen gegenüber, mit denen sie zu thun haben, zu überlassen sei (a.a. O. S. 96 und 99). Soyaux schreibt auf Grund von Erfahrungen, die er während eines zehnjährigen Aufenthalts als Plantagenleiter in Westafrika gesammelt hat. Noch lange werden in der deutschen Kolonialliteratur derartige aus persönlichen Erfahrungen heraus geschriebene Betrachtungen den wertvollsten Bestand bilden, und sie werden ihre aufklärende Wirkung nicht verfehlen, wenn sie von einem solchen zur Sache strebenden Ernste, wie S.'s Schrift, durchdrungen sind. Sollen wir aber zu wissenschaftlich verwertbaren Resultaten gelangen, dann werden S.'s in den Kapiteln über unsere geographischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse von Deutsch-Afrika, über unsere klimatologischen Erfahrungen und über Versuchspflanzungen niedergelegten und wohl begründeten Vorschläge zu planmäſsigen Forschungen und Sammlungen von Thatsachen, die von Stationen in den Kolonien in den Kolonien zu gewinnen und teils daselbst, teils von einer Zentralstation im Reiche zu verwerten wären, verwirklicht werden müssen. Es liegt nahe – und dahin zielt auch S.'s Vorschlag – diese Stationen als Reichsämter zu denken. Die notwendige Garantie für dauernde Erfüllung ihrer Aufgaben, der Nutzen, den sie der Allgemeinheit gewähren, sprechen dafür. Doch glaube ich, daſs gerade auf diesem Gebiete die ihre Kräfte häufig zwecklos vergeudende Vereinsthätigkeit Erfolge erzielen könnte. In seiner Aufzählung der 'Produkte der Gegenwart und Zukunft' , die in unseren Kolonien gewonnen werden können, stimmt S. mit Buchner und Fischer vielfach überein, doch legt er noch besonderes Gewicht auf die tropische Forstwirtschaft, die zahlreiche vom Handel begehrte Hölzer gewinnen könne. Die Schluſsbemerkungen über die koloniale Erziehung unseres Volkes wenden sich in schlichten und darum um so eindrucksvolleren Worten gegen die Übertreibungen der Freunde und Gegner der Kolonialpolitik und die groſse Unwissenheit unseres Volkes in kolonialen Dingen. Neben den bisher genannten Schriften lenken unsere Aufmerksamkeit auf das äquatoriale Afrika und zwar speziell auf Ostafrika die Bücher von Wagner und Grimm. Die Schrift des ersteren enthält eine Geschichte der Gesellschaft für deutsche Kolonisation und der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft. Doch vermag die breite, allzusehr in Einzelheiten eingehende Darstellung das Interesse nicht zu fesseln. Der wörtliche Abdruck der mit ostafrikanischen Sultanen geschlossenen Verträge vermag nicht für den Mangel größerer Gesichtspunkte zu entschuldigen und man wird sich in angenehmerer Weise aus den Peterschen Aufsätzen über die hier behandelten Thatsachen unterrichten. Wer sich für die spezielle Vereinsgeschichte oder für die Einzelheiten der nach Peters in Ostafrika vorgenommenen Expeditionen interessiert, dem mag das Buch empfohlen sein. Grimm hat sich durch eine Zusammenstellung von Aussprüchen hervorragender Forscher über Ostafrika sicherlich ein Verdienst erworben. Allerdings hat er nur die günstigsten Urteile zusammengetragen, aber der [Wechsel auf Seite 180] Zweck seiner Arbeit ist nicht der, glauben zu machen, daß Deutsch-Ostafrika überhaupt keine Schattenseiten habe, sondern zu zeigen, daß trotz der hinlänglich bekannten schlechten Seiten des Landes Anzeichen genug vorhanden seien, die Entwickelungsfähigkeit desselben in einem günstigeren Lichte erscheinen zu lassen. Bei dem geringen Selbstvertrauen, das bei dem deutschen Volke im großen und ganzen bezüglich überseeischer Unternehmungen herrscht, werden die Urteile eines Stanley, Burton, Thomson, Baxter, Cameron, Jonston, Giraud und anderer Ausländer, welche alle die Kolonisationsfähigkeit der nunmehr zu Deutsch-Afrika gehörenden Gebiete gerühmt haben, nicht unwesentlich dazu beitragen, den gleichen Meinungen der deutschen Missionäre Krapf, Rebmann, Pater Horner, der Reisenden Fischer, van der Decken, Kersten und unserer jungen Kolonisten ein entscheidendes Gewicht zu verleihen. Dass in Ost- wie in Westafrika der Boden zu Plantagenbetrieb in verschiedenen Richtungen gegeben ist, und zahlreiche Produkte, die wir bisher im Auslande kauften, in den Kolonien gewonnen werden können, ist unzweifelhaft. Ob in gleicher Qualität und zu gleichem Preise, wie in anderen Tropengegenden, auf diese Lebensfrage unserer Kolonien können uns unsere Kolonialgesellschaften erst nach Jahren Antwort geben. Bei weitem weniger als mit Ost- und Westafrika hat sich die öffentliche Meinung mit den übrigen Kolonialgebieten beschäftigt, am wenigsten mit Neu-Guinea, trotzdem die zur Nutzbarmachung dieses Gebietes gebildete Neu-Guinea Kompagnie in zwanglosen Heften 'Nachrichten für und über Kaiser-Wilhelmsland und den Bismarck-Archipel' herausgiebt. Dieselben haben die Bestimmung, zur Sammlung der bezüglichen Anordnungen der Reichsregierung und jener Erlässe der Leitung der Gesellschaft zu dienen, welche allgemeines Interesse haben, sodann aber sollen sie die Mitglieder der Gesellschaft von dem Fortgange des Unternehmens unterrichten und sie von allem in Kenntnis setzen, was über das der Verwaltung der Gesellschaft unterworfene Gebiet aus verläßlichen Quellen bekannt wird, soweit es von allgemeinem Interesse ist. Der ansehnliche Band, welchen die bis jetzt erschienen Hefte bilden, bietet sonach die beste Quelle zur Orientierung über die neueren Fortschritte der Erforschung dieser noch wenig bekannten Schutzgebiete und die in Entstehung begriffene Organisation der Verwaltung derselben. Ueber die Pläne der Gesellschaft in wirtschaftspolitischer Hinsicht erfährt man bis jetzt allerdings so gut wie gar nichts. Dagegen werden die Berichte der Forschungsexpeditionen in sehr nützlicher Weise unterstützt durch Wiedergabe der Aufzeichnungen über Wind, Wetter und Klima, die Bekanntgabe von Schiffahrtshindernissen und zahlreiche Kartenbeilagen. Zweifellos ist der Boden durchaus fruchtbar und zur Rindviehzucht geeignet, ob auch 'ganz besonders' zur Schafzucht, wie Finsch (Jahrg. 1885. S. 12) meint, wird wohl erst an verschiedenen Stellen erprobt werden müssen, da nach neueren Berichten 'die Versuche mit Aufzucht von Schafen, denen die feuchte Luft an der Küste nicht zuzusagen scheint, weniger gut gelangen.' (Jahrg. 1887. S. 82). Genügende Feuchtigkeit, Wasserreichtum selbst in trockner Jahreszeit, tiefgehender, ausgezeichneter Humus in den meisten Küstengegenden (1886, S. 15) lassen zahlreiche Kulturen möglich erscheinen. Die Eingeborenen selbst bauen Taro, Yams, Zuckerrohr, Bananen, Tabak. 'Der [Wechsel auf Seite 181] Boden entspricht für den Anbau der meisten, in den Tropen vorkommenden Nährpflanzen allen Anforderungen.' (1887. S. 60). Ob auch die wertvolleren tropischen Nutzpflanzen überall gedeihen werden, ist noch nicht bekannt. Gute Pflanzungsresultate mit Baumwolle und Kaffee ergaben sich auf Inseln des Bismarck-Archipels (1884. S. 60). Zur Arbeit wurden vornehmlich Malayen und Chinesen verwendet, doch gelang es in neuerer Zeit, Eingeborene der umliegenden Inseln, ja auch solche von Kaiser-Wilhelmsland selbst zu Arbeitskontrakten zu bewegen, und besteht die Hoffnung, mit der Zeit die fremden Arbeiter vollkommen entbehren zu können. (1886. S. 116. 1887. S. 60). Was die klimatischen Verhältnisse anbelangt, so waren die vorgekommenen Fieberfälle nicht bösartig und liegt nach den Berichten des Expeditionsarztes Dr. Schellong 'kein Grund vor, wirkliche Bedenken gegen die Kolonisierung des Landes vom sanitären Standpunkte aus zu erheben.' (1886. S. 132). Wie weit oder wie eng der Begriff Kolonisierung zu fassen sei, wird nicht bemerkt, doch beweist die von der Gesellschaft vorgenommene Aussendung von Handwerkern, welche Verwendung im Schutzgebiet finden sollen, daß die klimatischen Verhältnisse Europäern angestrengtere körperliche Arbeit gestatten.¹ [Fußnote: 1) Die Frage, ob man auf Neu-Guinea Europäer ansiedeln könne, hat in den siebziger Jahren in Italien eine große Rolle gespielt und durch Jahre ziehen sich die Bemühungen einzelner Männer hin, die italienische Regierung zur Erwerbung Neu-Guineas und Anlage einer Ackerbaukolonie zu bewegen. Vgl. Cerrutti, Questione delle Colonie, Torino 1872 und Carpe, Delle Colonie e dell'Emigrazione d'Italiani all Estero. III. Bd. Milano 1874.] Alles in allem genommen scheinen Kaiser-Wilhelmsland und der Bismarck-Archipel einen wertvollen, nach vielen Richtungen hin ausnutzbaren Besitz darzustellen. Nicht der geringste Vorteil desselben liegt in den vielen, zum Teil großen und weithin schiffbaren Flüssen und der hafenreichen Küstenentwickelung, die eine sichere Schiffahrt gestattet. 'Für die Reise von den chinesischen Häfen nach Australien bietet ganz ohne Frage die Route entlang der Küste von Kaiser-Wilhelmsland für Dampfer den kürzesten und gefahrlosesten Weg, aber selbst für Segelschiffe ist sie praktikabel und manche Vorzüge vor anderen Routen' (1887. S. 66). Die Verwaltung des Schutzgebietes wird unter Aufsicht des Reiches von einem von der Gesellschaft angestellten 'Landeshauptmann' geführt, der zur Ausübung der Gerichtsbarkeit und Erlaß von Verordnungen in dringlichen Fällen ermächtigt ist. In der Ausübung der Verwaltung wird er durch zugleich als Standesbeamte fungierende Stationsvorsteher, in der Ausübung der Gerichtsbarkeit durch eigene Gerichtsbeamte unterstützt, welche ihm in Bezug auf die Verteilung der Geschäfte und in disziplinarischer Hinsicht untergeordnet sind. Da der Gesellschaft durch den Schutzbrief 'das ausschließliche Recht, in dem Schutzgebiete herrenloses Land in Besitz zu nehmen und darüber zu verfügen', verliehen wurde, sind Landerwerbungen ohne ihre Genehmigung ungültig. Die Bedingungen, unter welchen sie solche gestattet, sind noch nicht bekannt gegeben. Neuerdings wurden auch einige Gewerbebetriebe, der Betrieb der Fischerei auf Perlmuttermuscheln und Perlen, sowie auf Trepang die Ausnutzung des Bodens auf Erze, Edelsteine und brennbare Mineralien, die Gewinnung von Guano, die Ausbeutung von nicht in Besitz der Eingeborenen oder sonst im Privateigentum befindlichen Kokospalmbeständen [Wechsel auf S. 182] auf Kopra, der Betrieb der Küstenfischerei, das Schlagen von Holz für gewerbliche und Handelszwecke an behördliche Genehmigung gebunden. (Vdg. vom 13. Januar 1887) Ueber unser kleinstes Schutzgebiet, die Marschallinseln, welche insgesamt 34 an der Zahl, bei einem Flächeninhalt an bewohntem und angebautem Land von ca. 400 Quadratkilometern (7,28 Quadratmeilen) ca. 10 000 Bewohner haben, giebt die Schrift von Hager vollständigen Aufschluß. Die Entdeckung und Erforschung der Inseln, die Gestaltung und geographischen Lage jeder einzelnen, das Klima, die Pflanzen- und Tierwelt, das Volk, der Handel und die Missionsthätigkeit werden ausführlich geschildert. Die Fauna und Flora der Inseln ist dürftig, doch eignet sich der dürre, sandige Boden vorzugsweise zur Anpflanzung der Kokospalme, und der Verwertung ihrer Früchte ist das Bestehen von Beziehungen zwischen Marschallinseln und europäischer Kultur zuzuschreiben. Das Haus Godeffroy hat auch hier den Grund gelegt zur Entwicklung deutschen Handels in der Südsee, der nach dem Ausspruche eines Engländers zu einem deutschen Monopole wurde. Gegenwärtig beträgt die Ausfuhr an Kopra (dem Kerne der Kokosnuß, der zur Seifenproduktion und zur Bereitung eines als Viehfutter geschätzten Oelkuchens verwendet wird), aus Jaluit, dem Haupthafen der Marschallinseln, 1000-1500 Tonnen, wovon über 2/3 dem deutschen Handel zufallen. Auch zum Plantagenbetrieb würden die Inseln sich eignen, doch sind erst geringe Anfänge gemacht. Die Marschallinseln werden niemals ein Zentralpunkt des Südseehandels werden, als solcher hat sich namentlich für Deutschland seit langem Samoa erwiesen, aber sie bilden eine notwendige Ergänzung desselben. Die Erwerbung von Kolonien hat die Streitfragen des Deutschen Staatsrechtes um einige neue vermehrt. Die Kolonien, welche völkerrechtlich als Teile des Mutterlandes angesehen werden, müssen dies nicht auch vom Standpunkte des Staatsrechtes aus. So bilden die deutschen Kolonien keinen Teil des Deutschen Reiches, dessen Umfang durch Art. 1 der Reichsverfassung und die den Hinzutritt Elsaß-Lothringens regelnden Gesetze genau begrenzt ist. Daraus, sowie aus den unentwickelten Kulturverhältnissen der Kolonien, welche die einfache Übertragung unserer staatlichen Einrichtungen unmöglich machen, ergeben sich mannigfache, die Frage nach den Organen und Organisationen der Gesetzgebung und Verwaltung berührende Schwierigkeiten, welche durch das Reichsgesetz vom 17. April 1886, betr. die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, keineswegs gelöst wurden. Nach diesem Gesetze hat der Kaiser in den Schutzgebieten im Namen des Reiches die Schutzgewalt auszuüben, d.h. es wird dem Kaiser die Souveränität über die Kolonien zugesprochen. Das bürgerliche Recht, das Strafrecht, das gerichtliche Verfahren einschließlich der Gerichtsverfassung bestimmen sich für die Schutzgebiete nach den Vorschriften des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit. Nur in einer Reihe einzelner Punkte, die aber alle nicht die durch das Konsulargerichtsbarkeitsgesetz vom 10. Juli 1879 bestimmten materiellen Rechtsnormen berühren, gestattet das Gesetz den Erlaß kaiserlicher Verordnung mit Gesetzeskraft. Demnach müssen sämtliche Bestimmungen des deutschen Reichsrechtes in bezug auf bürgerliches und Strafrecht, bürgerliches und Strafverfahren, und bis zur Einführung eines Deutschen Zivilgesetzbuches das [Wechsel auf Seite 183] preußische Landrecht in den Kolonien zur Anwendung kommen. Weder der durch Kompetenzfragen und formelle Schwierigkeiten absorbierten Aufmerksamkeit des Reichstages, noch der ruhigen Überlegung Bornhack's fiel es auf, was für eine Ungeheuerlichkeit man da zum Gesetze erhoben hatte, indem man diese hochentwickelten Verkehrsverhältnissen angepassten Gesetze ohne weiteres auf die unzivilisierten Gebiete der Kolonien übertrug. Für den Verkehr mit den Eingeborenen vollkommen untauglich bereiten diese Bestimmungen selbst dem Verkehre unter Europäern unüberwindliche Schwierigkeiten, die z.B. einen Eigentumsübergang von unbeweglichen Gütern, der nach dem Grundbuchverfahren zu erfolgen hätte, unmöglich machten.¹ [Fußnote: 1) Durch Gesetz vom 7. Juli 1887 (Reichsgesetzblatt S. 307) wurde denn auch das Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten abgeändert.] In bezug auf die Verwaltung teilt Bornhack die Schutzgebiete zweckmäßig in Kron- und Gesellschaftsschutzgebiete ein, je nachdem Verwaltung und Rechtssprechung durch unmittelbar vom Kaiser oder von seiner Regierung angestellte Beamte ausgeübt wird (Südwestafrika, Kamerun, Togoland) oder durch Organe einer mit einem Schutzbrief versehenen Gesellschaft erfolgt (Kaiser Wilhelms-Land mit Bismarck-Archipel und Deutsch-Ostafrika). Diese Schutzbriefe führen die Kolonialpolitik in die Zeiten der großen Gesellschaftsmonopole zurück. Denn die Gesellschaften führen in den Schutzgebieten nicht bloß die Verwaltung als Reichsorgane, sondern verfügen auch ausschließlich über den herrenlosen Boden ihrer Gebiete. Es ist ihnen nicht das selbstverständliche Recht verliehen, herrenlosen Boden okkupieren zu dürfen, sondern das Recht, jeden anderen von der Okkupation auszuschließen. Und zwar nicht nur dort, wo, wie in Ostafrika, Verträge mit Eingeborenen vorlagen, die ja übrigens auch nur unzweifelhafte Rechte dieser letzteren an Grund und Boden abtreten konnten, sondern auch für die Neu-Guinea-Gesellschaft, die zur Zeit der Schutzbrieferteilung gar keine Verträge geschlossen hatte. Hier ist ein Besitz von 263 000 qkm, dort ein solcher von 137 000 qkm, d.h. Länderstrecken, halb bezw. ein Viertel so groß wie Deutschland, abzüglich der Eigentumsansprüche von Eingeborenen in Privateigentum übergegangen. Es war nicht notwendig, dieses Monopol herzustellen, das üble Folgen nach sich ziehen kann. Ob die Forderung Fischers (S. 129) und Buchners (S. 174), daß Grund und Boden unserer afrikanischen Kolonien unveräußerliches - nur verpachtbares – Staatseigentum werden müßten, begründet ist, ist mir zweifelhaft, aber das Gesamtinteresse scheint mir zu fordern, daß man in Gebieten, über welche die Souveränität des Kaisers, also des Reiches und nicht die der Gesellschaften proklamiert ist, jedem Reichsbürger die Freiheit der Ausnützung herrenloser Gebiete offen halte. Den berechtigten Interessen der die Verwaltung führenden Gesellschaften wäre mit einer unter Aufsicht des Reiches zu fixierenden Grundsteuer und einer zeitweiligen Beschränkung des Landerwerbs Genüge geleistet gewesen. Die durch die Erwerbung der deutschen Schutzgebiete veranlaßte Handels- und Produktionsthätigkeit wird unzweifelhaft zahlreiche Interessen in Deutschland fördern, mancher Kraft Gelegenheit zur Entfaltung geben und in viele Kreise Wohlstand bringen. Ein 'Größer-Deutschland' nach Art von Greater Britain werden sie nicht schaffen. Unsere Auswanderer ver- [Wechsel auf Seite 184] mögen sie nicht aufzunehmen¹. [Fußnote: 1) Die Besiedelungsfähigkeit Südwest-Afrikas wird durch klimatische Verhältnisse nicht ausgeschlossen. Allein die ungünstige Natur des Bodens scheint größere Niederlassungen nicht zu ermöglichen. Die mögliche (?) Besiedelung des Kilima Ndscharogebietes und Somalialandes liegt noch fern ab.] Und die dringende Frage bleibt nach wie vor bestehen, wie wir durch private und öffentliche Organisationen die naturgemäß vor sich gehende Auswanderung zum besten der Auswanderer gestalten können. Strauß hätte großen Nutzen gestiftet, wenn er in seiner kleinen Schrift die Frage im Zusammenhange mit einer Kritik der Auswanderungsgesetzgebung eingehender behandelt hätte. Die Schrift, welche ihrem Zwecke, weiteren Kreisen die Kenntnis der allgemeinsten Thatsachen der Geschichte deutscher Auswanderung, der Auswanderungsgesetzgebung, der Auswanderungsstatistik, der Gründe und der Bedeutung der Auswanderung für Deutschland zu vermitteln, sicherlich genügt, hätte den von der Litteratur gar nicht behandelten Inhalt des letzten Kapitels: 'Organisation der deutschen überseeischen Auswanderung' dadurch zu einem allgemein wertvollen machen können. Daß eine solche Organisation mehr als jemals früher Not that, ergibt sich aus dem Umstande, daß die Auswanderung nach den Vereinigten Staaten, wohin noch immer 95,54% des großen Stromes fließen, neuerdings mit zahlreichen Unzukömmlichkeiten zu kämpfen hat, die Auswanderung nach Südamerika aber, wohin bisher nur 2,72 % ziehen, von vorneherein nur Erfolg verspricht, wenn sie zweckmäßig geleitet wird. Daß die Ver. Staaten bei weitetem nicht mehr jene günstigen Entwicklungsbedingungen bieten, wie in früheren Zeiten, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt sind die von J. von Parseval auf Grund der offiziellen Berichte des General Land Office in Washington mitgeteilten Thatsachen, wonach in weiten, der Besiedlung noch offenen Gebieten Gefahren für Leben und Eigentum vorhanden, Schutz und Recht aber bei den Behörden nicht zu finden sind. Rechtswidrige Einzäunung von Regierungsland, Absperrung der Zugänge zu den Flußläufen, in deren Nähe allein fruchtbares Land sich befindet, gewaltsame Vertreibung von Ansiedlern sind Fälle, welche für die weiten Gebiete von Colorado, Dakota, Montana, Nebrasca, New-Mexico und Kansas des öftern gemeldet werden. Nicht minder drohen den Ansiedlern Gefahren in der Nähe der Eisenbahnen, deren Verwaltungen durch widerrechtliche Ausbeutung von ihnen zugestandenen Privilegien sich Land anzueignenen verstehen. Der Chef des Landesamtes schätzt allein jenen Teil des widerrechtlich angeeigneten Landes, den er den Gesellschaften abnehmen zu können hofft, auf 10 Millionen Acres. Endlich sind in den 1848 von Mexiko abgetretenen Gebieten Kalifornien, Neu-Mexiko, Arizona, Utah und Colorado Vertreibungen von Ansiedlern vorgekommen, auf Grund des Mexiko gegenüber gemachten Versprechens, daß alle Landgeschenke der früheren spanischen und mexikanischen Regierung anerkannt und geschützt werden sollen. Durch Produktion gefälschter Dokumente wurden und werden Ansiedler, die jahrelang ihren mühsam erworbenen Boden bebauten, von Haus und Hof vertrieben. Das Büchelchen von Parseval, dem weiteste Verbreitung in auswanderungslustigen Kreise zu wünschen wäre, enthält außer den mitgeteilten Beispielen der Schutz- und Rechtlosigkeit der Ansiedler Ratschläge für das Verhalten nach der Landung beim Landankauf, bei der [Wechsel auf Seite 185] Urbarmachung, eine Schilderung der Thätigkeit der deutschen Gesellschaft in New York und im Anhange das Ansiedelungsgesetz der Union von 1862 nebst ergänzenden Bestimmungen sowie zahlreiche andere, dem Auswanderer nützliche Aufklärungen. Dieser Versuch, einen 'Ratgeber für Auswanderer' zu schaffen, zeigt uns, wie nützlich eine belehrende und leitende Organisation der Auswanderung wäre. In wenigen Jahren werden in den Ver. Staaten keine Staatsländereien mehr zu haben sein, man wird das Land von Landspekulanten kaufen müssen und damit werden die Vorteile, welche die südamerikanischen Auswanderungsgebiete in mancher Hinsicht zu bieten scheinen, noch mehr in den Vordergrund zu treten. Namentlich auf Brasilien wurde in der letzten Zeit wiederholt die Aufmerksamkeit gelenkt und nach allen Nachrichten, welche sachkundige Beobachter und Kenner braislianischer [sic!] Verhältnisse uns darbieten, kann ein Zweifel darüber nicht bestehen, daß den Deutschen daselbst günstige Entwickelungsbedingungen geboten sind. Eine gute Zusammenfassung dessen, was wir über die natürlichen Verhältnisse der in Betracht kommenden südlichen Provinzen, Rio Grande do Sul und Santa Catharina, über die Verkehrsverhältnisse und über das wirtschaftliche, soziale und geistige Leben der dort bereits lebenden ca 200 000 Deutschen wissen, bietet uns der Aufsatz von Breitenbach. Sowohl bei ihm, wie bei von Hundt, welcher die auf einer Reise in die Provinz Sa. Catharina gesammelten Beobachtungen in Form eines tagebuchartigen Reiseberichtes niedergelegt hat, vermisse ich aber eine eingehendere Darstellung des Verhältnisses der Brasilianer und der Politik der Regierung zu den Deutschen. Hierin scheint ein der deutschen Einwanderung keineswegs günstiger Umschwung eingetreten zu sein, welcher das einzige ernste Bedenken gegen eine systematische Organisation der Auswanderung nach Brasilien zu bieten vermöchte. Nicht als ob man darum die Auswanderung nach Brasilien vollkommen unterlassen sollte. Sie könnte in kleinerem Maßstabe stets vorgenommen werden, aber bevor man durch systematische Überleitung eines Teiles des unvermeidlichen Menschenabflusses aus Deutschland einen ernsten Widerstand der brasilianischen Regierung hervorruft, müßte man eine etwa vorhandene Mißstimmung zu beseitigen trachten. Das einzige Bedenken, das sonst noch besteht, die Gefahr, daß Auswanderer durch Agenten nach den nördlichen ungesunden Gebieten und in Kaffeeplantagen gelockt werden, muß eben durch eine geeignete Organisation hinfällig gemacht werden. Es ist sehr zu wünschen, daß sich dieselbe in Deutschland bilde. Es ist nicht daran zu denken, daß der Staat dieselbe in die Hand nehme, wie in England, denn es handelt sich um Besiedelung fremdstaatlichen Gebiets, aber es würde auch eine private Organisation vollkommen genügen, die nicht zur Auswanderung aufzumuntern, sondern den gegebenen Auswanderern möglichst günstige Bedingungen zu bieten hätte. Eine richtige Auswanderungspolitik ist die notwendige Ergänzung unserer Kolonialpolitik. Es wird stets ihr Segen bleiben, daß sie Tausenden, welchen die Heimat nur noch Hoffnungslosigkeit zu bieten hatte, zu eigenem Besitz und froher Selbständigkeit zu verhelfen vermag.
Zur Übersicht 1888 der Pressedokumentation | Zum Seitenanfang |