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Hintergrundtexte zur deutschen Kolonialgeschichte

Siehe zum kolonialen Wahlkampf zu den Reichstagswahlen:

die Flugblatt Dokumentation auf freiburg-postkolonial in der Rubrik Quellen

und die Pressedokumentation 1906/07

 

* Ulrich van der Heyden ist Afrika- und Kolonialhistoriker sowie Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Afrika.

Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien in:

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Kolonialkrieg und deutsche Innenpolitik - Die Reichstagswahlen von 1907

von Ulrich van der Heyden *

Die Kolonialgeschichtsschreibung kann in vielerlei Hinsicht trotz ihres weitgehenden Schattendaseins innerhalb der deutschen Historiographie auf eine ganze Reihe von wissenschaftlichen - und zum Teil auch populärwissenschaftlichen - herausragenden Publikationen, die insbesondere in den letzten 40 Jahren entstanden sind, verweisen. Nicht zuletzt beeinflußt durch die sogenannten postcolonial studies in den USA kam es seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts durch eine verstärkte kulturgeschichtliche Betrachtungsweise zu einer bislang vernachlässigten Sicht auf die - auch deutsche - Kolonialgeschichte. Zunehmend wird der Kolonialismus als eine gemeinsame Erfahrung der europäischen und der außereuropäischen Welt verstanden, die nicht nur die kolonialen Gebiete in Asien, Afrika, Ozeanien und Lateinamerika, sondern auch die westlichen Gesellschaften, vor allem die in Westeuropa und den USA, nachhaltig beeinflußten. Nicht immer können bei der Darstellung des Einflusses des Kolonialismus auf die Gesellschaft des "Mutterlandes" nachvollziehbare, weil oft den Anschein von überzogenen Ausdeutungen enthaltende, Fakten präsentiert werden.

Seltsamer Weise wird ein Ereignis aus der deutschen Kolonialgeschichte, welches zweifellos auf die innenpolitische Konstellation im Deutschen Reich weitreichenden Einfluß ausübte, kaum oder nur am Rande erwähnt: die sogenannten Hottentottenwahlen, eine ironisch gemeinte, abwertende Bezeichnung für die Reichstagswahlen vom 25. Januar 1907. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte hatten durch eine Politisierung der Kolonialkrise Afrikaner als "mithandelnde Subjekte" in den Geschichtsverlauf eingegriffen.1

Die Reichstagswahlen in jenem Jahr waren charakterisiert durch eine verleumderische und demagogische Kampagne fast aller bürgerlicher Parteien gegen die deutsche Sozialdemokratie sowie in abgeschwächter Form gegen die katholische Zentrumspartei. Vertreter beider Parteien hatten nämlich zuvor versucht, der in Deutschland vorherrschenden patriotischen Kolonialbegeisterung eine realistischere Sicht auf die Lage in den Kolonien entgegenzusetzen, um den in Südwestafrika tobenden grausamen Krieg zu beenden. Dies geschah vor allem in den Debatten des Deutschen Reichstages. Hier attackierten Abgeordnete der beiden genannten Parteien die Kolonialpolitik von Reichskanzler Bernhard von Bülow heftig. Insbesondere prangerten die SPD-Abgeordneten August Bebel und Georg Ledebour vor dem Reichstagsplenum die Methoden der deutschen Kriegsführung und die Ausrottungsstrategie der deutschen Kolonialtruppe gegen die Herero und die Nama, die abschätzig als Hottentotten bezeichnet wurden, an. Sie geißelten den Krieg als Bestandteil des deutschen Kapitalismus.

Was war geschehen? In einem bisher kaum gekannten Ausmaß an nationalistischer, chauvinistischer und kolonialistischer Propaganda versuchten die Vertreter der bürgerliche und junkerliche Interessen vertretenden Parteien, sekundiert und angespornt von nationalistischen und kolonialapologetischen Organisationen, seit Ausbruch der Kämpfe zur Unterwerfung der Herero in Südwestafrika im Jahre 1904, Stimmung für ein hartes Durchgreifen im Kolonialkrieg gegen die aufständischen Afrikaner in damaligen Deutsch-Südwestafrika zu machen. Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung befand sich in einem Taumel aus Kriegsbegeisterung und Chauvinismus. Sie wurde im Interesse der Fortführung der Kolonialpolitik mit "eiserner Hand" ebenso von der Presse und der kolonialen Lobby sowie von Politikern manipuliert, wie nur einige Jahre zuvor in Bezug auf den sogenannten Burenkrieg.2

Der Anlaß zur Wahl eines neuen Reichstages zu Beginn des Jahres 1907 war die vorangegangene Auflösung des deutschen Parlaments, nachdem ein Teil des von der Regierung vorgelegten Nachtragsetats, der für die Fortsetzung des Krieges gegen die Herero und Nama gedacht war, abgelehnt worden war. Am 13. Dezember 1906 hatte eine Abgeordnetenmehrheit von SPD und Zentrum durch ihre ablehnende Haltung Neuwahlen für den Reichstag erwirkt. Einmal mehr wurde das deutsche Parlament zum Ort der Auseinandersetzung um die deutsche Kolonialpolitik.3

Die Haltung der SPD zum Kolonialkrieg

Die sozialdemokratische Reichtagsfraktion hatte sich zu Beginn des Kolonialkrieges im Jahre 1904 - vermutlich um das seit Beendigung des Sozialistengesetztes im Jahre 1890 vorhandene "System der sozialen Ächtung"4 zu entfliehen - noch nicht entschlossen antikolonial verhalten und für nationalistische Gefühle anfällig gezeigt. Das war neu und für viele sozialdemokratische Wähler unverständlich, hatte die SPD-Führung doch schon lange den Kolonialismus moralisch verurteilt und ihre Kritik immer mit der am kapitalistischen System verbunden.5 Es gab indes auch andere Auffassungen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie. So warben beispielsweise nicht einflusslose Vertreter der SPD für eine "sozialistische Kolonialpolitik".6 Erst später, vor allem nach Auswertung der Ergebnisse der "Hottentottenwahlen", erstarkte bei der Mehrzahl der SPD-Mitglieder und ihrer Reichstagsabgeordneten die ablehnende Haltung zu jeglicher Form von Kolonialpolitik.

Bei der ersten Abstimmung für die Bewilligung der Kriegskredite hatten sich die Abgeordneten noch der Stimme enthalten, also den kolonialen Unterwerfungskrieg nicht strikt abgelehnt, da die militärischen Maßnahmen, so die Begründung, dem Schutz der weißen Siedlerbevölkerung in der Kolonie dienten.7 Die SPD-Reichstagsfraktion hatte dafür heftige Kritik aus den eigenen Reihen einstecken müssen. Nicht zuletzt durch diesen außerparlamentarischen Druck plädierten SPD-Abgeordnete deshalb auch in einer Resolution für die friedliche Beendigung der Kämpfe in den demagogisch als "Schutzgebiete" bezeichneten Kolonien sowie dafür, den Herero den für ihren Lebensunterhalt notwendigen Landbesitz zur Verfügung zu stellen und ihnen nicht noch die Lebensgrundlage streitig zu machen. Die Resolution, der auch die Mehrheit der Abgeordneten anderer Parteien im Reichstag zustimmte, blieb allerdings ohne große Folgen für die autochthone Bevölkerung des heutigen Namibia.

Als sich die Meldungen über Gräueltaten der deutschen Schutztruppe im Südwesten Afrikas häuften und Einzelheiten über das gnadenlose und brutale Vorgehen des Generals Lothar von Trotha bekannt wurden, versagte die SPD generell allen weiteren dem Kolonialkrieg dienende Vorlagen im Reichstag die Unterstützung. Die Sozialdemokraten hatten erkannt, daß es sich nicht nur um eine Diskussion um die Fortführung der Kolonialpolitik ging, sondern um deren zukünftigen Charakter, falls man einer Kolonialpolitik des Deutschen Reiches überhaupt eine Zukunft zubilligen wollte.8

Auch Mitglieder der Reichstagsfraktion des Zentrums, vor allem Matthias Erzberger9, übten Kritik an der Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreiches, was bei den Sozialdemokraten gut ankam. So lobte August Bebel ihn am 3. März 1906: "Mir gefällt ausnehmend gut die Kritik, die der Herr Abgeordnete Erzberger an unserer Kolonialverwaltung übt; er spricht mit einer Offenheit und Rücksichtslosigkeit, die man seit einer geraumen Reihe von Jahren von seinen Parteigenossen im Zentrum in diesen Fragen nicht mehr gewöhnt ist. Ich freue mich dieser Offenheit und Rücksichtslosigkeit, ich begrüße sie und wünsche, daß er auf dem eingeschlagenen Wege weiter wandeln möge."10

Das Kriegsbudget und die Auflösung des Reichstags

Als sich der Krieg gegen die Herero dem Ende näherte und nur noch einige hundert Kämpfer unter Führung des Häuptlings Morenga den deutschen Kolonialtruppen Widerstand leisteten, forderte die Reichsregierung im August 1906 eine neuerliche Bewilligung zusätzlicher Gelder in Höhe von 29 Millionen Mark zur Unterstützung der Kolonialtruppen und für den Bau einer angeblich kriegswichtigen Eisenbahn. In den folgenden Reichstagsdebatten um den Nachtragshaushalt für die "Schutzgebiete" stellten sich die Zentrums-Abgeordneten in ihrer kritischen, indes nicht generell das koloniale Engagement Deutschlands ablehnenden Haltung auf Seiten der Sozialdemokraten. Vor allem Erzberger drang in seinen Reden und in Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften auf eine angemessene Reduzierung der Truppen und der von der Regierung beantragten Gelder. Worauf das Zentrum wie auch die SPD sowie die Reichstagsmehrheit indes vor allem bestanden, war die Forderung, an dem Entscheidungsrecht des Reichstags in Budgetfragen nicht rütteln zu lassen.

Zunächst waren die Abgeordneten und die Politiker noch an einer Einigung interessiert und ihre Beauftragten versuchten in einem Ausschuß des Reichstages eine Einigung zu finden. Hans Spellmeyer schrieb darüber: "In der Budgetkommission setzte ein Feilschen ein um die Frage, wie viel Truppen bis zum 31. März 1907 noch in Südwest bleiben sollten. Die Regierung wollte bis zu diesem Termin 4000 Mann zurückziehen und die Schutztruppe damit auf 8000 Mann herabsetzen: Das Zentrum beantragte dagegen, die Truppenstärke bis zum 31.3.1907 auf 2500 Mann zu vermindern. Als die Regierung keine Miene machte nachzugeben, lenkte es etwas ein und beantragte, daß bis zu diesem Tage, neben der Heimsendung von 4000 Mann, Vorbereitungen getroffen würden, die Gesamtstärke der Schutztruppen auf 2500 Mann herabzumindern. Da sowohl vermittelnde Anträge des Freisinns und der Rechtsparteien wie die Regierungsvorlage selbst abgelehnt wurden, schlug die Budgetkommission vor, sämtliche Regierungsforderungen abzulehnen."11

Das Zentrum beantragte daraufhin, den Regierungsforderungen nicht zuzustimmen. Mit den Stimmen der SPD, des Zentrums und der polnischen Fraktion wurde daraufhin die Regierungsvorlage mit 127 gegen 110 Stimmen am 13. Dezember 1906 abgelehnt. Unmittelbar nach dieser Abstimmungsniederlage wurden der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen angesetzt.12 Unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Entscheidung verkündete die Regierung die Parole für den Wahlkampf, indem sie die deutschen Kolonialinteressen in Südwestafrika als nationale Aufgabe, als Sache des Volkes stilisierte.13

Der koloniale Wahlkampf

So kam es zu den "Hottentottenwahlen" am Beginn des Jahres 1907. Reichskanzler von Bülow hoffte durch Neuwahlen eine ihm genehmere Zusammensetzung des Reichstags zu erreichen. Er spielte die Budgetfrage zum nationalen Verbrechen hoch. Sein Ziel war es, SPD und Zentrum in einer groß angelegten Kampagne als kolonialfeindlich, antinational und somit als Vaterlandsverräter abzustempeln und gleichzeitig einen zuverlässigen regierungsfreundlichen Block aus konservativen, nationalliberalen und liberalen Abgeordneten zu schaffen. Im Wahlkampf richtete sich der Hauptstoß der national-chauvinistischen Propagandakampagne gegen die Sozialdemokratie. Von Bülow hatte eingesehen, daß er die Meinung des Wählerstammes der Zentrums-Partei ohnehin nicht ändern konnte.14 Die zahlreichen zentrumsfeindlichen Erklärungen und Äußerungen der Regierung und ihrer Unterstützer täuschten nicht darüber hinweg, daß der eigentliche Gegner für den "Bülow-Block" die Sozialdemokratie war.15

Verdeckt oder offen wurde von der Regierung und ihren Unterstützern die Haltung der Abgeordneten der SPD als Vaterlandsverrat und Umsturzversuch denunziert. Den Zentrums-Abgeordneten wurde "nationale Unzuverlässigkeit" vorgeworfen. Eine zentrale Rolle bei der Beschaffung von Wahlkampfgeldern für das Regierungslager spielte das im Oktober 1906 gegründete Komitee Patria, eine ursprünglich zur Rückdrängung des Einflusses der Sozialdemokratie gegründete Organisation. Ein Großteil der eingesammelten Spenden stammte von der Industrie, die hauptsächlich von Aufträgen aus dem Kolonialgeschäft profitierten. Die gespendeten Gelder fanden zu einem großen Teil Verwendung in dem Druck von 15 bis 20 Millionen Flugblättern des Komitees, die insgesamt 219 verschiedenen Zeitungen beigelegt wurden.16

Flugblatt

Bild: Flugblatt des "Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie" zur Reichstagswahl 1907 (iz3w-Archiv)

Um nur zwei Beispiele anzuführen, sei zunächst der Aufruf des Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft, Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg, auszugsweise zitiert: "Die Mehrheit der bisherigen Volksvertreter hat versagt da, wo nationale Ehre und einfachste Pflicht gegenüber unseren in harten Kämpfen ihr Blut und Leben für des Reiches Wohlfahrt opfernden südwestafrikanischen Truppen einstimmige Annahme der Regierungsvorlage erheischte. (...) Nicht genug ist gewürdigt worden, daß mit dem ablehnenden Beschluß unseren tapferen Kriegern dort draußen der in blutigen Gefechten und unerhörten Strapazen errungene Lorbeer des Sieges wieder entrissen und sie gezwungen werden sollten, von den wilden räuberischen Hottentotten das Feld zu räumen. (...) Koloniale Fragen sind keine Fragen der Partei; sie sind Fragen der Volkswirtschaft und der nationalen Politik: sie berühren alle Kreise unseres Volkes, jede Partei und jedes Standes."17 Schärfer noch ein Flugblatt: "Da die Führer der Sozialdemokraten nur Hass schüren können, kümmern sie sich nicht um die Werte und die Güter, die unsere Mitbürger dort in Afrika opfern, nicht um die Gesundheit und das Leben unserer deutschen Soldaten in Afrika, nicht um die deutsche Ehre. Sie wollen die Regierung nicht die Mittel bewilligen, den Kampf fortsetzen, und sie stellen sich mit den Hottentotten und Hereros gegen ihr Vaterland".18

Die Wahlergebnisse

Trotz der breiten Hetze gegen die Sozialdemokratie konnte die SPD 3.259.029 Stimmen gewinnen, bei einer Beteiligung von 84,7 % der wahlberechtigten Bürger. Das waren fast eine viertel Million mehr Wähler als bei den Reichtagswahlen im Jahre 1903, als lediglich 76,1 % der wahlberechtigten Bürger an die Urnen gegangen waren. Da das wilhelminische Wahlsystem vorsah, daß ein Kandidat die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang erringen mußte oder in der Stichwahl zwischen dem Kandidaten mit den meisten Stimmen die einfache Mehrheit erringen mußte, schlossen sich die bürgerlichen konservativen Parteien zu einem Wahlbündnis bei Stichwahlen zusammen. Durch diesen Schachzug verringerte sich die Anzahl der Abgeordneten der SPD im Reichstag dramatisch von 81 auf 43. Der undemokratische Charakter des Wahlsystems zeigte sich deutlich darin, daß die Sozialdemokraten mit mehr als 3,2 Millionen Stimmen 43 Mandate errangen, während die Konservativen mit zirka einer Million Wählern 60 Mandate erringen konnten. Das Zentrum blieb im wesentlichen stabil, konnte gar die Zahl der Abgeordneten von 100 auf 105 erhöhen. Die Zentrums-Partei hatte mit Abstand die größte Fraktion im Reichstag.19

Das Wahlergebnis spiegelte also keinesfalls die absolute Stimmenverteilung im deutschen Volk wider. Die Kolonialismus-kritische schwarz-rote Mehrheit des Reichstags war jedoch gebrochen. Im Deutschen Reichstag war eine Mehrheit aus Abgeordneten der Deutschkonservativen Partei, der Deutschen Reichspartei, der Nationalliberalen Partei und des konservativ-liberalen Bülow-Blocks, oder auch Hohenzollern-Block genannt, zustande gekommen.20 Der neue Reichstag billigte die geforderten Mittel zur weiteren Finanzierung des Kolonialkrieges in Übersee. Mit dieser Verschiebung der Machtkonstellation im Reichstag konnte Kolonialdirektor Bernhard Dernburg mit Rückendeckung Bülows die Kolonialabteilung, "die bislang ein stiefmütterliches Dasein im Auswärtigen Amt gefristet hatte,"21 in ein eigenes Ressort, das Reichskolonialministerium, umwandeln.

Die Prokoloniale Wende der Sozialdemokratie

Der Wahlausgang von 1907 hatte auf die deutsche Sozialdemokratie einen "erzieherischen Einfluß".22 Diese Tatsache sowie der Fakt, daß in der nun beginnenden kolonialen Reformära unter Kolonialstaatssekretär Dernburg den Kolonialkritikern zum Teil der Wind aus den Segeln genommen wurde,23 gab den kolonialfreundlichen Revisionisten um Gustav Noske24 und Eduard Bernstein Auftrieb innerhalb der SPD.25 Die Scheinerfolge der deutschen "Weltpolitik"26 zerbrachen die antikoloniale Front der Sozialdemokratie.27 Einzelne Sozialdemokraten vertraten nunmehr gar die These von der ökonomischen Notwendigkeit und dem Gemeinnutz der Kolonien für das deutsche Kaiserreich.28

Der SPD gelang es einige Jahre später durch ihren Sieg bei der Reichstagswahl im Jahre 1912 ihre erste schwere Wahlniederlage nominell und psychologisch zu überwinden. Kurze Zeit vor Beginn des Ersten Weltkrieges wurde sie stärkste Fraktion im Reichstag. Doch die Niederlage bei der "Hottentottenwahl" konnten viele Abgeordnete nicht vergessen. Dies sollte erhebliche Bedeutung für deren Verhalten im August 1914 haben: dieses Mal stimmten sie fast geschlossen für die Kriegskredite.

Ulrich van der Heyden, Mai 2007

Verwendete Literatur

  • Becker, W.: Kulturkampf als Vorwand: Die Kolonialwahlen von 1907, in: Historisches Jahrbuch 106, Freiburg/München 1986.
  • Crothers, George D.: The German Elections of 1907, New York 1941.
  • Entwicklungspolitische Korrespondenz (Hrsg.): Deutscher Kolonialismus. Ein Lesebuch zur Kolonialgeschichte, zusammengestellt von Launer, Ekkehard/Ustorf, Werner (=EPK-Drucksache Nr. 1), 2. erweiterte Aufl., Hamburg 1991.
  • Epstein, Klaus: Erzberger and the German Colonial Scandals, 1905-1910, in: The English Historical Review, vol. 74, London 1959.
  • Erzberger, Matthias: Die Wahrheit über die deutschen Kolonien. Glänzende Rechtfertigung der Kolonialpolitik des Zentrums durch Staatssekretär B. Dernburg, Berlin 1908.
  • Eschenburg, Thomas: Das Kaiserreich am Scheideweg. Bassermann, Bülow und der Block, Berlin 1929.
  • Fesser, Gerd: Der Traum vom Platz an der Sonne. Deutsche "Weltpolitik" 1897-1914, Bremen 1996.
  • Fesser, Gerd: Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow. Eine Biographie, Berlin 1991.
  • Fricke, Dieter: Der deutsche Imperialismus und die Reichstagswahlen von 1907, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 9, Berlin 1961, S. 538-576.
  • Fricke, Dieter: Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 4, Köln 1986.
  • Fröhlich, Michael: Imperialismus. Deutsche Kolonial- und Weltpolitik 1880-1914, München 1994.
  • Gründer, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien, 2. Aufl., Paderborn/München/Wien/Zürich 1985.
  • Herzog zu Mecklenburg, Johann Albrecht: Die Auflösung des Reichstages und die Deutsche Kolonialgesellschaft, in: Deutsche Kolonialzeitung, 22.12.1906, Berlin.
  • van der Heyden, Ulrich: Diplomasie en Politiek. Die Pers, die Boererepublieke en Duitsland tydens die Anglo-Boereoorlog, Pretoria 2002.
  • Hyrkkänen, Markku: Sozialistische Kolonialpolitik. Eduard Bernsteins Stellung zur Kolonialpolitik und zum Imperialismus 1882-1914. Ein Beitrag zur Geschichte des Revisionismus, Helsinki 1986.
  • Lampe, Jürgen: Problehme des Friedenskampfes der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion in der Zeit von 1897-1904, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Nr. 6, Berlin 1980.
  • Leitzbach, Christian: Matthias Erzberger. Ein kritischer Beobachter des Wilhelminischen Reiches 1895-1914, Frankfurt/M. et al. 1998.
  • Melber, Henning: "… dass die Kultur der Neger gehoben werde!" - Kolonialdebatten im deutschen Reichstag, in: van der Heyden, Ulrich/Zeller, Joachim (Hrsg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002.
  • Mergner, Gottfried: Solidarität mit den "Wilden". Das Verhältnis der deutschen Sozialdemokratie zu den afrikanischen Widerstandskämpfen in den ehemaligen deutschen Kolonien um die Jahrhundertwende, in: Holthoon, Frits van/van der Linden, Marcel (Hrsg.): Internationalism in the Labour Movement 1830-1940, 1 . Bd., Leiden 1988.
  • Noske, Gustav: Kolonialpolitik und Sozialdemokratie, Stuttgart 1914.
  • Oberlack, Markus: "Zwischen Internationalismus und Eurozentrismus". Die deutsche Sozialdemokratie und das Problem einer "humanen Kolonialpolitik", in: Gründer, Horst (Hrsg.): Geschichte und Humanität, 2. Aufl., Münster/Hamburg 1994.
  • Ratz, Ursula: Georg Ledebour 1850-1947. Weg und Wirken eines sozialistischen Politikers, Berlin 1969.
  • Reichstagswahl um Afrika 1907. Afrikanisches Wettreiten, Verlag der Mainzer Karnevalzeitung "Narrhalla"

  • Reinhard, Wolfgang: "Sozialimperialismus" oder "Entkolonisierung der Historie"? Kolonialkrise und "Hottentottenwahlen" 1904-1907, in: Historisches Jahrbuch 97/98, Freiburg/München 1978.
  • Ritter, Gerhard A. (Hrsg.): Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1871 – 1918, München 1980.
  • Ruge, Wolfgang: Matthias Erzberger. Eine politische Biographie, Berlin 1976.
  • Saul, Klaus: Der Staat und die "Mächte des Umsturzes". Ein Beitrag zu den Methoden antisozialistischer Repression und Agitation vom scheitern des Sozialistengesetze bis zur Jahrhundertwende, in: Archiv für Sozialgeschichte, Nr. 12, Bonn 1972.
  • Saul, Klaus: Staat, Industrie, Arbeiterbewegung im kaiserreich. Zur Innen- und Aussenpolitik des Wilhelminischen Deutschland 1903 – 1914, Hamburg 1974
  • Schröder, Hans-Christoph: Gustav Noske und die Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs, Berlin/Bonn 1979.
  • Spellmeyer, Hans: Deutsche Kolonialpolitik im Reichstag, Stuttgart 1931.
  • Townsend, M.E.: Macht und Ende des deutschen Kolonialreiches, Neuauflage: Münster 1988.
  • Vogel, Bernhard/Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf: Wahlen in Deutschland. Theorie – Geschichte – Dokumente 1848 – 1970, Berlin 1971.
  • Weinberger, Gerda: Die deutsche Sozialdemokratie und die Kolonialpolitik. Zu einigen Aspekten der sozialdemokratischen Haltung in der kolonialen Frage in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 3, Berlin 1967.
  • Westphal, Wilfried: Geschichte der deutschen Kolonien, Frankfurt am Main/Berlin 1987.

Anmerkungen

  • 1 Vgl. Reinhard, Wolfgang: "Sozialimperialismus" oder "Entkolonisierung der Historie"? Kolonialkrise und "Hottentottenwahlen" 1904-1907, in: Historisches Jahrbuch 97/98, Freiburg/München 1978, S. 384-417.
  • 2 Vgl. van der Heyden, Ulrich: Diplomasie en Politiek. Die Pers, die Boererepublieke en Duitsland tydens die Anglo-Boereoorlog, Pretoria 2002.
  • 3 Vgl. Melber, Henning: "… dass die Kultur der Neger gehoben werde!" - Kolonialdebatten im deutschen Reichstag, in: van der Heyden, Ulrich/Zeller, Joachim (Hrsg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 67-72.
  • 4 Saul, Klaus: Der Staat und die "Mächte des Umsturzes". Ein Beitrag zu den Methoden antisozialistischer Repression und Agitation vom scheitern des Sozialistengesetze bis zur Jahrhundertwende, in: Archiv für Sozialgeschichte, Nr. 12, Bonn 1972, S. 313.
  • 5 Vgl. Weinberger, Gerda: Die deutsche Sozialdemokratie und die Kolonialpolitik. Zu einigen Aspekten der sozialdemokratischen Haltung in der kolonialen Frage in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 3, Berlin 1967, S. 402-422.
  • 6 Hyrkkänen, Markku: Sozialistische Kolonialpolitik. Eduard Bernsteins Stellung zur Kolonialpolitik und zum Imperialismus 1882-1914. Ein Beitrag zur Geschichte des Revisionismus, Helsinki 1986.
  • 7 Mergner, Gottfried: Solidarität mit den "Wilden". Das Verhältnis der deutschen Sozialdemokratie zu den afrikanischen Widerstandskämpfen in den ehemaligen deutschen Kolonien um die Jahrhundertwende, in: Holthoon, Frits van/Linden, Marcel van der (Hrsg.): Internationalism in the Labour Movement 1830-1940, 1. Bd., Leiden 1988, S. 68-86; Crothers, George D.: The German Elections of 1907, New York 1941.
  • 8 Vgl. Townsend, M.E.: Macht und Ende des deutschen Kolonialreiches, Neuauflage: Münster 1988, S. 192.
  • 9 Vgl. Epstein, Klaus: Erzberger and the German Colonial Scandals, 1905-1910, in: The English Historical Review, vol. 74, London 1959, S. 658-667; Ruge, Wolfgang: Matthias Erzberger. Eine politische Biographie, Berlin 1976, S. 34-70 sowie allgemein Leitzbach, Christian: Matthias Erzberger. Ein kritischer Beobachter des Wilhelminischen Reiches 1895-1914, Frankfurt/M. et al. 1998.
  • 10 Zitiert nach: Spellmeyer, Hans: Deutsche Kolonialpolitik im Reichstag, Stuttgart 1931, S. 112.
  • 11 Ebenda, S. 121.
  • 12 Vgl. Vogel, Bernhard/Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf: Wahlen in Deutschland. Theorie – Geschichte – Dokumente 1848 – 1970, Berlin 1971, S. 117.
  • 13 Vgl. Fricke, Dieter: Der deutsche Imperialismus und die Reichstagswahlen von 1907, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 9, Berlin 1961, S. 538.
  • 14 Vgl. Fricke, Dieter: Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 4, Köln 1986, S. 552.
  • 15 Vgl. Saul, Klaus: Staat, Industrie, Arbeiterbewegung im kaiserreich. Zur Innen- und Aussenpolitik des Wilhelminischen Deutschland 1903 – 1914, Hamburg 1974, S. 128.
  • 16 Vgl. Fricke, Dieter: Der deutsche Imperialismus..., a.a.O., S. 566.
  • 17 Herzog zu Mecklenburg, Johann Albrecht: Die Auflösung des Reichstages und die Deutsche Kolonialgesellschaft, in: Deutsche Kolonialzeitung, 22.12.1906, Berlin.
  • 18 Flugblatt A V, Nr. 68, zitiert in: Crothers, George D.: German Elections..., a.a.O., S. 146.
  • 19 Vgl. Ritter, Gerhard A. (Hrsg.): Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1871 – 1918, München 1980, S. 234 ff.
  • 20 Vgl. Eschenburg, Thomas: Das Kaiserreich am Scheideweg. Bassermann, Bülow und der Block, Berlin 1929; Fesser, Gerd: Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow. Eine Biographie, Berlin 1991.
  • 21 Vgl. Westphal, Wilfried: Geschichte der deutschen Kolonien, Frankfurt am Main/Berlin 1987, S. 254.
  • 22 Schröder, Hans-Christoph: Gustav Noske und die Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs, Berlin/Bonn 1979, S. 22.
  • 23 Vgl. Erzberger, Matthias: Die Wahrheit über die deutschen Kolonien. Glänzende Rechtfertigung der Kolonialpolitik des Zentrums durch Staatssekretär B. Dernburg, Berlin 1908.
  • 24 Vgl. Noske, Gustav: Kolonialpolitik und Sozialdemokratie, Stuttgart 1914.
  • 25 Vgl. Ratz, Ursula: Georg Ledebour 1850-1947. Weg und Wirken eines sozialistischen Politikers, Berlin 1969, S. 101-114; Oberlack, Markus: "Zwischen Internationalismus und Eurozentrismus". Die deutsche Sozialdemokratie und das Problem einer "humanen Kolonialpolitik", in: Gründer, Horst (Hrsg.), Geschichte und Humanität, 2. Aufl., Münster/Hamburg 1994, S. 49-60.
  • 26 Vgl. hierzu Fröhlich, Michael: Imperialismus. Deutsche Kolonial- und Weltpolitik 1880-1914, München 1994; Fesser, Gerd: Der Traum vom Platz an der Sonne. Deutsche "Weltpolitik" 1897-1914, Bremen 1996.
  • 27 Vgl. Entwicklungspolitische Korrespondenz (Hrsg.): Deutscher Kolonialismus. Ein Lesebuch zur Kolonialgeschichte, zusammengestellt von Launer, Ekkehard/Ustorf, Werner (=EPK-Drucksache Nr. 1), 2. erweiterte Aufl., Hamburg 1991, S. 133-137.
  • 28 Vgl. Gründer, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien, 2. Aufl., Paderborn/München/Wien/Zürich 1985, S. 76.

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