Dokumentation:"Kriegsgefahr in Abessinien" und "Genf übt Zurückhaltung - Man befürchtet abessinische Völkerbundklage gegen Italien" |
Freiburger Zeitung, 13.02.1935, 2. Ausgabe, S. 1+2 "Die Kriegsgefahr in Abessinien (Drahtbericht unserer Berliner Schriftleitung) W. Sch. Berlin, 13. Febr. Wir haben bereits gestern darauf hingewiesen, daß die englischen Bemühungen um direkte Verhandlungen zwischen Italien und Abessinien zur Regelung des Konfliktes in erster Linie von Rücksichten auf den Völkerbund diktiert sind. In Berliner politishcne Kreisen betrachtet man diese ganz offenkundige Tatsache als einen erneuten und besonders kräftigen Beweis für die Richtigkeit der deutschen Auffassung gegenüber den Bestrebungen, den Frieden durch Paktsysteme zu organisieren. Man denke: Der Völkerbund ist doch geschaffen, damit in seinem Rajmen der Friede fixiert und Streitfälle beigelegt werden. Wenn es aber ernst wird, so sucht man dem Völkerbund die besondere Aufgabe eines schwierigen Streitfalles fernzuhalten, weil man im Grunde davon nur die Verschärfung und gegebenenfalls eine internationale Erweiterung des Konfliktes, also das Gegenteil, befürchten muß. Es wirkt geradezu grotesk, wenn man in allen europäischen Hauptstätten eine starke Genugtuung darüber zum Ausdruck bringt, daß die englischen Bemühungen darauf gerichtet sind, eine Verfassung des Völkerbundes mit dem Streitfall Italien-Abessinien zu vermeiden. Wenn England sich dabei nur noch etwas von direkten Verhandlungen zu versprechen scheint, (Schluß nächste Seite.)
Die Kriegsgefahr in Abessinien (Schluß.) so müßte man sich doch in diesem Zusammenhang, so sagt man hier, auch einmal fragen, ob dadurch nicht die deutschen Bedenken gegen alle paktomanen Bestrebungen bestätigt werden, und ob nicht in jedem Fall die gefahren für den Frieden größer sind, wenn zwischenstaatliche Auseinandersetzungen in einen weiteren Zusammenhang gestellt werden, statt daß die betreffenden Staaten darauf angewiesen sind, ohne fremde Einmischung miteinander fertig zu werden. Dieses Schulbeispiel ist eine Warnung vor unnötigen Pakten ebenso, wie vor der Ausdehnung der Völkerbundsmethoden auf solche zwischenstaatliche Angelegenheiten, die von der genfer Einrichtung heute noch nicht beherrscht werden können. Ob den englischen Bemühungen um direkte Erledigung des Konfliktes eine Erfüllung beschieden sein wird, das wird hier allerdings noch sehr in Zweifel gezogen. Man verweist in diesem Zusammenhang auf die auffällige Tatsache, daß der abessinische Geschäftsträger in Rom, der auf GRund der englischen Anregungen mit der Aufnahme von Verhandlungen beauftragt wurde, gestern mehrere Stunden im Palast des italienischen Regierungschefs weilte, ohne daß es ihm gelungen wäre, Mussolini selbst oder den Staatsekretär Guvich zu sprechen. Auch das, was jetzt von den italienischen Forderungen an Abessinien bekannt wird, kann nicht gerade hoffnungsvoll stimmen. Schon die Forderungen nach Entschuldigung und Entschädigung - Salut vor der italienischen Flagge und dreißig Millionen Lire - sind besonders hoch gestellt. Die sachliche Frage ist aber die, was Italien unter der 'endgültigen Feststellung der Grenzen im umstrittenen Gebiet' versteht, und ob die geforderten Garantien der kaiserlich-abessinischen Regierung für die Ueberwachung der Nomadenstämme nicht gerade Anlaß für ein späteres, weiteres, wirkliches Eingreifen schaffen soll. Denn es ist sehr fraglich, ob die abessinische Regierung die Nomadenstämme wirklich in der Hand hat, und wenn nach der Annahme ihrer Garantie ein weiterer Zwischenfall eintritt, so wären Maßnahmen gegen Abessinien auch völkerrechtlich nicht mehr anfechtbar. Man tröstet sich noch damit, daß die italienischen Forderungen kein Ultimatum darstellen und daß der englische Botschafter in Rom die Aufgabe hat, die Vermittleraktion mit aller Energie weiterzutreiben. Die Nachrichten, die aus Addis Abeba vorliegen, sind jedenfalls nicht geeignet, große Hoffnungen zu erwecken. Man hält es in den dortigen diplomatischen Kreisen offenbar für wenig wahrscheinlich, daß sich die abessinische Regierung zu einer formellen Entschuldigung bereitstellt und die abessinischen Untertanen zu einem besonderen Salut vor der italienischen Flagge veranlaßt. Der starke Ton, der in Addis Abeba auf die zahlenmäßige Stärke der Armee gesagt wird, kann Bluff sein. Aber sind nicht - im äußeren Anlaß zumindest - die meisten Kriege aus geplatzten Bluffs enstanden?" |
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Freiburger Zeitung, 13.02.1935, 2. Ausgabe, S. 2 "Genf übt Zurückhaltung. Keine Ratstagung im Februar - Man befürchtet abessinische Völkerbundklage gegen Italien. (Eigener Drahtbericht der Freiburger Zeitung) R. Genf, 13. Februar. Wie man in Völkeriúndkreisen erfährt, ist kaum damit zu rechnen, daß der Völkerbundsrat Ende dieses Monats zu einer außerordentlichen Tagung zusammenberufen wird, obwohl das in der letzten Woche in Genf allgemein behauptet wurde. Man führt den plötzlichen Meinungswechsel der Völkerbundstellen auf die Tatsache zurück, daß verschiedene Großmächte angeblich befürchten, daß Abessinien während einer außerordentlichen Ratstagung in Genf die Gelegenheit benützen könnte, erneut an den Völkerbund gegen Italien zu appellieren. Wie es scheint, möchte man einen solchen Appell Abessiniens auf jeden Fall verhindern. Außerdem scheint man sich inzwischen darüber klar geworden zu sein, daß selbst eine Ratstagung Ende Februar noch keine Möglichkeit für Ministerverhandlungen über die Abrüstung bringen würde, da seit London die Abrüstungsverhandlungen nicht wesentlich weiter gekommen sind. * London, 13. Febr. (DRB.) Die italienische Botschaft in London hat dem Reuterbüro mitgeteilt, daß kein Ultimatum an Abessinien abgeschickt worden sei und daß die unmittelbaren Verhandlungen fortgesetzt würden. Nach einer Reutermeldung aus Rom wird dort an amtlicher Stelle betont, daß keine bemerkenswerte Entwicklung in den in Addis Abeba geführten Verhandlungen zu verzeichnen sei und daß die Meldungen über einen ganz bestimmten Charakter der von Italien vorgelegten Forderungen unrichtig seien. Es wird nachdrücklich versichert, daß die Mobilisierung zweier Divisionen eine der Verteidigung dienende Vorsichtsmaßnahme sei.“ Freiburger Zeitung, 13.02.1935, 2. Ausgabe, S. 8 |