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Dokumentation:

Italiens Pläne in Abessinien und ihre Rückwirkung auf die europäische Politik

Freiburger Zeitung, 12.02.1935, 2. Ausgabe, S. 1+2

"Italiens Pläne in Abessinien und ihre Rückwirkung auf die europäische Politik

(Drahtbericht unserer Berliner Schriftleitung)

W. Sch. Berlin, 12. Febr.

Die militärischen Vorbereitungen Italiens gegenüber Abessinien gehen uns zwar direkt nichts an. Dennoch werden alle Ereignisse und Anzeichen im Umkreis der neuen italienischen Aktivität hier mit großem Interesse verfolgt., weil sie natürlich auch auf die direkten beziehungen Italiens zu den beiden Weltmächten rückwirken und damit Einfluß auf die schwebenden europäischen Probleme gewinnen können. Es ist behauptet worden, daß während der römischen Verhandlungen Laval Italien freie hand gegenüber Abessinien zugebilligt habe. Wenngleich bis heute der Wortlaut der Vereinbarungen nicht bekannt geworden ist, so gewinnt diese Behauptung angesichts der jüngsten Ereignisse und der Haltung der der Pariser Presse sehr an Wahrscheinlichkeit. Als man nach dem jüngsten Grenzzwischenfall, der eine so große Zahl von Opfern gefordert hat, von Paris aus das andeutete, da mußte sich der Eindruck verstärken, als ob das Italien zugebilligte Recht des Eingreifens in Abessinien nicht angerührt werden sollte. Als dann Mussolini selbst das Amt des Kolonialministers übernahm, und der besonders energische General de Bono zum Oberkommissar in den italienisch-ostabessinischen Kolonien ernannt wurde, mußte man mit einer militärischen Aktion Italiens gegenüber Abessinien rechnen. Anders kann der Auftrag ja kaum durchgeführt werden, den der General de Bono mit auf den Weg erhalten hat, nämlich Eritrea und Somaliland, die geographisch doch weit voneinander getrennnt sind, in ihrer Verwaltungseinigkeit zusammenzufassen, und zweitens 'Italiens Stellung gegenüber Abessinien zu klären'.

Die Auffassung, daß Italien auf dem imperialistischen Wege der Kolonialpolitik eine territoriale Erweiterung seiner afrikanischen Besitzungen anstrebt, ist angesichts der jüngsten Mobilmachungsmaßnahmen doch sehr naheliegend. Die letzten Ziele Italiens in dieser Richtung sind natürlich nicht ausgesprochen. Man hat schon die Vermutung gehört, daß Italien auf ein Völkerbundmandat in Abessinien zielt und die Zustimmung Abessiniens gegebenenfalls mit Waffengewalt erzwingen wolle. In Frankreich und England scheint man sich gegenüber solchen bestrebungen ziemlich gebunden zu fühlen. Diese Bindung geht letzten Endes zurück auf den Londoner Geheimvertrag von 1915, der den Eintritt Italiens in den Weltkrieg bedeutete. Die Italiener haben ihren früheren Bundesgenossen lange Jahre zum Vorwurf gemacht, daß sie die Verpflichtungen dieses Vertrages nicht eingehalten hätten. Nachdem die Engländer nun schon vor vier Jahren einen Anlauf nach dieser Richtung unternommen haben, sind die Franzosen kürzlich in den römischen Vereinbarungen nachgefolgt. Heute jedenfalls scheint Italien nicht zu befürchten, daß es von England oder Frankreich in seinem beabsichtigten Vorgehen gestörtr werden könnte. Aus London wird berichtet, daß der englische Gesandte am abessinischen Hofe anwesend sei, um Rais Thafari jedes nur irgendwie denkbare Entgegenkommen und eine versöhnliche Haltung gegenüber Italien anzuempfehlen. Daß England andererseits alles tun möchte, um die Streitfrage auf dem Wege der direkten vereinbarungen ins reine zu bringen, entspricht vor allem auch der Rücksicht auf den Völkerbund. Die abessinische Regierung hat sich ja nach dem ersten großen Zwischenfall anfangs Dezember vorigen Jahres an den Völkerbund gewandt. In die Verhandlungen spielten die großen europäischen Auseinandersetzungen auf indirektem Wege höchst bemerkenswert und interessant hinein, und schließlich wurde die Angelegenheit als nicht dringlich auf den Rat vertagt. Wenn jetzt Italien den Einmarsch mit einer ganz überlegenen Truppenmacht für naheliegend erachten sollte, so würde das natürlich einen neuen Schlag gegen das Ansehen des Völkerbundes und gegen

[Fortsetzung auf S. 2]

den Gedanken des Schiedsgerichts bedeuten, und zwar in einem Augenblick, da England alles daran setzt, die Autorität des Völkerbundes zu stärken und Deutschland zur Rückkehr zu veranlassen."

 

frz