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"Abessinien als Angelpunkt afrikanischer Weltpolitik" (Veranstaltung der DKG)

Freiburger Zeitung vom 23.01.1929, Nr. 23, Zweites Abendblatt

Deutsche Kolonialgesellschaft. Es war eine große Zahl von Interessenten, die sich am Montag abend im Hörsaal 1 unserer Universität einfanden, um einen Vortrag über Abessinien [d.h. Äthiopien, H.W] als Angelpunkt afrikanischer Weltpolitik des langjährigen abessinischen Staatsrates und Regierungsrates a.D. Dr. Zintgraff (Heidelberg) anzuhören. Oberstleutnant a.D. Knecht begrüßte namens der oberbadischen Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft die Erschienenen und den Redner, diesem auch die Grüße des Oberbürgermeisters Dr. Bender und der Stadtverwaltung übermittelnd, und beantwortete die Frage über den Zweck des Vereins dahin, daß er das zwar im Wachstum begriffene, aber noch nicht Gemeingut aller Deutschen gewordene Verständnis für kolonialen besitz wecken und fördern will, das für uns dringend notwendig sei.

Stürmisch begrüßt, führte Dr. Zintgraff hierauf ungefähr folgendes aus: Wenn es auch menschlich verständlich ist, daß wir uns mit unserem eigenen Schicksal beschäftigen und nach dem Raub unserer Kolonien für viele der äußere Anreiz zur Beschäftigung mit den Geschehnissen in der Welt fehlt, so dürfen wir doch nicht über die Selbstbeschaulichkeit den Blick für die Dinge, die in der Welt vor sich gehen, verlieren. Ja, er ist sogar notwendig, weil sich durch den Krieg viel verändert hat, wollen wir nicht Gefahr laufen, von den im Westen und Osten anrollenden Mühlsteinen, Amerika unter Führung der Vereinigten Staaten, und Asien unter Vorantritt Japans, zermalmt zu werden; ist es doch zur bitteren Wahrheit geworden, daß die Vormachtstellung Europas dahin und von diesen das Erbe angetreten worden ist. Nach des Redners Ansicht liegt der einzige Ausweg, dieser Gefahr zu begegnen, in der Vereinigung der europäischen Staaten als Kopf mit Afrika als Rohstoff- und Entwicklungskörper; denn letzteres stellt tatsächlich den einzigen, noch verhältnismäßig freien Entfaltungsraum dar, und auch nach ihm recken sich bereits amerikanische und asiatische Hände aus.

Es ist bei dieser Entwicklung kein Wunder, daß das letzte wirklich noch selbständige und bodenständige afrikanische Reich, Abessinien, gewissermaßen zum äußerlich am besten erkennbaren Angelpunkt afrikanischer Weltpolitik geworden ist. Abessinien ist ein Schulbeispiel für geopolitische Zusammenhänge; es hat gewaltige natürliche Bergfeste, sämtliche Kulturzonen mit fast allen darin wachsenden Pflanzen, gefördert durch Wasserreichtum (Kaffee, Baumwolle, Gummi, Südfrüchte, Korn jeder Art, Wachs), ist reich an Wäldern und Vieh. Der Boden birgt große Schätze (Gold, Silber, Platin, Kohle, Petroleum, Eisen, Blaugrund). Seit dem Krieg hat sich der Handel sehr entwickelt, gehemmt wird er durch mangelnde Verkehrswege. Trotz der guten Wasserverhältnisse hat die eigene Industrie nur wenig Fortschritte gemacht. Die Bevölkerung ist stark, das eigentliche Habesch dichter, das Randgebiet dünner besiedelt. Eine einheitliche Nation ist Abessinien nicht, sondern ein Völkergemisch; maßgebend sind die semitischen Habescht im Kernland, im Norden rassereine Ackerbauer, im Süden vermischte Großgrundbesitzer mit allen Vorzügen und Fehlern einer ungehemmt entwickelten semitischen Rasse.

Der moderne abess. Staat ist Produkt Meneliks II., des ‚geborenen Staatsmanns’, dem es gelungen ist, nach inneren Kämpfen die drei Reiche zu einigen. Trotz moderner Verzierungen ist immer noch der mittelalterliche Feudalstaat vorhanden, dessen Rechte auf Grundsätzen des Konzils von Nizäa beruht. Afrika gehabt. 1905 wurde zwischen Abessinien und Deutschland ein Handels- und Freundschaftsvertrag abgeschlossen, der heute noch in Gültigkeit ist. Durch das Zusammenarbeiten Frankreichs, Englands und Italiens wurde Kaiser Menelik in unsere Hände getrieben; es wurde ein deutscher Staatsrat (der Redner Dr. Zintgraff), ein deutscher Leibarzt und Erzieher an seinen Hof berufen, und der Abschluß einer Militärkonvention stand in Aussicht. Was das für ein Vorteil für uns gewesen wäre beim Ausbruch des Weltkrieges, liegt klar zutage. Aber verfehlte Personalpolitik und der Ruf politischer Unzuverlässigkeit ließen es nicht so weit kommen. Noch 1914, als der Enkel Meneliks II. den Thron bestieg, war für uns die Chance günstig; er wollte auf unsere Seite treten. Da wurde er 1916 gestürzt, es kam eine neue Regierung mit Unterstützung der Entente, trotzdem aber erfolgte keine Kriegserklärung an uns. Zunächst war der französische Einfluß, wenigstens äußerlich, vorherrschend; 1923 wurde Abessinien Mitglied des Völkerbundes, 1925 erfolgte das englisch-italienische Aufteilungsabkommen in Rapallo, das aber vom Völkerbund nicht gutgeheißen wurde.

Nun erschienen zwei neue Mitspieler auf dem Plan: Japan, das 1927 einen Handelsvertrag mit Abessinien abschloß, und die Vereinigten Staaten Amerikas, die 1928 erklärten, sie bräuchten am Tanasee (Gebiet des blauen Nils) eine Kontrolle. Damit ist aber auch die Bedeutung Abessiniens für afrikanische Weltpolitik wohl jedem klar. Aber diesmal ist keine Einheitsfront der Granzmächte vorhanden, im Gegenteil, Italien geht mit völligem Frontwechsel durch den Freundschafts- und Sicherheitspakt von 1928 unter Befürwortung deutscher kolonialer Rechte gegen England vor, und das gleichzeitige Hervortreten des Jungabessiniertums wird von ihm dazu glücklich ausgenutzt (Rückversicherungsvertrag gegen englische Zersetzungsarbeit im Innern). Neue Fäden werden auch zwischen Jungägyptern und Jungabessiniern gesponnen. Soweit steht die Entwicklung heute. Die Ausdehnung der Einflusssphären Amerikas und Japans in Abessinien kann uns nicht gleichgültig sein, unser Interesse muß auf die Erhaltung eines starken selbständigen Abessiniens gerichtet sein, das für unsern Handel und unsere Kulturpioniere offen steht. Als Auswanderungsland größeren Stils kommt dieses Land für uns nicht in Frage.

Im zweiten Teil des Vortrags wurden in einer großen Zahl von Lichtbildern Land und Leute so wie sie heute noch sind, vorgeführt, denen die Anwesenden mit gleich großem Interesse folgten wie dem Vortrag selbst. Zum Schlusse kam der Redner noch auf die sogenannte schwarze Gefahr zu sprechen, die er aber für uns nicht als bedrohlich ansieht, da die Neger infolge der großen Gegensätze untereinander wohl nicht zu einem Einheitsstaat und zu gemeinsamem Vorgehen kommen werden; anders verhält es sich wenn Engländer und Franzosen die Neger in einflussreiche Stellungen, z.B. beim Militär emporsteigen ließen, was einem Vabanquespiel gleichkommen würde. - Der Vortrag wurde mit großem Beifall aufgenommen.


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