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Presse-Dokumentation:

Ex-Gouverneur Leutwein zur Reichstagsdebatte um DSW

Freiburger Zeitung, 07.01.1907, 1. Blatt, 1. Seite

General Leutwein über die Reichstagsdebatte. In dem neuesten Hefte der Deutschen Revue schreibt der frühere Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika, Generalmajor Leutwein, folgendes: … Jeder denkende Mensch kann es dem seiner Verantwortlichkeit sich bewussten Reichstagsabgeordneten wohl nachfühlen, wenn ihn die nicht abreißen wollenden Millionenforderungen für Südwestafrika stutzig machen, wenn er sich zweifelnd fragt, ob das neue Vaterland da drüben dem alten diese gewaltigen Opfer je wird lohnen können… Alles zugegeben! Aber wir gleichen jetzt einem Kranken, der, will er überhaupt wieder gesund werden, seine Arznei schlucken muß, mag sie auch noch so bitter schmecken. Nicht nur unsere nationale Ehre erfordert dies, sondern, wie die Dinge nun einmal liegen, auch unser eigener Vorteil. Wenn daneben der Reichstag jeder Forderung genau auf die Finger sieht, für jeden verausgabten Groschen peinlich Rechenschaft verlangt, so tut er nur seine Pflicht. Dazu hat ihm das Volk den Schlüssel zu seinem Geldschrank anvertraut. Die heutigen Abgeordneten, die es mit dieser Pflicht genau nehmen, verdienen daher mehr den Dank der Wähler als diejenigen, die zu jeder Forderung ´Ja` und ´Amen` sagen.

Aber es gibt eine Grenze, über die hinaus Sparsamkeit wieder zur Verschwendung wird, und daß wir in der Vergangenheit gerade in Südwestafrika diese Grenze zuweilen überschritten haben, das ist nicht der geringste Fehler, den wir von dort zu verzeichnen haben. Nun hat ja in der entscheidenden Reichstagssitzung vom 18. Dezember v. J. die ablehnende Majorität eigentlich ´jeden Mann und jeden Groschen` der Regierungsforderung bewilligt; sie wollte nur die Regierung auf künftige Sparsamkeit festnageln. Die Truppenstärke in Südwestafrika sollte vom 1. April 1907 ab nicht 8000 Köpfe betragen, wie die Regierung verlangte, sondern nur 2500. Die Verantwortung für die Folgen wollte der Vertreter der Majorität mit auf den Reichstag übernehmen. Letzterer könnte ja immer wieder einspringen, falls der Aufstand von neuem aufflackere. In diesem Vorschlag liegt indessen nicht blos ein Ueberschreiten der Grenzen der Sparsamkeit, sondern auch eine gewisse Gefahr. Ich bilde mir zum Beispiel ein, in Südwestafrika einigermaßen bescheid zu wissen. Auch mir erscheint die dort jetzt noch für erforderlich erachtete Truppenstärke außerordentlich hoch. Aber zu beurteilen, wie viel Truppen vom 1. April 1907 ab an deren Stelle treten sollten, getraue ich mich trotzdem nicht. Dazu müsste ich zuerst selbst nach Südwestafrika reisen.

Eine Gefahr aber birgt der Vorschlag der Reichsmajorität insofern in sich, als, wenn dem Führer da draußen nicht gegeben wird, was er verlangt, ja ihm noch dazu ein Teil der Verantwortung abgenommen wird, es auch bei der größten Pflichttreue nur menschlich sei, wenn derselbe in seinem Eifer erlahmt, und wenn er bei einem Fehlschlage sich der Empfindung einer gewissen Genugtuung nicht entziehen kann. Ist es ja dann nur so gekommen, wie er vorausgesagt hat. Ganz bedenklich aber erscheint der Gedanke, man könne in Südwestafrika im Notfalle die einmal zerstörte Organisation der Schutztruppe kurzerhand wieder aufbauen. In solchem Falle bedürfte es vielmehr einer abermaligen Arbeit von langen Monaten, bis die neu aufgestellten Truppenteile fertig an den Feind gebracht werden könnten.`

Allgemeine Umschau. Um zu der Frage der Kolonialpolitik Stellung zu nehmen, beruft Professor Schmoller als Vorsitzender eines kolonialpolitischen Aktionskomitees im Namen zahlreicher Vertreter der Wissenschaften und Künste und der Literatur in Berlin eine große öffentliche Versammlung für morgen, Dienstag, ein. Der stellvertretende Kolonialdirektor Dernburg hat sein Erscheinen zugesagt und wird die Reihe der Ansprachen eröffnen. Außerdem werden das Wort unter anderen ergreifen die Professoren Brunner, H. Delbrück, Kahl, Fr. v. Olfgt [?], Dietrich Schäfer, Gebring und der Afrikareisende Schillings. Die Einberufer, die den verschiedenen politischen Parteien außer dem Zentrum und der Sozialdemokratie angehören, verfolgen die Absicht, die Wähler über die Bedeutung einer entschlossenen Kolonialpolitik für die Zukunft der deutschen Nation aufzuklären und eine weitere Agitation hierzu in die Wege zu leiten."

Scan der Original-Seite auf Server der UB Freiburg: Bilddatei online

Bericht der Freiburger Zeitung über die genannte Veranstaltung des Aktionskomitees vom 9.1.1907