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Weitere Debatte im Reichstag um den Etat 1907 für Südwestafrika; Berichte von Prof. Hahn und Farmer Schlettwein vor der Budget-Kommission; Angriffe auf den Abgeordneten Roeren

Freiburger Zeitung, 14.12.1906, 1. Blatt, 1. Seite


Der Etat für Südwestafrika.

Nach der gestern erwähnten Abstimmung im Haushaltsausschusse steht jetzt der Reichstag vor der Entscheidung. Er muß sich darüber klar werden, ob die hochwichtige Frage, mit welchen Streitkräften der Krieg in Südwestafrika zu Ende geführt werden soll, nach dem Gutdünken des Zentrums erledigt werden darf. Die Tatsache, daß die freisinnige Volkspartei den Zentrumsantrag gleichfalls abgelehnt hat, weil nach dem 1. April 1907 mehr als 2500 Mann nötig seien, beleuchtet grell die Lage. Der Zentrumsführer Dr. Spahn hat erklärt, der Reichstag wolle den Sachverständigen, dem Gouverneur und dem Generalstabe die Verantwortung abnehmen. Das deutsche Volk hat jedoch nichts davon, wenn trotz der Übernahme der Verantwortung durch den Reichstag in Südwestafrika neue Fehlschläge einträten und später erhöhte Opfer gebracht werden müßten.
Die Frankfurter Ztg. meint: Hält das Zentrum im Plenum den Antrag, vom 1. April ab nur noch 2500 Mann in Südwestafrika stehen zu lassen, aufrecht, so kann es dafür die Zustimmung der Sozialdemokraten und der Polen finden. Es wird aber die Unterstützung der Sozialdemokraten, mit denen es beinahe die Mehrheit [des R]eichstages hat, kaum finden, denn die [sind?] gegen alles. Es ist sehr beacht[lich, ?] daß die Freisinnigen und die [?] Volkspartei diese Politik des [?] nicht mitmachen und überhaupt [?]r Regierung die Herabsetzung der [Truppen?] auf eine bestimmte Zahl aufzwingen [woll?]en. Sie glauben, daß man das in Berlin [?] entscheiden könne. Sie haben vielmehr beantragt, die Regierung zur Rücksendung der 4000 Mann, die sie zugesagt hat, durch eine Bemerkung im Etat gesetzlich zu verpflichten, und darüber hinaus sie aufzufordern, von den dann noch stehenden 8000 Mann möglichst bald so viel wie irgend entbehrlich sogleich zurückzuziehen. Mit dem Antrage hat sich der stellvertretende Kolonialdirektor, Herr Dernburg, einverstanden erklärt und man sollte annehmen, daß auf ihn sich im Plenum eine Mehrheit vereinigen wird, sobald nur erst die Rechte und die Nationalliberalen einsehen, daß mehr nicht zu erreichen ist. Die Plenarberatung des Nachtragsetats für Südwestafrika wird an diesem Donnerstag im Reichstage erfolgen. Es ist Aussicht, daß sich auf den Antrag der Freisinnigen und der Deutschen Volkspartei, mit dem auch die Regierung sich einverstanden erklären wird, sich eine Mehrheit zusammenfindet. Dazu gehört allerdings, daß alle Abgeordnete der Linken am Donnerstag zu Stelle sind. Es handelt sich um eine Entscheidung, deren politische Tragweite weiter geht, als diese einzelne Etatsforderung, zunächst auch darum, ob das Zentrum wieder als ausschlaggebende Partei in Kolonialfragen dastehen soll.

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Die Mittwochssitzung der Budgetkommission, in der man sich mit dem 2. Nachtragsetat für die Schutzgebiete beschäftigte, nahm einen für die Regierung günstigeren Verlauf. Es handelte sich um die Anforderung von 8 900 000 M. für den Weiterbau der Eisenbahn Lüderitzbucht-Keetmanshoop. Anwesend waren in der Sitzung als Sachverständige Prof. Hahn und Farmer Schlettwein. Hahn schilderte die wirtschaftliche Lage von Südwestafrika, wobei er Vergleiche mit anderen afrikanischen Ländern zog. Die mittlere Gegend Südwestafrikas, das Damaraland, sei zu vergleichen mit dem Osten der Kapkolonie, der südliche Teil mit der Karru im Süden unserer Kolonie. Redner legt dann die Geschichte der Entwicklung der südwestafrikanischen Kolonie dar, die Bedeutung der Kolonie für die Viehzucht und des Namalandes für die Straußenzucht (Kupfer, Blaugrund, Kohle und Gold). Kolonialdirektor Dernburg teilt mit, daß Diamanten in der Kolonie vorkommen. In den letzten Tagen sei um den Caprivizipfel Blaugrund gefunden worden. Er habe angeordnet, daß das Gebiet sofort abzusperren sei. Der Farmer Schlettwein schildert die Farm- und Weideverhältnisse. Ein Farmer, der 68 000 M. angelegt habe, werde mit folgender Bilanz zu rechnen haben: nach einem Jahr Verlust 4670 M., 2. Jahr 4050 M., 3. Jahr Gewinn 440 M. und 1080 an Inventargewinn, 4. Jahr Verlust 450 M., aber 14 310 M. Inventargewinn und bis zum 8. Jahr Gewinn 4420 M. (+ 57 000 M. Inventargewinn). Noch günstiger für die Farmer sei ein gemischter Betrieb. Bei Wollviehzucht stelle sich der Gewinn bei einer Kapitalanlage von 50 000 M. nach den ersten fünf Jahren auf 5881 M. (+ 50 524 M. Inventargewinn). Er, Schlettwein, habe vor fünf Jahren mit 35 000 M. eine Farm in Betreib genommen, jetzt belaufe sich sein Vermögen auf 144 000 M. Abg. Spahn (Zentrum) erklärt, die heutige Sitzung habe dahin klärend gewirkt, daß tatsächlich ein hoher wirtschaftlicher Wert der Kolonie konstatiert sei. Bisher habe jede zuverlässige Darlegung über ihre wirtschaftliche Bedeutung gefehlt. Die viva vox habe wiederum einmal ihren Wert bewiesen, hinzukomme das Anerbieten der Firma Lenz und vor allem die bedeutende Verbilligung und die Beschleunigung der Dislozierung der auf Dauer benötigten Schutztruppen. Redner erklärt seine und seiner Freunde Sympathien für die Vorlage.
Wenn nun, was nach dieser Erklärung Dr. Spahns angenommen werden muß, das Zentrum für den Bahnbau Kubub-Keetmanshoop stimmt, so muß man doch fragen, warum bewilligt die Partei, wie dies logisch richtig wäre nach der Anerkennung des hohen wirtschaftlichen Wertes der Kolonie, dann nicht auch die nötigen Mittel zur völligen Niederwerfung des Aufstandes und militärischen Sicherung der Kolonie?

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In den Etat für 1907 sind für die Schutztruppe für Südwestafrika 60 Millionen gefordert und ihre Stärke auf 8268 Mann angenommen. Es ist im Hinblick auf die jetzigen Kommissionsberatungen interessant, was im Etat dazu bemerkt wird. Es heißt da: Müßte man annehmen; daß diese Gesamtkopfstärke noch für das ganze Jahr 1907 erforderlich wäre, so hätten an Kosten 83 800 000 M. verlangt werden müssen. Die Reichsverwaltung geht davon aus, daß der Aufstand niedergeschlagen und der dazu erforderliche Ausgabenbedarf bereitgestellt werden muß. Wahrscheinlich wird es gelingen, dem Aufstande schon in kürzerer Frist ein Ende zu machen. Von dem Fortschreiten der Niederwerfung hängt Zeitpunkt und Umfang weiterer Truppenheimsendungen ab. Es besteht indes der ernstliche Wille, eine Verminderung der Schutztruppe und damit eine Herabsetzung der durch die Niederwerfung des Aufstandes erwachsenden Kosten herbeizuführen, sobald dies nach Lage der Verhältnisse im Schutzgebiete nur irgend angängig erscheint. Hiermit ist bereits im Laufe des Rechnungsjahres 1906 begonnen worden. Bestimmte Zusicherungen in dieser Richtung für das Rechnungsjahr 1907 schon jetzt zu geben, ist bei der derzeitigen Kriegslage jedoch ausgeschlossen. Immerhin ist schon jetzt zu beachten, daß selbst bei einer schnelleren und stärkeren Verringerung der Schutztruppe eine gleichmäßige Verminderung der Kosten nicht sofort eintreten kann, da mit der Heimkehr nicht gleichzeitig die Besoldungen aufhören und, abgesehen von den Ausgaben, für die Heimbeförderung insbesondere an Versorgungsgebührnissen bedeutende Aufwendungen hinzutreten. Lediglich unter dem Zwange dieser undurchsichtigen Verhältnisse und der gesetzlichen Verpflichtung zur Aufstellung eines Jahresetats mußte eine Summe angefordert werden, von der einerseits nicht feststeht, in welchem Umfange sie tatsächlich gebraucht werden wird, die andererseits aber die Verwaltung in den Stand setzt, bis zum Wiederzusammentritt des Reichstages voraussichtlich ohne Ueberschreitungen auszukommen. Aus diesen Erwägungen ist im Etat eine Pauschsumme von 60 000 000 M. angefordert. Es wird beabsichtigt, einen entsprechenden Teil der Forderung zurückzuziehen, sobald die weitere Klärung der Verhältnisse es gestatten sollte, wie es vorbehalten bleiben muß, mit einer nachträglichen Forderung an die gesetz- [Seitenwechsel]


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Freiburger Zeitung, 14.12.1906, 1. Blatt, 2. Seite

gebenden Körperschaften heranzutreten, sofern die angeforderten Mittel sich wider Erwarten als unzureichend erweisen sollten.

Allgemeine Umschau.

Im Reichstag
wird erzählt, daß Graf Ballestrem ein Telegramm vom Kaiser erhalten habe, das sich auf die südwestafrikanische Angelegenheit beziehe.

[...]

Neuestes und Telegramme.

Zum Nachtragsetat für die Schutzgebiete

Berlin, 12. Dezember. Dem Reichstag ging ein Abänderungsantrag Ablaß und Genossen zur 2. Lesung des Nachtragsetats für die Schutzgebiete zu, welcher lautet: „Der Reichstag wolle beschließen, dem Dispositiv des Kapitels bei Zit. 2 I der Ausgaben hinzuzufügen: Mit der Maßgabe, daß die Heimsendung von weiteren 4000 Mann im Laufe des Rechnungsjahres erfolgen soll und daß bis zum Ablauf des Rechnungsjahres Vorbereitungen zu einer erheblichen weiteren Verminderung der Gesamtstärke der Schutztruppen entsprechend der fortschreitenden Beruhigung des Schutzgebietes getroffen werden.“

Zur Angelegenheit Roeren.
Berlin, 13. Dezember. Die Nordd. Allg. Ztg. veröffentlicht in der parlamentarischen Ausgabe einen Artikel überschrieben: Abgeordneten Roeren und die Angelegenheit Wistuba – den Wortlaut eines Briefwechsels zwischen dem Reichskanzler und Roeren. Das Blatt schließt nach längeren Ausführungen wie folgt: Aus diesen Darlegungen geht hervor, daß dem Abg. Roeren eine Vermittlungsrolle im Falle Wistuba keineswegs (wie behauptet wird, d. Red.) von der Regierung angetragen, daß seine Vermittlung lediglich für Erledigung des Missionszwists in Anspruch genommen worden ist, daß Roeren aber nach Erledigung dieses Zwists versuchte, unter Drohungen mit einer parlamentarischen Aktion und politischen Konsequenzen in ein Disziplinarverfahren einzugreifen, das unter Einschluß der Missionsangelegenheit gegen Wistuba eröffnet worden war.

Berlin, 13. Dezember. Dem stellvertretenden Kolonialdirektor Dernburg gingen anläßlich seines Auftretens gegen den Abg. Roeren fortgesetzt aus allen Teilen Deutschlands Danktelegramme und Anerkennungsschreiben zu. Nach Blättermeldungen hat die Zahl dieser Dankeskundgebungen von Vereinen und privater Seite bereits die Zahl 1000 erreicht.


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