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Wirtschaftslage und europäisch-asiatische Konkurrenz in Südafrika;

Reichstagsdebatte: Einschätzung zum Angriff von Kolonialdirektor Dernburg auf den Ag. Roeren (Zentrum)

Freiburger Zeitung, 06.12.1906, 1. Blatt, 1. Seite

Die wahre Ursache des schlechten Geschäftsgangs in Südafrika

 Es ist leider Tatsache, daß sich in letzter Zeit manche europäische Firmen vom Geschäft in Südafrika wegen des schlechten Geschäftsganges ganz haben zurückziehen müssen. Worin liegt die Ursache? Die Blüte der Prosperität erreichte Südafrika vor dem Kriege in den Jahren 1896 und 1897. Der Import betrug in letzterem Jahre 26,7 Mill. Pfd. Niemand stellte damals in Abrede, daß das Land sich eines außerordentlich blühenden Zustandes zu erfreuen habe. Im Jahre 1905 betrug der Import 33,9 Mill., also 7,1 Mill. mehr als 1897, die Goldproduktion hat die doppelte Höhe erreicht und doch ist alle Welt darüber einig, daß heute der Geschäftsgang ein miserabler ist. Man hat die Unsicherheit der politischen Lage, die Schwierigkeiten der Arbeitsverhältnisse als Grund dafür angeführt, aber alle diese Argumente reimen sich nicht mit der Tatsache, daß der Warenumsatz im ganzen immer noch ein enormer ist. Die geschäftliche Depression muß also in anderen Ursachen ihren Grund haben.

Ein angesehenes englisches Fachblatt – so schreibt die Deutsche Export-Revue -, das sich prinzipiell mit südafrikanischen Verhältnissen beschäftigt, äußert sich jetzt dahin, daß der wahre Grund in der ganz übermäßig und krankhaft angewachsenen Konkurrenz liege, die in geschäftlicher Beziehung sich überall in Südafrika bemerkbar mache. Die Zahl derjenigen, die sich geschäftlich betätigen wollten, sei zu groß. Zum Beweise für die Richtigkeit dieser Behauptung wird auf die Zahl der Händlerlizenzen verwiesen, die in der Kapkolonie erteilt wurden. Im Jahre 1896, als der eigene Importbedarf der Kolonie sich auf 12,5 Mill. Pfd. belief, habe die Zahl der Händlerlizenzen 6402 betragen, auf jede einzelne Lizenz entfielen also vom Gesamtimport durchschnittlich 1958 Pfd. Im Jahre 1905 sei der Import zwar auf 13 Mill. angewachsen, die Zahl der Händlerlizenzen jedoch in einem ungleich größeren Maße, nämlich auf 13496.

Der auf eine Lizenz entfallende Anteil am Import sank mithin von 1958 auf 970 Pfd. Mit anderen Worten, während die Kaufkraft der Kolonie in den letzten 10 Jahren nur um 4,4 Proz. Stieg, nahm die Zahl der Händler um 110,8 Proz. zu; der Anteil am Geschäft mußte sich dementsprechend für jeden einzelnen Händler vermindern. Eine genaue Feststellung des Sachverhaltes würde auch in den übrigen südafrikanischen Kolonien zu den gleichen Ergebnissen führen.

Dazu kommt noch ein Weiteres. Trotz vorstehender Zahlen ist die Zahl der europäischen Ladenhalter im Abnehmen, der farbige Händler aus dem Osten, aus Indien und China, hat ihn verdrängt. Der Europäer kann, was die Lebenshaltung anbelangt, mit ihm nicht konkurrieren. Im vergangenen Jahre wurden in den 5 größten Städten der Kapkolonie 5222 Lizenzen an Europäer erteilt, in diesem Jahre sank die Nachfrage auf 3920, mithin 1802 weniger als im Vorjahre. Umgekehrt verhält es sich mit der Zahl der an asiatische Händler erteilten Lizenzen. Sie betrug im vergangenen Jahre 1012; in den bisher verflossenen Monaten des laufenden Jahres allein schon 1059. Noch eindrucksvoller ist ein Vergleich der Jahre 1897 und 1905. Im Jahre 1897 wurden auf der Kaphalbinsel 1615 Lizenzen an Europäer, und nur 137 an Asiaten verliehen, 1905 dagegen an Europäer 3675, an Asiaten 714. Die Zahl der weißen Händler hat sich also in diesem Zeitraum um 127 Proz., die der asiatischen um 421 Proz. Vermehrt.

20 Prozent aller Ladenhalter in der Kapkolonie sind gegenwärtig asiatischen Ursprungs. In Natal, wahrscheinlich auch in Transvaal, ist die Prozentzahl noch größer. Um das voll zu würdigen, muß man bedenken, daß bei den geschäftlichen Insolvenzen die Kulifirmen in besonders starkem Maße beteiligt sind. Während die Zahl der asiatischen zu den europäischen Händlern sich ungefähr wie 1 zu 4 verhält, stellt sich die Zahl der Bankrotte bei Asiaten und Europäern 3 zu 2. Es bedarf keiner weiteren Ausführung, was das für den finanziellen Kredit der südafrikanischen Kolonien im ganzen bedeutet. Bezeichnend für die Besorgnis, mit der man allgemein das Ueberhandnehmen der asiatischen Händler betrachtet, ist folgender Beschluß einer südafrikanischen Handelskammer, der einstimmig gefaßt wurde. Jedes Mitglied der Kammer soll verpflichtet sein, alle Geschäftsreisenden zu boykottieren, die Firmen vertreten, welche mit Kulihändlern in Verbindung stehen oder ihnen Waren liefern. Kein Mitglied der Kammer darf Kulihändlern irgendwelche Waren liefern.

Was die indischen Händler anbelangt, so wird in Südafrika erkannt, daß es absurd wäre, sie alle insgesamt betrügerischer Neigungen zu bezichtigen; es wird zugegeben, daß es auch ehrliche und anständige darunter gibt.

Was ihre Konkurrenz für den Europäer so gefährlich macht, sind die verschiedenen Lebensansprüche, die weitgehende Bedürfnislosigkeit der Asiaten, mit der der Europäer nicht konkurrieren kann. Der Asiate und seine Familie lebt nur vom Reis, bekleidet sich mit den allerbilligsten Baumwollstoffen und schläft unter oder auf dem Ladentisch. Wo eine solche Konkurrenz auftritt, bleibt dem Europäer meist nichts anderes übrig, als sein Geschäft zu schließen.

In Südafrika soll jetzt auf gesetzgeberischem Wege gegen das Uebermaß der Händlerlizenzen eingeschritten werden. Ein dem Parlament der Kapkolonie vorgelegter Gesetzesentwurf will die Sache in der Weise regeln, daß an die Neubewilligung von Lizenzen besondere Erschwerungen geknüpft werden, die lokalen Verwaltung sollen Lizenzen nur erteilen dürfen, wenn mindestens 1/2 [?] der Mitglieder des Munizipalrats sich dafür aussprechen.“

Die Erklärungen Dernburgs

im Reichstage gegen den Zentrumsabg. Roeren usw. werden in der Berliner Presse vielfach als Kriegserklärungen gegen das Zentrum bezeichnet. Die Deutsche Tagesztg. z.B. meint: „Herr Dernburg kann insofern von sich sagen, daß er das in ihn (auch vom Zentrum) gesetzte Vertrauen völlig gerechtfertigt habe, als er gründlich mit dem „üblichen System" gebrochen hat. Denn diese Art, dem mächtigen Zentrum entgegenzutreten, hätte niemand vorher für möglich gehalten. Anfangs glaubte man, Herr Dernburg habe in seiner parlamentarischen Unbefangenheit einen faux pas mit seiner scharfen Tonart begangen. Aber er erklärte, daß er sich vorher alles genau überlegt habe. Sicherlich hat er sich das Zentrum durch sein gestriges Benehmen zum Feinde gemacht, und man darf gespannt sein, wie der Zweikampf, der sich jetzt zweifellos weiter fortsetzt, enden wird. Herr Dernburg scheint sich aber auf den Standpunkt zu stellen: 'Nun gut, ich tue, was ich für richtig halte; dringe ich damit nicht durch, so brauche ich es nicht als großes Unglück zu betrachten, wenn ich mich wieder ins Privatleben zurückziehen muß.'

Der Abg. Roeren hat inzwischen erklärt, er sei für seine Aeußerungen allein verantwortlich.

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