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Reichstagsdebatte über Etat für Deutsch-Südwestafrika - Bebel spricht von Freiheitskampf der Herero

Freiburger Zeitung, 19.03.1904, 2. Blatt, 1. Seite

Deutscher Reichstag.
Berlin, 17. März.
Zunächst werden die Nachtragsetats für 1903 und die Ergänzungsetats für 1904 beraten.
Abg. Dr. Spahn (Zentr.) beantragt Überweisung an die Budgetkommission.
Abg. Dr. Stockmann (Reichsp.) empfiehlt, die beiden Ergänzungsetats mit dem Hauptetat für Südwestafrika in einer Kommission zu einem einheitlichen Etat zu verarbeiten.
Abg. Bebel (Soz.) sagt, er schätze die Gesamtkosten des Hereroaufstandes für das Reich auf 50 Millionen Mk.; das zeige, daß der Nutzen der Kolonialpolitik in gar keinem Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten stehe. Die Ursache des Aufstandes sei ausschließlich auf deutscher Seite zu suchen. Es sei ein Verzweiflungskampf der Hereros, die man ihrer Existenz berauben wolle. Bei jedem anderen Volke würde man einen solchen Kampf als einen bewundernswürdigen Heroismus bezeichnen. Das wucherische, blutsaugerische Treiben der europäischen Händler sei der Hauptgrund der Unzufriedenheit der Hereros. Den weißen Frauen, die den Hereros in die Hände gefallen seien, sei kein Haar gekrümmt worden. Ihm sei es sehr zweifelhaft, ob die Weißen ebenso mit den Hererofrauen verfahren würden. Die Sozialdemokraten hätten bisher gegenüber dem Etat nur ein klares Nein.
Abg. Paßig (natl.) charakterisiert das Verhalten der Sozialdemokraten. Die Deutschen seien doch keine Räuber; sie erfüllten in den Kolonien Kulturaufgaben. Die Hereros, die Bebel so liebenswürdig und so harmlos findet, müssen unterworfen und entwaffnet werden. Ueber den Waffenhandel müsse eine scharfe Kontrolle geübt werden. Die Nationalliberalen stimmen der Nachtrags- und Ergänzungsforderung zu und hoffen, daß alle bürgerlichen Parteien einig sind, den schlimmen Eindruck der Rede Bebels im Ausland zu zerstören.
Kolonialdirektor Dr. Stübel: Für Einzelheiten bezüglich der Entschädigungsfrage müsse der Bericht des Gouverneurs abgewartet werden. Zur Erörterung der Schuldfrage sei die Zeit noch nicht gekommen; die einen sagen, die Weißen traten zu hart auf, die anderen, der Gouverneur war zu milde. Daß Fehler gemacht wurden, wer könnte daß bei der Schwäche der menschlichen Natur bestreiten! Jetzt sei es Pflicht, den Aufstand niederzuwerfen. Bebel habe für die Deutschen die stärksten Ausdrücke, für die Hereros nur Worte der Bewunderung gehabt.
Die Abgg. v. Normann (kons.) und Eugen Richter (freis. Bp.) bedauern auf das tiefste die Worte Bebels, jetzt, wo deutsche Soldaten ihr Blut und Leben einsetzen. Abg. Richter sagte, er wolle jetzt keine Anklagerede gegen die Kolonialverwaltung halten; jetzt heiße es, Leben und Eigentum unserer Landsleute schützen.. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Schrader (freis. Ver.) und Abg. Dr. Arendt (Rp.) schließen sich dem Vorredner an.
Abg. Graf Reventlow (wirtsch. Reformver.) charakterisiert das Verhalten Bebels.
Abg. Bebel (Soz.) weist darauf hin, daß man bei den Kämpfen nur von toten, nie aber von gefangenen Hereros höre; das lasse darauf schließen, daß man alles niedermache.
Abg. Dr. Stöcker (christlich-sozial): Wenn auch vonseiten der Weißen Freveltaten vorgekommen seien, so dürfe dies den großen Kolonisationsprozeß nicht aufhalten. Die Regierung müsse noch mehr Missionen in den Kolonien verwenden und den Krieg nicht mit unnötiger Grausamkeit führen.
Abg. Semler (natl.) ist ebenfalls der Ansicht, daß jetzt keine Zeit für eine Kritik der Kolonialverwaltung sei.
Abg. Graf Reventlow (wirtsch. Reformver.) hebt hervor, daß die Hereros sich auch gegen Frauen und Kinder vergangen haben. Bebel solle doch seine Kulturideen auf die Hereros zu übertragen suchen, die den Zukunftsstaat antizipiert hätten.
Der Nachtrags- und Ergänzungsetat wird hierauf der Budgetkommission überwiesen.


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