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Reichstagsbudgetkommission berät Kolonialetats; Truppenverstärkung für Deutschsüdwestafrika; Bericht von Tierarzt Baumgart (Gammams bei Windhuk) von den ersten Herero-Kampfhandlungen

Freiburger Zeitung, 18.03.1904, 1. Blatt, 1. Seite

Die Budgetkommission des Reichstags beriet den Etat Ostafrikas weiter und bewilligte 70 000 Mk. für die Grenzfeststellungskommission gegen Uganda, bezw. Ostafrika; sie beschloß, dem Plenum zu empfehlen, die von der Reichspostverwaltung abgeänderte Vorlage, wonach 500 000 Mk. nicht für die Telegraphenstrecke Tabora-Najiji, sondern für die Strecke Tabora-Muamsa verwendet werden sollen, anzunehmen. Die Kommission beriet dann den Etat von Togo und genehmigte die dritte Rate von 450 000 Mk. für den Bau einer Landungsbrücke in Lomo und den Bahnbau Lomo-Kleinpopo. Sodann sollte der Etat für Südwestafrika beraten werden; die Kommission beschloß jedoch mit Rücksicht auf die dortigen Ereignisse, die Beratung auszusetzen und beim Plenum zu beantragen, ihr den ganzen Etat für Südwestafrika mit den Nachträgen zu überweisen. Die Kommission nahm darauf das Kapitel: Kolonialverwaltung aus dem Etat des Auswärtigen Amts an und ging dann zur Generaldebatte des Gesetzentwurfes betr. Aenderungen im Finanzwesen des Reiches über. […]


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Freiburger Zeitung, 18.03.1904, 1. Blatt, 3. Seite

Neuestes und Telegramme
Für Deutsch-Südwestafrika
Berlin, 16. März. Die Nordd. Allg. Z. meldet: In Berlin werden demnächst folgende Verstärkungstransporte für die Schutztruppe in Südwestafrika zusammengestellt: Am 24. März der erste Transport, 400 Mann einschließlich Unteroffiziere; am 29. März ein zweiter Transport, 250 Mann; am 6. April ein dritter Transport, 400 Mann.- Die Abfahrt erfolgt an den gleichen Tagen abends nach Hamburg.


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Freiburger Zeitung, 18.03.1904, 2. Blatt, 1. Seite

Vor dem Feinde in Deutsch-Südwest-Afrika.
Der erst vor wenigen Monaten in der Nähe von Windhuk eingetroffene deutsche Tierarzt Herr Dr. Baumgart, einst Mitglied des Vereins deutscher Studenten, hat über seine Erlebnisse im Hereroaufstande an seine Angehörigen in der Heimat folgenden Bericht gesandt, der den Leipz. Neuest. Nachr. freundlichst zum Abdruck überlassen wird. Der Bericht ist aus Windhuk vom 10. Januar datiert und lautet u.a.:

Montag, den 10. Januar 1904.
Am Dienstag kam die Nachricht durch einen Eilboten, daß Okahandja belagert werde. Daraufhin gingen 30 Mann unter Leutnant Vogts und Boysen mit einem Maschinengewehr dorthin. Am gleichen Tage wurden Sepp und Rassau eingezogen, und ich wurde stellvertretender Referent. Eine Patrouille kam nach Gammams, die mir meldete, daß zwischen Gammams und Otjisewa, unserem Nachbarorte (halbwegs zwischen Windhuk und Okahandja, westlich der Bahnlinie), ständig Posten wechseln würden. Abends, als der Posten nicht zurückkehrte und auch sonst keinerlei Nachricht eingelaufen war, wurde ich stutzig und befahl meinen Leuten (Hereros), die besten drei Pferde über Nacht in den Stall zu bringen. Als ich mich überzeugte, war der Stall leer, und noch spät mußten die Pferde nochmals von der Weide hereingetrieben werden, und nun ließ ich in meiner Gegenwart die Pferde einsperren. Ein Maurer, der am Mittag gekommen war, wurde von mir über den Ernst der Lage benachrichtigt, und ich ordnete an, daß wir die Nacht über Patrouille stehen wollten. Um ½11 Uhr hatte ich mich angekleidet ins Bett gelegt, und schon um ½12 Uhr erklärte mein Posten, es ist alles ruhig, er gehe schlafen. Daraufhin übernahm ich die Wache, und um ½3 Uhr legte ich mich wieder hin. Da kam kurz vor 4 Uhr eine Fußpatrouille aus Windhuk an und meldete, daß in Otjisewa, unserer Nachbarfarm, die Weißen erschlagen seien und wir so schnell wie möglich nach Windhuk müßten. Sofort holten wir die Pferde und sattelten sie. Dann ließ ich die Bambusen und die übrigen Eingeborenen wecken, sagte ihnen, daß die Hereros böse seien und Dummheiten machten, sie sollten alles Vieh nach Windhuk bringen und würden gutes Präsent erhalten. Nun ging’s fort. Auf dem Arm hatte ich den Jungen, in der rechten Hand ein Handpferd, und Frauchen ritt hinterher; Särle (die Frau des Briefschreibers) und ich hatten geladene Pistolen. Als sie und der Junge schnell angekleidet waren, holte sie die wichtigsten Papiere und das Geld und fort ging’s. Solange ich noch Gefahr glaubte, ritt ich ziemlich scharf, mußte aber auf Särle und den Jungen Rücksicht nehmen. Allmählig ritten wir Schritt und kurzen Trab und nach ¾ Stunden waren wir in Windhuk. Kaum konnte ich meine Arme noch fühlen, war aber froh, daß ich meine Lieben in Sicherheit wußte, und nun ging’s Galopp zurück, um das Vieh holen zu helfen. Bald hörte ich sie auch angetrieben kommen und freute mich alles beisammen zu wissen.
In Windhuk suchte ich erst Weideplätze und lud die wenigen Sachen ab, die auf der Ochsenkarre mitgebracht waren. Dann meldete ich mich bei dem Leutnant Techow und trat als Kriegsfreiwilliger ein. Inzwischen war der Landsturm aufgeboten. Es war ein ernster Augenblick; alte Farmer und ganz junge Burschen holten sich Waffen und Kleider, um mitzuziehen und ihre Landsleute zu verteidigen gegen die frechen Hereros, die weder Frau noch Kind schonten.
Nachmittags um 2 Uhr machte ich den Streifzug unter Leutnant Rathusius über Gammams, Otjisewa, Otjihavera, Brackwater mit. In der heißen Mittagshitze wurde abgeritten; anfangs Schritt, bald wurde das Tempo immer lebhafter, und je näher der Abend heranrückte, um so mutiger wurde weiter geritten. Inzwischen war die Nachricht eingetroffen, daß die Unterstützungskolonne nach Okahandja zurückgeschlagen sei und 7 Weiße geblieben sind, unter anderem zwei Familienväter, ein Offizier, der junge Boysen. Als der Zug kurz vor Okahandja war, hatten die Feinde das Geleise ausgerissen, und der Wagen mit dem Maschinengewehr war zum Entgleisen gebracht worden. Ein kritischer Moment trat ein. Von allen Seiten rückten nun die Hereros heran und schossen, gut hinter Büschen versteckt, auf unsere Leute, die das Maschinengewehr auf einen anderen Wagen umbauen mußten, um es wieder schußfertig zu machen. Kaum war das geschehen, erschossen die Feinde den Zugführer, und der Heizer sank schwer verletzt zu Boden. Schon glaubten sie, daß alle Deutsche, Zug, Maschinengewehr und Proviant in ihren Händen seien, da sprang der Kaffer, der als Hilfsarbeiter auf der Maschine half, auf den Zug, stellte den Hebel um und gab Volldampf, und rückwärts ging der Zug, aus den Feinden heraus. Wer den Zug nicht mehr erreichte, war verloren. Boysen fiel, einer kam ihm zu Hilfe der fiel auch, ein zweiter, ein dritter sprangen ab und wollten die Verwundeten holen, aber von Kugeln durchbohrt blieben sie zurück. Von den Belagerten aus Okahandja wurde während des Angriffes fleißig geschossen und alles versucht, den Angriff durch einen Ausfall zu unterstützen – aber vergeblich. So warten sie noch heute auf Hilfe, und hoffentlich kommt sie durch Leutnant von Sylow aus Swakopmund.
Inzwischen kamen wir auf unserem Ritt an die zerstörten Farmen. Der Warenschuppen und Henkers Haus, ¾ Reitstunde von Gammams, war tüchtig ruiniert. Bei Ruß auf Monte Christo hatten sie Haus und Garten verschont, ihm aber alles Vieh abgenommen, alle die weidenden Angoraziegen und Milchkühe wurden weggetrieben, über 1000 Tiere. Mit Mühe hatte er seine Leute veranlaßt, ihm die Ochsen anzuspannen und aufzuladen. Seine Frau führte er, er trieb, und so zogen sie, verfolgt von Kugeln, die ihnen um den Kopf schwirrten, nach Windhuk.
In Otjisewa fanden wir die erste Leiche. Kaufmann Kujirski lag erschlagen vor seinem geplünderten Hause. Der Schädel war ihm mit dem Kirri eingetrieben und nur mit Hemd und Strümpfen bekleidet, lag er wie zum Hohn auf offener Straße, und die Hühner fraßen ihm die Augen aus.
Ein wenig weiter fanden wir vier Leichen, den dort stationierten Polizisten Tausendreich, seinen Sohn, einen Schutztruppler und noch einen Mann. Den Knaben hatten sie bei lebendigem Leibe kastriert und ihn verbluten lassen. Die Frau des Polizisten war am Tage zuvor nach Ruß abgeholt worden, sonst hätte sie das gleiche Schicksal mit den anderen geteilt. Ernst ritten wir weiter, nachdem wir ein kurzes Gebet gesprochen hatten. Leider konnten wir sie nicht begraben, da uns dazu Zeit und die Möglichkeit fehlten. Nun umritten wir im Galopp die Werften, suchten fast jede Pontock ab, aber alles war leer, der Feind war fort.
Jetzt suchten wir nach der Bahn vorzudringen; immer finsterer wurde es, und nur mit Mühe hielten wir uns auf dem richtigen Wege. Reiter und Pferd waren aufs äußerste erschöpft. Nur Pfützenwasser stillte ein wenig und nur auf kurze Zeit den entsetzlichen Durst. Nachts ½12 Uhr kamen wir nach Otjihavera an der Eisenbahn, und trafen dort zu unser beiderseitigem Glück unbehelligt die vom Kampfplatze zurückgekehrte Abteilung Vogts. Nun hieß es absatteln, Pferde zur Hand behalten und schlafen. Kaum hatten wir ein halbes Stündchen auf bloßer Erde gelegen, da krachte ein Schuß. Nun hieß es wieder aufgesattelt, aufgesessen und nachts weiter bis Brackwater. Einem unserer Reiter war ein Schuß losgegangen, der leicht die Feinde hätte auf uns aufmerksam machen können. Noch mussten wir warten, bis der Zug weiterdampfen konnte, ein Soldat, ein ehemaliger Eisenbahner, führte ihn. Nach etwa einer Stunde setzte sich alles in Bewegung. Zum Glück für mein Pferd habe ich ihm die Zeit über einige Handvoll Hafer geben können. Zwei Mann ritten nun vor dem Zuge her und untersuchten die Schienen und Brücken, ob nicht etwa die Geleise aufgebrochen seien. Zwei Mann ritten rechts und links zur Deckung, wir übrigen, jetzt etwa 35 Mann stark, ritten einer hinter dem anderen auf dem Bahndamm hinter dem Zug her.
Es war ein toller Ritt. Finstere Nacht, lautloses Schweigen, nur unterbrochen durch das möglichst geräuschlose Fahren des Zuges und der leise abgegebenen Kommandos. Immerwährend kam der Zug zum Stehen: einmal hatten die Reiter ihre Vordermänner verloren – sie schliefen zumeist auf den Pferden; dann mußten wir bei jeder Brücke runter von dem steilen Damm und setzten über das Wasser. Dabei blieb mal einer mit dem Gaul bis an die Brust im Sumpf stecken und wurde abgeworfen. Dann faßte die Lokomotive mal wieder einen, und er flog rechts, das Pferd links, zum Glück ohne gefährliche Verwundung. Kam wieder eine Steigung, so schaffte es die Lokomotive nicht mehr, und so mußten wir kurz vor Brackwater den Zug in die Station hineinschieben, so müde wir waren. Gott sei Dank, so weit waren wir. Nun hatten wir ja Telephon nach Windhuk und konnten Kohlen und Wasser einnehmen. Nun ging’s wieder weiter. Früh rückten wir nun in Windhuk ein und schachmatt warf ich mich aufs Bett. Während ich schlief, besorgte mir Frauchen Trank und Speise, und allmählig war ich wieder der alte.
In Windhuk hatten sich die Hiobsposten gemehrt. Fast ringsum ist Windhuk eingeschlossen, die vorgeschobenen Posten sehen Feinde, können aber nicht kämpfen, die größeren Abteilungen können sich nicht so weit vorwagen, weil Windhuk sonst entblößt wird. Die Erbitterung ist hier sehr groß; keiner gibt Pardon, alles wird niedergeschossen. Wie feige sind die Farmer überfallen und hingeschlachtet worden! Ein junges, nettes Mädchen, das mit unserem Dampfer angekommen war, wurde mit ihrer Schwester direkt ausgeschlachtet, und die Eingeweide wurden dann auf die Bäume gehängt! Ja, man hat Verdacht, daß sie gar nicht erst betäubt waren. Vorher sind sie gräßlich geschändet worden, wie hinterher von einem Gefangenen berichtet worden ist. Ein anderer Farmer war halb tot geschlagen, kam aber wieder zu sich und liegt hier im Lazarett. Er hat mit angesehen, wie entsetzlich die Bande gehaust hat. Aber immer haben sie nur einzelne überfallen, an mehrere haben sie sich nicht herangewagt.


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