DokumentationDr. Curt Rudolf Kreuschner über "Die Herero" |
Freiburger Zeitung, 21.1.1904, 2. Blatt 1. Seite "Die Herero. (Nachdruck verboten.) Wenn Deutschland den großen Händeln der Welt, wie sie in Madezonien und neuerdings in Ostasien in jedem Augenblick akut werden können, glücklicher Weise fern steht, so haben die Ereignisse der jüngsten Zeit doch wiederum den Beweis geliefert, daß auch das Deutsche Reich mit seinem Kolonialbesitz jederzeit in die Lage der großen kolonisierenden Mächte geraten kann, die einigermaßen dem Zustand im alten Römerreiche zu jener Zeit ähnelt, als die Pforten des Janustempels fast nie geschlossen werden konnten. Dem noch immer nicht gänzlich gedämpften Aufstande der Bondelzwarts bei Warmbad an der äußersten Südgrenze Südwestafrikas ist eine augenblicklich weit gefährlichere Rebellion dr Herero gefolgt, die in der kurzen Kolonialgeschichte des genannten Landes schon wiederholt die Pionierarbeit Deutschlands bedroht haben. Die Eisenbahn von Swakopmund nach Windhuk ist durch Zerstörung einer Brücke bei Osona auf längere Zeit unterbrochen. Ebenso ist die Telegraphenverbindung bereits zerstört, und so lenkst sich die allgemeine Aufmerksamkeit wieder einmal auf diesen Negerstamm, der aus neue in hellem Aufstande gegen die deutsche Verwaltung steht, obwohl er vermöge seiner Charakteranlagen eigentlich eine wertvolle Stütze unserer dortigen Kolonialtätigkeit sein könnte. Die Herero – man betone die letzte Silbe – gehören zu der weitverbreiteten, südafrikanischen Völkerfamilie der Bantuneger. Während einer großartigen Völkerwanderung, die schon im achtzehnten Jahrhundert begann und sich bis weit in das neunzehnte hinien fortsetzte, gelangten sie, begleitet von ungeheurer Rinderheerden, in den nördlichen Teil des heutigen Schutzgebietes, wo ein großer Teil des Stammes in fortwährenden Kriegen, die erst vor etwa zehn Jahren ihr Ende fanden, aufgerieben wurde. Lange bevor man in Deutschland daran dachte, die Besitzungen der Hamburger Firma Lüderitz und das zugehörige Hinterland unter den Schutz des Reiches zu stellen, waren unter den Herero einige europäische Jagdunternehmer, die unter dem Großwild, namentlich unter den damals noch ansehnlichen Elefantenherden furchtbar aufräumten, zu großen Ansehen gelangt. Zwei von ihnen, der Schwede Anderssen und der Engländer Green, waren es, die im Jahre 1868 die von dem Namakönig unterjochten Herero zum Siege gegen ihre Unterdrücker führten. Die Kriegswirren dauerten aber noch sieben Jahre fort, bis 1870 zwischen der gelben Rasse der Hottentotten und der schwarzen der Herero ein Friede zustande kam, der sein Ende erst nach einem Dezenium fand, als 1880 der alte Rassenhaß wieder aufloderte. Kurz vor Ausbruch dieses Krieges, der eine unabsehbare Kette von Gefechten und grässlichen Mordtaten war, hatten sich die europäischen Händler und Missionare an die Regierung in Kapstadt mit der Bitte um Annexion des Landes gewandt. Der englische Abgesandte, Mr. Palgrave, entging jedoch mit knapper Not dem Tode, und da England, in der Voraussetzung, daß ihm diese Lando doch als reife Frucht eines Tages von selbst in den Schoß fallen würden, mit der Herstellung seines Protektorats zögerte, konnte die deutsche Regierung am 24. April 1884 die Schutzherrschaft über das Land in Form Rechtens erklären. In jener Zeit standen die Herero unter der Herrschaft ihres Oberhäuptlings Kamaherero, mit dem Dr. Göhring nach langen Mühen am 21.Oktober 1885 einen Vertrag zustande brachte, der jedoch von Kamaherero bereits 1888 aufgrund der Antriebe des Engländers Lewis gebrochen wurde. Nach dem Tode dieses Häuptlings (1890) trat die deutsche Kolonialregierung mit seinem Sohne Samuel Maharo, der wie der Vater in Okahandja, dem Mittelpunkte der gegenwärtigen Erhebung residiert, in ein besseres Verhältnis, das im Jahre 1894 zu einem neuen Vertrage über die Abgrenzung des Hererogebietes führte. Aber schon im Frühjahr 1896 fiel wiederum ein Teil der Herero samt den Khawashottentotten ab, und erst nach Erstürmung der Feste des Häuptlings Kahimema durch Major Leutwein und nach kriegsrechtlicher Erschießung des ersteren konnte die Rebellion bewältigt werden. – Die Herero unterscheiden sich in ihrem Typus nur wenig von den anderen Bantuvölkern. Außerordentlich groß und kräftig gewachsen, gehören sie zur dolichokephalen Rasse. Aus dem langen und schmalen Schädel springt eine groß entwickelte und stark gekrümmte Nasse hervor. Die Lippen sind aufgeworfen, aber nicht wulstig, das Kopfhaar dicht, der Bartwuchs schwach, und der ganze üppige Körper ist von dichten Flaumhaaren bedeckt. Mit ihren proportionswidrig langen Vorderarmen bieten sie kein anziehendes Bild, und zu dem ziemlich abstoßenden Anblick gesellt sich ein ekelhafter, die Nasse gröblich beleidigender Gestank, der von ihnen ausströmt und den bekannten eigentümlichen Negergeruch noch weit übertrifft, weil sie der Gewohnheit sich zu waschen gründlich abhold sind, und sich statt dessen den ganzen Körper mit einer Salbe einschmieren, die aus ranziger Butter, dicker, saurer Milch und Ockerfarbe bereitet wird. Die Männerkleidung der kakaobraunen Gestalten besteht aus Fellen die von einem um die Hüften gezogenen Riemen herabhängen, Lederbändern, die um die Knie geschlungen sind, und Sandalen. Die Frauen dagegen, die in ihrer Jugend junonische Gestalten mit wohlgeformten Gesichtszügen und schönen braunen Augen sind, im Alter dagegen triefäugigen runzligen Hexen gleichen, tragen auf ihren glatt rasierten Köpfen lederne Hauben mit einem Besatz von gläsernen oder eisernen Perlen, um die Schultern einen über der Brust zusammengehaltenen Ledermantel und um die Hüften eine lederne Decke, den Karoß der bis zu den Füßen herabfällt. Als Schmuckgegenstände fügen sich dieser recht dezenten Tracht Kettenarmbänder und unsinnig schwere Kupferringe an, deren Metall meistens aus den Otaviminen stammt. Je größer der Wohlstand des Gatten, desto zahlreicher und schwerer die Ringe, sodaß die Frauen der Reichen oft kaum gehen können, sondern mit wunden Knöcheln still auf dem Flock hocken was übrigens von ihren Gatten, die ihr Entlaufen befürchten, öfters beabsichtigt sein soll. Außerordentlich günstig präsentieren sich die Kinder, von denen namentlich die Mädchen von reizvollem Wuchse sind. Auch sie sind am Kopfe in der Weise rasiert, daß nur am Wirbel ein Büschel Haare stehen bleibt, das mit einem durch Eisenperlen verzierten Riemchen zu einem Zopfe verflochten wird. Fährt man, die Bahn verschmähend, mit Ochsenwagen über Okambabe nach Okahandja, so passiert man eine etwas reicher bevölkerte Landschaft, deren Wahrzeichen der Gipfel des Kaiser Wilhelm-Berges ist. Der üppige Pflanzenwuchs, die zahlreichen großen Rindviehherden, der Reichtum an kleinem Wild und die häufigen Ansiedlungen oder Werfte der Herero, aus denen heiteres Lachen erschalt, machen nach einer Reise durch die Steppengegend einen überaus günstigen Eindruck, u. gern möchte man denjenigen glauben, die Gemüt und Charakter dieser und anderer Neger mit denen eines Kindes vergleichen. Nun kann man zwar den Herero, besonders wenn man anderwärts schlechte Erfahrungen gemacht hat, eine gewisse Gastfreundschaft und Friedlichkeit nicht ganz absprechen. Es gesellst sich jedoch hierzu eine ganze Reihe unliebsamer Eigenschaften, sodaß man von ihnen, wie Oberleutnant Kurd Schwabe in seinen Kriegs- und Wanderjahren es ausdrückt, höchstens wie von Kindern sprechen kann, die gründlich verdorben sind. Zunächst sind sie unerträglich anmaßend und habgierig, sobald sie sich einem Schwächeren gegenüber befinden. Von einzelnen Händlern fordern sie einfach, ohne zu bezahlen, und es ist vorgekommen, daß sie Kaufleuten, die ihren Wünschen nicht nachgaben, einfach ihre Stores vernagelten und auf die Dauer von vielen Wochen sperrten. Ihr Geiz geht soweit, daß Leute, die zehntausende von Rindern besitzen – inzwischen haben allerdings Tierseuchen große Verheerungen angerichtet -, um Beträge von wenigen Pfunden jahrelang streiten, und Handelsgeschäfte enden nach stundenlangem Bereden nur zu oft mit negativem Erfolge. Ihr derzeitiger Oberhäuptling Samuel Herero (auch Maharo genannt) ist ein starker und großer Mann von etlichen 40 Jahren mit dünnem Backenbart, der sich sorgfältig kleidet und mit Vorliebe blendend weiße Jacken trägt. Von seinem eigenen Volke hat er keine besonders hohe Meinung, wie aus einer Unterhaltung mit Major von François hervorgeht, in der ersterer äußerte, daß die Herero zwar groß, ihr Herz aber klein sei. Merkwürdiger Weise fröhnen sie wenig oder gar nicht dem Genusse des importierten Alkohols und verstehen sich auch nicht auf die Bereitung geistiger Getränke. Um so erpichter sind sie dafür auf Tabak, dessen Erwerb übrigens nicht wie derjenige des Alkohols von dem Besitz eines behördlichen Erlaubnisscheins abhängig ist. Die Frauen werden gegen Hingabe von so und so viel Rindern oder Schafen gekauft, wobei Brüder und gute Freunde zuweilen eine förmliche Weibergemeinschaft konstituieren. An den Knaben wird, sobald sie das achte bis zehnte Lebensjahr erreicht haben, unter großem rituellen Gepränge, wobei zahlreiche Rinder erstickt werden, der Akt der Beschneidung vorgenommen. Dann folgt nach einigen Tagen das Ausbrechen der unteren Schneidezähne. Ebenso ..." [Fortsetzung siehe folgender Text] Scan der Originalseite auf Server der UB-Freiburg Freiburger Zeitung, 21.1.1904, 2. Blatt, 2. Seite "...sonderbar ist die Totenbestattung. Der Leiche wird nämlich der Kopf zwischen die Knie gebunden, worauf sie mit nach Norden gewendetem Gesicht in hockender Stellung beerdigt wird. Die Herero werden heute auf etwa 80 000 Köpfe geschätzt, die sich unter die 4 Hauptkapitänschaften Otjimbingwe, Omaruru, Waterberg und Okandjose gliedern. Ihr Reichtum besteht in großen Viehherden. Für die Möglichkeit, aus diesem Ueberfluß einen feineren Genuß zu ziehen, fehlt ihnen jedoch jegliches Verständnis. Immerhin haben die Missionen und Behörden doch schon ein großes Stück Kulturarbeit geleistet, und wer ohne Kenntnis des wirklichen Sachverhalts einen gewöhnlichen Feld-Herero neben einem schon länger auf einer Station ansässigen sieht, würde schwer glauben können, daß beide demselben Volksstamm angehören. Die Mehrzahl von ihnen sind freche Spitzbuben, die, bei einem Diebstahl ertappt, noch hinterdrein behaupten, daß ein Herero niemals stehle. Bestialisch ist, wo sie glauben, es sich erlauben zu können, ihre Grausamkeit. Daß sie den Gefangenen Hände und Füße abschneiden und den Kindern den Bauch aufschlitzen, gilt ihnen als ganz selbstverständlich. Ihre Waffen waren früher der mit einer eisernen Spitze beschlagene Speer und eine von ihnen Kirri genannte Wurfkeile. Heute sind sie im Besitze zahlreicher Gewehre, von denen glücklicher Weise die Mehrzahl von veralteter Konstruktion sind. Der beste Teil des Hererolandes ist die Strecke vom Auasgebirge über Brackwater und Osona bis Okahandja. Das in geringer Tiefe vorhandene Grundwasser in der Ebene des Swakopflusses zeitigt einen reichlichen Graswuchs und hier zwischen Okahandja und Klein-Barmen kann man auch von einem wirklichen Walde reden, der in diesen Gegenden sonst sehr selten ist. Dr. Curt Rudolf Kreuschner." Scan der Originalseite auf Server der UB-Freiburg |