DokumentationReichstag: Verstärkungen für SüdwestafrikaSpekulationen über die Kriegsgründe |
Freiburger Zeitung, 21.1.1904 1. Blatt 1. Seite "Die Verstärkungen für Südwestafrika. Die Mitteilungen des Reichskanzlers über die Maßregeln, welche die Regierung zur Niederwerfung des Aufstandes zu treffen beabsichtigt, zeigen, daß ursprünglich nicht so energische Hilfe notwendig erschien wie jetzt. Daher umfassten die Nachtragsetats für 1903 und 1904, die dem Reichstag schon zugegangen sind, nur die Summen, welche die Entsendung einer Abteilung von 500 Mann erheischt, während die Kosten der angeordneten Entsendung weiterer Streitkräfte darin nicht enthalten sind. Ihre Bewilligung kann von der Volksvertretung erst später verlangt werden. In der Begründung des Nachtragsetats für 1903 heißt es: Vor allem gebietet die Sicherung der Verbindung zwischen dem Hafenplatze Swakopmund und der Hauptstadt Windhuk sowie der Schutz der Eisenbahn zwischen beiden Orten eine rasche und energische Unterdrückung des Aufstandes. Nach dem Bericht aus Windhuk sind zurzeit in dem ganzen Norden des Schutzgebietes nur 400 Mann verfügbar, denen ein an Zahl ganz bedeutend überlegener Gegner gegenübersteht. Ein Ablösungstransport von 225 Mann ist nach Swakopmund unterwegs. Es soll nun eine weitere Verstärkung von 500 Mann nebst zugehörigen Chargen nach Swakopmund entsandt werden, sodaß die gegen die Herero verfügbare Truppe auf die Stärke von 1125 Mann gebracht wird. Diese Truppenzahl ist mindestens notwendig, um die dauernde Unterwerfung und die Entwaffnung der Herero zu sichern. Die Verstärkung wird in zwei Transporten voraussichtlich am 30. Januar und am 5. Februar von Hamburg abgehen können. Durch die Verstärkung der Truppe ergibt sich für das Rechnungsjahr 1903 eine bisher im Etat vorgesehene Ausgabe von insgesamt 1 496 000 Mk. Diese Summe setzt sich im einzelnen folgendermaßen zusammen: 1. Gehalt für 1 Hauptmann 2. Klasse, 1 Oberleutnant, 3 Leutnants, 1 Assistenzarzt und 1 Zahlmeisteraspiranten für die Dauer von 2 Monaten 4 Tagen 8354 Mk. und für 1 Stabsoffizier, 1 Hauptmann 1. Klasse, 1 Hauptmann 2. Klasse, 3 Oberleutnants, 6 Leutnants, 1 Oberveterinär und 1 Zahlmeisteraspiranten für die Dauer von 1 Monat 27 Tagen 17 000 Mk. 2. Ausrüstungsgelder für die genannten Chargen 24 800 Mk. 3. Löhnung für 170 Mann (darunter ein Büchsenmacher, 19 Unteroffiziere, einschließlich 2 Sanitätsunteroffizieren, sowie 5 Trompeter und 5 Gefreite-Trompeter) für die Dauer von 1 Monat 27 Tagen 54 460 Mk. 4. Bekleidung und Ausrüstung von 500 Mann 210 000 Mk. 5. Verpflegung für 169 Mann auf die Dauer von 32 Tagen 10 816 Mk und für 328 Mann auf die Dauer von 20 Tagen 19024 Mk. 6. Transportkosten (einschließlich Bahntransport) 129 000 Mk. 7. Bewaffnung und Munition 62 000 Mk. 8. Zum Ankaufe von 750 Pferden 500 000 Mk. 9. Kraftfutter für 1 Monat 13 500 Mk. 10. 521 Reitausrüstungen 68 000 Mk. 11. 6 Maschinengewehre nebst Munition (einschließlich Versendungskosten) 150 000 Mk. und sechs Revolverkanonen nebst Munition (einschließlich Versendungskosten) 200 000 Mk., insgesamt 1 495 553 Mk., rund 1 496 000 Mk. Die Anschaffung der Pferde, und zwar von je drei Pferden für je zwei Mann, ist notwendig, weil in dem Schutzgebiet überhaupt nur berittene Truppen mit Erfolg verwendet werden könnten, nach einem kürzlich eingelaufenen Bericht des Gouverneurs aber der Pferdebestand zurzeit so äußerst knapp ist, daß er kaum für die Truppe in ihrer jetzigen Stärke ausreicht. Die Entsendung von sechs Maschinengewehren und sechs Revolverkanonen ist erforderlich, weil die Truppe mit diesen, bei den Geländeverhältnissen des Schutzgebiets außerordentlich brauchbaren Waffen nur ganz ungenügend bzw. gar nicht ausgerüstet war. Die neueren Meldungen vom Kampfplatze lauten: Nach einer Montag in Berlin eingelaufenen Depesche ist der aus Stettin stammende Tierarzt Kämpuy auf einem Patrouillenritt bei Karibib erschossen worden. Der Korrespondent der Kolonial-Zeitschrift in Windhuk teilt seinem Blatte in einem dringenden Kabetelegramm mit: Buschleute Maltahöhe Farmer Jäger und Frau ermordet. Okahandja in Verteidigungszustand. 400 Hereros mit Gewehren von Okahandja. Weiterer Zuzug von Hereros aus östlichem Sandfelde gemeldet. Zu dem Marine-Infanterie-Bataillon des Marineexpeditionskorps treten Major v. Glasenapp als Kommandeur und gleichzeitig als Führer des Marine-Expeditionskorps; ferner die Hauptleute Häring, Fischel, Fieber und Schering als Kompagniechefs. Zur Maschinenkanonenabteilung des Expeditionskorps tritt Oberleutnant zur See Mausholt als Führer. Aus Kiel wird berichtet: Dem Transport nach Südwestafrika wird ein von der Ostseestation gestelltes Ersatzlandungskorps für das Kanonenboot Habicht beigegeben werden. (Vergl. Neuestes.) Deutscher Reichstag. Berlin, 19. Januar. Der Reichstag bot heute ein erfreuliches Bild von einmütigem Patriotismus und politischem Takt. In kaum zweistündiger Beratung wurden die Forderungen der Regierung für die Niederwerfung des Herero-Aufstandes in Südwestafrika in erster und zweiter Lesung in zustimmendem Sinne erledigt. Das Haus war gut besetzt, die Tribünen waren gefüllt. Der Reichskanzler und die beteiligten Staatssekretäre v. Tirpitz und Frhr. von Richthofen, Kriegsminister v. Einem, zahlreiche Kommissare des Bundesrates, waren erschienen. Über die Verhandlungen ist zu berichten: Kolonialdirektor Dr. Stübel gibt eine Uebersicht über die Ereignisse im Januar und die getroffenen Maßnahmen. Erforderlich sei namentlich bespannte Artillerie. Die plündernden Hereros tragen teilweise Tropenuniform, die wohl dem Materiallager in Johann Albrechtsland entnommen sind. Die Weißen seien auf 118 Punkte verteilt. Aufstandsgelüste der Hereros waren wohl immer vorhanden; vielleicht gelangten falsche Nachrichten über angebliche Siege der Bondelzwarts an sie. War der Aufstand von langer Hand vorbereitet, so war er geschickt verheimlicht worden; auch die Missionare und Farmer merkten nichts davon. Die Kolonialverwaltung treffe wohl kaum der Vorwurf der Nachlässigkeit. Die Eisenbahn werde bei der Niederwerfung des Aufstandes gute Dienste leisten. Die Unterwerfung der Eingeborenen sei erforderlich; dazu bedürfe es einer, wenngleich vorübergehenden Verstärkung der Schutztruppe. Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Das ganze Haus werde wohl der Forderung zustimmen. Die vierwöchige Zusammenkunft der Hererohäuptlinge im November war der Vorläufer des Aufstandes. Er beantrage, sämtliche Forderungen der Regierung (im ganzen gegen drei Millionen Mark) sofort in erster und zweiter Lesung zu bewilligen. Präsident Graf Ballestrem meint, die Nachtragsforderung könnte heute in erster und zweiter Lesung und in einigen Tagen in dritter Lesung erledigt werden. Die Ergänzungsforderung zum Etat für 1904 könnte gleich provisorisch in erster und zweiter Lesung erledigt werden, die dritte Lesung erst zusammen mit der dritten Lesung des Etats für 1904 überhaupt. Abg. Bebel (Soz.) wünscht eine Verschiebung der zweiten Lesung der Ergänzungsforderung, bis die Gründe des Aufstandes der Hereros bekannt sind. Die Hereros müssen doch gewichtige Gründe haben zum Verzweiflungskampfe. Die Missionare berichten, daß die Weißen Trunksucht, Unzucht und Rohheiten begingen. Die Hereros befürchteten vielleicht, daß sie von ihrem reservierten Gebiete weiter ostwärts gedrängt werden sollen. Da die Sozialdemokraten nicht wissen, ob der Regierung eine Schuld beizumessen ist, enthalten sie sich der Abstimmung. Namens ihrer Parteien gaben kurze Zustimmungserklärungen zu der Regierungsforderung die Abgg. v. Normann, Müller-Sagau, Sattler, von Tiedemann, Storz (D. Volksp.) und Liebermann v. Sonneberg. Abg. Müller-Sagau betonte, die Forderung müsse durch Sparsamkeit auf anderen Gebieten ausgeglichen werden. Hierauf werden sämtliche Forderungen in erster und zweiter Lesung angenommen." Scan der Originalseite auf Server der UB-Freiburg Freiburger Zeitung, 21.1.1904, 1. Blatt, 3. Seite "Neuestes und Telegramme. Aus Südwest-Afrika. Köln, 19. Januar. Der Kölnischen Ztg. wird aus Berlin telegraphiert: Bis heute morgen liegen aus Südwest-Afrika keine Nachrichten von allgemeiner Bedeutung vor. Es ist aber mit Befriedigung zu verzeichnen, daß die selbstverständliche Pflicht des Reiches, den Aufstand zu unterdrücken, von keiner ernsten Seite bestritten wird. Mehrfach wird der Tadel laut, daß man über die Veranlassung des Aufstandes keine Nachrichten erhalten habe und daß sich die örtlichen Behörden von ihm überraschen ließen; doch wird man abzuwarten haben, bis über diesen Punkt volle Klarheit gebracht ist. An verschiedene Blätter richten Kenner des Landes Zuschriften, in denen sie ihre Anschauungen über die jüngsten Ereignisse niederlegen. Da auch sie auf Vermutungen angewiesen sind, so verlieren diese Mitteilungen teilweise ihren Wert. Immerhin ist es bedenklich, wenn alte Afrikaner die Ueberzeugung aussprechen, daß nicht alle Stationen imstande gewesen seien, den Ansturm der Hereros auszuhalten und mehrere bereits gefallen sein dürften. In amtlichen Kreisen herrscht die Ansicht vor, daß die Hereros sich aufgrund falscher Nachrichten von dem Aufstande der Bondelzwarts empört haben. Was die Ausrüstung der neu hinausgesandten Truppen anbelangt, wird darauf aufmerksam gemacht, daß der Krieg in Südwestafrika in ganz hervorragendem Maße die Verwendung berittener Truppen erfordere und daß man den Hereros nur durch ausgiebige Verwendung von Reitern werde beikommen können. Tatsächlich ist in Südwestafrika unsere Schutztruppe zum großen Teil unter dem Zwange der Verhältnisse als berittene Infanterie ausgebildet worden. Die hinauszusendenden Truppen – das Seebataillon kann hierbei nicht in Frage kommen – werden daher umso wirksamer auftreten können, wenn sie befähigt sind, den Dienst auch zu Pferde zu versehen. Zur Ausbildung in diesem Sinne ist natürlich keine Zeit vorhanden. Man betont daher, daß mindestens ein erheblicher Teil der Truppen unseren Kavallerie-Regimentern entnommen werden müsse. Der Einwand, daß die Kavalleristen für das Infanteriegefecht weniger ausgebildet seien, wird dadurch hinfällig, daß sie es mit einem Gegner zu tun haben, dem gegenüber auch eine kavalleristische Ausbildung für das Feuergefecht genügen wird. Jedenfalls muß man sogleich dafür Sorge tragen, daß ein ausreichendes Pferdematerial, das in Südwestafrika nicht zu erhalten ist, so rasch als möglich dahingeschafft wird. Kiel, 19. Januar (Straßb. Post) Die Abreise der mobilen Formationen wird wegen verzögerter Bereitstellung des Transportdampfers Darmstadt um 24 Stunden verschoben. Der Kieler Teil fährt am Donnerstag, der Dampfer Darmstadt am Freitag ab. Hamburg, 19. Jan. Am 30. Januar sollen etwa 180 Mann mit dem fahrplanmäßigen Dampfer Adolf Wörmann zur Schutztruppe abgehen; am 6. Febr. 350 Mann mit dem Extradampfer Lucie Wörmann. Berlin, 20. Januar. Der Oberbefehl über das Marine-Expeditionskorps ist dem Oberst Dürr übergeben worden." Scan der Originalseite auf Server der UB-Freiburg |