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Weitere Einzelheiten zur Kaiserrede in Bremerhaven (sog. Hunnenrede) und der Abfahrt des Schiffes Batavia nach China

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Freiburger Zeitung, No. 178, Freitag, 03.08.1900, 2. Blatt, Seite 2

Ueber die Heerfahrt nach China werden der Köln. Ztg. aus Bremerhaven noch auschauliche Einzelheiten geschildert, denen wir zur Ergänzung unserer Berichte Einiges entnehmen. Der Erzähler betont zuerst die Ruhe und Ordnung bei der Einschiffung und fährt dann fort: „Aber auch an ernst mahnenden Anblicken fehlte es nicht, sie konnten auch dem, der zu rührselgier Auffassung menschlicher Dinge wenig geneigt ist und die Todtenliste unter dem Gesichtspunkt eines strategischen Rechenexempels anzusehen pflegt, das Herz weich machen. Zwischen den aufgestapelten Gepäckstücken und eilfertigen Trägern ging ein Offizier, zur Rechten seine Gattin, zur Linken einen kleinen Knaben, der in der glücklichen Unberkümmertheit der Kindheit eifrige Fragen zu dem hochgewachsenen Vater emporschickte. Die Hände der beiden Gatten lagen versteckt ineinander mit einem gewissen scheuen Verbergen vor der Außenwelt, und fest hielt die Hand des Vaters die des Sohnes umspannt. Selbst als er mit dem knappen Befehlston einige Soldaten anwies, ließ er die kleine Hand nicht fahren, und man sah, wie der braune Handschuh sie zuweilen liebevoll drückte. Die Frau drängte die Thränen zurück und lächelte sogar, als einige Bekannte hinzutraten und eine leichte Konversation sich entspann, aber ihr Gesicht wurde ernst, wenn sie auf das Meer und den Gatten sah, und sie mußte die Zähne zusammenbeißen, um eine tapfere Soldatenfrau zu sein. Ein junger Leutnant ging neben einer weißhaarigen Dame, die er ritterlicher mit zärtlicher Sorgfalt am Arme führte, wahrscheinlich seine Mutter. Ich hörte im Vorbeigehen, wie die alte Frau vom Nachsenden warmer Sachen für den Winter sprach und welche Sorge in dem Ton der Stimme zitterte. Wenn die Mutterliebe hätte frei walten können, ich glaube, ein Möbelwagen hätte nicht gereicht, um all die Sachen aufzunehmen, die sie dem scheidenden Sohne gegönnt hätte. Hier und da sah ich Soldaten mit jungen Mädchen zusammenstehen, ein drückendes Schweigen wurde zuweilen durch ein hastiges Gespräch unterbrochen, das indessen bald erlahmte, dann machte sich das Mädchen mit dem Taschentuche verdächtig in der Augengegend zu thun, und der Soldat murmelte gutgemeinte Trostworte. Um einzelne Seeleute hatten Soldaten einen Kreis gebildet du sogen begierig die Weisheit ein, die langsam und breit über die Lippen des Eingeweihten rann; ein sehr gesuchter Mann war der Postbeamte, er mußte mehr Interpellationen unvorbereitet beantworten, als ein französisches Kabinet. Drei Soldaten standen dicht am Rande des Stadens wie Bildsäulen und sahen den Möwen zu, die sich um einige hingeworfene Brocken stritten, und wie eine stille Verklärung leuchtete es über die biederen Gesichter, wenn einer der kreischenden Vögel durch eine elegante Schwenkung einen Brocken wegfischte. Mancher, der deutsche Eigenart, besonders den deutschen Landmann nicht kennt, würde vielleicht die Ruhe der Leute für ein Zeichen geistiger Stumpfheit halten. Das wäre aber durchaus falsch. Es ist eine gewisse Ganzheit und Ehrlichkeit des Empfindes, die einen ernsten Gedanken nicht durch oberflächliches Geschwätz betäuben und abschütteln kann, sondern die ihn durchdenken und innerlich verarbeiten muß. Der einfache Charakter braucht Zeit, um sich das Neue zurechtzulegen und die beeidigten Spaßvögel, die sonst nur den Mund aufzuthun brauchen, um dröhnende Heiterkeit hervorzurufen, mußten sich heute mit dem Achtungserfolge eines gedrückten Lächelns zufrieden geben. Ich vertraue, daß der Mann, der etwas schwerfällig sich in neue Verhältnisse schickt, sich nicht durch nervöse Lustigkeit darüber hinwegzuhelfen sucht, ein ernsterer und besserer Soldat ist, als eine Natur, die mit einem gewissen Elan sich in die fremde Sache stürzt, geflissentlich nur die angenehemn Seiten betrachtet und deshalb, wenn einmal die harte Probe kommt, leicht in das Gegentheil umschlägt und zum verzweifelnden Pessimisten wird. Immer noch ziehen neue Truppen in das schwanke Quartier, das man längst gefüllt glaubt, das Drängen an Bord wird dichter und doch wickelt sich Alles glatt ab. Auch die langen Wälle der Koffer schrumpfen zusammen, wie auch der weite Kreis der schwarzen Säcke. Das Ganze sah sich so selbstverständlich wie ein Kinderspiel an, aber wer einmal in einem Manöver, obschon Zeit und Raum im Ueberfluß vorhanden waren, das unruhige Halten, das geräuschvolle Fragen und Kommandieren erlebt hat, wenn Quartiere bezogen werden, der weiß die Vorarbeit zu schätzen, hier, wo jeder Kubikmeter kostbar war und die Zeit drängte. Nicht so leicht würden im Auslande die Offiziere und Beamten, die die Vorarbeit besorgten, ihres Gleichen finden, auch nicht die Schifffahrtsgesellschaften, die nach dem Grundsatze handelten, daß der soziale Adel, den ihre mächtige industrielle Bedeutung ihnen verleiht, auch Verpflichtungen auferlegt; zumal hat der Nordeutsche Lloyd trotz des schweren Unglücks, das ihn in Hoboken betroffen, eine anerkennenswerthe Leistungswilligkeit und -Fähigkeit bewiesen. Gegen Mittag mußte der Raum zwischen der Batavia und der Lloydhalle vom Publikum geräumt werden, sämmtliche einzuschiffende Truppen sollten sich dort aufstellen, um den Abschiedsgruß des obersten Kriegsherrn entgegen zu nehmen. Die Polizisten und Soldaten, denen die Absperrung oblag, hatten keine Sinekure. Auf dem Publikum, das durchaus nicht aus den ersten Kreisen bestand -man sah manchen Arbeiterkittel und auch wohl ein „Schwarzseidenes“ von verschollenem Schnitt, das sonst nur zu Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen aus dem kampherduftenden Schranke hervorgeholt wurde- lag auch der Ernst des Augenblicks wie ein Bann. Der Kaiser erschien auf der Batavia und kam die Falltreppe herunter. Er schritt die Reihen ab und begrüßte die einzelnen Truppentheile: „Guten Morgen, Majestät,“ scholl es ihm wie aus einer Kehle entgegen. Dann bestieg der Kriegsherr die hohe Tribüne und begann seine Rede, die kernige al fresco gehaltene Rede eines Soldaten für Soldaten, wie sie dem Augenblick angemessen war und die nicht wie die kühl abgewogene Rede eines Staatsmannes zu beurtheilen ist. Alles stand lautlos, der Kaiser beherrschte mit seiner Stimme mühelos den weiten Platz; er sprach einzelne Worte rasch hintereinander und machte dann wieder eine kleine Pause. An eindrucksvollen Stellen hob sich seine Hand und setzte sich wuchtig auf Geländer der Tribüne. Eine große Bewegung ging durch die Menge, nachdem der Kaiser mit einem herzlichen: Adieu Kameraden! geendet. Generalmajor v. Schwarzhoff brachte in einer kurzen trefflichen Ansprache ein Hoch auf den Kaiser aus, das donnernden Widerhall fand. Dann marchirten die Truppen wieder zu ihren Schiffen, in dichtgedrängten Reihen standen sie am Bord entlang, sogar in die Strickleitern der Masten hatten sich Leute von besonderem Anpassungstalente heraufgewagt. Die Menge strömte aufgeregt an den Schiffen zusammen, die letzten Abschiedsgrüße wurden zum hohen Bord emporgesandt, dann wurden die Taue gelöst, und langsam, langsam, glitt die Batavia aus dem Hafen. Die allgemeine Unruhe stieg, Hüte wurden heftig geschwenkt, Taschentücher wehten, eine gewaltige fieberhafte Erregung zitterte durch die Menge, die festgekeilt bis dicht ans Ufer stand, ein wirres tosendes Gebrause von Hoch- und Hurrahrufen scholl durch die Luft. Glückliche Fahrt, deutsche Brüder!


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